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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 7 - 20.07.2001 - Onlineversion

Klaus Hermann, Klaus Braunwarth

Briefwechsel über Klaus Braunwarth's Imperialismus und Weltordnung

II. Brief von Klaus Braunwarth vom 23.09.00



Ulm, den 23.ff. September 2000

Lieber Klaus Herrmann,

herzlichen Dank für Deinen Brief vom 16.7. Über Dein Lob meines "Imperialismus"-Papiers habe ich mich gefreut. "Konzise Argumentation", das ist nicht das Schlechteste, was man von so einer Arbeit sagen kann.

Sehr entschuldigen muß ich mich dafür, daß meine Antwort so lange hat auf sich warten lassen. Ich habe sogleich nach dem Erhalt Deines Briefes mit dem Entwurf einer Antwort begonnen, mit dem ich aber nicht zufrieden war, und jetzt schreibe ich schon nach der dritten Version. Das hat mir eine alte Erfahrung bestätigt: Ich muß, nachdem ich etwas fertig geschrieben habe an dem ich länger gesessen bin, immer erst einen gewissen Abstand davon haben, bevor ich mich wieder neu auf die Sache einlassen kann. Mir war überdies nicht bekannt, worauf Du mich hingewiesen hast, daß sich Horkheimer in seinem "Autoritären Staat" für seine "Staatskapitalismus"-These ebenfalls, freilich mit zur meinen entgegengesetzten Absicht auf Hegels "Absolutes" bezieht, und ich wollte den Aufsatz erst mal nachlesen.

Ehrlich gesagt sind mir die ganzen "Staatskapitalismus"-Theorien fragwürdig geworden, seitdem mir klar geworden ist, wie falsch es war, dem 'Realsozialismus' eben einen solchen vorzuwerfen, was ich ja bis vor kurzem selbst noch getan habe. Nicht, daß sich unter einem Staatskapitalismus vernünftig nichts denken ließe ist das Problem, sondern das, was aus ihm gemacht worden ist um zu demonstrieren, wie der Kapitalismus infolge der zunehmenden Vergesellschaftung der Arbeit aus seiner 'Etappe' der "liberalen Konkurrenz" in sein "monopolistisches" und "staatsmonopolistisches Stadium" übergehen muß, um schließlich im "Staatskapitalismus", oder jedenfalls mit "staatskapitalistischen" Tendenzen zwangsläufig an die Schwelle seines Umschlags zum Sozialismus zu kommen. Die fortschreitende Vergesellschaftung der Arbeit ist in solchen Vorstellungen ganz unmittelbar aus dem Wandel der Eigentumsformen ablesbar, immer weniger und immer größere Kapitale, bis dann überhaupt nur noch der Staat übrigbleibt, so daß eigentlich jeder Simpel begreifen kann, was die historische Stunde geschlagen hat.

Wie Du selbst schreibst, hat Horkheimer denselben Staatskapitalismus-"Begriff" wie Engels und Lenin auch, nur mit dem Unterschied, daß er erstens weniger die zunehmende Vergesellschaftung der Arbeit als seinen sozialen Grund bemüht und stattdessen eine schon seit der französischen Revolution wirksame bürgerliche Tendenz zum "autoritären Staat" dabei am Werke sieht und daß er zweitens die Gesetzmäßigkeit des historischen Prozesses der Etappenfolge auf den Kapitalismus begrenzt, Revolution und Sozialismus aber zu Akten reiner Freiheit, des Willens und der Spontaneität erklärt, an denen so gar keine Notwendigkeit mehr beteiligt sein soll.

Was es mit dem Staatskapitalismus der Sache nach auf sich haben soll, darüber sagt Horkheimer eigentlich recht wenig. Das "Universell"-Werden der Ausbeutung, das er anführt (S. 25 der Fischer-Tb-Ausgabe "Gesellschaft im Übergang", Ffm. 1981, in der ich den darin enthaltenen Aufsatz "Autoritärer Staat" gelesen habe), verträgt sich nicht mit der Funktion des reellen Gesamtkapitalisten, die dem Staat in einem Staatskapitalismus ja zukommen muß. Denn als solcher müßte der Staat den gesellschaftlichen Gesamtprozeß organisieren, der sich eben nicht über das Universell-Werden der Ausbeutung einfach einstellte. Zu seinem Zustandekommen ist vielmehr die Berücksichtigung stofflicher Notwendigkeiten in einem anderen Ausmaß erheischt, als das jedes Einzelkapital natürlich auch tun muß und es muß gar nicht so selten profitlichen Rentabilitätskalkülen entgegengesetzt gehandelt werden.

Es ist eben kein Zufall, daß der bürgerliche Staat seinem Begriff nach bloß ideeller und nicht reller Gesamtkapitalist ist und daß das, was durchaus als Gesamtkapital, "gesellschaftliches Gesamtkapital" bei Marx, existiert das Resultat der Beziehung der Kapitale aufeinander in der Konkurrenz ist. Das sind Dinge, die müssen entwickelt und geklärt werden, bevor man einfach Begriffsmonstren wie "reeller Gesamtkapitalist" in die Welt setzt und in Umlauf bringt. Wo der Staat historisch tatsächlich seine Trennung von der Gesellschaft rückgängig gemacht und sie direkt seinen Imperativen unterworfen hat, hieß dieser Imperativ gerade nicht Profit, weder im Faschismus noch im "Realsozialismus". Ein Universell-Werden der Ausbeutung stelle ich mir als einen Zustand vollendeter Barbarei vor, über dem jede Gesellschaft zerbräche und dabei kommen mir Tendenzen der heutigen kapitalistischen und eben nicht staatskapitalistischen Entwicklung in den Sinn, bloß in noch wesentlich gesteigerter Potenz.

Horkheimer hat, jedenfalls im "Autoritären Staat", eine begrifflich ziemlich dürftige Vorstellung von der Geschichte des Kapitals: "Die Deduktion der kapitalistischen Phasen von der einfachen Warenproduktion bis zu Monopol und Staatskapitalismus ist freilich kein Gedankenexperiment." (S. 25) In diesem Satz stimmt nichts. Weder hat es ja eine "Phase einfacher Warenproduktion" gegeben, noch das Monopol als Ablösung der Konkurrenz - die Konkurrenz ist überhaupt keine "Phase" des Kapitalismus, sie ist Ausdruck der "innere(n) Natur des Kapitals, seine wesentliche Bestimmung (..), die innre Tendenz als äußerliche Notwendigkeit" (Marx, Grundrisse, S. 317) - , was es gab und gibt sind partielle und temporäre Monopole als Grenz- und Sonderfall der Konkurrenz und mit dem Staatskapitalismus in der Theorie ist es auch nicht weit her.

Du hast natürlich recht, ein für sich genommener Begriff das Absoluten taugt nicht zum "Richteramt" über diese oder überhaupt irgendeine theoretische Streitfrage. Aber so "leer" wie Du glaubst, jedenfalls schreibst, ist der Begriff des Absoluten nicht, nicht bei Hegel. Ich bezweifle, daß man Hegel auch nur irgendeinen "leeren" Begriff wird nachweisen können, was immer man an ihm kritisieren kann, gedacht hat er sich stets was bei dem, was er geschrieben hat. Das Absolute, so Hegel, ist das, was von sich ausgeht, also nicht durch anderes bestimmt ist, und bei sich ankommt und es ist die Einheit von Sein und Wesen ("Wissenschaft der Logik. Dritter Abschnitt: Die Wirklichkeit. Erstes Kapitel: Das Absolute"). Sowohl der Natur seines Verhältnisses nach ("logisch") wie historisch geht das Kapital von sich aus und kommt bei sich an. Logisch: Es beginnt seinen Zyklus als Geld - Geld, das nicht mehr nur bloßes Tausch-, Kauf- und Zahlungsmittel ist, also Geld als Kapital - und beschließt ihn als mehr Geld. Historisch: es geht nicht aus anderem, z.B. der Arbeit hervor, wie die 'wertfundamentalistischen' Flachköpfe glauben, sondern aus der bestimmten Beziehung seiner Bildungselemente aufeinander, die jedes für sich nicht Kapital sind und ginge es nach ihm, bildete sein Zyklus einen Kreislauf der ewigen Wiedergeburt.

Natürlich ist das Kapital kein Absolutes, während der hegelsche "Geist" solches sein muß, aber es tendiert danach, das, was es seiner inneren Bestimmung nach ist, auch aus sich zu setzen und eine Welt nach seinem Bilde zu schaffen. Das macht die Geschichte des Kapitals aus und in ihr wird es, was es ist und nicht, was es eigentlich nicht mehr richtig und schon nicht mehr ganz ist, wie in den Monopoltheorien und auch bei Horkheimer. In diesem Sinne habe ich das Absolute in meinem Papier herbeizitiert, und etwas mehr habe ich mir dabei schon gedacht, als das, was ich bei Horkheimer finde, bei dem der Bezug über eine Anspielung eigentlich nicht hinauskommt. Die Kritik der politischen Ökonomie ist nicht die Stärke der Kritischen Theoretiker, wie sich mir auch hier wieder zeigt, besser verstehen sie sich auf philosophische Fragen und davon gibt Horkheimer in dem Aufsatz einige schöne Kostproben.

Nicht ganz zusammen mit der Frage nach der theoretischen Konsistenz der Monopol- und Staatskapitalismustheorien fällt die nach ihrer Erklärungskraft für die gesellschaftlichen Erscheinungen der Zeit ihrer Entstehung. Du führst das in Deinem Brief ja auch an, um Lenins Imperialismustheorie in Schutz zu nehmen und vermutlich würdest Du das auch für Horkheimers "Autoritären Staat" tun. Sicher ist in diesen Theorien etwas gesehen worden und daß sich bei sonst so verschiedenen Denkern wie Lenin und Horkheimer fast dieselben Begriffe dafür finden, bestätigt das noch. Aber es kann, das ist heute eben sicher, nicht das monopolistische oder staatskapitalistische Letztstadium gewesen sein. Geschichte ist ohne Theorie nicht zu begreifen und wo es mit der letzteren hapert, wird man auch ihrer Logik nicht auf die Spur kommen.

Die Geschichte des Kapitals seit Marx ist, vermute ich, noch nicht geschrieben, unzulängliche Begriffe und mehr oder weniger präzise Deskription, mehr scheint mir nicht vorzuliegen, reichen dafür nicht aus.

Bei Lenin, das sagst Du selbst ("weniger als eine Exegese aus dem Kapitalbegriff"), findet sich keine Vermittlung seiner Imperialismustheorie mit dem allgemeinen Begriff des Kapitals. Ich weiß nicht, ob andere Imperialismustheoretiker das versucht haben, werde mich aber noch kundig machen. Für mich wirft das Fragen nach Lenins Theorieverständnis auf, es nur als eine der Zugespitztheit des Klassenkampfes geschuldete Läßlichkeit zu sehen, befriedigt mich nicht. Es hätte ihn vor manchen Irrtümern bewahren können. Was der nicht festgehaltene Begriff nicht leistet, muß der "Instinkt", oder wie immer man das nennen mag, des Theoretikers tun, der Lenin daran gehindert hat, aus der Imperialismustheorie das dürre Schema des "Stamokap" abzuziehen, wie es seine Nachfolger dann getan haben. Allerdings hatte sich der Kreis damit auch geschlossen: Die Imperialismustheorie war aus dem Geist des Sozialreformismus geboren - für Hobson, den "ersten Theoretiker des modernen Imperialismus" (so Hans-Christoph Schröder in der Einleitung zu Hobsons "Der Imperialismus", Köln 1970), lag sein Ursprung in der Unterkonsumtion der arbeitenden Klassen, die Teile des nationalen Kapitals überschüssig bleiben und sich nach auswärtigen Märkten umsehen läßt und die materielle Besserstellung der unteren Klassen würde den Imperialismus, eine "Sozialpathologie", kurieren - und endete mit der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus auch wieder dort.

Worin der Gegensatz zwischen der Bestimmung des Kapitals als automatischem Subjekt und dem gesellschaftlichen Handeln der Klassen, das es in reiner Form gar nicht gibt, bestehen soll, verstehe ich nicht. In den Klasseninteressen setzt sich in gesellschaftliche Subjektivität um, was das Kapitalverhältnis an allgemeiner Form und konkreten Bedingungen der sozialen Existenz setzt. Diese Determination ist nicht absolut, man kann sie durchbrechen, so wie sie ja auch theoretisch kritisierbar ist, aber sie ist der den kapitalistischen Verhältnissen entsprechende Zusammenhang von gesellschaftlicher Objektivität und Subjektivität, dessen 'normale' und durchschnittliche Geltung. Die Geschicke des Kapitalismus werden nicht einfach "klassengesellschaftlich entschieden", was sich die Klassenakteure so vornehmen geht bloß als Element in das Resultat eines gesellschaftlichen Gesamtprozesses ein, den niemand beherrscht. Dein Pochen auf das vermeintlich entscheidende Wort, das die Klassen in ihren Aktionen sprechen, steht übrigens in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der von der "Kritischen Theorie" inspirierten Terminologie am Anfang Deines Briefes. Von "Verhängnis", "Not der gegenwärtigen Weltstunde" könntest Du allen Ernstes gar nicht sprechen, glaubtest Du wirklich an die Letztverantwortung der Klassensubjektivität. Der Unterschied zwischen etwa der Sprache Lenins und der Horkheimers ist zuerst einer der Theorie und des Theorieverständnisses, bevor es einer der Person ist.

Mit dem von Dir angesprochenen Satz ("weder transnationale Konzerne noch die Existenz weltweit vagabundierenden Geldkapitals heben die Schwerkraft ökonomischer und damit auch politischer Reproduktionsprozesse auf") wollte ich aber gar nicht auf diesen Zusammenhang hinaus. Ich dachte viel einfacher daran, daß das Gerede vom Ende der Nationalökonomien durch die "Globalisierung" völlig verkennt, daß z.B. die Devisenspekulation des Geldkapitals, die gerne zur Illustration dessen herangezogen wird, die Existenz verschiedener Nationalgelder und ihre Konkurrenz gerade voraussetzt. Allerdings ist das, wie manches andere in dem Papier auch, ziemlich orakelhaft ausgedrückt. Ich bin noch nicht so tief in den Komplex Weltmarkt - Imperialismus - "Globalisierung" usw. eingedrungen und wollte vorsichtig urteilen. Wirklich durchdacht ist das Papier nur in den Abschnitten I und II, der Rest ist Provisorium und nicht aus Koketterie steht "vorläufige Fassung" darüber. Ich habe es überhaupt nur so vorgelegt, weil unser Treffen anstand und ich mich nicht immer hinter eigentlich erst noch nötigen weiteren Studien verschanzen will.

Habe ich für die neu entstehende Schwerindustrie Ende letzten Jahrhunderts eine eingeschränkte Kapitalmobilität behauptet? Das muß dann unbeabsichtigt so herausgekommen sein. Die "Mobilität" des Kapitals (den Ausdruck habe ich bei Heide Gerstenberger, "Die subjektlose Gewalt. Theorie der Entstehung bürgerlicher Staatsgewalt", Münster 1990, gelesen; in einer verbesserten Fassung werde ich die Quellen genau angeben) ist generelle Notwendigkeit für seinen profitlichen Umschlag und drängt es zu äußerer Expansion.

Was Du über "das Wechselverhältnis von Stufenleiter der Produktion und Zentralisationsgrad das Kapitals" sagst, finde ich plausibel und wird mir zur Orientierung bei weiteren Lektüren dienen. Schade, daß Du von Deinen eigenen Überlegungen, die sich, wie Du schreibst, in der Nähe der meinen bewegen, nichts preisgegeben hast. Aber meistens ist es spannender, die Differenzen zu thematisieren und ich habe das in meinem Brief ja auch gemacht.

Der Inhaltsreichtum Deines Briefes und die Grundsätzlichkeit einiger Deiner Kritiken hat mich in tiefe Nachdenklichkeit über mein Elaborat gestürzt (noch ein Grund für meine späte Antwort). Aber Besseres als solchen Gedankenaustausch kann ich mir gar nicht wünschen. Es wäre schön, wenn wir dazu kämen, kontinuierlicher in der Diskussion zu bleiben. Promptere Reaktionen meinerseits wären künftig dafür auch versprochen.

Mit den besten Wünschen für Dich und Deine Frau, nochmaligem Dank für Deinen Brief und Deine Geduld mit meiner Antwort

es folgt: III. Brief von Klaus Herrmann vom 23.11.00


 

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