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1998

Rubrik
Zensur und Providerwillkür gegen trend

Erklärung fürs CL-Netz

An: trend@berlin.snafu.de
Von: Daneben@omega.berlinet.de (Infoladen Daneben)
Organisation: Infoladen Daneben
Betreff: Text gegen Zensur geloescht (wars: Re: offener brief an trend)
Absendedatum: Sat, 21 Feb 1998 01:50:00 +0100

Hallo trend-Red.

Das folgende haben wir ins /CL gestellt:

Ciao, Die Unglücklichen



Nachricht vom 21.02.98 weitergeleitet
Ursprung : /CL/ANTIFA/DISKUSSION
Erstellt von: Daneben@OMEGA.berlinet.de
Message-Id: 6oJyVpsn9rB@daneben.omega.berlinet.de

-------------------------schnipp----------------

*Wir sind ungluecklich: Zu trend <--> BerliNet:*

Dies ist eine Erklaerung der Arbeitsgruppe "Die Ungluecklichen" im Infoladen
Daneben:


Wir, "Die Ungluecklichen", haben etwa 1 1/4 Jahre an einem Papier
geschrieben, in dem wir einen Zensurversuch in der
ex-autonomen/linksradikalen Szene kritisieren.[1] Dieses Papier, "Die
Legende von Paul und Paula...", im Autonomen-Fachblatt "Interim"
unterzubringen war einigermassen schwierig.[2] Leicht dagegen war es, das
Papier als Downloadarchiv im trend unterzubringen, der gleich noch einen
Link auf den von uns kritisierten Text [3] daneben stellte. Das hat uns sehr
gefallen.

Ironie der Geschichte: Unser Papier gegen Zensur fiel genauso der Loeschwut
des Herren Baumann zum Opfer, wie die von uns kritisierte Zensurerklaerung,
wie die vom trend in Anti-Zensur-Absicht ins Web gestellten
Interim-Soli-Seiten [4] und wie der dort ebenfalls in Anti-Zensur-Absicht
vom trend in die Interim-Soli-Seiten gestellte Debattenbeitrag von
Mili-Tante Spinne zur "Vergewaltigung-in-der-Tierrechtsszene", den wiederum
die Interim zunaechst einfach verschwinden liess.[5]

Diese Vielzahl inhaltlicher Bezuege zum Thema Zensur duerfte dem Herrn
Baumann freilich entgangen bzw. egal gewesen sein, als er auf den Knopf
drueckte. In diesem Aspekt des Egal-seins trifft sich die Providerwillkuer
des Herrn Baumann mit anderen Zensurmassnahmen, wie z.B. der von uns in "Die
Legende von Paul und Paula..." kritisierten.[6]

Selbstverstaendlich sind wir gegen die Loeschung unserer und aller anderer
Texte im bzw. unter dem trend; leider sind wir diesbezueglich gleichzeitig
ziemlich machtlos.

Diese Machtlosigkeit geht zu einem Teil auf die frustrierende
Gleichgueltigkeit z.B. der NetzaktivistInnen im /CL zurueck, die
hauptsaechlich damit beschaeftigt sind, sich mit der Form, statt mit dem
Inhalt des Konflikts zu beschaeftigen.[7] Besonders negativ faellt uns in
diesem Zusammenhang der offene Brief des Nadir Projekts auf. In diesem Brief
kritisiert das Nadir Projekt weder die Loeschung des trend-Webspace noch die
Sperrung der email-Accounts der Trend-RedakteurInnen noch den Missbrauch des
trend-URL durch den Herrn Baumann. Das absolute Minimum waere doch wohl,
dass man zunaechst mal darauf besteht, dass dies nicht einmal den
buergerlichen Verkehrsformen entspricht, geschweige denn eine legitime Form
innerlinker Konfliktloesung sein kann. Besonders unverstaendlich ist uns,
dass das Nadir Projekt die Loeschung auf die Frage "Backup oder nicht?"
reduziert, statt zu sehen, dass mit dem geloeschten URL eine ganze
politische Vernetzung auseinanderfliegt. Das ist auch durch ein Spiegeln
nicht wieder gut zu machen.

Wir haben uns am 14. Februar einer Solidaritaetserklaerung angeschlossen und
bekraeftigen hier noch mal deren wesentliche Teile:

1) Herr Baumann muss umgehend die Dateien des trend an diesen uebergeben

2) Die emailzugaenge aller trend-RedakteurInnen sind sofort wieder
zugaenglich zu machen (inzwischen wohl zumindest teilweise geschehen)

3) Der Missbrauch des trend-URL muss sofort aufhoeren, statt dessen sollten
fuer eine Uebergangszeit von einigen Monaten Zugriffe auf diesen automatisch
auf die neue Location des trend weitergeleitet werden.

4) Der BerliNet e.V. soll eine Position zu den Vorfaellen bilden und
veroeffentlichen.

19. Feb. 1998
Die Ungluecklichen
c/o Infoladen Daneben
Liebigstrasse 34
10247 Berlin


[1] Etwa im April 1996 erschien die Ausgabe Nr. 8 der Berliner Zeitschrift
"Arranca!" mit dem Schwerpunktthema "SEXualmoralischer
Verdraengungszusammenhang". Im Mai begruendete eine Frauengruppe aus dem
Hamburger Infoladen Schwarzmarkt [3], warum sie diese Asugabe der Arranca!
nicht verkauften. In unserem Papier "Die Legende von Paul und Paula..."
kritisieren wir am Beispiel dieser Zensurbegruendung die Politikunfaehigkeit
der ex-autonomen Szene und bringen sie in einen Zusammenhang mit der in
dieser Szene weitverbreiteten Identitaetspolitik (im Falle der
Hamburgerinnen: Identitaetsfeminismus).

[2] Die Interim ist das einzig regelmaessig bundesweit erscheinende Organ
der "Autonomen". Im Vorfeld der Veroeffentlichung unseres Papiers muss es
schwere Konflikte in den Interim-Redaktionen gegeben haben, aber auch von
aussen wurde der Interim nahegelegt, unser Papier nicht zu veroeffentlichen.
Letztlich erschien "Die Legende von Paul und Paula..." dann als etwas, was
aussieht, wie eine Interim Nr. 436, wofuer aber keine der
Interim-Redaktionen die Verantwortung uebernimmt...

[3] FrauenLesben Tag im Infoladen Schwarzmarkt und die Frauen aus der
gemischten Ladengruppe des Schwarzmarkt: "Transparenz in der Zensur, oder:
Warum wir die Arranca Nr. 8 nicht verkaufen" Hamburg, April 1996; in:
"Zeck"; Nummer 49; Seiten 6 - 9; Hamburg Mai 1996; und in: interim Nummer
374; Seiten 12-15; Berlin 1996

[4] Am 12. Juni 1996 fand die bislang groesste Wohnungsdurchsuchungsaktion
der Berliner Nachkriegsgeschichte statt. Gesucht wurden vermeintliche
RedakteurInnen, Redaktionsraeume und Druckereien der Interim in 13 Wohnungen
und Wohnprojekten. Der trend veroeffentlichte sofort eine Soli-Erklaerung
und die PM der Interim. Die naechsten Ausgaben der Interim wurden vom trend
ins Web gestellt, um gegen diese staatliche Zensur vorzugehen. Vorgestern
wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft alle Verfahren in diesem
Zusammenhang eingestellt hat.

[5] In ein paar Berliner Infolaeden stehen sogenannte Interim-Ordner. Darin
sollten sich Kopien aller Texte finden, die der Interim zugingen, von dieser
aber nicht gedruckt wurden. Der Text von Mili-Tante Spinne wurde von der
Interim erst nach einer Aufforderung durch den trend und dessen
Veroeffentlichung des Textes in den Interim-Soli-Seiten dort endgelagert.

[6] Die Hamburger FrauenLesben bezogen nach ihrer Zensur an der Arranca! zur
Diskussion, die sie dadurch ausloesten zumindest in
gemischt-geschlechtlichen Zusammenhaenge keine Stellung.

[7] Ganz offensichtlich hat der Konflikt trend/Baumann eine 'persoenliche'
Seite. Auch wir finden die Art, wie der trend zunaechst den Vorwurf einer
Zusammenarbeit von Junge Presse Berlin mit dem Bundesgrenzschutz in dieser
Auseinandersetzung in den Raum stellte (wo er selbst dann nichts unmittelbar
mit dem Konflikt zu tun gehabt haette, wenn er zutreffend waere) fuer ebenso
kontraproduktiv, wie die Tatsache, dass sich der trend bislang nicht zu
diesem Irrtum verhaelt. Diese Kritik am trend entlastet den Herren Baumann
allerdings um kein Jota.