Unruhe an den Universitäten
Eine Umfrage an den deutschen Hochschulen
Von Hilke Schlaeger und Heinz Josef Herbort
Aus: Die Zeit (Feuilleton) v. 10.11.1967, S. 17f
Der deutsche Student spielt viele Rollen und hat viele Gesichter: vom schmisseersehnenden Korporierten zum karrierebedachten Examenskandidaten, vom parkplatzsuchenden Autohalter zum transportersuchenden Autobahnanhalter, von ihrer Gesellschaft liebstem Kind zum auf Umsturz dieser Gesellschaft sinnenden Revolutionär, der in letzter Zeit friedliche Bürger das Gruseln gelehrt hat.
Die Revolution der Studenten
Wo immer heute über "die Studenten" gesprochen wird, meint man im wesentlichen die Studenten der Freien Universität Berlin; nein: jenen kleinen Teil der FU-Studenten, die dem aus der Partei ausgeschlossenen Sozialistischen Deutschen Studentenbund angehören - eine Minorität, deren Agitation von bereitwilligen Medien bis nach San Franzisko (und, ich vermute, auch bis nach Peking) getragen wird.
Kritische Universität, außerparlamentarische Opposition, paritätische Beteiligung der Studenten an den entscheidenden Universitätsgremien - das wurde, wo nicht in Berlin erfunden, so doch von Berlin aus am wirkungsvollsten propagiert. Berlin ist wieder einmal Hauptstadt: die Hauptstadt der radikalen deutschen Studenten.
Darüber könnte man beinahe vergessen, daß die FU Berlin nur eine jener 34 deutschen Hochschulen ist, die Universitätsrang dadurch haben, daß sie an die Westdeutsche Rektorenkonferenz angeschlossen sind.
Es schien uns an der Zeit, einmal danach zu fragen, wie es denn an den anderen 33 Universitäten aussieht: was man dort von der "Ka-U" (für "Kritische Universität") hält und von außerparlamentarischer Opposition, welclle Art von Mitbestimmung die Studenten fordern für die Angelegenheit ihrer Universität und was die Senate ihnen zu bewilligen bereit sind.
Wir haben uns von dem Schock, der uns da traf, noch immer nicht ganz erholt. Daß jede deutsche Universität skurrilen Wert darauf legt, nicht nur ihr unverwechselbares Gesicht zu haben (das wäre eher wünschenswert) und nicht nur die gleichen Institutsausrüstungen wie alle anderen (das kümmert den Wissenschaftsrat sehr), sondern ganz was Eigenes und in sich selbst Ruhendes zu sein - es war bekannt.
Daß aber in Frankfurt der politische Auftrag der Studenten als selbstverständlich akzeptiert, in Würzburg hingegen der gleiche Auftrag selbstverständlich in Abrede gestellt wird; daß man in Göttingen um paritätische Besetzung der Senate ringt, während in Hamburg sich kein einziger Studentenvertreter in diesem erlauchten Gremiun sitzt; kurz, daß man in Freibingen keine Ahnung hat, was in Hamburg geschieht (es sei denn auf dem Weg über persönliche Bekanntschaften oder die SDS-Brücke) - das war das eigentlich sensationelle Ergebnis unserer Umfrage.
Nicht ganz unvorhersehbar war das zweite Ergebnis: Es wird einen heißen Winter geben an etwa zehn Universitäten; zehn andere werden in Winterschlaf verfallen (emsig arbeitend, versteht sich); und da bleibt ein stattlicher Rest, von dem wir hoffen, daß er seine Chance nützt, aus den Erfahrungen der anderen zu lernen.
Reaktion und Revolution sind die Gegner dessen, was not tut: Reform. Liebstes Argument der Reaktion ist die Behauptung, es müsse erst die Gesellschaft reformiert werden, ehe die Universitäten reformiert werden könnten. Sie fordert damit jedoch eine politisch engagierte ("Elite", hätte ich beinahe gesagt) Gruppe von Studenten geradezu heraus zu dem Versuch, Revolution zu spielen an den Universitäten mit dem Ziel, die Gesellschaftsordnung zu ändern.
Zu lange ist über notwendige Reformen nur geredet worden.
Rudolf Walter Leonhardt
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Universität TübingenRuhe herrscht
an der TH Braunschweig, der TH Clausthal-Zellerfeld, der Universität Düsseldorf, der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim, der TH Karlsruhe, der TH München, der Universität Saarbrücken und der Universität Würzburg.