zurück

 

KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 5 - 10.02.2000 - Onlineversion

Plattform

der übergänge zum Kommunismus

Der erneute Kampf um den revolutionären Übergang zum Kommunismus, zur globalen, grenzen- und daher staatenlosen menschlichen Gesellschaft, nicht ein Kampf um sozialstaatliche Refor­men steht auf der Tagesordnung. Die Verteidigung selbst der bescheidensten Lebensinteressen gegen die Angriffe des Kapitals, einschließlich der Abwehr eines neuen imperialistischen Weltkrieges, stellt auch in den Metropolen des Weltmarkts die massenhaft proletarisierten Individuen in den entschiedensten Gegensatz nicht allein zu diesem oder jenem Bourgeois, dieser oder jener politischen Option ihrer Bourgeoisie, sondern zur bourgeoisen Daseinsweise selbst: zum privaten Eigentum an den sachlichen Bedingungen der Arbeit, unter dem sich das Klassenprivileg arbeitsloser Aneignung fremder Arbeit verbirgt. Die Sicherung unserer bloßen proletarischen Existenz erfordert heute revolutionäres Handeln, fordert rücksichtslose Eingriffe ins Allerheiligste aller herrschenden Weltordnung, in das Eigentum der Bürger.

Ein taktierender Kommunismus, der im Fahrwasser des Sozialreformismus à la „Erfurter Erklärung“ meint, etappenweise die Anhöhen der Macht nehmen zu können, liegt strategisch durchaus falsch. Der keynesianistisch durchtränkte „demo­kratische Sozialismus“ bloßer Umverteilung des kapitalistisch produzierten Reichtums formuliert jetzt seine konterrevolutionäre Antwort auf eine soziale Revolution, die erst wieder zu organisieren ist. Gegen sie bietet er sich der Bourgeoisie als Notstandsregierung in spe an.

Der Aufstieg des Reformismus ist geknüpft an den revolutionären Aufstand, sein Erfolg beruht auf der Spaltung und ist damit die Niederlage der kämpfenden Klasse. So war es jedenfalls in der Vergangenheit.

Mit dem Abgang des östlichen sogenannten Realsozialismus aus der Weltgeschichte verhallt das letzte Echo jenes ersten großen Anlaufs zum revolutionären Sturz der Weltherrschaft des Kapitals, mit dem das internationale Proletariat am Beginn dieses nun zu Ende gehenden Jahrhunderts auf die erste menschenverschlingende weltkatastrophale Krise geantwortet hat, in die das im globalen Maßstab sich selbst zur Schranke gewordene Kapital die menschliche Gattung gestürzt hat. Es sind damit auch die Bedingungen des konterrevolutionären Reformismus restlos vernichtet, mit dem es in der Folge den Bourgeoisien der kapitalistischen Metropolen gelungen ist, die sich revolutionär formierende ausgebeutete Klasse zu spalten und so das Überleben ihrer Herrschaft sich zu erkaufen.

Vorangepeitscht auch durch die reformistisch gebrochene revolutionäre Bewegung des Proletariats, haben sich in diesem Jahrhundertprozeß zugleich die vom Kapital selbst erzeugten Voraussetzungen seiner revolutionären Überwindung ihrerseits in einem Maße revolutioniert, das alle Gestaltungen, Parteiungen, Organisationsprinzipien, Anschauungen, Strategien etc., die uns jener erste weltrevolutionäre Anlauf überliefert hat, radikal zur Disposition stellt.

Das in diesem widersprüchlichen Verlauf seiner Geschichte gründlich verschlissene Programm des revolutionären Übergangs zur kommunistischen Gesellschaft unter sich neu zu klären, auszuarbeiten, zu beschließen, es in der Aktion zu vertreten und zu überprüfen, d.h. eine Grundlage für ihre revolutionäre Kooperation zu schaffen: das ist die entscheidende Aufgabe, die alle Sozialisten und Kommunistinnen – unbeschadet ihrer verschiedenen theoretischen, politischen und organisatorischen Traditionen und aktuellen Bindungen – jetzt gemeinsam in Angriff zu nehmen haben.

Als Eckpunkte eines solchen Programms seien hier vorläufig festgehalten und somit zur Diskussion gestellt:

  • Statt „Arbeit für alle“ und Gefeilsche um Arbeitsplätze oder auch „Revolution gegen die Arbeit“:

    Bloßlegung des bürgerlichen Privilegs zu arbeitsloser Existenz, das den wirklichen Zwang zur Arbeit in ein scheinbar zufällig-individuelles Schicksal verkehrt. Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit auf alle arbeitsfähigen Mitglieder der Gesellschaft, d.h. Abschaffung jenes Privilegs des Besitzes. Nur so wird für alle die gesellschaftlich notwendige Arbeit und ihr vernünftiges Maß transparent und damit soweit reduzierbar, daß uns Zeit zur freien Entfaltung unserer individuellen „pro­duktiven Triebe und Anlagen“ (Marx) zuwächst, die Arbeit daher überhaupt ihren Zwangscharakter verlieren und sich in unser „erstes Lebensbedürfnis“ (Marx) verwandeln kann.

  • Statt sogenannter „Wirtschaftsdemokratie“, also demokratischer Kontrolle des fortbestehenden privaten Kommandos über die gesellschaftliche Arbeit; statt Verbilligung der kapitalistischen Lohnarbeit durch Dienstverpflichtung, unentgeltliche „Bürgerarbeit“, geldlose Nischenproduktion, Tauschringe etc.:

    Abschaffung der Lohnarbeit selbst, nämlich des die gesellschaftliche Arbeit in ihr Gegenteil verkehrenden Zwangs, daß sie sich verwerten muß, daß ihr gesellschaftlich erzeugtes Produkt, weil in den Händen der Privaten monopolisiert, die kooperative Arbeit zum Mittel seiner endlosen Selbstvermehrung degradiert. Selbstorganisation der Arbeit durch freie Assoziierung der Produzenten auf der Höhe des jetzigen Vergesellschaftungsgrades der Arbeit, für die es vorderhand nichts weiter braucht als die völlige Abschüttelung jenes Verwertungszwanges, d.h. der jetzigen privaten Verfügung über sie, die angesichts des hochgradig gesellschaftlichen Charakters heutiger Arbeit nur noch ein schreiender und äußert kostspieliger Anachronismus ist.

  • Statt „Geld ist genug da“, statt trotziger Appelle an eine über allen Klassengegensatz erhabene, also bürgerliche Gerechtigkeit, die das Geld, den Garanten der darin stets allgemein versprochenen und doch immer nur exklusiv realisierten Freiheit, nur endlich gleichermaßen großzügig über alle Glieder der Gesellschaft verteilen müsse:

    Aufhebung der bestimmten Voraussetzung, unter der überhaupt nur der gegenständliche Reichtum allgemein in Geld gemessen und erst im Austausch mit Geld konkret nutzbar wird: daß er nämlich sich regelmäßig in den Händen derer befindet, die nichts mit ihm anfangen können, als ihn zu tauschen, und daher denjenigen, die seiner konkret bedürfen, ebenso regelmäßig nicht gehört; daß also die unmittelbaren Produzenten reduziert sind auf ihre bloße Arbeitskraft, weil vollständig getrennt von den sachlichen Elementen ihrer Produktion, die das Monopol der bürgerlichen Klasse, der nichtarbeitenden Aneigner ihrer Produktion sind. Diese Voraussetzung läßt sich nicht aufheben, ohne daß damit zugleich das Geld als allgemeine Darstellungsform des gesellschaftlichen Reich­tums gegenstandslos wird und verschwindet. Die im Geld ihren allgemeinsten, geläufigsten Ausdruck findende Ökonomie, in der die Produkte der Arbeit ihren Produzenten enteignet sind und über sie herrschen, löst sich auf in die banale Grundlage aller Ökonomie, die „Öko­nomie der Zeit“: Die gesellschaftlich planmäßige Verteilung der Arbeitszeit regelt „die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen“ (Marx).

  • Statt Verteidigung der Freiheit und Gleichheit, deren „produktive reale Basis“ (Marx) das Privateigentum ist; statt der auch links üblichen Erhebung der Demokratie zum Zweck:

    Radikale Ausschöpfung der Demokratie für die Assoziierung aller vom Produkt ihrer gemeinsamen Arbeit enteigneten, von ihrer Arbeit entfremdeten Individuen bis hin zur Errichtung ihrer revolutionären Diktatur zum Zwecke despotischer Eingriffe in jene Ordnung des Eigentums, die diese Enteignung und Entfremdung ebenso zur Voraussetzung hat, wie sie dieselbe stets von neuem spontan erzeugt; einer Diktatur, die übergeht zur Auflösung jeglicher Politik, der diktatorischen wie der demokratischen, die doch immer eine Regierung über Menschen bleibt, in eine solche gemeinsame Verwaltung der Sachen, „worin die freie Entwicklung einer jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller ist.“

Vorhaben und Aktivitäten
des Zirkels
übergänge zum Kommunismus

Die Kapitalisierung der Welt, die Herstellung des Weltmarktes, der „Formwechsel des Arbeiters“ und „die Expropriation der unmittelbaren Produzenten“ (Marx), kurz gesagt, die Verwandlung der Arbeiter in Proletarier und ihrer Arbeitsmittel in Kapital ist soweit vorangeschritten, daß das „Kapitalmonopol (...) zur Fessel der Produktionsweise“ (Marx) geworden ist. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, Bourgeoisie und Proletariat ist zum Zerreißen gespannt. Wie Naturgewalten prallen die Klassenkräfte mit Wucht aufeinander. Diesem katastrophal verlaufenden Prozeß, dessen Bewegung gesellschaftlichen Naturgesetzen gleich, wenn überhaupt zu etwas Bestimmbaren, zur schmerzhaften Geburt des Kommunismus führen wird, das Bewußtsein von seiner Richtung zu geben, d. h. „die Geburtswehen abkürzen und mildern“ (Marx) zu helfen, ist die jetzige Aufgabe der Kommunisten.

Mit einem Wort: proletarisches Klassenbewußtsein zu befördern, ausgehend von den vier Eckpunkten der vorläufigen programmatischen Plattform, ist die aktuell zentrale Aufgabenstellung, der sich die Teilnehmer des dem proletarisch-prakti­schen Kommunismus verpflichteten Zirkels übergänge widmen wollen.

Obgleich ganz allgemein formuliert, implizieren die Eckpunkte die Möglichkeit, praktisch-politisch in gesellschaftlichen Teilbereichsbewegungen, wie auch in der kommunistisch-anarchistischen Bewegung klassenbewußtseinsfördernd zu intervenieren. Uns ist klar, daß ihr Mangel an Konkretheit ihre gesellschaftliche Relevanz begrenzt.

Doch klar wird mit ihnen auch: Die Aktivitäten, die die übergänge entfalten, sind weder akademisch-seminaristisch noch politizistisch-aktioni­stisch. Sie dienen langfristig der Beförderung des Parteibildungsprozesses des Proletariats und der Entwicklung seines revolutionären Programms. Im wesentlichen auf drei Ebenen versuchen die übergänge dieser not wendigen Arbeit nachzukommen.

  1. Vereinzelt beteiligen sich zur Zeit Genossen und Genossinnen der übergänge mehr schlecht als recht am Aufbau und Betreiben freier Radios. Sie versuchen als einzelne temporär oder längerfristig zu intervenieren in Kreisen der Überreste der feministischen Bewegung, der linken Gewerkschafts- und der Arbeitslosenbewegung. Auch in der Antifabewegung beteiligt sich ein Genosse. Seit dem Krieg der Nato gegen Jugoslawien engagieren sich mehrere Genossen und Genossinnen in der Anti-Kriegsbewegung. Zudem versuchen die übergänge sich an strömmungsübergreifenden Zusammenhängen zu beteiligen (OKF), oder selber welche zu initiieren (programmatische Debatte / Kommunistische Streitpunkte).

    Alle diese Aktivitäten stehen zur Disposition, sind mit unseren spärlichen Kräften nicht angemessen zu bewältigen. Es müssen in naher Zukunft gezieltere Aufgabenkonzentrationen stattfinden und vor allem neue Aktivisten und Aktivistinnen zu den übergängen hinzukommen.

  2. Im Rahmen ihrer Kräfte unterstützen und initieren die übergänge Qualifikations- und Selbstqualifikationsprozesse von Genossen und Genossinnen.

    • Dazu gehört die gemeinsame Reflexion auf die Aktivitäten von Einzelnen. Würden Wesen und Erscheinung der Dinge unmittelbar zusammenfallen, bedürfte es keiner Wissenschaft. Diese Erkenntnis auch und gerade im Handgemenge des politischen Alltags nicht zu vergessen, um nicht vom sogenannten „gesunden Menschenverstand“ um alle Vernunft gebracht zu werden, soll uns als Richtschnur dienen. Denn, so sagte einmal ein bekannter deutscher Philosoph, bekanntes ist noch lange nicht erkanntes.

    • Um uns dieses intellektuelle Handwerkszeug anzueignen, welches uns sukzessive in den Stand versetzen soll, die gesellschaftlichen Phänomene inhaltlich angemessen auf den Begriff zu bringen, veranstalten die übergänge sporadisch gemeinsame Treffen, auf denen zu unterschiedlichsten Fragen und Problemen des historischen und dialektischen Materialismus gearbeitet wird. Erste Überlegungen dazu sind:

      • Ein Treffen, auf dem das Problem der Wert-Preis-Transformation in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie diskutiert werden soll.

      • Ein Treffen, auf dem gemeinsam in Hegels „Phäno­menologie des Geistes“ der Abschnitt der Herr-Knecht-Dialektik gelesen und reflektiert werden soll, um eventuell im Lichte dieser Betrachtung das Verhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat und die Aufhebung beider Klassen mittels der proletarischen Revolution zu beleuchten.

      • Eine gemeinsame Fahrt zum Bauernkriegs-Panorama von Werner Tübke bei Bad Frankenhausen um sich der Geschichte der Klassenkämpfe und der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland einmal durch ein anderes Medium zu nähern.

    • Darüber hinaus ist es unser erklärtes Ziel, auch die Kapazitäten für systematische Theorieaneignungsprozesse möglichst gemeinsam mit anderen aufzubauen und diese mit in Gang zu setzen. Als Beispiele seien hier genannt:

      • Eine Einführung in alle drei Bände des Marxschen Kapitals.

      • Langfristig angelegte gemeinsame Kapitalschulungen.

      • Die redaktionelle kritische Bearbeitung der Thesen zu 150 Jahre KP (als Übungsfeld, kooperative theoretische Praxis zu erproben und einen angemessenen Beitrag zur Organisierung der programmatischen Debatte beizusteuern).

      • Sukzessive Aneignung des historischen Wissens derjenigen auf deren Schultern wir heute stehen.

      Um letzteres bewerkstelligen zu können, müssen Pläne für wechselseitige Lern- und Lehrprozesse gesichtet, eventuell mitentwickelt und dementsprechendes Lesematerial gemeinsam durchforstet werden, um es vielfältiger individueller Aneignung zu erschließen. Dies alles geht weit über die zirkelorganisierte Arbeit hinaus. Es läuft gleichsam auf eine „kommuni­stische Universität“ hinaus, die natürlich das Lernen im Kampf zu organisieren hat, aber eben auch selber forschen und neues Wissen schaffen, also Wissenschaft betreiben muß.

Nach dem Erscheinen von vier Ausgaben der Übergänge über einen Zeitraum von vier Jahren, der Broschüre „Zurück in die Zukunft“, mehrerer Flugschriften und Thesenpapiere in Miniauflagen, dies alles noch nicht als organisierter Zirkel, liegt die Publikationstätigkeit der übergänge zur Zeit mehr als im argen. Nicht nur daß mehrere hundert Seiten verschriftlichter theoretischer Debatte teilweise oder gar nicht erschlossen und unveröffentlicht herumliegen, es fehlt auch, bei gegebenem Material zu einigen Themen, an einer Konzeption. Diese muß schnellstens erarbeitet und umgesetzt werden. Für die Zukunft wird dazu bis auf weiteres wie folgt verfahren: Ab zehn Seiten schriftlicher Äußerungen von übergänge-Teilnehmern oder von diesen für interessant befundener Texte wird jeweils eine übergänge-Nummer herausgegeben. Es wird ein Vertriebsnetz auf- und ausgebaut. Die Nummer kostet nicht mehr als 5 DM.

Alle Teilnehmer der übergänge arbeiten aktiv an der Verwirklichung der Ziele des Zirkels. Darüber hinaus zahlen sie regelmäßig einen angemessenen Beitrag (nach Möglichkeit mindestens 1% ihres Nettoeinkommens) in eine gemeinsame Kasse.

Sollten seine Vorhaben in einem übergeordneten, international orientierten Zusammenhang Berücksichtigung finden, löst sich der Zirkel in diesem auf.

BR Deutschland, den 14.07.1999




nach oben