online archiv 1998
Rubrik Zensur und Providerwillkür gegen trend |
Wie der "trend" mit dem BerliNet e.V. politisch
zusammenarbeitete:
Gegen das Umlügen der
Vergangenheit Ein Bericht von einer gemeinsamen Veranstaltung im
Januar 1997
Dieser Bericht wurde damals für das
regelmäßige Monatstreffen des BerliNet e.V. mit den Onlinemagazinen
erstellt. Wir haben durch rot/fett im Text hervorgehoben, wie das trend-Projekt
sich selbst und inbezug auf den BerliNet e.V. (als Internetprovider)
politisch-publizistisch definierte. Oder anders. Was die politische Geschäftsgrundlage
zwischen dem BerliNet e.V. und dem trend war.
Alles nur bunte Reklametafeln an der Datenautobahn?
Veranstaltungsbericht
An die 60 Leute kamen am Nachmittag des 18. Januar 1997 ins Kreuzberger
Jugendzentrum Chip zu einer Veranstaltung "Alles nur bunte Reklametafeln an
der Datenautobahn?". Die Onlinezeitung "trend", die seit einem
Jahr im WWW publiziert, und ihren ersten Geburtstag öffentlich feiern
wollte, hatte zusammen mit dem BerliNet e.V. dazu eingeladen, um über
Internet-Nutzung und Publizieren im World Wide Web zu informieren und zu
diskutieren.
BerliNet e.V. ist ein Berliner Verein, der es sich seit gut einem Jahr zur
Aufgabe gemacht hat, Privatpersonen und kleineren journalistischen Projekten aus
dem linken&radikalen Spektrum den Zugang ins Internet zu ermöglichen.
Als Mitveranstalter nahmen die Antirassistische Initiative, die Berliner
Berichte und die Rote-Hilfe-Berlin teil - Onlineprojekte, die neben einem guten
Dutzend weiterer (siehe Kasten) seit einigen Monat mithilfe von BerliNet im
Internet vertreten sind. Zusätzlich gab es noch Infotische, an denen die
Veranstalter und andere (Infoladen Omega & ESPERO) Gedrucktes zur
Selbstdarstellung bereit hielten.
Im ersten Teil der Veranstaltung stellte Bernd Rockmann den BerliNet e.V.
vor und stand Rede und Anwort zu mehr technischen Fragen der Internetnutzung.
Visualisiert wurde das Ganze durch einen Beamer mithilfe dessen jeweiligen
Bildschirminhalte auf eine große zentrale Leinwand projiziert wurden. Aus
dem Publikum wurden dann weitergehende Fragen aufgeworfen. Zum Beispiel wie sich
das Publizieren im WWW-Internet von der herkömmlichen Zeitungsproduktion
unterscheidet und in wieweit neue Kommunikationstrukturen (z.B. Email und
Newsgruppen) die Arbeitsorganisation von Redaktionen verändern. Ein
Redakteur der Berliner Berichte schilderte, daß seine Zeitung schon immer
den Nachrichtenaustausch per Email organisiert, insofern die Onlinepräsenz
hier keine Neuerungen gebracht hätte. Anders sähe dies hier bei der
Gestaltung aus. Hier seien sie noch mitten im Lernprozeß. Ein Vertreter
der Antirassistischen Initiative führte dazu aus, daß die
Gestaltungsfrage in Griff zu bekommen für ihn ein halbes Jahr intensive
Beschäftigung mit dem neuen Medium bedeutet hätte. Ein trend-Redakteur
erzählte, daß sie sehr wohl von diesen Schwierigkeiten eine Ahnung
gehabt hätten, aber, daß sie unbeschadet dessen, sofort losgelegt hätten,
weil mit diesem Medium jederzeit Korrekturen am Veröffentlichten möglich
sind. Er charakterisierte "trend" daher auch als "ein sich selbst
fortschreibendes Projekt". Obgleich er damit empfahl, etwaige Ängste
hinter sich zu lassen und einfach loszulegen, wies er anderseits darauf hin, daß
die Gefahr bestünde, daß sich in einer Redaktion ein Spezalistentum
herausbilden könnte und dann bewährte kollektive Arbeitsformen auf der
Strecke blieben.
Im zweiten Teil ging es um die politische Dimension des Publizierens im
WWW-Internet. Zunächst referierten hier die Berliner Berichte.
Im Anschluß daran stellte die trend-Redaktion
ihre Zwischenbilanz über ein Jahr Online-Publizistik vor. Besonders hob sie
hervor, daß es ihr gelungen sei, sich im WWW als Veröffentlichungsplattform
für Projekte zu etablieren, die ihrerseits nicht im WWW vertreten sind. So
gibt es nun beim "trend" regelmäßig Beilagen, die in
inhaltlich eigener Verantwortung von den Gruppen gestaltet werden. Als seine
redaktionellen Schwerpunkt benannte "trend" den Aufbau eines "virtuellen
Textarchivs" (Linkskurve) und Serien, wie die gerade laufende "40
Jahre KPD-Verbot", mithilfe derer ausgegrenztes oder totgeschwiegenes
Wissen wieder zugänglich gemacht würde. In diesem Zusammenhang betonte
die trend-Redaktion noch mal den Unterschied zu den anderen Onlinemagazinen, die
sich eigentlich nur ins WWW hineinverlängerten, während der "trend"
auschließlich virtuell daherkomme, sodaß schon von daher beim "trend"
andere politische und strategische Ansprüche an das Internet eine Rolle
spielten. Der Vertreter der Roten-Hilfe-Berlin kennzeichnete den
Stand ihres Projektes eher als Experiment, das sich erst noch ein eigenes
Selbstverständnis erarbeiten müßte, da es einerseits eine
zentrale RH-Homepage gäbe und zum anderen die praktische Arbeit in
politischen Zusammenhängen nach wie vor die Hauptseite bilde. In seinem
Kurzreferat machte der Vertreter der Antirassistischen Initiative deutlich, daß
ihre Onlinepräsenz dazu diene, Hintergrundwissen und aktuelle Infos für
die politische Alltagspraxis aufzubereiten und bereitzustellen. Inwieweit dies
zu einer Verbesserung der politischen Praxis führe, könne er derzeit
nicht beurteilen. Er sei hier auch eher skeptisch.
In der anschließenden Diskussion war eine der zentralen Fragen, warum
nicht die Newsgruppen als ausreichend für eine virtuelle Publizistik
angesehen würden. Ein trend-Redakteur gab zu bedenken, daß die
Newsgruppen nur eine "zerstückelte" Informationsvermittlung ermöglichten
und daß damit bestimmte inhaltliche Ansprüche, die die
trend-Redaktion habe, nicht umsetzbar seien. Desweiteren sollte man den
kommerziellen Anbietern das WWW nicht einfach überlassen, sondern darin für
die linken&radikalen Kräfte eigene Kommunikationsstrukturen
auszuprobieren, die aber nur etwas brächten, wenn es jenseits des Internets
zu politisch-praktischen Zusammenschlüssen käme.
Dies leitete zu der Frage über, wem denn eigentlich die "Netze"
gehören und daß Staat und Kapital demnächst verschärft
regulierend ins WWW-Internet eingreifen würden, was man ja an aktuellen
Zensur- und Kriminalisierungsversuchen (Radikal, Angela Marquardt, AIZ) bereits
ablesen könne. Dies verband sich mit der Befürchtung, daß
WWW-Internet-SurferInnen generell nicht anonym bleiben könnten, sondern
stattdessen Bewegungsprofile erstellbar sind, die zur Informationsbasis von
Repressionen werden könnten. Angesichts der vorgerückten Zeit, die
Veranstaltung hatte um 15.00 Uhr begonnen und es ging auf 20.00 Uhr, wurde
beschlossen, zu dieser Thematik in nächster Zeit zwei weitere
Veranstaltungen durchzuführen.
KaMü (trend-redaktion)
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