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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 5 - 10.02.2000 - Onlineversion

Daniel Dockerill

Antikritisches (II)


Zur Stellungnahme der Gruppe „Arbeitermacht“

(in Kommunistische Streitpunkte Nr. 1, S. 53ff)


Auch die folgenden Kommentare zu dem Beitrag „Revolutionäre Organisierung – oder doch nur linker Debattierklub?“ stellen nicht mehr als eine lose Ansammlung von Repliken zu einzelnen Passagen aus der Thesen-Kritik der GAM dar. Sie sind zudem äußerst lückenhaft und datieren ebenfalls vom Herbst vergangenen Jahres. Die Stellen aus dem Text der GAM, auf die sich die Kommentare beziehen, sind wiederum diesen in serifenlosem Schriftsatz jeweils voran gestellt.

… Der Stil, in dem die Thesen formuliert sind, ist wie immer bei den Übergängen „literarisch wertvoll“ – oft jedoch stellt man sich die Frage, ob nun bestimmte Dinge wegen der schönen Formulierung oder wegen des Inhalts geschrieben wurden. Dies insbesondere, wo in der einen These Dinge behauptet werden, während in einer anderen These dann eigentlich das Gegenteil dargelegt wird, ohne daß der Widerspruch irgendwo aufgelöst oder zumindest behandelt wird. So heißt es an einer Stelle, daß der „Klassengegensatz ... nur im Versuch seiner revolutionären Aufhebung in Erscheinung tritt oder gar nicht“ (These 2). Später lesen wir: „Der Kampf der proletarisierten Individuen um ihre elementaren Interessen ist in diesem Sinne immer schon Klassenkampf, daß er nur als solcher Kampf der ganzen Klasse überhaupt funktioniert“ (These 11).

Wo da ein aufzulösender „Widerspruch“ formuliert sein soll, bleibt das Geheimnis der Kritik. Die beiden Aussagen harmonieren in Wahrheit so gut miteinander, daß sie, näher besehen, identisch sind: Der Kampf um die elementaren Interessen des Proletariats ist entweder Kampf der ganzen Klasse (und damit revolutionär) oder er funktioniert „gar nicht“

Wie der Kampf um „elementare Interessen“ und „revolutionäres Handeln“ zusammenhängen, bleibt in den „Thesen“ äußerst vage (im Hintergrundpapier „Im Westen nichts Neues“ ist dies weitaus genauer dargestellt – siehe die Kritik daran später).

Und siehe meine Antikritik bei der Gelegenheit (hier S. 1).

Ein anderes Beispiel: In These 10 wird dargestellt daß der „praktische, proletarische Kommunismus ... sich nahezu hoffnungslos marginalisiert“ sieht, in „mikrobischen Zirkeln“ oder vereinzelten Individuen mehr als „Stimmung“ fortexistiert (im Hintergrundpapier wird einmal sogar die Formulierung gebraucht „ ... die revolutionäre Linke, so es sie denn gäbe ...“). Andererseits werden Formulierungen gebraucht, die doch wieder auf eine „revolutionäre Kontinuität“ hindeuten, nicht zuletzt die Überschrift der Thesen selbst („150 Jahre Kommunistische Partei“), aber auch die Rede von den „revolutionä­ren Sozialisten und Kommunisten – unbeschadet ihrer verschiedenen theoretischen, politischen oder organisatorischen Traditionen“, die jetzt das „ver­schliffene Programm“ gemeinsam auszuarbeiten hätten. Irgendein mystisches Band muß diese verschiedenen „Revolutionäre“ also doch verbinden, wodurch aus ihren verschiedenen so-und-so Traditionen, doch eine „revolutionäre Linke“ erwächst.

Ist das erste „Beispiel“ zweier sich widersprechender Behauptungen in den Thesen seinerseits den behaupteten Widerspruch schuldig geblieben, so präsentiert das zwei­te in der Tat einen Widerspruch – nicht in den Thesen, sondern in der Wirklichkeit heutiger revolutionärer Theorie und Praxis. Eine „revolutionäre Linke“ existiert und existiert zugleich nicht. Nämlich: Einerseits muß sie neu geschaffen werden; da andererseits Revolutionäres nicht in den Zuständigkeitsbereich des Herrgotts fällt, muß es sich selber schöpfen, könnte also gar nicht werden, wenn es nicht zumindest der Potenz nach bereits existierte. Das ist sozusagen die „Mystik“ alles materiellen Entstehens und Vergehens.

Ob jemand dieser sich selber neu erschaffenden revolutionären oder kommunistischen Linken angehört oder nicht, kann natürlich erst entschieden werden, wenn der Selbstschöpfungprozeß als ein solcher kenntlich geworden ist, also einen gewissen Abschluß erreicht hat. Darum ist es Unsinn, jetzt Kriterien zu verlangen, die irgendwelche eindeutigen Zuordnungen möglich erscheinen ließen (gehören die Autonomen oder Teile davon, die „Führung“ oder das Fußvolk von DKP, Linksruck, MLPD, Arbeitermacht, der Übergänge etc. pp. ganz oder teilweise dazu?). Allerdings bedeutet die Neuerschaffung einer revolutionären Linken ebenso sehr wie die Verbindung aller derzeit zersplitterten revolutionären Kräfte (Potenzen) ihre Trennung von denjenigen nicht­revolutionären (zentristischen, reformistischen: demokratischen) Elementen, an die noch gebunden zu sein, gerade ihre derzeitige Zersplitterung und Marginalität wesentlich ausmacht. Das ist ein ziemlich komplizierter Vorgang, in dem es selten leichte Entscheidungen zu fällen gibt, darüber z.B., welcher Diskussion im Augenblick der Vorrang einzuräumen sei: der über das programmatische Gewicht der Marxschen Wertformkritik oder der über den Umgangs mit sich auftuenden Gegensätzen in der sozialdemokratischen Gewerkschaftspolitik.

Dies sind nur zwei Beispiele, die einen bestimmten Verdacht erzeugen: Daß durch das Verbergen hinter geschliffenen und ausholenden Formulierungen ver­mieden wird, sich zu zentralen Widersprüchen revolutionärer Organisierung und deren Lösung klar und offen zu positionieren, um letztlich doch wieder soviel „Offenheit“ und Unklarheit übrigzulassen, daß eigentlich unter dem Deckmantel der „programmati­schen Klärung“ doch wieder nur ein „offenes Vernet­zungsprojekt“ betrieben wird.

Ich kann nicht erkennen, worin der hier geäußerte Verdacht sich, wie angekündigt, als ein „bestimmter“ erwiese. Wieso wäre für ein „‚offenes Vernetzungsprojekt‘“ (an dem schon die Anführungszeichen signalisieren, daß der Autor wohl kaum genau weiß, was er eigentlich dagegen hat) der Vorsatz einer programmatischen Klärung ein „Deckmantel“?

In These 3 wird die Geschichte des Kampfes des „revolutionären Proletariats“ mit der Bourgeoisie skizziert.

Nicht diese Geschichte insgesamt skizziert These 3, sondern ihr vorläufiges Fazit, und zwar so, wie es sich uns unmittelbar darstellt.

… Getreu der in These 2 gebrauchten Formulierung vom Klassengegensatz, der nur in der revolutionären Aufhebung in Erscheinung tritt,

Falsch zitiert: „nur im Versuch seiner revolutionären Aufhebung“, heißt es in der These, trete der moderne Klassengegensatz in Erscheinung. Der Zusatz „oder gar nicht“, der dann noch nachgeschoben wird, scheint mir allerdings einer Korrektur bedürftig: Der Nazismus, die Reaktion auf das Ausbleiben jenes Versuchs, hat ihn – das ist gerade der Inhalt der folgenden These III – auf seine Weise auch zur Erscheinung gebracht. Richtiger müßte es daher etwa heißen: „oder für alle seine Akteure hinter … unsichtbar wird und in der abgebrochen Zuspitzung schließlich zur volksgemeinschaftlichen Raserei pervertiert.“.

wird Geschichte in These 3 rein durch den „äuße-ren“ Widerspruch von revolutionär erscheinendem Proletariat und konterrevolutionärer Bourgeoisie entwickelt.

Wieso ist das ein „‚äußerer‘ Widerspruch“? (Und warum nicht einfach ein äußerer Widerspruch?) Das Kapital ist wesentlich Klassenverhältnis.

Abgesehen davon, daß in einigen Formulierungen der These bestimmte konsensuale Mythen der deutschen „Linken“ bedient werden, wie Kollektivschuld­these und Totalverbürgerlichung der Arbeiterklasse,

Abgesehen davon, daß der „Mythos“ einer „Totalver­bürgerlichung der Arbeiterklasse“ wohl kaum deren geheime Grundlage in einer manifesten Revolution dieser Klasse ins Auge faßt: Wo bestünde da ein Konsens in der Linken? Und wo hätte es von einem revolutionären Standpunkt aus eine gründlichere Abrechnung mit solchen „Mythen“ gegeben, die es rechtfertigte, die Sache so nebenher abzutun?

Schließlich: Keineswegs „bedienen“ die Thesen irgendein existierendes Vorurteil, sondern versuchen, allerdings ausgehend von dem, was ist, gerade dessen Mythologisierung, d.h. bloß mythischer, sagenhafter, scheinbarer Erklärung entgegenzuwirken, indem sie sich der bestimmten geschichtlichen Konstellation zuwenden, der es sich verdankt und mit der es dann auch wieder verschwinden muß. Vor der Totalverbürgerlichung des revolutionären Proletariats stand der Versuch der totalen Austreibung der proletarischen Revolution – das besagt die These. Und: daß die Austreibung gescheitert ist, jene Revolution also in ihrem maßgeblichen Ergebnis ihre Gegenwart behauptet hatte und somit der sinnfällige Beweis war, daß das Proletariat selbst das großzügige Gnadenbrot seiner Sozialpartnerschaft in den imperialistischen Metropolen nur dieser Gegenwart seiner Revolution zu verdanken hatte, daß folglich selbst in dieser Zeit gegolten hat: Das Proletariat wäre nichts, wenn es nicht revolutionär wäre.

wird aus dieser „Geschichte“ die Entwicklung der inneren Widersprüche des Kapitalismus ausgeblendet (man verzeihe mir die „schematische“ Ausdrucksweise).

Hier beweist die Kritik, wie gründlich auch sie vom Dogma des „Sozialismus in einem Land“ beherrscht wird. Denn nur auf der Grundlage dieses Dogmas läßt sich der Gegensatz zwischen Bürger- und Arbeiterstaat nicht zu den „inneren Widersprüchen des Kapitalismus“ rechnen; nur, wenn vorausgesetzt wird, daß der Kapitalismus an den Grenzen zum Arbeiterstaat aufhöre und dahinter etwas anderes beginne. Ob ich dieses andere dann Sozialismus nenne oder auch „Übergangsgesell­schaft“, tut leider überhaupt nichts weiter zur Sache.

Dabei erwähnt D.D. selbst in These 1 des Hintergrundpapiers, wie der Klassenkampf sich aus den inneren Widersprüchen der Bestimmung des Werts der Ware Arbeitskraft ergibt, also etwa aus der Auseinandersetzung um die Länge des Arbeitstages,

Hier stellt die Kritik meinen Gedanken komplett auf den Kopf: Die „Auseinandersetzung um die Länge des Arbeitstages“ (bei welcher es sich nicht so sehr um den Wert als vielmehr den Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft handelt) ist nichts, woraus sich der Klassenkampf „er­gibt“, sondern ist dieser Klassenkampf selbst, aus welchem umgekehrt sich erst ergibt, wie denn die das Kapital konstituierende Ware Arbeitskraft, damit das Kapital überhaupt näher bestimmt sei. Aus dem Klassenkampf, so der Gedanke, „ergibt“ sich hier das Kapital, nicht umgekehrt.

und schlußfolgert daraus: „Der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat erweist sich hier vielmehr als die durchaus unabhängige Variable, der die wirkliche Bewegung jenes ‚Subjekts‘ (i.e. des selbstverwertenden Werts, der Autor) – allerdings nicht durch irgendeine ihm willkürlich angetane, äußere Gewalt, sondern aufgrund eines ihm eigenen, inneren Zwangs – unterworfen ist“ (S. ).
Der Klassengegensatz bestimmt also nicht nur in der Form der Erscheinung in seiner revolutionären Zugespitztheit die Entwicklung der Kapitalbewegung und ihrer Formen, sondern muß diese Bewegung immer bestimmen, in welchen „unterentwickelten“ Formen dieser Gegensatz auch immer auftritt. Von daher ist es auch nicht die Tatsache eines mystischen Fortwesens des revolutionären Umsturzes in den stalinistisch degenerierten Arbeiterstaaten, die die Bewegungsformen der Kapitalverwertung in den letzten 50 Jahren bestimmt hat, sondern die Tatsache, daß die Existenz dieser (wie auch immer degenerierten) Arbeiterstaaten ein Element in einem globalen Kräfteverhältnis der Klassen war, das sich andererseits in den kapitalistischen Staaten auch unabhängig von der Tatsache der Existenz der Arbeiterstaaten eigenständig entwickelte.

Was lernt uns dieser stattliche Satz, an dem, je mehr man sich in ihn vertieft, desto weiter ins Dunkle versinkt, „von woher“ er denn kommt? Zunächst einmal halten wir fest, daß die Kritik das „mystische Fortwesen des revolutionären Umsturzes“ als „Tatsache“ immerhin gelten läßt, freilich nicht als eine solche, die da etwas „bestimmt“ hätte: „die Bewegungsformen der Kapitalverwertung in den letzten 50 Jahren“ nämlich. Die wurden vielmehr bestimmt von einer anderen „Tatsache“, die es an „Mystik“ mit jenem „Fortwesen“ gewiß jederzeit aufnehmen kann: „Tatsache“ sei nämlich ferner, daß eine „Existenz … ein Element in einem … Kräfteverhältnis“ gewesen sei, „das sich andererseits … auch unabhängig von der Tatsache der Existenz … eigenständig entwickelte“. Unsere zweite Tatsache besteht also aus einem „Kräfteverhältnis“, das ein „Element“ sein eigen nennt, von dem seine Entwicklung nicht abhängt. Ob dieses „Element“ als solches oder überhaupt existiert, wäre demnach (vom elementaren Charakter der Existenz einmal ganz abgesehen) ganz schnurz für besagtes Kräf­teverhältnis, auf welches ohne weitere Bestimmung sich daher unsere Tatsache Nummer zwei reduziert. Langer Rede kurzer Sinn: Daß Arbeiterstaaten existiert haben, war zwar wohl dereinst eine „Tatsache“ (Nummer drei), aber mit der Entwicklung des „globalen Kräfteverhältnis[ses] der Klassen“ hatte die nichts zu tun. Offen bleibt schließlich noch, was denn das „Kräfteverhältnis der Klassen“ seinerseits mit dem zu tun hat, dessen Bestimmtheit anfangs in Frage stand: den „Bewegungsfor­men der Kapitalverwertung in den letzten 50 Jahren“.

So ist die „Entwicklung des Proletariers zum Sozialpartner“

Von so etwas ist in den Thesen nirgendwo die Rede, vielmehr wird dort (III) „die demokratische Zähmung des revolutionären Proletariats zum Sozialpartner“ als „das vorläufige Resultat“ der Geschichte des modernen Klassenkampfes behauptet.

nicht erst mit der Niederlage des Faschismus gegeben. Vielmehr haben die Entwicklung von Sozialstaat und Integration der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Staat eine weitaus längere und fundamentalere Geschichte,

Mein Reden (s. vorherige Anm.)! Aber „Geschichte“ heißt: Es hat sich etwas verändert. „Sozialstaat und Integration der Arbeiterklasse“ sind am Ende ihrer Geschichte nicht dasselbe wie an deren Anfang. Vielleicht schon seit Bismarcks, sicher seit Wilhelm Zwos Zeiten ist ein Teil der Arbeiterklasse in die Rolle des Sozialpartners hineingewachsen und hat sie dann immer perfekter ausgefüllt. Dem hat aber bis 1933 ein starker revolutionärer Flügel der Klasse gegenübergestanden, der am vorläufigen Ende der Geschichte verschwunden ist. Die Veränderung der Sache, das, was sie zur Geschichte macht, ist folglich in der Rede von der „weitaus längere[n] und fundamentalere[n] Geschichte“ der Sozialpartnerschaft völlig „ausgeblendet“. Aber vielleicht bedient ja die Behauptung, daß der revolutionäre Flügel des Proletariats in Deutschland 1933 das Zeitliche gesegnet habe, auch bloß wieder den „Mythos“ einer „Totalver­bürgerlichung der Arbeiterklasse“.

die ihre eigentliche materielle Grundlage in der Entwicklung von dominanten monopol- und finanzkapitalistischen Strukturen findet, und damit in bestimmten Formen von Kapitalakkumulation, die dem Kapital erlauben den Klassengegensatz in bestimmten Sektoren zeitweise abzumildern und zu regulieren (natürlich ergeben sich Ansätze zum Sozialstaat schon vorher, gerade mit dem Erstarken gewerkschaftlicher Organisierung schon im 19. Jh.; siehe z.B. Engels „Die Trade-Unions“, MEW 19, S. 254f.)

Gerade das von Engels beschriebene Phänomen der Verbürgerlichung der englischen Arbeiter beruht ebenfalls auf einem Weltmarkt-Monopol.

Die Fragestellung der besonderen Epoche des Kapitalismus, die Lenin mit dem Begriff „Imperialis­mus“ aufwarf, wird in den Thesen nicht berührt.

Was für eine Formulierung! Der „Begriff ‚Imperialis­mus‘“ als zusammenfassende Bezeichnung für das, was die Epoche auf ihren Begriff brachte, die um die Jahrhundertwende eingesetzt zu haben schien, mag wohl die „Fragestellung der besonderen Epoche des Kapitalismus“ aufgeworfen haben. Dies jedoch ganz unabhängig von Lenin. Dieser hat sie vielmehr in einer bestimmten Weise beantwortet: nämlich den Imperialismus als die Epoche des sterbenden Kapitalismus und des revolutionären Übergangs zum Kommunismus bestimmt, und diese Antwort wird allerdings von den Thesen nicht bloß dezent „berührt“, sondern sie knüpfen daran wesentlich an.

Ein Problem, das solches Anknüpfen indes ins Auge zu fassen hat, besteht darin, über besagter Besonderheit des Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase seinen allgemeinen Begriff als ein bestimmtes geschichtliches Produktionsverhältnis nicht völlig aufzulösen. Dem tragen die Thesen durch den Rückgriff auf die Überlegungen zur „geschichtlichen Tendenz“ der kapitalistischen Akkumulation Rechnung, mit denen Marx seine Darstellung des Produktionsprozesses des Kapitals abschließt und in denen das, was Lenin als die besonderen Merkmale des Imperialismus bezeichnet, sich bereits vorskizziert finden.

Und dies ist ein wesentlicher programmatischer Punkt: Daß nämlich der Kampf der zur Lohnabhängigkeit Gezwungenen um ihre elementaren Interessen noch weniger als vorher länger dauernde „Teil­erfolge“ erbringen kann, ohne daß dieser unmittelbar nur als Kampf der ganzen (also auch international gesamten) Klasse geführt wird. Zeitweise (und dies können, wie wir gesehen haben, ganz schön lange Zeiten sein) kann der Imperialismus bestimmten (nationalen oder auch nur sektoralen) Teilen der Lohnabhängigen beträchtliche Zugeständnisse gewähren, um sein System insgesamt zu stabilisieren.

Was war hier also „wesentlicher programmatischer Punkt“? Zunächst, daß mit Eintritt des Kapitalismus in seine imperialistische Besonderheit „noch weniger als vorher“ der Kampf der Proleten „länger dauernde ‚Teil­erfolge‘ erbringen kann“. Sodann jedoch stellt sich heraus, daß der Imperialismus „Teilen der Lohnabhängigen beträchtliche Zugeständnisse“ gewähren kann, die wir wohl mit Fug und Recht auch „Teilerfolge“ nennen dürfen und die, „wie wir gesehen haben“, über „ganz schön lange Zeiten“ dauern können. – Literarisch vielleicht nicht so wertvoll, aber immerhin voller Widerspruch, dieser „wesentliche programmatische Punkt“.

Daß die bürgerliche Epoche eine

„die“ heißt es bei mir.

Epoche der Revolutionen ist, beinhaltet bekanntlich auch, daß die Bourgeoisie selbst als revolutionäre Klasse lange abgetreten ist. Seit mehr als hundert Jahren ist sie zu allerhand konterrevolutionären Kompromissen mit allen möglichen Klassen gezwungen, die auch spezielle ökonomische Formen annehmen (z.B. Grundrente).

Wann wäre die Bourgeoisie denn jemals dasjenige gewesen, als welches sie heute „lange abgetreten ist“? Wann hätte sie nicht zu konterrevolutionären Kompromissen geneigt? Wann mußte sie nicht von den unteren Volksklassen, der Plebs, den Vor- bzw. embryonalen Entwicklungssstufen des Proletariats zum Jagen getragen, zu ihrem Glück gezwungen werden? Und andererseits: Wann hätte sie aufgehört, jener „willenlose und widerstandslose Träger“ der Kapitalakkumulation zu sein, deren revolutionierende Wirkung auch heute offenbar noch so ungebrochen ist, daß sie allenfalls „abge­schwächt“ werden kann?

Der Imperialismus ist einerseits ein solcher konterrevolutionärer Klassenkompromiß (angesichts der Bedrohung durch den revolutionären Klassenkampf wird ein Teil der Lohnabhängigen „ruhiggestellt“), andererseits eine ökonomische Form, durch die die revolutionierende Wirkung beschleunigter Kapitalakkumulation für bestimmte Kapitalgruppen zeitweise abgeschwächt wird (Monopolprofit).

Hier scheint mir ein wirklich „eigenständiger“, neuer Gedanke aufzublitzen. Mir fehlt darin aber der internationale bzw. globale Gesichtspunkt, ohne den das Wort vom Imperialismus keinen Sinn macht. Andererseits wäre herauszuarbeiten, daß jener „Kompromiß“ Macht auch auf seiten der Arbeiterklasse voraussetzt. Mit einer ohnmächtigen Arbeiterklasse schließt die Bourgeoisie keinen Kompromiß. Macht schöpft aber die Arbeiterklasse, die nichts ist, wenn sie nicht revolutionär ist, nur aus ihrer Revolution.

Insofern ist der Imperialismus nicht bloß materielle Grundlage für die Entstehung einer breiten lohnabhängigen (!) Mittelschicht (etwas das Marx bereits bei seiner Analyse des relativen Mehrwerts und der Entwicklung des Fabriksystems als Möglichkeit erkannte), und damit einer breiten Schicht von Kleinbürgern und Lohnabhängigen, die „ihr“ imperialistisches Kapital und dessen Staat aus materiellem Eigeninteresse verteidigen. Er ist auch materielle Grundlage dafür, daß bürgerliche Politik systematisch Wurzeln in bestimmten Teilen der Arbeiterklasse schlagen kann.

Das „systematisch“ ist ausgezeichnet. Jedoch müßte die Systematik noch weitergetrieben werden: in der Richtung, die in These III eingeschlagen wird.

Daß das Kapital diesen Teilen der Arbeiterklasse „Mitbestimmung“ über geregelte Bedingungen des Verkaufs und der Erhaltung des Werts ihrer Arbeitskraft zugesteht, also die absolute Mehrwertrate

Ich kenne den absoluten Mehrwert (Mehrarbeit, nicht an ihrem Verhältnis zur notwendigen Arbeit gemessen, sondern nach ihrer absoluten Größe), aber eine absolute Rate (wovon auch immer), nämlich das Verhältnis zweier Größen, ist das nicht eine contradictio in adjecto?

zeitweise unverändert läßt, und sich für die Verbesserung ihrer Verwertungsbedingungen auf die Steigerung des relativen Mehrwerts konzentriert, ist reale Grundlage für langanhaltende Illusionen in diese Regelungs- und „Mitbestimmungs“-Mechanis­men.
[…] Wenn in dieser Situation große Teile der Klasse Illusionen in die Rückkehr zum alten Sozialpartnerschaftssystem haben, so ist dies im Fall der deutschen Arbeiterklasse nicht eine besondere Anfälligkeit für eine faschistoide Standortideologie.

Hat das jemand gesagt? Bei mir wird der Zusammenhang jedenfalls gerade andersherum aufgemacht: Das Befangenbleiben in jenen „Illusionen“ macht anfällig für Rassismus etc.

[…] Es ist heute schließlich nicht einmal ausgeschlossen, daß die „Sozialpartnerschaft“ für eine nicht zu kurze Zeit sogar für bestimmte, noch eingegrenztere Schichten der Arbeiterklasse fortgeführt werden kann. Zu sagen, daß dies nach 1989 unmöglich sei, heißt, dem Imperialismus mehr oder weniger seinen Zusammenbruch prognostizieren (was die Linke auch schon ziemlich lange tut).

„die Linke“ will schon lange nichts mehr von irgendeiner Zusammenbruchstendenz des Kapitalismus (Impe­rialismus) wissen, weshalb es denn auch zu genügen scheint, etwas zur „Zusammenbruchstheorie“ zu stempeln, damit es als abgeurteilt gelte, und ganz unnötig darzulegen, was denn an dergleichen falsch sei.

So war es auch nicht die „faschistische Volksgemeinschaft“, die die Voraussetzung für den Sozialstaat in seiner Nachkriegsform schuf. Dies wird um so absurder je mehr man vergleichbare internationale Beispiele heranzieht.

Von einer „faschistischen“ Volksgemeinschaft ist bei mir nicht die Rede, sondern von der „der Nazis“. Die war unabdingbar verknüpft mit der terroristischen Liquidierung der Kommunistischen Partei in Deutschland. Was von ihr die Nazis, den Krieg und Stalin überlebte, war nur noch ein Schatten seiner selbst, hatte von der revolutionären Diktatur des Proletariats zum Sturz der bürgerlichen Klasse sich vollends zur antifaschistischen und antimonopolistischen Demokratie gerettet. Im Gefolge ihrer vernichtenden Niederlage in Deutschland hatte die KI bereits während des Krieges nach und nach jeden Rest ihres revolutionären Programms kassiert, sich auf den Boden der bürgerlichen Demokratie gestellt und schließlich aufgelöst. Und diese mit dem Sieg der Nazis in Deutschland eingeleitete vollständige Abdankung des revolutionären Kommunismus soll im Ernst nicht eine wichtige „Voraussetzung für den Sozialstaat in seiner Nachkriegsform“ gewesen sein, zu dessen „Modell“ am Ende kaum ganz zufällig nicht die USA, sondern das Deutschland der 60er und 70er Jahre avancierte?

Im übrigen: Indem die Kritik die Entwicklung in Deutschland mit „Beispielen“ aus anderen Weltgegenden vergleicht, hat sie schon wieder ihren Gegenstand verfehlt, in dessen These III Deutschland ausdrücklich nicht als „Beispiel“, sondern Ort einer epochalen Entscheidung behandelt wird. Das dürfte die Kritik selbstverständlich falsch finden, aber dafür hätte sie es zunächst zur Kenntnis zu nehmen.

Vor dem ersten Weltkrieg spielten die Arbeiterbewegung in Deutschland und namentlich die SPD die Rolle der unbestrittenen Vorhut der internationalen Arbeiterbewegung. Indem die Mehrheit der SPD imperialistische Kriegspartei wurde, besiegelte sie daher auch das Schicksal der II. Internationale. Die eine internationale Arbeiterbewegung gibt es seither nicht mehr, sie wurde in doppelter Hinsicht gespalten: Sie zerfiel einerseits in ihre verschiedenen nationalen Abteilungen, die, was ihre internationalen Beziehungen angeht, ein bloßes Anhängsel ihre jeweiligen Bourgeoisien bilden, andererseits spaltete sie sich in diesen je national orientierten und einen weiterhin internationalistischen Flügel. Ob eine solche internationalistische Tendenz sich behaupten konnte, hing wiederum entscheidend davon ab, daß er sich in Deutschland zur selbständigen Partei fortbildete. Nach der SU stellte Deutschland die wichtigste Sektion der KI (Deutsch war deren offizielle Verkehrssprache).

… Mit Ende des 2.Weltkriegs war es … gar nicht ausgemacht, daß angesichts der Diskreditierung des Imperialismus durch den Faschismus, ähnliche Formen des Klassenkompromisses wie in den USA auf die anderen imperialistischen Staaten ausgedehnt werden könnten.

„Diskreditiert“ (bei wem auch immer) durch die Nazibarbarei war nicht „der Imperialismus“, sondern allenfalls der mit ihr paktierende deutsche Imperialismus. Der US-Imperialismus hingegen hatte als antifaschistische Kraft eher einigen Kredit gewonnen. War also nicht vielmehr diesem Umstand die relativ erfolgreiche Adaption einiger sozusagen „amerikanischer“ Komponenten des Klassenkompromisses vor allem in den fünfziger Jahren geschuldet? (Freilich darf auch dabei nicht übersehen werden, daß „Klassenkompromiß“ in Europa und namentlich in Deutschland aufgrund seiner ganz anderen Vorgeschichte etwas ganz anderes ist als in den USA.)

In einigen Ländern, wie Italien, Frankreich, Griechenland gab es im Grunde revolutionäre Situationen, die mit freundlicher Unterstützung des Fortwesers und des US-Imperialismus mehr oder weniger gewaltsam beseitigt wurden.

Hat die Kritik hier die „freundliche Unterstützung“ der einheimischen Kommunisten – oder vielleicht nur mitzuteilen vergessen, daß sie auch mit meiner These, es sei „der eigene Hang zur nationalen Versöhnung gewesen …, der die Chefs der westlichen Kommunisten dazu trieb, sich Stalin zu unterwerfen“, nicht einverstanden ist.

Aber ich bin ja durchaus bereit, auch die eigenen Verdienste des westlichen Proletariats an seinem komfortablen Kompromiß mit seinen Bourgeoisien zu würdigen. Und selbstverständlich gibt es nichts zu deuteln an der konterrevolutionären Rolle der Arbeiterstaaten in diesen Auseinandersetzungen. Daß beispielsweise der von den USA geführte Imperialismus in den 60er Jahren vom Kalten Krieg zur sogenannten Entspannungspolitik überging, dürfte z.T. gerade damit zusammengehangen haben. Zuletzt der Mai 1968 in Frankreich hatte bewiesen, daß der Vulkan proletarischer Rebellion auch im Westen unter der Kruste demokratischer Befriedung aller sozialen Gegensätze, die sich dort gebildet hatte, keineswegs endgültig erkaltet war. Stalins Epigonen erwiesen sich auch in diesem Fall, wie unzählige Male zuvor, als zuverlässige Feuerwehr und machten sich so dem bürgerlichen Westen eine Zeitlang ziemlich unentbehrlich, der das im August desselben Jahres mit seinem Stillhalten bei der Invasion der Truppen des Warschauer Pakts in die CSSR auch unmißverständlich anerkannte.

Dennoch bleibt es eine Tatsache, daß derjenige Teil des westlichen Proletariats, der die geringste Neigung zur Rebellion an den Tag gelegt hat, mit dem komfortabelsten Kompromiß belohnt worden ist. Und das ist kaum anders als damit zu erklären, daß es den kapitalistischen Frontstaat behaust hat und das verstaatlichte Proletariat unmittelbar jenseits der Front dieselbe Sprache sprach.

Nicht: der Sozialstaat war Reaktion auf das Weiterbestehen stalinistischer Staaten – sondern: Sozialstaat und „Koexistenz“ mit degenerierten Arbeiterstaaten war die Form, in der der Kapitalismus das Kräfteverhältnis der Klassen nach dem Krieg stabilisierte,

Welches „Kräfteverhältnis der Klassen“ aber war es denn, das „der Kapitalismus“ da „stabilisierte“, welche Kräfte waren darin wie verteilt? Stellte die behauptete Existenz des Arbeiterstaats, seines Monopols auf Industrie und Handel in seinem unmittelbaren Machtbereich, eine jener „Kräfte“ dar, mit denen die besitzenden Klassen zu rechnen hatten? Wenn ja: War dann der Sozialstaat nicht „Reaktion“ auf diese Kraft, nicht eine bestimmte Form, mit dieser Kraft kapitalistisch zu rechnen? Wenn nein: Was hätten die stalinistischen Regime zur Stabilisierung des Kapitalismus beigetragen, das dieser nicht aus sich selbst zuwege gebracht hätte?

um zu einer neuen Phase beschleunigter Akkumulation anzusetzen. (Insofern formuliert D.D. in These 11 teilweise richtig: „Sozialstaat und Realsozialismus waren das späte und ziemlich vergängliche, doppelgesichtige und doch zusammengehörige Resultat...“ von Oktoberrevolution und gescheiterter deutscher Revolution.) Die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus im Weltmaßstab trug entscheidend zur Stabilisierung des Imperialismus nach dem Krieg bei und die Sowjetunion wurde zu einem Pfeiler der „geordneten“ Verhältnisse im Weltmaßstab, vergleichbar mit dem „Ordnungsfak­tor“ Gewerkschafts- und Betriebsratsbürokratie im nationalen Maßstab.

Sehr richtig. Aber als Ordnungsfaktor funktionieren auch die Gewerkschaften nur, sofern in ihnen wirklich sich die Klasse organisiert, die sie zur Ordnung rufen und so um die Früchte ihrer organisierten Klassenmacht bringen. Nur wo sich eine solche Macht bereits in der Waagschale befindet, entsteht überhaupt Bedarf, daß jemand sich ihrer annimmt, um sie durch Zerstreuung zu erleichtern. So also auch der Arbeiterstaat: Repräsentierte er keine proletarische Klassenmacht, könnte er auch nicht diese zur bürgerlichen Ordnung rufen, ihr die imperialistischen Zügel anlegen. Tut er aber, was sein bürgerlicher Beruf ist, hindert sie also an ihrer revolutionären Entfaltung, ruiniert er sie auf Dauer und wird damit wiederum überflüssig. Er ist daher in jeder Hinsicht ein an sich selbst prekäres Übergangsphänomen.

… das Nachkriegs-Akkumulationsmodell

Dieses „Modell“ nervt als ein solches nun schon eine ganze Weile in diesem Text und will offenbar gar nicht damit aufhören. K.H. hat dazu in seinen Anmerkungen zur Debatte geschrieben: „Was Modell und Projekt zu Allerweltsbegriffen gemacht hat, ist, daß darin historische Prozesse um ihren Eigensinn gebracht, nach dem Muster der ihre Zwecke bewußt setzenden Ratio uminterpretiert werden.“ (Kommunistische Streitpunkte Nr.2, S. 8)

… Das intensive Produktivitätswachstum, das mit den entgegenwirkenden Ursachen zum Profitratenfall einherging,

Wer oder was wirkte hier wem entgegen und ging womit einher? Die Ursachen, die dem Profitratenfall „entgegwirken“, sind dieselben, die auch ihn bewirken. Daher ja ist der Fall nur Tendenz.

konnte von den behäbigen, bürokratisch verwalteten Produktionsapparaten, die höchstens auf extensive Wachstumssteigerung ausgerichtet waren,

Möchte die Kritik, die hier vielleicht nicht zufällig in den volkswirtschaftlichen Jargon fällt, damit etwa behaupten, der Osten sei bloß auf Mobilisierung von immer mehr Arbeit „ausgerichtet“ gewesen, nicht aber darauf, deren Produktivität zu steigern?

nicht mitgehalten werden. Damit gerieten die Staaten des Comecon in den Strudel von Verschuldungskrise, Zurückbleiben in der Weltmarktkonkurrenz, Verteuerung der Technologie-Importe, realer Entwertung der eigenen Währung, etc.. Also allem möglichen, das das Staatsmonopol der industriellen Produktion und des Außenhandels in Frage stellte.

Starker Tobak! Das Staatsmonopol steht natürlich zunächst, wie ich insbesondere in These VII gezeigt habe, immer „in Frage“: Es verneint die kapitalistische Form der Produktion, insofern es ihren immanenten Endpunkt bildet, ist aber als dieses Ende zugleich selbst noch kapitalistische Form – Übergang eben aus dem Kapital zum Nichtkapital und als solcher Übergang nach beiden Seiten ebenso verneinend wie seinerseits von beiden verneint. Dem Kapital steht es als Nicht-Mehr-Kapital, dem Nichtkapital, der kommunistischen Weise des Produzierens, als Immer-Noch-Kapital gegenüber.

Es steht also in zweierlei Hinsicht in Frage, und zwar so, daß die beiden Hinsichten sich gegenseitig ausschließen. Die kommunistische Negation des Staatsmonopols schließt seine Negation durch den Kapitalismus aus, d.h. seine kommunistische Bejahung diesem gegenüber ein, und ebenso umgekehrt.

Von welcher Seite sieht nun aber die Kritik hier das Staatsmonopol über das Maß hinaus in Frage gestellt, das es sozusagen von Natur aus mitbringt? Wodurch stand z.B. das Außenhandelsmonopol in den achtziger Jahren stärker in Frage als etwa in den zwanzigern? Läßt nicht die Kritik hier durchblicken, daß sie eigentlich auch Anhänger des Sozialismus in einem Land ist, den sie nur nicht „Sozialismus“, sondern lieber „Übergangs­gesellschaft“ nennen möchte? daß sie an ein an sich nicht in Frage stehendes Staatsmonopol ohne „Verschuldungs­krise, Zurückbleiben in der Weltmarktkonkurrenz, Verteuerung der Technologie-Importe, realer Entwertung der eigenen Währung, etc.“ glaubt?

Die Existenz von stagnierenden Arbeiterstaaten

„Stagnierend“? – Nicht dieses abgegriffene, inhaltsleere Wort! „stablisierend“ wäre hier passend, weil den Vorteil besitzend, zu weiteren Überlegungen hinzuführen, die in der Tat in meinen Thesen kraß unterbelichtet bleiben. Habe ich das Gewicht darauf gelegt, das „Dop­pelgesicht“ Arbeiterstaat von seinem revolutionären Ursprung her zu beleuchten, der sich schließlich verbraucht hat, so wäre hier Gelegenheit, herauszuarbeiten, wie sich auch seine konterrevolutionäre, den Kapitalismus stabilisierende Funktion schließlich dadurch erledigt hat, daß dieser in eine Phase erneuter umfassender Umwälzung seiner selbst eingetreten ist.

in einem in die Krise geratenen Weltkapitalismus wurde zu einem unhaltbaren Widerspruch. Andererseits stellt der Zusammenbruch dieser Staaten noch keine grundlegende Verschiebung im Verhältnis der Klassenkräfte zugunsten der Bourgeoisie dar, solange diese nicht die wesentlichen Elemente der Krise der Akkumulation ihres Kapitals lösen kann.

Marx lehrt, daß das Kapital seine Krisen löst, indem es die Elemente der nächsten entwickelt.

Im Gegenteil, dieser Zusammenbruch bringt der Weltbourgeoisie neue Probleme durch den Wegfall eines wesentlichen Stabilitätsfaktors, so wie auch die Angriffe auf den Sozialkompromiß neue Klassenkampfgefahren für sie heraufbeschwören – alles keine günstigen Bedingungen für den ruhigen Gang der Akkumulation.

Was die „Ruhe“ betrifft, ist vor allem das Kapital sich selbst „keine günstige Bedingung“. Zum „Wegfall“ des „Stabilitätsfaktors“ heißt im Abschnitt XII („Im Westen nichts Neues?“): „Verfall und schließliche Abräumung des … ersten Arbeiterstaates (samt seiner Ableger) … haben vor allem in das scheinbar so festgefügte, behäbige Kartell arbeiterbürokratischer Macht ein irreparables Loch gerissen“, das die Arbeiterklasse dazu zwinge, in der „revolutionären Richtung die Kraft zu suchen“, die sie zur Verteidigung Lebensinteressen braucht. Und ebenda in Abschnitt X zu den „neuen Klassenkampfgefahren“: „Die Bourgeoisie hat die alten Bedingungen des Kompromisses mit dem Proletariat, von dem sie sich nährt, nicht ohne Not aufgekündigt; nicht weil sie etwa auf jeden Kompromiß verzichten will oder es auch nur könnte.“ Die Kritik müßte sich also schon etwas näher dahin erklären, ob bzw. inwiefern sie mit ihren Ausführungen zu diesem Punkt den Thesen widerspricht oder sie vielmehr bekräftigt.

Fazit: Die Geschichte dieses Jahrhunderts kann nicht nur aus einem revolutionären Ereignis gelesen werden,

Wer hätte denn das getan? Zum ersten. Und zweitens: Macht es etwa besser, wer die Geschichte dieses Jahrhunderts in eine Ansammlung von „Beispielen“ auflöst?

so zentral dies auch immer war. Es muß der Zusammenhang von Klassenkampf, sowohl in seinen revolutionären wie auch vor-revolutionären Formen

Es ist zu überlegen, ob nicht solcherart gedankenlose Rede von „vor-revolutionären Formen“ (historisch immerhin nach einer ganzen Reihe von Revolutionsversuchen, aber ohne irgendeine Garantie, daß wir tatsächlich „vor“ weiteren stehen) eines angeblichen „Klassenkamp­fes“ nicht ein gerüttelt Maß Schuld daran trägt, daß der Klassenkampf lange Zeit linksradikal „unten durch“ war und in seiner heutigen kleinen Renaissance meist nur noch ein Mißverständnis darstellt.

mit der jeweiligen Periode von Akkumulationszyklen des Kapitals dargestellt werden und dies unter den Bedingungen des Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche.

Daß zur Geschichte dieses kapitalistischen Jahrhunderts unbedingt die im engeren Sinne ökonomische Geschichte des Kapitals dazu gehört, wer wollte das bestreiten. Bestreiten möchte ich allerdings, daß einer solchen Aufgabe meine Thesen im Weg stünden, die doch die kritische Auffassung dieser Ökonomie explizit (Ab­schnitt II) zur Grundlage haben.

Einerseits ist in dieser Epoche der Klassengegensatz an sich und seine auch vor-revolutionären Äußerungen Grundlage für zeitweise Befriedung von Sektoren der Arbeiterklasse in Sozialkompromissen, und damit Grundlage für eine Phase von Akkumulation, die hauptsächlich auf der Steigerung des relativen Mehrwerts beruht.

„der Klassengegensatz an sich“ ist schon sehr hübsch, vor allem als „Grundlage für zeitweise Befriedung von Sektoren der Arbeiterklasse“. Noch hübscher jedoch: nach der Oktoberrevolution „seine auch vor-revolutionären Äußerungen“ zu notieren.

Im übrigen: „beruht“ nicht das Kapital überhaupt „hauptsächlich auf der Steigerung des relativen Mehrwerts“?

Andererseits muß ein solcher Akkumulationszyklus in einer weltweiten Überakkumulationskrise enden, die damit den Klassenfrieden in Frage stellt, revolutionäre Krisen heraufbeschwört, etc.. Gelingt es dem revolutionären Proletariat nicht, diese Krise in revolutionärer Weise zu lösen, wird der Imperialismus jeweils

Diese kleine Wort an dieser Stelle offenbart eine ganze Philosophie: Die Geschichte eine Sammlung „Beispie­len“ oder auch fortwährend vorübergehenden Gelegenheiten, bei denen sich nur fragt, wann wir genug davon gesehen haben, um endlich eine beim Schopfe zu packen.

in der Lage sein (nach welchen Aktionen zur Vernichtung von Überschußkapital auch immer) einen neuen Klassenkompromiß zu finden, um seine Kapitalakkumulation wieder in ruhigere Bahnen zu lenken.

Der Unsinn der „ruhigen Bahn“ der Akkumulation, hat es der Kritik offenbar schwer angetan.

Insofern kann der Kapitalismus das Proletariat zwar wie die Thesen sagen nicht endgültig besiegen, sehr wohl ihm aber strategische Niederlagen beibringen, die die Revolution als die entscheidende objektive Antwort auf die Probleme der Klasse wieder auf Jahre zu verschieben zwingen.

Sehr sinnig, wie es dem selbsternannten Anwalt des Subjekts, der bewußten Tat gegen den bloßen Zwang der Objektivität passiert, daß letztere („der Kapitalismus“) sich in seiner Rede immerzu personifiziert.

… Dies führt zu der falschen Perspektive, daß mit dem Untergang des Stalinismus und dem angeblich bereits geschehenem Kassieren des Sozialstaats eine Epoche von Kämpfen bereits vorbei sei, statt zu sehen, daß der Zusammenbruch und der Angriff auf den imperialistischen Sozialkompromiß Elemente einer neuen Periode von Kämpfen sind, deren Höhepunkt erst vor uns, nicht hinter uns liegt.

Zentrales Selbstmißverständnis: eine „neue Periode von Kämpfen“ setzt ja wohl voraus, daß eine alte zu Ende gegangen, gerade vorbei ist.

[…]
Es wird nicht deutlich, ob die Errichtung des Staats­monopols an der industriellen Produktion und des Außenhandels die einzigen qualitativen Änderungen darstellen sollen, solange nicht die „kapitalistische Umgebung“ zum Verschwinden gebracht wurde.

Von irgendeinem „Sollen“ ist da natürlich nirgendwo und schon gar nicht in diesem Zusammenhang die Rede.

Wie Marx im Kapital insbesondere im Abschnitt über die „Pro-duktion des relativen Mehrwerts“ aus­führt, geschieht die Vergesellschaftung im kapitalistischen Arbeitsprozeß in einer reaktionären Form.

Wirklich „reaktionär“, nicht vielmehr „gegensätz­lich“?

So erwächst die besondere Form der Leitung und Kontrolle des Arbeitsprozesses nicht bloß aus dessen kooperativer Form, seine Doppelnatur als Verwertungsprozeß erfordert, daß der Einzelarbeiter als willenloses, seine Zwecke nicht bestimmendes Rädchen im Gesamtprozeß der Kapitalverwertung zu funktionieren hat, und daher einem strikten „Despo­tismus“, einer bestimmten Form von Arbeitsdisziplin unterworfen wird, die von einem Heer von Aufsehern, Unteroffizieren, etc. überwacht wird (siehe MEW 23, S. 350f.).

Das erwächst eben nicht nur aus seiner (des kapit. Produktions-, nicht „Arbeits“prozesses) „Doppelnatur als“ (auch) „Verwertungsprozeß“. Oder genauer: Diese Doppelnatur erwächst ihrerseits aus dem transitorischen Charakter der kapit. Produktionsweise; daraus, daß in der vorgefunden Form zersplitterter, zwergenhafter Produktion mit individuell beherrschbaren Produktionsmitteln ein ganz gegenteilige, zentralisierte, riesenhafte Produktion mit Mitteln, die nur in Kooperation auf großem Maßstab beherrschbar sind, entwickelt. Diejenigen Tätigkeiten, in denen kapitalistisch der sie ausführende Einzelarbeiter„als willenloses, seine Zwecke nicht bestimmendes Rädchen im Gesamtprozeß“ funktioniert, ändern ihren Charakter nicht dadurch, daß der Verwertungszwang fortfällt. Sie müssen entweder selbst fortfallen oder jedenfalls in ihrem Umfang für jedes Individuum radikal reduziert werden, damit diese aufhören bloße „Rädchen“ zu sein. Es hilft auch nichts, wenn dieselben Tätigkeiten in einen Gesamtplan eingebettet sind, der in demokratischer Beratung aufgestellt wurde. Ob es ein großes demokratisches Palaver im Arbeiterrat gewesen ist, dem ich auch noch selber meine kümmerliche Freizeit zum Opfer gebracht habe, oder die Direktive irgendwelcher Apparatschiks, das dürfte mich am Ende herzlich wenig interessieren, wenn ich dann plangemäß am Fließband meine 6 oder 7 Stunden mit Schräubchendrehen abreiße. Die Sache mit den Apparatschiks hat sogar den Vorteil, daß sie unverblühmter, weniger theatralisch und daher weniger aufwendig für mich zum selben Resultat führt.

Die Wirkung des Verwertungszwangs muß anders durchleuchtet werden: Inwiefern sie den Fortfall solcher subalternen Tätigkeiten verhindert, diese aus sich heraus perpetuiert, also der in Logik der Produktivkraftentwick­lung liegenden Tendenz entgegenarbeitet, daher ihre Schranke ist.

[…]
… Diese lohnabhängigen Mittelschichten nehmen also eine widersprüchliche Klassenposition ein, die sie jedoch in normalen Umständen durch Privilegierung und Position in der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit in zentralen Konflikten auf die Seite des Kapitals stellt.

Wenn das so apodiktisch stimmte, dann können unser revolutionäres Projekt ein für allemal begraben. Hier wäre statt dessen m.E. programmatisch jede Prophetie zu unterlassen.

[…]

… Wenn daher im Hintergrundpapier von D.D. formuliert wird, daß das Staatsmonopol über die industrielle Produktion auch durch die besten „rätedemo­kratischen Sicherungen“ (S. 



) vor Degeneration angesichts des Fortbestehens einer kapitalistischen Umgebung nicht gesichert werden, kann

Vom „Sichern“ des Staatsmonopols gegen „Degene­ration“ ist bei mir gar nicht die Rede, sondern vom „mißlichen Zwitterstatus des revolutionären Arbeiterstaats“: daß darin das Proletariat, das den Kapitalismus loswerden muß, „sein eigener (monopolistischer) Kapitalist“ sei.

so ist dies im besten Fall mißverständlich (da dies der einzige Bezug auf Rätedemokratie ist): Eine massenhafte, räteähnliche Selbstorganisation der Arbeiterklasse ist im Allgemeinen notwendige Bedingung für die Möglichkeit der Errichtung eines Staatsmonopols über die industrielle Produktion (daß planwirtschaftliche Strukturen in Osteuropa und der DDR unter der Bedingung der sowjetischen Militärdominanz ohne eine solche Basis zustande kommen konnten widerspricht nicht dieser Allgemeinheit, sondern zeigt nur die von Anfang an bestehende Degeneriertheit dieser Arbeiterstaaten).

Wie der ganze linksradikale mainstream umgehen hier unsere Trotzkis mit schlafwandlerischer Sicherheit die Tatsache, daß es die Rätemacht selbst war, die degenerierte. Und eben diese degenerierte Rätemacht, nicht etwa irgendein von vornherein und unverbrüchlich bürgerlicher Staat (dies übrigens eine Kritik der Spartakisten an der GAM), hat auch das Staatsmonopol der DDR errichtet.

Würde behauptet, es habe doch einen regelrechten Staatsstreich, einen „Thermidor“ gegeben, in dessen Folge die Räte bzw. Sowjets von der Bürokratie schließlich zerstört worden seien, dann wäre dem entgegenzuhalten, daß doch die Räte gerade die Aufgabe gehabt hätten, vielmehr umgekehrt die Bürokratie zu zerstören, also schon darin, daß ihnen gegenüber eine solch mächtige und schließlich übermächtige Bürokratie erwachsen bzw. überleben konnte, definitiv versagt hätten.

[…]
Sind die meisten Punkte in den Thesen bzw. „Eck­punkten“ eigentlich Beiträge zu Theorie und Geschichte des Übergangs zum Sozialismus, so gibt es wenigsten einen strategische Eckpunkt, d.h. Antwort auf die Frage der Zielsetzung konkreter revolutionärer Aktivität: „Ausnutzung der Demokratie zur Errichtung der revolutionären Diktatur einer Assoziation aller vom Produkt ihrer gemeinsamen Arbeit enteigneten, von ihrer Arbeit entfremdeten Individuen zum Zwecke despotischer Eingriffe in jene Ordnung des Eigentums ...“ (S. 



).
Auch wenn hier offensichtlich die Diktatur des Proletariats als Zielsetzung revolutionärer Aktivität festgeschrieben wird, bleibt diese Zielsetzung letztlich vage und mehrdeutig. Nimmt man obige Formulierung zusammen mit den Bemerkungen über das Staatsmonopol, bei dem Räteorgane bloß als Schutzfunktionen vor übertriebener Bürokratisierung erwähnt werden,

Diese Behauptung stellt die Dinge auf den Kopf: In die Rolle dieser „Schutzfunktion“ bringen unsere Trotzkis die „Räteorgane“, während ich gerade abstreite, daß sie diese überhaupt wahrnehmen können.

„Ausnutzung der Demokratie zur Errichtung der Diktatur des Proletariats“ könnte fast ein wörtliches Zitat von Kautsky sein – auch wenn Kautskys Formulierungen meist nicht so rechts waren (er erwähnte immerhin die Notwendigkeit gewaltsamen Massenkampfes für die Erringung der Macht).

Das ist schon eine kleine Frechheit (wenn es nicht bloß Gedankenlosigkeit ist): In den Thesen geht es um das „Ausnutzen der Demokratie“ (wir könnten auch sagen: Anknüpfen an sie), um über sie hinauszugehen. Kautsky dagegen will die Demokratie beibehalten und kann sie allein darum nicht radikal zu Ende führen bis zu jenem Punkt, wo sie aus sich selbst heraus über sich selbst hinausweist, einerseits positiv, indem sie erstmals Demokratie für die Ausgebeuteten, Geknechteten, daher mit dieser Ausbeutung und Knechtung unvereinbar, andererseits negativ, indem sie mit ihrem Latein am Ende ist, umschlagen muß in die wirkliche, materielle Aneignung der gesellschaftlichen Produktion durch die assoziierten Produzenten, die ihr nicht mehr als gesellschaftlicher Interessenverband gegenüber, sondern in dieser Aneignung selbst und durch sie vermittelt miteinander zusammenhängen und sich aufeinander beziehen.

Ein kommunistisches Programm, das die Zielsetzung der Diktatur des Proletariats, bzw. der Errichtung eines Arbeiterstaats aufstellt, muß angesichts der strategischen Spaltungen der Arbeiterbewegung nach 1914

Wo könnten wir denn wohl heute noch „der strategischen Spaltungen (!) der Arbeiterbewegung nach 1914“ ansichtig werden? Da ist doch – leider! – gar nichts mehr gespalten. Wir haben es vielmehr zu tun mit dem gemeinsamen strategischen Niedergang der gesamten Arbeiterbewegung und insbesondere der beiden Flügel, die aus jener wirklichen und längst konterrevolutionär aufgehobenen Spaltung „nach 1914“ hervorgingen.

präziser fassen, was für eine Art Staat der „Arbeiter­staat“ ist. In These 7 wird zwar richtig die von Anfang an gegebene Notwendigkeit des Absterbens dieses Staates abgeleitet; im Hintergrundpapier: „Jeder Staat, auch ein solcher, der von ‚der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl‘ regiert wird, setzt der Emanzipation Schranken, die diese früher oder später niederreißen und überschreiten muß, will sie sich selbst treu bleiben“ (S. 



). In Folge wird jedoch nur dargelegt, wieso die Arbeiterklasse immer noch einen Staat braucht:

Nicht „wieso“, sondern inwiefern.

[…]
… Je mehr die vom Kapitalismus übernommene Form der Vergesellschaftung von Arbeit, mit ihrer Konzentration von „Leitungs-“, „Denk-“ und „Ge­walt“-Funktionen auf eine kleine Zahl abgesonderter Institutionen und Organe durch eine neue Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ersetzt werden, desto mehr verlieren die Funktionen der Staatsmacht die Rolle der Regierung von Menschen und werden zu Funktionen der Verwaltung von Sachen.

Kommunismus zielt nicht auf „eine neue Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung“, sondern auf die Aufhebung jeder Form der Arbeitsteilung, so geht’s schon ’mal los. Des weiteren ist ja schon lange nicht mehr wahr, daß die „‚Leitungs-‘, ‚Denk-‘ und ‚Gewalt‘-Funk­tionen“ konzentriert wären bei „Institutionen und Organen“, die „klein“ an Zahl und äußerlich „abgesondert“ wären. Die Zahl ist vielmehr mittlerweile riesengroß und wachsend, dagegen schrumpft die Zahl der Einrichtungen bzw. Unternehmungen, in denen wirklich noch hauptsächlich unmittelbar produziert wird. Entsprechend massenhaften Charakter hat auch das Personal angenommen, das mit jenen „‚Leitungs-‘, ‚Denk-‘ und ‚Ge­walt‘-Funktionen“ betraut ist. Das wirkliche Leiten, Denken und Gewaltausüben, d.h. die Ausübung gesellschaftlicher Hoheitsfunktionen, ist längst ganz praktisch jeder persönlichen Kontrolle so gründlich und unwiderruflich entwachsen, daß es selbst nur mehr in der Kombination vieler einfacher Funktionen durchgeführt werden kann.

Der entscheidende Punkt hier umgangen: Die „neue Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung“ bedeutet eben im Kern die Aufhebung der privaten Form des Kommandos über die gesellschaftliche Arbeit. Nicht irgendwelche an bestimmten Personen oder Institutionen festzumachenden Eigenmächtigkeiten, Privilegien, Sondervollmachten oder dergleichen entziehen das Ganze des gesellschaftlichen Zusammenhang der Kontrolle der diesen Zusammenhang bildenden Individuen, sondern die verkehrte Form dieses Zusammenhangs selbst, die ihn nicht als den bereits hergestellten, daher immer schon vorauszusetzenden wirklichen Zusammenhang der Individuen erscheinen läßt, sondern als einen in einem fort äußerlich erst herzustellenden Zusammenhang von lauter an sich gar nicht miteinander zusammenhängenden Privatmenschen. Und dieser Anschein der Form des Zusammenhangs ist einerseits falsch, insofern die (stetig wachsende) Masse der Individuen in ihrer Arbeit tatsächlich nicht als Private miteinander verkehren, es gar nicht können, bzw. soweit sie dies tun, beständig der Voraussetzung wirklicher Privatheit, dem Eigentum an eigener oder fremder Arbeit verlustig gehen. Anderseits ist der Zusammenhang dennoch wirklich der Zusammenhang zwischen Privateigentümern, insofern er im ganzen tatsächlich usurpiert ist von Privaten, die aus diesem tätigen Zusammenhang selbst als seine blanke Negation herausfallen und daher zugleich beständig ihn zwanghaft destruieren bzw. seine Produktivität in Destruktion verwandeln.

[…]
Richtig ist natürlich, daß ein Kampf um ein einzelnes Thema nur dann Klassenkampf im eigentlichen Sinn ist, wenn er als Kampf der Gesamtklasse gegen die Gesamt-Bourgeoisie, letztlich als Kampf um die Macht geführt wird. Doch wenn DD formuliert „Wenn solche Kämpfe ... sich nicht dahin entwickeln, ...“ – bleibt zu fragen, wie sollen sie sich eigentlich dahin entwickeln. Im Rest der These liest sich dies eher wie ein Ultimatum: Entweder ihr führt euren Kampf als Kampf um die Diktatur des Proletariats oder euer Kampf ist eigentlich im Kern rassistisch und faschistisch und wird daher von uns ignoriert.

Da wäre zunächst einmal zu klären, wer der Adressat („ihr“) der Ausführungen einerseits in meinem Text und andererseits in dieser Kritik daran denn ist. Erstere wenden sich erklärtermaßen an die Revolutionäre, an „uns“ selbst also. Die Kommunisten, heißt es bei mir, sollten unterlassen, dem Gespenst der Verteidigung eines „Sozi­alstaats“ hinterherzujagen, dessen Voraussetzung unwiderbringlich dahin sind. Auf deutsch: Sie sollten aufhören, der nichtkommunistischen Masse des Proletariats unrealistischen Scheiß zu erzählen, den ihnen sowieso niemand mehr abnimmt. Ich behaupte ja, daß sich die nichtrevolutionären Proleten viel weniger Illusionen machen als die Revolutionäre selbst und gerade deshalb so wenig Neigung zu Klassenkampf zeigen, daß sich also die Revolutionäre nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe befinden.

Das „Ultimatum“, das die Kritik da herausgelesen hat, richtet sich darum an die Revolutionäre: Entweder ihr versteht es, die ausgebeutete Klasse in den Auseinandersetzungen ums Teewasser starkzumachen, und ihr macht sie nur stark, wenn ihr den Klassencharakter dieser Auseinandersetzungen herausarbeitet, wenn ihr in ihnen die Notwendigkeit und auch Möglichkeit des Kampfes „der Gesamtklasse gegen die Gesamt-Bourgeoisie“ entwickelt, der „letztlich als Kampf um die Macht“ zu führen ist, oder die Ohnmacht der Klasse, die ihr dann mitzuverantworten habt, wird sich reaktionäre Kompensation suchen, z.B. in rassistischen Parolen. Wo steht da was von „ignorieren“?

Die Frage, „wie sollen sie sich eigentlich dahin entwickeln“, nämlich zum wirklichen Klassenkampf, kann ich demnach sogleich zurückgeben: In der Tat, wie denn, wenn die Revolutionäre, die Kommunisten selbst eine solche Perspektive schon lange nicht mehr vertreten, weil sie glauben (vorgeben zu glauben), daß sie damit die Massen überforderten, in Wahrheit jedoch sich selbst überfordert fühlen.

 

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