Ladenkollektiv Politik und Rausch September 1999

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Wohin mit den Vergewaltigern?

Zum Umgang der Szene mit Vergewaltigungen
Am Beispiel des Angriffs auf die Scharnweberstr. 38 (Schnarup- Thumby)

 

Wir verstehen diesen Text als Teil einer laufenden Diskussion zwischen der Kneipengruppe des „Schnarup-Thumby“ (im Folgenden „Schnarups“ abgekürzt) und dem Kollektiv des lnfoladens „Politik + Rausch“. Sie stellt für uns den Versuch dar, eine Diskussionskultur — jenseits von Schlammschlachten, Schuld-zuweisungen und vorgefertigten Antworten — am Thema Patriarchat/Sexismus zu entwickeln. Anders als sonst üblich brachten Leute aus der Schnarup-Gruppe das in dieser interim dokumentierte Flugblatt vor einigen Wochen persönlich vorbei, um mit uns darüber zu diskutieren. Wir finden es sehr mutig und positiv, dass sie es zur Diskussion stellen, und das auch emst meinen. Um so mehr, da sie so ziemlich jeden Laden und jedes Haus im Friedrichshainer Kiez persönlich abgeklappert haben. Dabei lassen wir trotzdem kaum ein gutes Haar am Text der Schnarups. Denn er enthält größtenteils nur die — in solchen Fällen szeneüblichen — Erklärungen und Allgemeinplätze.

Wir beziehen uns fast ausschließlich auf das Flugblatt der Schnarups, und bewußt nicht auf die Erklärungen der angreifenden Frauen/Lesben-Gruppe »Schlagt--die-Sexisten-wo-ihr-sie-trefft-GmbH“ [= Gesellschaft mit beschränkter Haftung(!)] (Interim 482/484 im folgenden einfach »GmbH“ genannt), da wir diese nicht als Diskussionsangebot verstanden haben.

Eine zentrale Absicht des Schnarup-Flugblatts ist es, eine Diskussion über Vergewaltigung, sexistische Gewalt, Patriarchat usw. in Gang zu bringen. Es erreicht in dieser Form aber genau das Gegenteil. Es verhindert Diskussionen und schließt Diskussionsräume. Und zwar deshalb, weil die Ergebnisse dieser Diskussion im Text schon vorweggenommen werden:
Der Täter soll aus den Strukturen ausgeschlossen werden — die Schnarups unterstützen diese Forderung. Die Szene findet, die AAB setze sich nicht vernünftig mit Vergewaltigung und Täterschutz ausein-ander — die Schnarups finden das auch. Die GmbH bezeichnet die Schnarups als Täterschützerlnnen —die Schnarups stimmen dem zu. Die GmbH greift das Haus an, in dem sich die Kneipe befindet — die Schnarups finden das verständlich (nur die Form fin-den sie ein bißchen überzogen). Es wird der Anschein erweckt, als seien sich die GmbH und die Schnarups, von Details einmal abgesehen, relativ einig. Die hier dargelegte Handlungskette erscheint zwangsläufig, fast mechanisch, andere mögliche Meinungen und Handlungsansätze scheinen nicht zu existieren. Obwohl die Schnarups die Angegriffenen sind, schaffen sie es dadurch, der Aktion der GmbH eine viel größe-re Legitimation zu geben, als diese es selbst je könnte. Was und wozu soll dann eigentlich noch diskutiert werden?
Aus der Diskussion mit ihnen wissen wir allerdings, daß die Geschichte für die Schnarups nicht ganz so gradlinig und einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Den vereinfachenden Umgang mit dem Thema Vergewaltigung, der im Flugblatt der Schnarups zum Ausdruck kommt, finden wir aus folgenden Gründen falsch: Zunächst einmal ist der Begriff „Täterschützerlnnen“ hier fehl am Platze. Unter „Täterschützerlnnen“ verstehen wir Leute, die in direktem Zusammenhang zum Täter stehen, und ihn zum Beispiel durch das Unterdrücken von lnformationen, Rufmordkampagnen gegen die betroffene Frau, oder gar tatenloses Zusehen während der Vergewaltigung wissentlich decken und unterstützen. So gesehen, können zwar die AAB-Gruppe, in der X aktiv war, sowie seine Freunde und diejenigen, die ihn kennen in den Verdacht des Täterschutzes geraten. Nicht je-doch pauschal alle Mitglieder einer Organisation wie der AAB, schon gar nicht die Leute eines Kneipenkollektivs, die nicht mal wissen wie X aussieht, und erst recht nicht Hausbewohnerlnnen, die eventuell nicht mal die Kneipe besuchen. Denn, nicht zu vergessen: Die Bezeichnung Täterschützerln impliziert in der Regel eine ganze Reihe von Sanktionen innerhalb der Szene bis hin zum Ausschluss.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Wenn die Leute aus dem Kollektiv denken, einen Fehler ge-macht zu haben, finden wir es verständlich, wenn sie sich an diesem Punkt selbst kritisieren. Doch hier geschieht wesentlich mehr. Die Schnarups stimmen der Auslegung des Täterschützerlnnen-Begriffs der GmbH widerspruchslos zu. Damit legitimieren sie eine Ausweitung des Täterschutz-Begriffes, die wir für ge-fährlich halten. Denn dieses Ausweiten bedeutet auch ein Aufweichen, sozusagen die Schwächung eines Kampfbegriffs. Wenn alle Täterschützerlnnen sind, die sich nicht im Voraus die aktuellen Fahndungsfotos angeschaut und ihr Handeln bis ins Kleinste klar haben, dann brauchen sich Täterschützerlnnen in Zukunft weniger Sorgen zu machen. Sie werden in der Szenemasse immer unkenntlicher.

Noch einmal zur Vergegenwärtigung: Die Schnarups rechneten nicht damit, daß X am AAB-Abend Zutritt zur Kneipe bekommen würde, und wussten auch nicht, wie er aussieht. Etwa drei Wochen vor der Aktion hingen mehrere Spuckis, wie sie überall im Kiez kleben, im Hausflur (nicht etwa in der Kneipe). Es gab keinerlei Warnung an das Tresenpersonal, weder schriftlich noch verbal. Einen Tag vor der Aktion wurden im Hausflur Plakate geklebt, und vor dem Haus gesprüht. Erst jetzt brachten die Schnarups dies mit ihrer Kneipe in Verbindung. Sie hatten also ganze 24 Stunden Zeit zu reagieren. Dann schoss die GmbH mit einer Gaspistole in den Hausflur (ganz unabhängig davon, dass X an diesem Abend gar nicht anwesend war). Mensch kann den Schnarups vorwerfen, dass sie es versäumten, im Vorfeld mit der AAB über die Vergewaltigung zu diskutieren. Dies aber als Täterschulz zu bezeichnen, halten wir für maßlos übertrieben. Und außerdem für fahrlässig. Kampfbegriffe so gedankenlos zu verwenden, bedeutet die Waffen antipatriarchaler Politik stumpf zu machen.

Daneben kritisieren wir aber auch die Art der Ausein-andersetzung mit dem Vergewaltiger und dem Thema Vergewaltigung, wie sie sich durch das ganze Schnarup-Flugblatt hindurchzieht Einerseits werden alle zur Auseinandersetzung aufgerufen, andererseits findet offensichtlich keine Auseinandersetzung mit der AAB statt, was doch am nächsten liegen würde. Die AAB fliegt aus dem Schnarup raus, bzw. geht - Ende der Diskussion. Hingegen wird ein Gespräch mit der GmbH gesucht obwohl diese wohl kaum deutlicher zum Ausdruck bringen könnte, dass mit ihr nicht zu reden ist. Und zwar, weil für sie alle gleich sind: Faschokneipen, das Schnarup-Thumby, das Haus Scharnweber Str 38, die AAB, Vergewaltiger. Das sind klare Fronten, einfache Feindbilder. Wer schießt diskutiert nicht mehr.

Wir kritisieren, dass die Schnarups dem relativ vorbe-haltlos zustimmen. Sie befürworten beispielsweise gezielte Aktionen gegen das Haus. Uns ist aber überhaupt nicht begreifbar, warum alle Bewohnerlnnen der Schamweber Str. 38 dafür haftbar gemacht werden sollen, was in der Kneipe im Erdgeschoss passiert. Die diesem Denken zugrundeliegende Gleichmacherei ist völlig undifferenziert und erschwert Diskussionen. Generell wird im Diskussionsfeld Patriarchat/Sexismus und gerade bei Vergewaltigungsfällen innerhalb der Szene viel mit Feindbildem gearbeitet weil sich niemand die Finger verbrennen will, und alle alles versuchen um zu den „Guten“ zu gehören. Zuletzt war in Berlin das Thommy-Weißbecker-Haus das Feindbild, momentan ist es die AAB. Das Schnarup- Flugblatt bestätigt dieses Feindbild-Denken, weil es die Gleichmacherei der GmbH akzeptiert. In dem Flugblatt wird immer wieder betont das Definitionsrecht der Frau stehe für die Schnarups nicht zur Debatte. Das ist schön, nur fragen wir uns, warum dasin diesem Zusammenhang eine derartige Bedeutung hat. Niemand, nicht mal die GmbH hat das den Schnarups je vorgeworfen. Letztendlich hat es nicht einmal die AAB in Frage gestellt. Dabei gehen wir aber davon aus, dass mit dem »Definitionsrecht der Frau“ das Definitionsrecht der betroffenen Frau ge-meint ist, welche das Recht hat den Tatbestand der Vergewaltigung und das Entfemen des Täters aus ihrer persönlichen Umgebung widerspruchslos zu definieren. Diese Auslegung des Definitionsrechtes der Frau macht im Kontext des zugrunde liegenden Falls aber keinen Sinn. Und so genau legen sich die Schnarups eben auch nicht fest.

Der Fehler der Schnarups aus Sicht der GmbH war, nicht ausreichend schnell und konsequent auf die Anwesenheit eines Vergewaltigers in ihrer Kneipe reagiert zu haben, die notwendigen Diskussionen nicht schon im Vorfeld geführt zu haben, und daher keinen klaren Handlungsrahmen aus der Tasche ziehen zu können. Kürzer gesagt sie reagierten nicht so, wie es die GmbH von ihnen erwartet hätten, das Kollektiv war nicht auf so einen Fall vorbereitet In die-sem Kontext liest sich das mit dem Deflnitionsrecht für uns dann schon anders. Nämlich so, dass jede Frau oder Frauen/Lesben-Gruppe definieren darf, wie und wie schnell das Kneipenkollektiv auf einen Fall wie den vorliegenden reagieren muss.

Diese Ausweitung des Definitionsrechtes ist aus ver-schiedenen Gründen zu kritisieren. Zum einen bedeutet es im Zweifelsfall, das Denken an Frauen/Lesben-Zusammenhänge wegzudeligieren, nach dem Motto „die werden schon wissen, was zu tun ist‘. Zum anderen macht es Diskussionen und Auseinan-dersetzungen sinnlos. Wenn von vornherein klar ist wie das Ergebnis, sprich die Handlungen, auszusehen hat braucht mensch nicht mehr zu diskutieren. Dies könnte ein nachvollziehbarer Grund sein, warum die AAB sich mit der autonomen Szene nicht mehr zum Thema auseinandersetzt. Und eben leider nicht nur die AAB, sondem verdammt viele linksradikale Gruppen und Einzelpersonen. Außerdem setzt diese Sichtweise voraus, dass sich in autonomen Zusammenhängen nur Menschen aufhalten dürfen, die ihre Positionen und Handlungsansätze klar haben, sprich, für die ein antipatriarchaler Bewusstseinsbildungsprozess abgeschlossen ist. Für die Schnarups ist er das aber nicht, genausowenig wie für viele Gruppen und Einzelpersonen in der Szene. Mal ganz davon abgesehen, das so ein Prozeß sowieso niemals abgeschlossen sein kann.

Und deshalb verstehen wir auch nicht warum, die Schnarups den Frauen/Lesben in ihrem Flugblatt so vorbehaltlos zustimmen. Gerade den Schnarups müßte doch klar sein, dass mensch nicht mit einem fertigen antipatriarchalen Bewußtsein in diese Szene kommt, sondem dass so ein Prozeß genau in dieser Szene stattfinden muss. Und dass so etwas Zeit braucht, dass es eben auch mal ein paar Wochen dauern kann, bis eine Gruppe ihr Handeln klar hat Die Schnarups gewähren sich diesen Raum für einen Prozeß nicht. Und dadurch, dass sie das auch noch öffentlich vertreten, nehmen sie darüber hinaus anderen Gruppen diesen Raum weg. Deshalb sprechen wir vom Schließen von Diskussionsräumen. Das Flugblatt eröffnet keine Diskussion, es verhindert sie, bevor sie überhaupt beginnen kann. Wir haben nach den Diskussionen mit den Schnarups nicht den Eindruck, dass sie das Definitionsrecht wirklich so ausweiten wollen. Das vorliegende Flugblatt haben wir aber in seinem Gesamttenor so gelesen. Wir denken, dass es einer allgemeinen Szene-Tendenz folgt, den Forderungen von Teilen der Frauen/Lesben-Szene entspricht und daher auch so verstanden wird. Wir finden auch hier, dass mit Kampfbegriffen viel zu gedankenlos umgegangen wird. Das Definitionsrecht der Frau auf antipatriarchale Diskurse und die daraus folgenden Handlungsansätze auszudehnen kann diesen Begriff schwächen.

Doch genug am Flugblatt herumkritisiert. Denn die Schnarups wollen ja eine weitergehende Diskussion, auch wenn sie damit im Friedelhainer Kiez recht alleine dastehen. In der gemeinsamen Diskussion kamen wir darauf, dass zum Thema Vergewaltigung noch ein viel größeres Diskussionspotential existiert. Wir sind in einer Diskussion über verschiedene Fragen, die in der allgemeinen Diskussion bisher nicht vorkommen. Zum Beispiel wird geme - auch im Flugblatt der Schnarups - die Forderung nach Auseinandersetzung mit Vergewaltigung, sexistischer und sexualisierter Gewalt erhoben. „Sexualitätsdebatten“ nennt sich das dann oft im Szenejargon. Sehr richtig stellen die Schnarups die Frage nach patriarchalen Strukturen, die Vergewaltigungen erst möglich machen. Diese äußem sich jedoch nicht nur in bezug auf Sexualität, deshalb ist es verkürzt, wenn sich Diskussionen immer nur um dieses Thema drehen. Patriarchale Strukturen sind z. B. mit kulturellen und kapitalistischen Verhältnissen verwoben, die auch die autonome Szene durchziehen.

Auch fänden wir es interessant, einmal offen darüber zu diskutieren, was denn die Forderung „Vergewaltiger raus aus unseren Zusammenhängen“, neben dem bezweckten Nutzen für die betroffene Frau, ei-gentlich für ein Gedankengut mittransportiert. Denn sie offenbart sich bei näherer Betrachtung als hilfloser Versuch, das Problem zu personalisieren, was der Komplexität des Themas nicht gerecht wird. Sie suggeriert nämlich, dass das Problem an einzelnen Tätem festzumachen sei. Sie suggeriert, dass es jenseits dessen möglich ist einen Raum zu schaffen, in dem es keine Vergewaltigungen mehr geben kann, weil jene Männer, die dazu fähig sind, dort nicht geduldet werden. Nur - jeder Mann kann zum Vergewaltiger werden. Nicht weil Männer einfach böse sind, sondem weil diese Szene - wir alle - Teil einer patriarchalen Gesellschaft sind, vor der wir nicht davonlaufen können. Der Glaube an den durchgeknaltten Einzeltäter, der beseitigt werden muß, erinnert uns an die bürgerliche Justiz. Vergewaltigungen geschehen aber meist im Kontext von Beziehungen, und nicht durch Männer mit klarem »Täter-Profil“, die in oder um eine Kneipe herum Frauen überfallen. Das ist in der Szene auch nicht anders als im Rest der Gesellschaft. Be-trachten wir aber die immer wiederkehrenden stereotypen Reaktionen bei jedem neuen Vergewaltigungsfall, die Fassungslosigkeit, das so etwas „bei uns“ überhaupt passieren kann, so scheint die Erkenntnis, dass Vergewaltigungen Teil gesellschaftlicher Strukturen sind, nicht besonders tief im Bewußtsein der Leute verankert.

Im Einzelfall wird so gehandelt, als ob die ganzen komplexen Diskussionen um patriarchale Strukturen im konkreten Fall keinerlei Bedeutung hätten. Es ist nur folgerichtig, dass Parolen, wie „Dead men can‘t rape“ (Plakate), „Wir kastrieren auch ohne Chipcarte“ und „BIG SISTERS ARE WATCHING YOU“ (Schlagt--die-Sexisten-wo-ihr-sie-trefft-GmbH), „Vergewaltiger lebenslänglich raus aus linken Zusammenhängen“ (Berliner FrauenLesbenbündnis) auftauchen, die doch eher bei der CDU oder noch weiter rechts entliehen scheinen. Solche Parolen erinnem an den herrschenden Diskurs um innere Sicherheit. Als hätte es nie linke Kritik an bürgerlichen Vorstellungen von Abschrekckung, Überwachen und Strafen gegeben. Als würde dieses Säbelrasseln auch nur eine einzige Vergewaltigung verhindem. Der einzige Erfolg dieses repressiven Populismus sind völlig erstarrte Diskussionsrituale, die eine offene Diskussion um Ursachen unmöglich machen.

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