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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 6 - 10.10.2000 - Onlineversion

Daniel Dockerill

Brief an Ansgar Knolle-Grothusen



Kiel, 09.12.01

Hallo Ansgar,

Zusammen mit diesem Brief schicke ich Dir eine gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meines im Frühjahr 1998, kurz vor dem zweiten Treffen zur „Programmdebatte“ herumgeschickten Textes „By The Rivers Of Babylon“, mit der Bitte, ihn zusammen mit diesen Vorbemerkungen in den nächsten Ausgabe der Kommunistischen Streitpunkte zu veröffentlichen.

Veranlaßt hat mich zu diesem Schritt Werner Imhofs an den „lieben Freund“ Karl-Heinz Landwehr gerichtete „Auseinandersetzung mit einigen Vorstellungen über eine ‚Ökonomie der Zeit“. Nichts dagegen, daß in den Streitpunkten auch ältere, schon etwas in Vergessenheit geratene Texte der Debattenteilnehmer Gegenstand von Polemik werden. Aber ich denke, es sollte dabei weniger um sogenannte „Vorstellungen“ gehen als um Argumente. Ich möchte jedenfalls gar nicht näher wissen, was „im Kopf“ eines Werner Imhofs vielleicht herumspukt, das er lieber nicht offen ausspricht. Vielmehr würde mich immer noch interessieren, was er meinen ausführlichen kritischen Kommentierungen seiner übergänge-Kritik entgegenzusetzen hat.

Unser Streit um die „Ökonomie der Zeit“ hat bekanntlich selbst schon eine kleine Geschichte, und wir dürfen getrost unterstellen, daß darin alle Beteiligten inzwischen auch etwas gelernt haben. Einen „Wert der Arbeit“ wird Karl-Heinz Landwehr heute sicher genauso wenig noch einmal zu Papier bringen wie etwa Werner Imhof seine frühere Behauptung, der Wert einer Ware umfasse „lebendige und vergegenständlichte Arbeit“. Um so mehr käme es darauf an, in der Fortführung unseres Streits, seinen bisherigen Verlauf und darin schon vorgetragene Argumente und Gegenargumente irgendwie zu berücksichtigen.

Namentlich Werners „Unterscheidung zwischen geplanter und planvoller Gesamtarbeit“, in der für ihn „der gesamte Dissens zwischen uns enthalten“, welcher wiederum nichts geringeres sei als „ein Grundsatzstreit“, ist uns, wie Du Dich vielleicht erinnerst, überhaupt nicht neu. Er hat sie schon im Herbst 1997 in seinen kritischen Anmerkungen zu den übergängen Nr.3 und 4 (aus denen auch die oben zitierte Behauptung über den Wert stammt) geltend gemacht. Sie ist damals in meiner langen Entgegnung ausgiebig gewürdigt worden. Ich schlage darum vor, Werners damalige übergänge-Kritik zusammen mit meiner Erwiderung (eventuell jeweils gekürzt auf die besagten „Grundsatzstreit“ betreffenden Passagen) in einer der nächsten Streitpunkte zu veröffentlichen – selbstverständlich nicht, ohne Werner Gelegenheit zu einer Replik darin zu geben.1

Auch auf Werners Kernargument gegen die „Ökonomie der Zeit“ ist, wie der hier eingereichte ältere Text von mir beweist, von Seiten der Übergänger2 längst kritisch eingegangen worden, ohne daß Werner in seinem neuerlichen Vortrag es für nötig hält, davon irgendwie Notiz zu nehmen. Neu ist mir allenfalls der Vorschlag, an die Stelle der „Zeit“ das schon eine geraume Weile regierungsamtlich gewordene bürgerliche Modewort von der „Nachhaltigkeit“ zu setzen. Daß Werner nun also einmal mehr seine „Natur“ ins Spiel bringt, verweist aber auf ein offenbar ziemlich grundsätzliches Mißverständnis der Marxschen Rede von der „Ökonomie der Zeit“, in die „sich schließlich alle Ökonomie“ auflöse (s. den Anhang II zu meinem Text), das eine ergänzende Bemerkung angebracht erscheinen läßt. Das Mißverständnis beruht hauptsächlich auf der namentlich in den deutschen sogenannten „Wirtschaftswissenschaften“ früh eingebürgerten und dann um so hartnäckiger beibehaltenen Verwechselung von Ökonomie und „Warenkunde“ (MEW 23, S. 50). Daß an allem konkreten, gegenständlichen Reichtum immer Natur, unabhängig von jeglicher menschlichen Arbeit, beteiligt ist, darauf hat bekanntlich Marx selbst (MEW 19, S. 15) als erster programmatisch aufmerksam gemacht. Und wir dürfen sicher sein, daß er das bereits gewußt hat, als er jenen Gedanken von der „Ökonomie der Zeit“ niederschrieb, an den die übergänge anknüpfen. Aber in der Ökonomie, von deren Auflösung Marx da spricht, kommt eben diese Natur gar nicht vor, auf der sie gleichwohl letztlich beruht. Im Wert, um dessen Subjektwerdung es sich in ihr handelt, ist „kein Atom Naturstoff“ (MEW 23, S. 62) enthalten. Schlimmer noch: Die Ökonomie setzt sich selbst anstelle der Natur, wähnt sich selbst als die allernatürlichste Tatsache. Es geht uns daher allen Ernstes um die Auflösung dieser Ökonomie, von der dann halt nichts als „die banale Grundlage“ (übergänge-Plattform) übrigbleibt, daß, wie das einzelne Individuum, so die Gesellschaft zur Sicherung der „Allseitigkeit ihrer Entwicklung … ihre Zeit zweckmäßig einteilen“ (Anhang II) muß.

In Bezug auf diese Banalität von einer „adäquate[n] ökonomische[n] Theorie“ zu sprechen, wie es Karl-Heinz Landwehr in seinem alten Papier getan hat, scheint mir allerdings inadäquat. Ein wirkliches Problem, das theoretische – und dann natürlich vor allem praktische – Bearbeitung erfordert, daher keine Banalität stellt allein besagte „Auflösung“ dar, mit der jede speziell „ökonomische“ Theorie am Ende sich erledigt haben wird. Daß indes in der Rede von der „Ökonomie der Zeit“ Rücksichtslosigkeit gegen die Naturgrundlagen allen gesellschaftlichen Daseins unterstellt sei, wird auch dadurch nicht wahrer, daß Werner es – ohne irgendeine Begründung – nun zum wiederholten Male behauptet. Das Gegenteil ist der Fall, wie ich im beiliegenden Text u.a. gezeigt habe.

Worauf Werners Unwille gegen die Ökonomie der Zeit hinausläuft, läßt schließlich seine wiederholte Verlautbarung erkennen, Gegenstand gesellschaftlicher Planung könnten „nur … notwendige Änderungen“ (KS 5, S.74) der Gesamtarbeit sein, nicht aber diese „überhaupt“ (ebd. S. 75) oder „als solche“ („Materialien …, a.a.O.). Was an sich schon sein früherer Einwand erahnen ließ, daß die Gesamtarbeit genossenschaftlich nicht geplant werden könne, weil dazu das nötige Subjekt außerhalb der zu planenden Gesamtarbeit fehle, wird allmählich zur deprimierenden Gewißheit: In Werners eurokommunistischer Genossenschaft3 bleibt die Menschheit (die zivilisiert europäische; der armselige Rest sowieso) auf ewig zu Arbeit und nichts als Arbeit verdammt, unter welcher Perspektive das Zitat (KS 5, S.77) der Marxschen Rede von der Arbeit, die dereinst „selbst das erste Lebensbedürfnis geworden“ sein werde, unversehens einen eigenartig pastoralen Sinn erhält.4 Daß Marx im selben Kontext u.a. vom Verschwinden der „knechtende[n] Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit“ spricht, also davon, daß eben nicht mehr die Individuen als bloß individuelle Glieder der Gesamtarbeit, sondern diese Arbeit im ganzen wie im einzelnen als bloßes Moment, Teilaspekt des gesellschaftlichen Individuums gesetzt ist, hat Werner jedenfalls geflissentlich ignoriert. Seine Genossenschaft ist verurteilt, für immer „nur eine Gemeinschaft der Arbeit“ (MEW 40, S. 535) zu bleiben.

Nun ist aber jene Gesamtarbeit, die „als solche“ ihrem Willen und Bewußtsein zu unterwerfen, Werner der Menschheit ein für allemal verboten hat, nichtsdestoweniger leider keine Einbildung, sondern existiert wirklich, wie die berühmten Sachzwänge des Kapitalismus alltäglich beweisen.5 Eine Masse von der Arbeit vollkommen absorbierter Individuen, menschlicher Arbeitstiere, erzwingt daher, wenn wir nicht unterstellen wollen, daß hier Gesellschaft überhaupt zu bloßer, unmenschlicher Natur6 regrediert sei, unweigerlich als ihr Gegenstück eine gewisse Anzahl von der Arbeit freigestellter Kommandanten und Nutznießer der Arbeit. Dies also, Werners eigene dogmatisch enge Prämisse, ist die logische Quelle seiner uns hartnäckig unterschobenen „Instanz“, der wir „die unmögliche Praxis einer bürokratisch und zentral geplanten Produktion“ (KS 5, S. 70) zugedacht hätten. Weil er die bekannten und allerdings fatalen Macken des realsozialistischen Experiments allzu kurzschlüssig, aber darin mitten im Zeitgeist auf die angebliche Hybris zurückführt, das Ganze der gesellschaftlichen Produktion planmäßig zu erfassen und zu gestalten, entscheidet sich Werner theoretisch für die Regression und also praktisch dafür, die Dinge ihrem gehabten Selbstlauf zu überlassen.

Soviel zu diesem Thema.

Ich nutze die Gelegenheit für einen technischen Hinweis zum Abdruck meines Beitrages „Antikritisches (II)“. Es ist dabei ein kleiner und dennoch etwas ärgerlicher Fehler (offenbar beim Umsetzen in ein anderes Dateiformat) passiert: Auf Seite 37 in der ersten Spalte erscheint der vorletzte Absatz („Der Klassengegensatz bestimmt also …“) in der Schriftart und Form, die ansonsten in dem Text für meine Kommentare reserviert ist, statt, wie es richtig gewesen wäre, in serifenloser Schrift und eingerückt, so daß der äußerliche Eindruck entsteht, als handelte es sich in dem Absatz bereits um meinen Kommentar und nicht um einen Teil dessen, was erst im folgenden Absatz von mir kommentiert wird.

Nun noch einige Anmerkungen zu Deinen „persönliche[n] Betrachtungen …“, die den Beiträgen in der Nummer Fünf der Streitpunkte vorangestellt sind, sowie zu einigen dieser Beiträge selbst, soweit Du Dich auf sie beziehst.

1. „Determinismus“

„persönliche Verletzung“ war nicht wirklich mein Problem mit Deiner Diagnose einer „Tendenz zu idealistischem Geschichtsdeterminismus“ bei mir, sondern nur, daß es sich darin um keinerlei Argument für oder gegen irgend etwas handelt. Letzteres erhellt schon daraus, daß es offensichtlich gar nicht näher darauf ankommt, wofür man sich die Diagnose einhandelt. Hatte sie sich in Deinen „kritischen Anmerkungen“ zu meinen Thesen auf die Aussage bezogen, daß „in allen früheren, vorkapitalistischen Formen gesellschaftlichen Lebens … die sie durchziehenden Klassengegensätze mehr oder weniger offen zutage gelegen und gerade dadurch ihren sachlichen Grund verborgen“ hätten, so schreibst Du nun: „Ich halte meine Kritik aufrecht an Daniels Aussage ‚Daß der Kapitalist nicht arbeiten muß, ist der einzige noch allgemein bestimmbare Zweck der Arbeit des kapitalistischen Lohnarbeiters‘ und an ihrer Herleitung, die ich als ‚geschichtsdeterministisch‘ versucht habe zu charakterisieren.“

Den von Dir seinerzeit monierten „sachlichen Grund“ hatte ich damals unmittelbar anschließend näher ausgeführt (vgl. KS 1, S. 13) und dann in meiner Antikritik zu Deinen Anmerkungen eine Stelle aus Engels’ „Antidühring“ sowie schließlich noch eine aus dem von Dir zur einschlägigen Lektüre empfohlenen Abschnitt in den Marxschen „Grundrissen“ zitiert, die in derselben Richtung argumentieren. Wie nun auch immer das dazu passende Etikett aussehen mag – für die von Dir angemahnte „richtige Form, in der wir die Debatte produktiv führen können“, dürfte es unumgänglich sein, sich solchen Argumenten zu stellen, statt sie unter irgendwelchen gängigen Labels zu begraben.

Was überhaupt die Distanzierung vom „Determinismus“ in Sachen menschlicher Geschichte angeht, so kommt es in der Tat sehr darauf an, was wir darunter verstehen. Ich habe, wie Du vielleicht erinnerst, aus gegebenem Anlaß im Editorial zur Nummer Vier der übergänge7 ein paar Überlegungen dazu angestellt. Daß ich mit „dem reinen Determinismus, dessen eintönige Litanei lautet: es ist alles so gekommen, wie es kommen mußte“, nichts am Hut habe, hast Du dort schriftlich. Ich hatte allerdings, als ich meine Antikritik niederschrieb, schon befürchtet, daß Dein „Determinismus“-Knüppel womöglich auf anderes zielt, und das habe ich nun leider auch schriftlich: „Es geht beim Kommunismus nicht darum, irgendeiner Entwicklungsrichtung in der Geschichte zum Durchbruch zu verhelfen“, schreibst Du in Deinen „persönlichen Betrachtungen“.8

Materialistische Kritik des sog. „Determinismus“, der die Vorherbestimmtheit von allem und jedem behauptet, zielt am allerwenigsten darauf, jede Vorherbestimmtheit in der Natur wie der menschlichen Geschichte, also jeglichen notwendigen Zusammenhang abzustreiten. Es liegt vielmehr (wie Engels in einer Notiz seiner „Dialektik der Natur“ sehr schön zeigt)9 die immanente Unwahrheit dieses Determinismus darin, daß sozusagen unter seiner Determinierungswut alles Determinieren sinnlos wird. Wenn jeder Furz in der Weltgeschichte vorherbestimmt ist, dann ist diese Vorherbestimmtheit selbst offensichtlich ein solcher.

Daß der moderne Kommunismus, so wie er uns heute sich abzeichnet, von allem Anfang unserer Geschichte in ihr beschlossen lag, mag ja gerne bezweifelt werden. Aber wie steht es in dieser Hinsicht mit der Entwicklungstendenz des Kapitalismus? Meine oben angesprochenen diesbezüglichen Erwägungen beginnen mit einem Hinweis auf Wolfgang Pohrts „Theorie des Gebrauchswerts“, worin in aller Ausführlichkeit gezeigt wird, wie und warum der kritische Begriff des Kapitals genau dies unabdingbar voraussetzt: daß es an sich selbst bestimmt werden kann als die Vorbereitung des Kommunismus, der das Kapital aufhebt. In der Tat! Wie sollte das Kapital „als ganz bestimmtes historisches Produktionsverhältnis“10 aufgefaßt werden können, wenn sein bestimmter historischer Ort unbestimmbar wäre? Und dieser bliebe nach einer wesentlichen Seite hin unbestimmt, wenn zwar vielleicht die geschichtlichen Voraussetzungen und das Werden des Kapitals aus ihnen angegeben werden könnte, nicht aber das, wofür es seinerseits die Voraussetzung ist und wohin es daher übergeht: wenn das Kapital nicht „nämlich als Vorstufe zum Verein freier Produzenten“11 bestimmt werden kann. Näher besehen bliebe damit auch das historische Werden des Kapital ein unbestimmtes, weil niemand sagen könnte, was denn da geworden ist.

Es handelt sich also „bei Marx“, was „eine Entwicklungsrichtung“ des Kapitalismus und dessen inzwischen links allseits verpönten emanzipatorischen „Fortschritt“ angeht, keineswegs um irgendwelche „Formulierungen, die so interpretierbar sind“, bloß am Rande, die Du da „für falsch“ halten möchtest, sondern um einen systematischen Gesichtspunkt seiner Kritik der politischen Ökonomie.12 Wolfgang Pohrt hielt ihn seinerzeit zwar für alles andere als einfach „falsch“, wohl aber für historisch erledigt. Wenn nämlich das Kapital selbst zwar den Kommunismus als seine eigene Negation ausbrütet, dann ist es gleichwohl eben darum seinerseits die Negation dieses Kommunismus: Es entwickelt die Mittel zur völligen Befreiung der Individuen vom Naturzwang über alle jeweils vorgefundenen Schranken hinaus, also rücksichtslos insbesondere gegen die empirischen Individuen selbst, daher um den Preis der völligen Enteignung der Individuen von diesen Mitteln, ihrer Degradation zu selber den Mitteln der Entwicklung ihrer eigenen emanzipatorischen Potenzen. Aber als so bestimmter Gegensatz gefaßt, handelt es sich im Kapital um keine bloß zufällig verkehrte Form menschlicher Emanzipation, für die es dann ebenso zufällig und also beliebig wäre, wo und wann sie aufgehoben und durch die richtige ersetzt würde. Vielmehr könnte hier von gar keiner bestimmten Entwicklung die Rede sein, wenn nicht darin die Überlegung eingeschlossen wäre, daß jener Gegensatz, wie Pohrt es ausdrückt, „nicht prinzipiell unendlich prolongierbar ist, sondern durchaus einmal“ seine Entscheidung so oder so „fällig wird“.13 Und diese Entscheidung haben wir nach Pohrts keineswegs bloß aus der Luft gegriffenen Diagnose mittlerweile bereits hinter uns. Die für Marx noch „prima facie als bloßer Übergangspunkt zu neuer Produktionsweise“ sich darstellende „Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst“14, erweist sich für Pohrt, „als Regression des Kapitalverhältnisses durch seine Vollendung“15, mit der nicht nur überhaupt „der Gebrauchswert praktisch vernichtet“16, sondern insbesondere, wie es schon im Klappentext der alten Ausgabe seines Buches heißt, auch der „(politische) Gebrauchswert“ der Marxschen „Kritik des Kapitalismus … erledigt“ sei.

Pohrts jüngere Brüder im kritischen Geiste von der Freiburger ISF machen mittlerweile offenbar Ernst mit solchem erledigten Gebrauchswert, wenn sie nicht nur einmal mehr das von Hans Georg Backhaus seit 35 Jahren gestreute Gerücht nachbeten, daß Marx „mit dem einzigen, was bei ihm über die Philosophie der Arbeit und also die naturrechtlich begründete Denunziation des Privateigentums hinausweist, nämlich mit der Wertformanalyse, definitiv nicht zu Rande kam“,17 sondern überhaupt bezweifeln, daß Marx „verstand …, was er schrieb, als er Das Kapital eine ‚Kritik‘ der politischen Ökonomie nannte“18. Was Pohrt noch ganz richtig als an sich notwendige Bedingung solcher Kritik begriff, das ist der ISF heute nur mehr Anlaß zu hämischer Nachrede: „unter dem Titel der ‚geschichtlichen Tendenz der kapitalistischen Akkumulation‘ (MEW 23, 789ff)“ habe Marx es fertiggebracht „ein Traktat zu verfassen, das die Steilvorlage zum Erfurter Programm der SPD war“19. Nun ja – was für Pohrt vor einem Vierteljahrhundert politisch schon „erledigt“ war, wird man doch nun wohl endlich nach Belieben theoretisch fleddern dürfen!

Wer gegen solchen kritischen Diskurs unbekümmert sich daran macht, „den Kommunismus als ‚wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt‘, auf der Höhe der Zeit zu rekonstruieren“, wie es die Kommunistischen Streitpunkte zum Zweck ihres Daseins erklären, wird nun freilich seinerseits nicht umhinkommen, zuallererst den geschichtlichen Bruch sorgfältig zu reflektieren, der in der Rede von der Rekonstruktion besagter „Bewegung“ vielleicht etwas sehr beiläufig konstatiert ist. Und diese Reflexion ist nicht zu haben als eine über Geschichte ganz im Allgemeinen, so als wären wir da heute nur ganz grundsätzlich etwas klüger, als „auch Marx und Engels“ es noch sein konnten. Daß Du im Grundsatz immerhin um einiges klüger bist, als es nach Deinen Erläuterungen zum „Geschichtsdeterminismus“ den Anschein hat, zeigt allerdings weiter unten in demselben Text Deine Bemerkung zu Ulrich Weiß, „die revolutionäre Praxis“ sei „ja gerade das Abwerfen der bürgerlichen Form“, dessen „Resultat nicht am Beginn des Prozesses stehen“ könne. Völlig richtig.20 Was aber heißt das anderes, als daß in „der bürgerlichen Form“ ihr Jenseits bereits irgendwie enthalten, daß sie an sich selbst zur Auflösung treibender Widerspruch sein, die Tendenz zu ihrer eigenen Aufhebung mit sich führen muß?

Wenn Du übrigens ausgerechnet Ulrich Weiß attestierst, „das Nervenzentrum unserer Debatte“ zu treffen, an dem wir zwei beide untereinander bislang offenbar vorbeigeredet haben, gibt das indes nicht nur Deiner Reklamation an meine Adresse nachträglich eine recht eigenartige Pointe, sondern macht es mir vor allem einigermaßen rätselhaft, wer denn da noch mit wem worüber überhaupt „debattiert“. Kommt doch Ulrich Weiß’ Beitrag als ein einziges Musterexemplar jenes äußerst flachen Determinismus daher, der alle Geschichte auf blanke „Notwendigkeit“ herunterkürzt. Da darf dann nicht nur „in allen östlichen Staaten“ der jüngeren Vergangenheit ausgerechnet „die Spaltung der ‚sozialistischen‘ Gesellschaft“ in Herrschende und Beherrschte, ohne daß es jemand unangenehm auffällt, „mehrheitlich auch von den Subalternen“ – aus einem tiefen Gefühl für historische Zwangslagen, wie es scheint – „als Bedingung ihrer Existenz und der Verbesserung des Lebensniveaus gewollt und unter Opfern verteidigt bzw. hingenommen“ worden sein.21 Es „führen“ obendrein kraft einer geheimnisvoll zwingenden Logik „Warenfetischismus und andere ideologische Verkehrungen“ über „Lenins Was tun?“ direkt in den Stalinismus und lassen in solchem historischen Kurzschluß am Ende nicht allein historisch-faktisch, sondern auch kritisch-theoretisch neben Stalin natürlich auch „Bernstein und nicht Lenin mit seiner Hoffnung auf die Köchin … Recht“ behalten. Und am Realsozialismus, dieser unheilbar mißgebildeten Frucht einer „zeitweilig bis ins Stalinsche Extrem“ getriebenen Kapitulation vor den Widrigkeiten der Weltrevolution (kulminierend im Pakt mit den Nazis), war eigentlich alles in Ordnung, weil Konsequenz einer höheren historischen Gesetzlichkeit namens „widersprüchlich-zivilisatorischer Fortschritt“, nur nicht, daß dieser „Fortschritt“, der Geschichte ein wenig vorgreifend, sich mit dem Titel des in Wahrheit doch erst heute „möglichen Sozialismus“ geschmückt hat. Hätte sich die Sowjetunion „Union der bürgerlichen Sowjetrepubliken“ genannt, wären alle Einwände des Herrn Weiß sozusagen a priori erledigt gewesen. Wer wissen möchte, wie man aus einer Prise Kritik der politischen Ökonomie eine kritisch aufgemotzte Apologetik sämtlicher Highlights des arbeiterbewegten Opportunismus im zurückliegenden Jahrhundert des Grauens hervorzaubert, dem sei der „mögliche Sozialismus“ des Ulrich Weiß wärmstens ans Herz gelegt.

Wie zudem zu befürchten war, beantwortet der auf diesen „möglichen Sozialismus“ zusteuernde „widersprüchlich-zivilisatorische Fortschritt“ natürlich zu guter Letzt, wenn zwar nicht ausdrücklich, so doch – das Schweigen ist in diesem Fall auch eine Antwort – durchaus implizit sogar die Frage, „warum mehrheitlich eine willige Unterordnung unter die Faschisten erfolgte“. Und damit sind wir allerdings am „Nervenzentrum unserer Debatte“, das indes Ulrich Weiß nicht erst in seiner verschwiegenen Antwort, sondern bereits in der doch einigermaßen merkwürdigen Formulierung der Frage gründlich verfehlt. Von dieser ziemlich entscheidenden Begriffsstutzigkeit zeugt schon die Beiläufigkeit, mit der die Frage in seinem Text ganz am Ende einer Reihe scheinbar ähnlich gelagerter Fragen auftaucht, um unter einem flüchtigen Hinweis auf „H. Marcuse und andere Vertreter der kritischen Theorie“, die da zwar „wesentliche“, aber offenbar keiner näheren Erwähnung werte „Antworten gegeben“ hätten, sogleich wieder zu verschwinden. Es ist wohl genau diese ausgesuchte Ignoranz, die das Mal des Grauens und untilgbarer Schande vergessen machen will, das seit Auschwitz namentlich hierzulande allem geschichtlichen Fortschritt eingebrannt ist, weshalb das an sich unerträglich platt-deterministische Geschwafel von Leuten wie Robert Kurz und Co. oder hier halt Ulrich Weiß über eine sogenannte „Durchsetzungsgeschichte“ des Kapitals22 bzw. „innerkapitalistischen (Entwicklungs-)Revolutionen“ bisweilen nicht auf Anhieb und rundum als schiere Peinlichkeit empfunden werden mag.

Was aber sonst, wenn nicht zuerst und zuletzt das trostlose Wissen von Auschwitz, macht jene Differenz aus, um die wir in der Tat heute klüger sind oder vielmehr sein müssen als „auch Marx und Engels“? An ihm allein wird jene kritische Bestimmung des Kapitals als bloßen Durchgangspunkt zur menschlichen Gesellschaft zutiefst zweifelhaft, die Marxens Kritik der politischen Ökonomie seinerzeit systematisch zugrunde lag23 und also überhaupt erst möglich machte. Es ist dieses Wissen, das macht, daß die arglose Behauptung jener „geschichtliche[n] Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“, in der Marx am Ende von Kapital Band Eins seine Kritik erstmalig resümiert, uns heute im Halse steckenbleibt, und das sodann allzu gerne allzu eilfertig verdrängt wird unter scheinbar unverfänglichen Bekenntnissen zur Nichtdeterminiertheit von Geschichte an und für sich und überhaupt.

Verdrängung scheint freilich allenthalben hier vorzuherrschen. Es fällt auf, daß Wolfgang Pohrt bei aller Reflektiertheit seiner Argumentation an dem kritischen Punkt dessen, was das fortwährende Entsetzen über Auschwitz wesentlich ausmacht, sich in eine dunkle Abstraktion flüchtet, die nicht wenig Ähnlichkeit aufweist mit der von keinerlei Reflexion mehr irritierten Frage des Herrn Weiß, „warum mehrheitlich eine willige Unterordnung unter die Faschisten erfolgte.“ Zwar ist bei Pohrt immerhin der Gedanke nicht nur überhaupt präsent, sondern zentral, daß der deutsche Faschismus „gerade kein auf der Menschheit lastendes Verhängnis, kein unabwendbares Schicksal“24 gewesen ist, daß also Auschwitz nicht hat passieren müssen, d.h. ein gänzlich anderer Verlauf unserer jüngeren Geschichte sehr wohl möglich gewesen ist. Aber zugleich bleibt dieser Gedanke, von dem er selbst sagt, daß daran „sich die Theorie die Zähne ausbeißen“25 müsse, seinerseits ein rein theoretisches Diktum. Praktisch scheint es, was jener anderen Möglichkeit von Geschichte hätte auf die Beine helfen sollen und können, gar nicht gegeben zu haben: Die „proletarische Revolution“ habe nicht „rechtzeitig stattgefunden“26 – spricht’s und schweigt fortan davon.

Nun mag ja ein Streit darüber, ob unsere ominöse „proletarische Revolution“ gar nicht, nicht rechtzeitig oder zu spät (darauf kommt’s dann halt auch nicht mehr an) „stattgefunden“ habe oder sie nicht vielmehr am Ende grausam gescheitert sei, zunächst vom Ergebnis her als bloße Pedanterie erscheinen. Tatsache bleibt, daß das revolutionäre Proletariat von den Faschisten in Deutschland buchstäblich erst umgebracht werden mußte, ehe jene „willige Unterordnung“ unter sie, von der Ulrich Weiß berichtet, hat „erfolgen“ können. Es darf also schon ein wenig stutzig machen, wie die Rede von der proletarischen Revolution, die nicht stattgefunden habe, in der Anonymisierung des wirklichen Subjekts dieser Revolution zu deren bloßem Attribut mit seiner realen Vernichtung merkwürdig zwanglos im Nachhinein zur Deckung kommt. Zwar hütet sich Pohrt, so etwas ausdrücklich zur Theorie zu erheben, aber in der Tat findet das Proletariat über den von Ulrich Weiß ihm generell zugewiesenen Status des bloß „Subalternen“ auch bei Pohrt nirgends hinaus. Das oben zitierte Urteil am Ende seines Buches, daß die Verbrechen der Nazis „gerade kein auf der Menschheit lastendes Verhängnis, kein unabwendbares Schicksal“ gewesen seien, wird darüber – ohne einen bestimmten Adressaten – zum frommen Appell, daß es umgotteswillen so sich verhalten möge, für den die Behauptung des Gegenteils keinen irgendwie relevanten Unterschied macht.

Allerdings handelt es sich bei jener Anonymisierung nicht um irgendeine schriftstellerische Laune, die durch bloße Veränderung der Terminologie zu beheben wäre. Ihr korrespondiert ein realer historischer Vorgang, dem der Versuch einer Neubegründung des Kommunismus als der Selbstbefreiung der eigentumslosen Klasse unerbittlich Tribut zollen muß. Ein solches Unternehmen wird – jedenfalls hier im Herzen Europas – sich seiner unabdingbaren Prämisse, der Wirklichkeit des revolutionären Subjekts, vor allem andern radikal negativ zu versichern haben: in der Anstrengung, Auschwitz als das Datum seines definitiven Versagens festzuhalten. Jeden positiven Verweis auf heutige „revolutionäre Möglichkeiten“, der dies nicht zu seiner Grundlage hat, trifft dagegen vollkommen zu Recht das Verdikt unserer kritischen Genossen auf den Bahamas, „vorab Müll“, weil „nichts als Affirmation und ausgebuffter Seelentrost“ zu sein.27

Von diesem m.E. historisch zwingenden Kontext unserer Debatte, der im Editorial der übergänge Nummer Vier, das zu ihr einlud, und später in meinen „Thesen“ etc. sicher noch sehr ungenügend umrissen ist, findet sich in ihr derzeit kaum noch eine Ahnung. Leider auch bei Dir. Das in Deinem – von Dir zur Therapie meines „Determinismus“ empfohlenen – Text zitierte „Beispiel der KPD“28, an dem Werner Imhof29 zeige, wie eine „‚instrumentelle Logik‘ sich umdreht“, ist eben keines. Nicht allein, daß das Argument, aus irgendeiner „Vorstellung von der Kommunistischen Partei als Instrument des … Proletariats“ sei schließlich die Partei als dessen bloße Repräsentanz entsprungen, dem avisierten Subjekt, das da seine Selbstbefreiung ins Werk zu setzen hat, ein ziemlich armseliges Zeugnis ausstellt – trotz „aller Entschiedenheit“, mit der anschließend das Gegenteil „betont werden“ mag. Vor allem ist es völlig unangemessen, Theorie und Praxis der KPD als ein Beispiel zu nehmen, was mit dem Kommunismus so alles schief gehen kann, wenn man sich die Dinge nicht gut genug überlegt. Die Annahme, wir könnten aus Fehlern der KPD lernen, wie wir es in Zukunft besser machen, verkennt die Unwiederbringlichkeit der Bedingungen, unter denen jene Fehler begangen wurden, und vielmehr noch die fatale Unabänderlichkeit ihrer Folgen. Wir haben nun einmal das ebenso unverdiente wie zweifelhafte Glück, garantiert nicht mehr Gefahr zu laufen, einer Partei zu unterliegen, die in der Folge schließlich das einmalige Verbrechen begeht, die systematische Ausrottung von sechs Millionen Juden in Europa zu organisieren. Mit seiner „Frage, warum sich ein anderer als der gescheiterte Kommunismus nicht entwickelt hat“, landet denn auch Werner – der übrigens die Geschichte der KPD keineswegs als „Beispiel“ abhandelt, sondern daran dem „Niedergang der kommunistischen Bewegung (in Deutschland)“, so die Überschrift seiner IV. Antithese, auf die Spur kommen will – schließlich bei der inzwischen wenig originellen Vermutung „daß die objektiven30 Voraussetzungen des Kommunismus“ zu Zeiten der Weimarer KPD „noch gar nicht ausgereift waren“, womit wir glücklich wieder bei Ulrich Weiß und seinem heute erstmals „möglichen Sozialismus“ angekommen wären.

2. „zentriert“

Einen Streit darüber, „ob ‚zentriert‘ ein falsches Bild ist“, finde ich genauso „unproduktiv“ wie Du und habe so etwas in meiner Antikritik weder vorschlagen, noch gar anfangen wollen – schon weil ich von Bildern leider nichts verstehe. Ich habe vielmehr darauf aufmerksam machen wollen, daß die von Dir gerügte Konzentration des Blicks auf Deutschland für einen bestimmten historischen Augenblick von mir begründet worden ist, und darum gebeten, sich doch mit dieser Begründung auseinanderzusetzen, statt bloß Zensuren zu verteilen.

3. „begrifflichen Annäherung“

Deinen „Versuch einer begrifflichen Annäherung an einen Sachverhalt“, nämlich den Zusammenhang abstrakter Arbeit mit Ware, Wert, Wert- bzw. Geldform, Kapital usw., habe ich weder überhaupt, noch gar „mit Hinweisen auf“ diverse Koryphäen der einschlägigen Marx-Kritik „abgewehrt“. Vielmehr habe ich zunächst ganz sachlich auf eine nötige Korrektur des Kurses dieser Annäherung aufmerksam gemacht, die sonst ihr Ziel verfehlt, und dann darauf hingewiesen, daß der Fehler, den Wert ohne weiteres für die Inkarnation (was halt etwas anderes ist als jene „gespenstige Gegenständlichkeit“, als welche Marx den Wert zunächst festhält, nämlich eine bestimmte faßbare Gestalt oder Form dieser Gegenständlichkeit einschließt) der abstrakten Arbeit zu halten, vor geraumer Zeit bereits Robert Kurz auf eine unglückliche Irrfahrt geschickt hat. Mit diesem Hinweis war natürlich die heimliche Hoffnung verbunden, Du möchtest Dir meine ausführliche Kritik dieser – für mich seinerzeit ziemlich lehrreichen – falschen Weichenstellung im Ausgangspunkt der Kurzen Wertkritik, daraufhin vielleicht einmal – gerne auch kritisch – näher ansehen. Von Herrn Dühring oder Hermann Kirsch war in diesem Zusammenhang nicht die Rede.

4. „Herrschaft des Produkts“

An unserer Plattform habe Dich „persönlich … etwas enttäuscht …, daß das kritische Echo, das Daniels Thesen in der Debatte der Kommunistischen Streitpunkte gefunden hat, seinerseits bisher kaum einen Widerhall bei den Übergängern findet“, und präzisierst dann besagtes „Echo“ als den Gedanken, „daß der Übergang zum Kommunismus eine doppelte Aufgabenstellung enthält, nämlich sowohl die Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, als auch die Aufhebung der Herrschaft des Produkts über die Produzenten, und daß das erste Ziel ohne das vernachlässigte zweite nicht zu haben sein wird“. Dieser Gedanke, so Dein Befund, „findet in der Plattform der ‚Übergänge zum Kommunismus‘ leider noch keinen Niederschlag“.

Von der Herrschaft des Produkts über den Produzenten ist in der Plattform der übergänge an zwei Stellen die Rede. Im zweiten „Eckpunkt“ geht es um die „Abschaffung der Lohnarbeit selbst, nämlich des die gesellschaftliche Arbeit in ihr Gegenteil verkehrenden Zwangs, daß sie sich verwerten muß, daß ihr gesellschaftlich erzeugtes Produkt, weil in den Händen der Privaten monopolisiert, die kooperative Arbeit zum Mittel seiner endlosen Selbstvermehrung degradiert.“ Und im dritten Eckpunkt heißt es: „Die im Geld ihren allgemeinsten, geläufigsten Ausdruck findende Ökonomie, in der die Produkte der Arbeit ihren Produzenten enteignet sind und über sie herrschen, löst sich auf in die banale Grundlage aller Ökonomie, die ‚Ökonomie der Zeit‘ …“

Der zweite, aus unserem dritten „Eckpunkt“ stammende Satz ist von meinen „Thesen“ (mit der für unsere Frage nicht relevanten Abänderung der dortigen „rationellen Grundlage“ in eine „banale“) wortwörtlich übernommen. Von einer Kritik daran war mir bis dato nichts bekannt, aber ich lerne gerne dazu.

Offenbar steckt die Kritik in dem „sowohl … als auch“. Die Plattform der übergänge bringt zwar die Herrschaft des Produkts über den Produzenten sehr wohl zur Sprache, relativiert sie aber sogleich, insofern sie eine Bedingung dafür angibt, die ihrerseits weder im Produkt, noch in den sachlichen Komponenten seiner Produktion selbst liegt, sondern in dem sozialen Verhältnis unter dem letztere sich abspielt. Dagegen will die Kritik anscheinend die Herrschaft der Sachen als eine selbständige Komponente der kapitalistischen Misere festgehalten wissen, was mit Sicherheit nicht gut gehen kann.

In dem Text, in dem Du (gegen Herrn Pletnikow) „Zu diesem Thema“ etwas ausführlicher argumentierst,31 führst Du eine Stelle aus dem „Antidühring“ an, in der Engels allerdings von „tierischen Daseinsbedingungen“ der Menschen spricht, vom „Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte“, von „objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten“. Aber in solchen Charakterisierungen handelt es sich, soweit überhaupt um die kapitalistische Warenproduktion, nicht um sie im besonderen, sondern um das, was sie mit allen früheren gesellschaftlichen Formationen verbindet; nicht um den Unterschied, sondern um die Gemeinsamkeit zwischen kapitalistischen und vorkapitalistischen Verhältnissen. Insofern das Kapital immer noch Herrschaftsverhältnis ist, bestimmt es sich als das Erbe einer Zeit, in der die Menschen der Übermacht der unmenschlichen Sachen, der Übermacht der sie „umgebenden Lebensbedingungen“, deren sie Herr zu werden suchten, ihren Tribut zahlen mußten. In der Herrschaft des Menschen über den Menschen drückt sich die je nur erst partiell gelungene, daher immer auch in Frage stehende Überwindung ihrer Beherrschung durch die Natur, der sie entstammen, aus – dies ist der Gedanke, der den zitierten Engelsschen Bestimmungen aller bisherigen menschlichen Geschichte zugrunde liegt.

Nun eignet sich freilich die Natur, die außer allem Menschlichen sich begründende Sache, an sich kaum zum Gegenstand von Kritik. Sie bliebe jedenfalls vollkommen taub dagegen. So auch ihre Herrschaft über die Menschen. Sie ist durch die systematische Ausforschung ihrer immanenten Gesetze allenfalls zu überlisten, und Kritik kann sich hier nur auf diese Forschung selbst, also eine bestimmte menschliche Tätigkeit beziehen. Wäre daher die für die kapitalistische Warenproduktion charakteristische Herrschaft der Sachen nur die Fortsetzung jener Herrschaft der „objektiven, fremden Mächte“, von der Engels spricht, oder gar deren Potenzierung, dann dürften wir getrost alle Hoffnung fahren lassen, daran – zumal durch eine soziale Revolution – etwas entscheidendes ändern zu können. Glücklicherweise ist sie es nicht – oder vielmehr, hoffentlich, noch nicht. Dies ist jedenfalls zwingende Voraussetzung, wenn wir einmal annehmen, daß unsere unverdrossenen Bemühungen um die Kritik der politischen Ökonomie immer noch einen wirklichen Gegenstand besitzt und nicht bloß die an sich beliebige Beschäftigung hoffnungsloser Weltverbesserer mit den Produkten ihrer eigenen durchgeknallten Phantasie ist.

Angreifbar, d.h. letztlich abschaffbar, ist die das Kapital kennzeichnende Herrschaft des Produkts über den Produzenten nur, insofern sie etwas anderes ist, als sie zu sein scheint, insofern hier die Sachen, nämlich die von Dir angeführten, „einzelnen Gebrauchsgegenstände“32, statt aus eigener Herrlichkeit zu herrschen, vielmehr ein außer ihnen liegendes Herrschaftsverhältnis vertreten, d.h. eines das nur noch in sich selbst begründet ist. Und in der Tat ist die „Sache“, die hier wirklich herrscht, nicht irgendein materielles Ding, enthält sie eben „kein Atom Naturstoff“ (Marx, s.o.), bezeichnet also nicht, „auch“, wie Du schreibst, sondern nichts anderes als „die Gesellschaftsorganisation selbst“: das von allen empirischen menschlichen Individuum unabhängig werdende und insofern sich versachlichende Produktionsverhältnis. Es ist nicht mehr die außermenschliche Natur, wessen sich die Menschen jetzt vor allem anderen zu bemächtigen haben, sondern ihr eigenes gesellschaftliches Verhältnis zueinander, das in dem gleichen Maße, wie es zur mächtigsten, unerschöpflichen Kraftquelle ihrer Herrschaft über die sie „umgebenden Lebensbedingungen“ geworden ist, sich selbst seiner Beherrschung durch die Menschen entzogen hat. Genau diesen in sich bestimmten Zusammenhang macht Engels auf, wenn er sagt, mit dem Übergang zum Kommunismus würden die Menschen „wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eigenen Vergesellschaftung werden.“33

Es läßt sich allerdings – jedenfalls theoretisch – ein Punkt angeben, an dem die Rede von einer Herrschaft der „einzelnen Gebrauchsgegenstände“ über die Menschen unwahr wird nicht mehr, weil sie den Schein der Dinge mit ihrem Sein identifiziert, sondern weil im Gegenteil dieses beides an ihnen tatsächlich identisch geworden ist. Unwahr bleibt sie dann gleichwohl, weil die derart umstandslos herrschende Sache aufhört, Gebrauchsgegenstand zu sein, denn in dieser Bestimmung wäre der Gegenstand nun einmal subsummiert unter ein frei seine Zwecke setzendes menschliches Subjekt. Das Kapitalverhältnis ganz abstrakt betrachtet, abstrahiert also von seiner wirklichen Geschichte, von den Klassenkämpfen, die es bewegen, namentlich denen der vergangen anderthalb Jahrhunderte, läge jener Punkt mit der Ablösung der Manufaktur durch die Fabrik im wesentlichen lange hinter uns. Das einzelne lohnarbeitende Individuum ist danach ohne jeden Zweifel in der Regel nicht mehr Herr sondern Sklave des Gegenstands, der früher einmal sein Arbeitsmittel war: der Maschinerie als dem Inbegriff des fixen Kapitals. Das ist in aller schonungslosen Ausführlichkeit von Marx im ersten Band des Kapitals längst festgehalten worden. Stefan Breuer hat denn auch gegen den Revolutionstheoretiker Marx nicht zuletzt diese Passagen in seiner ungefähr zur selben Zeit wie Pohrts „Theorie des Gebrauchswert“ geschriebenen Dissertation über die „Krise der Revolutionstheorie“ in Anschlag gebracht.34 Und Wolfgang Pohrt läßt „von ca. 1871 an … in Europa“ eine durch die technologischen Fortschritte angetriebene und in der Entwicklung des Aktienkapitals zur vorherrschenden Kapitalform sich manifestierende „Ablösung des Wertgesetzes durch das Gesetz des Stärkeren“35 einsetzen.

Hätte die offenbar spätestens zu diesem Zeitpunkt fällige Revolution wirklich einfach nicht „statt­gefunden“ und damit die revolutionäre Klasse des Proletariats als letztlich leider nur ein Hirngespinst der Kapitalismuskritik sich erwiesen – dann wäre allerdings der Schluß wohl zwingend, daß in der Maschinerie als der adäquaten Gestalt des Kapitals als Gebrauchswert das Kapital schließlich überhaupt aufgehört hat, wesentlich gesellschaftliches Verhältnis zu sein; daß es seither statt dessen buchstäblich als bloßes Produkt, Subjekt gewordenes ordinäres Ding, das „auch ohne Kapitalisten“ auskommt,36 über die amorphe Masse seiner je vereinzelten Produzenten herrscht. Mit einem „sowohl … als auch“ würde diese Frage allzu sehr verharmlost. Zwar ist das Kapital an und für sich ebensowohl ein unter Sachen verborgenes gesellschaftliches Verhältnis, wie es auch als ein solches mit Gewißheit endlich ist, aber ein Kommunismus, der einmal mehr den hier und jetzt gegeben Zustand aufzuheben sich anschickt, wird sich schon entscheiden müssen, ob er es darin immer noch mit dem Kapital als bestimmtem Produktionsverhältnis zu tun hat oder mit dessen „endlosem Ende“37.

5. „Humbug“

Daß ich Deine Kritik sowohl meiner Ausführungen zur Spezifik des Kapitalverhältnisses, als auch „an der von Daniel vorgenommenen Auflösung von konkreter und abstrakter Arbeit“ mit meiner Antikritik nicht habe auflösen können, akzeptiere ich erst einmal und bin gespannt auf das von Dir angekündigte Papier „zum ganzen ‚Arbeit sans phrase‘-Humbug“. Natürlich halte auch ich das von Dir Kritisierte bis auf weiteres aufrecht – aber was heißt das schon? Ebenso mein „Antikritisches“, von dem ich gleichwohl zugebe, daß es gerade, was diese letztgenannten Streitpunkte betrifft, – nomen war hier wohl in der Tat ein etwas unglückliches omen – vieles, wahrscheinlich allzu vieles offen gelassen hat. Ich hatte mich seinerzeit halt auch „ziemlich geärgert“ über Deinen „Notizzettel“, und Ärger ist zwar oft sehr brauchbar als Stachel, immer wieder einmal von Neuem sich des Standes und also auch der Grenzen seiner Reflexion zu versichern, aber zur nötigen Sorgfalt darin braucht es eine andere Atmosphäre als die des bloßen Ärgers und dann auch entsprechende Zeit. Jedenfalls habe ich bei der neuerlichen Durchsicht Deiner „Fragen und kritischen Anmerkungen“ zu meinen Thesen gefunden, daß insbesondere in der heiklen Frage, als was denn schließlich des Kapitals Charaktermaske, der „moderne Bürger“, die Mehrarbeit der Proleten sich aneignet, von meiner Seite noch eine ganze Menge weiterer – durchaus auch selbstaufklärende – „Wortklauberei“ not täte, die dann vielleicht endlich uns beiden etwas weiterhelfen würde. Mal sehen, wann ich die Zeit dazu finde.

Ansonsten möchte ich Dir einmal herzlich danken für die zweifellos ganz erhebliche Mühe, die Du mit der Herausgabe der Streitpunkte Dir aufgehalst und damit all den anderen „Teilnehmer[n] an der Debatte“, die sich darin – in wie bescheidenem Rahmen auch immer – öffentlich streiten dürfen, bis auf weiteres abgenommen hast.

D.

 

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1In seinem „Nachtrag“ (KS Nr. 2) kündigt Werner für „demnächst“ ein „Papier über die vom Kapital geschaffenen Bedingungen für die Verwirklichung einer kommunistischen Produktionsweise …“ an, das, wie er in Klammern hinzusetzt, „zugleich eine Antwort … auf Daniel Dockerills E-mail vom 15.01.98“ sein werde. Gehe ich recht in der Annahme, daß besagtes „Papier“ in den letzten Streitpunkten unter dem Titel „Skizzen eines emanzipatorischen Kommunismus“ das Licht der Welt erblickt hat?

2Da Werner selbst beliebt, die vermeintlichen Auffassungen der die übergänge tragenden Genossen jedenfalls in diesem Punkt pauschal als eine Soße zu referieren und zu kritisieren (vgl. etwa seine Ausführungen in den „Materialien zur KW 48/1999“, S. 35) wird er sich nicht beschweren können, wenn ich ihm nun ebenso pauschal „als Übergänger“ entgegentrete und so frei bin, seine „Auseinandersetzungen“ mit den übergängen etwas anders an diesen zu messen, als er sie pauschal sich zurechtgemacht hat.

3Werners ausgesprochene Vorliebe für den exklusiven „Übergang zu kommunistischer Produktionsweise in Europa“ scheint mir im Kontext seiner Argumentation zwar durchaus naheliegend, ist aber wegen ihrer besonderen politischen Brisanz zugleich ein Thema für sich. Nicht nur, daß sie die theoretische Barbarei der Bucharin-Stalin, mit der seinerzeit die praktische Sabotage des revolutionären Internationalismus quasi-wissenschaftlich untermauert wurde, ohne irgendwelche Bedenken sozusagen „weiterentwickelt“ – sie paßt vor allem politisch höchst fatal in die Landschaft des neuen Antiimperialismus eines gegen das Dollarimperium sich formierenden Eurolands (s. dazu z.B. DD und MG: Ob mit oder ohne Nato, ob Angriff oder Verteidigung: Kein Friede mit Deutschmark und Euroland. In KS Nr. 4, S. 5ff). Dazu vielleicht ein andermal mehr.

4„Ganz anders als seine philanthropischen Nachbeter begreift Marx die ‚Entfremdung‘ der Arbeit als einen gewaltigen Fortschritt. Als illusionslos kalkulierbares Mittel für transzendente Zwecke nämlich erst kann sie aus den Menschen heraus und in die Naturprozesse selbst hinein verlagert werden. Der Arbeiter, der seine Arbeit haßt, der sich vor ihr drückt, wo er nur kann, der sie als Mittel zum Zweck verachtet, ist daher die erste Errungenschaft des Kapitalverhältnisses. Nicht ‚Humanisierung‘ der Arbeit, deren Rückkehr zu handwerklichen Formen – was neuerdings idiotischerweise gefordert wird –, sondern deren maximale Einschränkung und tendenzielle Abschaffung stehen mit dem Kapitalverhältnis auf der Tagesordnung.“ (Wolfgang Pohrt: Theorie des Gebrauchswerts. Frankfurt a.M., 1976, S. 76)

5Werner macht zwar diese Wirklichkeit einem Robert Kurz gegenüber geltend, wenn er ihm attestiert, er begreife „nicht, daß gerade die im ‚Wert‘ verborgene Reduktion der verschiedenen Arbeiten auf ‚abstrakte‘ oder gleiche menschliche Arbeit den gesellschaftlichen Zusammenhang der arbeitsteiligen Privatproduzenten als Glieder einer übergreifenden Gesamtarbeit ausdrückt.“ („Materialien …“, a.a.O.) Daß er aber selbst hier etwas begriffen hätte, darf getrost bezweifelt werden, wenn er etwa in seinen „Antithesen“ (KS 1, S. 50) die „Zusammenfassung der privaten Betriebe und Wirtschaftszweige zu einem gesamtgesellschaftlichen Produktionsprozeß“ zur Aufgabe des Kommunismus erklärt, die das Kapital bloß „weitgehend vorbereitet“ habe. Offensichtlich noch nicht so recht begriffen (obwohl er es in demselben Text vorher unter Punkt I einmal so ausspricht; eine Kunst, die Werner zu beherrschen scheint wie kaum ein Zweiter: das Richtige mit dem Falschen zur friedlichsten Koexistenz zu vereinen) hat Werner, daß das Kapital selbst eine solche Zusammenfassung bereits ist. Der Kommunismus hat nichts weiter zu tun als deren gegensätzliche Form (die Aufhebung des Privatcharakters der Produzenten und seine Beibehaltung in einem zu sein), nämlich ihren Klassencharakter zu beseitigen.

6zu jener „ganz neuen Spezies technologisch versierter Termiten“ etwa, von der Wolfgang Pohrt (a.a.O. S. 24) spricht.

7unter dem Titel: „‚Revolutionstheoretischer Impetus‘ oder Theorie der Revolution? Die Übergänge laden ein zur Debatte um ein neues kommunistisches Programm“.

8Die Fortsetzung dieses Satzes „ … sondern darum, daß diese Art von Geschichte selbst beendet und zur Vorgeschichte wird“, unterstellt übrigens, was Du zuvor kategorisch dementiert hast: daß es „dieses Art von Geschichte“, in der sich die eine oder die andere „Entwicklungsrichtung“ unabhängig vom Willen und Bewußtsein der geschichtlichen Akteure geltend macht, offensichtlich sehr wohl gegeben hat und bislang noch gibt, daß sie also weit entfernt davon ist, bloß „angedichtet“ zu sein.

9MEW 20, S. 487ff.

10Pohrt, a.a.O. S. 52f.

11ebd. – Marx spricht freilich in diesem Zusammenhang wohl mit Bedacht nicht von „Produzenten“, sondern von „Menschen“.

12In dem Text „Die historischen Beschränktheiten des Kommunismus erkennen und überwinden“, in dem Du „ausführlicher diesen Punkt … ausgeführt“ haben willst, bringst Du es obendrein fertig, gegen einen „falschen geschichtsdeterministischen Zungenschlag“, der bei mir „leider ein durchgängiges Motiv“ sei (KS 3, S. 8), unter anderem ausgerechnet mit einem langen Zitat aus den Marxschen philosophisch-ökonomischen Manuskripten aufzufahren, worin schließlich von nichts geringerem die Rede ist als vom „aufgelöste[n] Rätsel der Geschichte“, das der Kommunismus sei. Darf ich womöglich hoffen, daß es Dir nicht nur der Orthographie nach, sondern im Ernst gegen einen „falschen“ um den richtigen „geschichtsdeterministischen Zungenschlag“ geht? Darüber ließe sich doch immerhin reden! Etwas in der Art vernehme ich jedenfalls auch in Deinen „persönliche[n] Betrachtungen …“, wenn Du dort ziemlich apodiktisch erklärst: „Erst die danach [nach dem Sieg des Kommunismus; DD] beginnende Geschichte wird zielgerichtet sein, aber gerichtet auf Ziele, die die Menschen untereinander abmachen.“ (Hvh. Von mir; DD)

13Pohrt, a.a.O. S. 51.

14MEW 25, S. 454.

15a.a.O. S. 190f.

16a.a.O. S. 17.

17Initiative Sozialistisches Forum: Der Theoretiker ist der Wert. Eine ideologiekritische Skizze der Wert- und Krisentheorie der Krisis-Gruppe. ça ira-Verlag, Freiburg 2000, S. 26. Zur Marxschen Wertformanalyse und ihrer Interpretation durch H.G. Backhaus s. DD: Wertkritischer Exorzismus statt Wertformkritik. Zu Robert Kurz’ „Abstrakte Arbeit und Sozialismus“. In: übergänge Nr. 2, S. 49ff.

18ISF a.a.O.

19ebd.

20wenn wir einmal davon absehen, daß Deine (d.h. unsere) revolutionäre Praxis mit dem, was dem Herrn Weiß vorschwebt, ganz sicher gar nichts zu tun hat: Der neue, erstmals „mögliche Sozialismus“ als Fortsetzung der „Bürgerbewegung der DDR mit ihren Runden Tischen (vor ihrer deutsch-nationalen Zersetzung)“ (die doch nur das coming out der rebellierenden „klassenungebundenen“ Bürger der DDR war), also die „Revolution“ als Fortsetzung der östlichen Konterrevolution gegen „auch die jetzt global herrschenden westlichen Machtstrukturen“, ist – wie ich doch hoffe – so ziemlich das Gegenteil jenes „revolutionären Programms“, auf dessen nähere Bestimmung die Debatte in den Streitpunkten einmal abgezielt hat.

21Daß diese „Subalternen“ womöglich etwas ganz anderes dereinst „unter Opfern verteidigt“ haben, daß jene anhaltende „Spaltung“ ihre Verteidigungskraft vielmehr schließlich gänzlich erlahmen ließ und so nur den Triumph der Konterrevolution überhaupt möglich gemacht hat, kommt unserem aller Subalternität längst enteilten freien Geist selbstverständlich gar nicht erst in den Sinn.

22dem in Wahrheit eben nur als sich durchsetzendes oder, wie Pohrt (a.a.O. S. 189) schreibt, „als Entwicklungsprinzip“ jene Vernunft innewohnt, die es Gegenstand von Kritik sein läßt, wogegen seine vollendete Durchsetzung die restlose Aufzehrung dieser Vernunft notwendig in sich einschließt.

23„Gerade in ihren besten Repräsentanten, A. Smith und Ricardo, behandelt sie [die klassische politische Ökonomie; Anm. DD] die Wertform als etwas ganz Gleichgültiges oder der Natur der Ware selbst Äußerliches. Der Grund ist nicht allein, daß die Analyse der Wertgröße ihre Aufmerksamkeit ganz absorbiert. Er liegt tiefer. Die Wertform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich historisch charakterisiert wird. Versieht man sie daher für die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so übersieht man notwendig auch das Spezifische der Wertform, also der Warenform, weiter entwickelt der Geldform, der Kapitalform usw.“ (MEW 23, S. 95, Fn.)

24Pohrt, a.a.O. S. 204.

25ebd.

26ebd. S. 17. In der Neuausgabe weggelassen

27Clemens Nachtmann: Adornos Orthodoxie. Das Fortbestehen der Revolutionstheorie nach ihrem Ende. In: Bahamas. Nr. 22 (Frühj. 1997).

28Ansgar Knolle-Grothusen: Die historischen Beschränktheit des Kommunismus erkennen und überwinden – ein Versuch zur Sichtung und Diskussion der bisherigen Debattenbeiträge. In: KS Nr. 3, S. 11.

29in seinen „Antithesen“; KS 1, S. 46ff.

30im „Nachtrag“ (KS 2) korrigiert zu „materiellen“.

31Ansgar Knolle-Grothusen: Warenproduktion und Markt in einer sozialistischen Gesellschaft? Kritische Anmerkungen zum Beitrag von Juri Pletnikow in der UZ vom 20.11.98. In: KS 5.

32ebd., S.  51.

33zitiert nach KS 5, S. 50, Hervh. von mir; DD

34Stefan Breuer: Die Krise der Revolutionstheorie. Frankfurt a.M., 1976

35Pohrt, a.a.O. S. 193.

36„Nur als von den Sozialcharakteren, die es produziert, auch Verschiedenes ist das Kapital gesellschaftliches, durch Sachen vermitteltes Verhältnis von Personen. Hat es aber diese seine Existenzbedingungen aufgezehrt, sind die Subjekte mit ihm identisch geworden, und kommt es, wie heute, auch ohne Kapitalisten aus, so ist es auch kein Verhältnis mehr. Der Schein ist wirklich geworden, das Kapital ist Sache.“ (ebd.)

37„So existiert kein Verhältnis der Menschen untereinander und zur Natur mehr, welches selbständig Gebrauchswert setzt, so, wie es das Kapitalverhältnis tat. Den Menschen bleibt angesichts des endlosen Endes vom Kapitalverhältnis keine Alternative als die, entweder gemeinsam die gegenständliche Welt als ihren Gebrauchswert zu setzen oder von ‚sachlichen Mächten, ja übermächtigen Sachen‘ (RO/545) erschlagen oder auch geduldet zu werden – von Sachen, an denen selbst die Machthaber als bloße Anhängsel erscheinen.“ (ebd. S. 206; „(RO/545)“ = Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 551)