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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 7 - 20.07.2001 - Onlineversion Klaus Hermann, Klaus Braunwarth Briefwechsel über Klaus Braunwarth's Imperialismus und WeltordnungI. Brief von Klaus Herrmann vom 16.07.00 |
Uelzen, den 16.7.00 Lieber Klaus Braunwarth, besten Dank für die Zusendung Deines Imperialismus-Papiers samt begleitender Zeilen. Es macht Spaß einer konzisen Argumentation wie der von Dir vorgetragenen zu folgen. Eigene Überlegungen bewegen sich ja in der Nähe der Deinen, so daß es gar nicht leicht ist, zusätzliche Erwägungsmaterie herbeizuschaffen. Angeregt wurde ich, nach Exzerpten zu suchen, die ich mir einmal zu Lenins "Imperialismus" gemacht habe und zur Wiederlektüre einer berühmten Arbeit von Horkheimer, dem "Autoritären Staat" von 1940 (jetzt auch in den "Gesammelten Schriften", Bd. 5, 293ff.) Darin finden sich Erwägungen, die kontrapunktisch sind zu den Deinen. Am meisten frappiert hat mich die entgegengesetzte Stellung zu Hegels fast gleichlautend herbeizitiertem Absoluten. "Die Selbstbewegung des Begriffs der Ware führt zum Begriff des Staatskapitalismus wie bei Hegel die sinnliche Gewißheit zum absoluten Wissen." Dazu Horkheimer kritisch: "Der Eintritt von Verhältnissen, die aus dem Begriff abzulesen sind, legt dem Idealisten das Gefühl der Befriedigung, dem historischen Materialisten eher das der Empörung nah. Daß die menschliche Gesellschaft wirklich alle Phasen durchläuft, die als Umschlag des freien und gerechten Tauschs in Unfreiheit und Ungerechtigkeit aus seinem eigenen Begriff zu entfalten sind, enttäuscht ihn, wenn es wirklich so kommt" (308). Und: "Die Differenz von Begriff und Realität begründet die Möglichkeit der umwälzenden Praxis, nicht der bloße Begriff" (309). Ich kann Horkheimer auch an dem Punkt folgen, wo er an einen zum Schematismus ausgedörrten historischen Materialismus die kritische Axt legt; er ist hier für mein Urteil in richtigerer Weise orthodox als die offizielle Orthodoxie - ich zitiere aus einem insgesamt lesenswerten Zusammenhang -: "Die Berufung auf ein Schema von gesellschaftlichen Stufen, das die Ohnmacht einer vergangenen Epoche post festum demonstriert, war im betroffenen Augenblick verkehrt in der Theorie und niederträchtig in der Politik. Die Zeit, zu der sie gedacht wird, gehört zum Sinn der Theorie. Die Lehre vom Wachstum der Produktivkräfte, von der Abfolge der Produktionweisen, von der Aufgabe des Proletariats ist weder ein historisches Gemälde zum Anschauen noch eine naturwissenschaftliche Formel zur Vorausberechnung künftiger Tatsachen. Sie formuliert das richtige Bewußtsein in einer bestimmten Phase des Kampfs und ist als solches auch in späteren Konflikten zu erkennen. Die als Eigentum erfahrene Wahrheit schlägt in ihr Gegenteil um..."usw. (305f.). Für Horkheimers "Autoritären Staat" ist der Begriff des Staatskapitalismus zentral, wobei er an Engels anknüpft. "Im Übergang vom Monopol- zum Staatskapitalismus ist das letzte, was die bürgerliche Gesellschaft zu bieten hat, 'Aneignung der großen Produktions- und Verkehrsorganismen, erst durch Aktiengesellschaften, später durch Trusts, sodann durch den Staat' (Engels). Der Staatskapitalismus ist der autoritäre Staat der Gegenwart" (294). Für das Absolute, das sich das Kapital nach Deiner Formulierung setzen will, hatten Engels, Lenin und Horkheimer also einen bestimmten, weitgehend identischen Vorstellungsinhalt. Als Reflexionsform des Wirklichen bewährt sich Theorie und ich kann nicht erkennen, daß der für sich leere Begriff eines Absoluten zum Richteramt tauglich wäre. "Klüger" sind wir den Vorvorderen gegenüber ja nur insoweit, als das Verhängnis inzwischen fortgeschritten ist. Und nur durch die Intention, mit dem Verhängnis zu brechen, unterscheidet sich Theorie von positivistischer Registratur. Unter einem Telos des Kapitalismus, wofür Du den Begriff des Absoluten wählst, läßt sich wahrscheinlich gar nichts Vernünftiges denken. Zentralisierung des Kapitals ist durch die Konkurrenz der Kapitale gesetzt und hebt zugleich seinen Begriff auf. Das Gesicht, das Kapitalverwertung der Theorie zukehrt, variiert entsprechend dem Mischungsverhältnis von Konkurrenz, Monopolismus, privilegierter bzw. Exklusivkonkurrenz und Staatsinterventionismus. In so trockener Verallgemeinerung habe ich es einmal nach Lektüre eines der letzten Beiträge von Adorno zum Thema Spätkapitalismus notiert. Die Not der gegenwärtigen Weltstunde läßt sich nur durch Gegenkräfte brechen, nicht durch Theorie allein. Das Vertrauen in die Existenz solcher Gegenkräfte hat Engels, Lenin und noch den Horkheimer von 1940 beflügelt. Das gehört zum Ferment der Staatskapitalismus- und Imperialismus-Theorie. Lenins Imperialismus-Broschüre von 1916 läßt daran auch keinen Zweifel. Es ist eine verdeckte Revolutionsschrift. "Das Monopol ist der Übergang vom Kapitalismus zu einer höheren Ordnung" (Werke 22, 270). Für die zu seiner Zeit gesunkene Bedeutung der Börse zitiert er aus bürgerlicher Literatur zum Kredit- und Bankenwesen und spitzt seinen Kommentar dazu auf die wesentliche Frage zu: "Mit anderen Worten: Der alte Kapitalismus, der Kapitalismus der freien Konkurrenz mit der Börse als unerläßlichem Regulator, schwindet dahin. Er wird von einem neuen Kapitalismus abgelöst, dem deutliche Züge einer Übergangserscheinung, einer Mischform von freier Konkurrenz und Monopol anhaften. Natürlich drängt sich die Frage auf, in was (Hervorh. Lenin) dieser neueste Kapitalismus 'übergeht', aber die bürgerlichen Gelehrten schrecken vor dieser Fragestellung zurück"(223). An der Rolle der Börse als eines starken Indikators, um daran etwas über die Zeitenstunde des Kapitalismus abzulesen, dürfte kein Zweifel sein. Zu messen wäre Lenins "Imperialismus" am selbstformulierten Anspruch zu zeigen, "wie zu Beginn des 20 Jahrhunderts, am Vorabend des ersten imperialistischen Weltkriegs, das Gesamtbild der kapitalistischen Weltwirtschaft in ihren internationalen Wechselbeziehungen war" (Vorwort zur französischen und deutschen Ausgabe). Das ist weniger als eine Exegese aus dem Kapitalbegriff, hat aber auch wenig mit dem zu tun, was die Epigonen daraus gemacht haben. "Gewiß kann das Monopol unter dem Kapitalismus die Konkurrenz auf dem Weltmarkt niemals restlos und auf sehr lange Zeit auschalten (das ist übrigens einer der Gründe, warum die Theorie des Ultraimperialismus unsinnig ist.)" (281). Es kennzeichnet Lenins unschematische Art, daß er dem Ultraimperialismus als Abstraktion sein Recht läßt ("...so läuft alles, was sich dazu sagen läßt, auf die These hinaus: Die Entwicklung bewegt sich in der Richtung zu Monopolen, also zu einem einzigen Weltmonopol, einem einzigen Welttrust. Das ist unzweifelhaft..." /276), wie er auch zu den Mutmaßungen Hobsons über einen voraussichtlichen metropolitanen Rentnerkapitalismus konzediert: "Der Verfasser hat vollkommen recht. Würden die Kräfte des Imperialismus nicht auf Widerstand stoßen, so würden sie eben dahin führen. Die Bedeutung der 'Vereinigten Staaten von Europa' in der heutigen, imperialistischen Situation ist hier richtig bewertet" (285). Folgte für den Kapitalismus aus dem Kapital-Begriff ein Automatismus, wäre es einer zum Bösen. Daniel Dockerills Aversion gegen den Begriff eines automatischen Subjekts ist nur zu begründet. Wie Gegenbeschwörung liest sich der Satz des Horkheimer von 1940: "Das Weltkartell ist unmöglich, es schlüge sogleich in die Freiheit um." (310) Spricht man von Refeudalisierungstendenzen im Gegenwartskapitalismus, von der Gefahr einer Rückkehr zu Verhältnissen unmittelbarer Herrschaft wie ich das gelegentlich getan habe, so ist das nicht zuletzt als Menetekel zu verstehen, als warnende Schrift an der Wand. Die Geschicke des Kapitalismus werden klassengesellschaftlich entschieden bis zum guten oder bitteren Ende. Für wenig glücklich halte ich deshalb Deine Formulierung: "Weder transnationale Konzerne noch die Existenz weltweit 'vagabundierenden' Geldkapitals heben die Schwerkraft ökonomischer und damit auch politischer Reproduktionsprozesse auf..." Es gibt nicht die Schwerkraft von Prozessen an sich, ohne daß Klassenwille und Klassenhandeln in sie einginge, und sei's die von Konzerngewaltigen, die sich bloß für Geschobene dünken. Für umso zutreffender halte ich dafür die Bemerkung an derselben Stelle: "Für die imperialistischen Staaten kann es aber keine Rückkehr mehr zu einer Politik exklusiver Einflußsphären geben, es sei denn als Projekt einer Katastrophenpolitik." Von den imperialistischen Kriegen heute lenkt das Gerede vom großen imperialistischen Krieg nur ab; was in der innerimperialistischen Konkurrenz als Drohpotential fungiert, entfesselt auf kollektiven Selbstmord hinausliefe, richtet seine Spitze nach außen. Zustimmen kann ich auch dem Gedanken, daß Globalität von den westlich-kapitalistischen Staaten im Zeitalter der Systemkonfrontation politisch antizipiert worden ist. Weite Teile des Globus waren dem Zugriff des westlichen Kapitals entzogen. "So herum haben Politik und Ökonomie der Nachkriegsordnung doch wieder zusammengefunden..." Sachlich kaum haltbar und für die Argumentation überflüssig ist die Behauptung, daß die politische Weltgeltung der Sowjetunion keinen ökonomischen Grund gehabt habe. Zur Frage der Kapitalmobilität wären weitere Überlegungen nötig. Das Aktienwesen hat sich ja bekanntlich etappenweise entwickelt, begleitet von Spekulationsschwindel und periodischer Kapitalvernichtung. Offenkundig ist eine gewisse Höhe in der Akkumulation von Anlage suchendem Geldkapital Voraussetzung für die Entwicklung der Schwerindustrie, der neuen Industrien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ich möchte bezweifeln, ob man in diesem Zusammenhang von eingeschränkter Kapitalmobilität, wie Du sagst, sprechen kann. Mobil ist überhaupt nur das Kapital, das nicht mit bestimmten Produktionsstrukturen auf Gedeih und Verderb für die Kapitaleigner verwachsen ist. Letzteres dürfte für das produktiv agierende Kleinkapitals generell und für das mittlere oder sogenannt mittelständische in der Regel gelten. Im übrigen schränken vor allem Vorzugsrechte die Kapitalmobilität ein, wenn man einmal von den inzwischen durchlässig gemachten nationalstaatlichen Schranken für den Kapitalverkehr absieht. Was läßt sich für Vergangenheit und Gegenwart über das Wechselverhältnis von Stufenleiter der Produktion und Zentralisationsgrad des Kapitals sagen? Der stärkste Antrieb zum Niederreißen der Kapitalverkehrsschranken geht von den Produktionsstrukturen auf immer höherer Stufenleiter aus, die die Giganten im Konkurrenzkampf zu beständiger Vergrößerung ihres Stocks an fixem Kapital treibt. Das hat die Konkurrenz auf den Kapital- und Finanzmärkten vorangetrieben. Andererseits haben sich inzwischen Kapitalagglomerationen gebildet, für die das Verwachsensein mit einer bestimmten Produktionssphäre und also einer bestimmten Produktionsstruktur nicht mehr charakteristisch ist. Aber ob branchenspezifische Fusion oder Kapitalagglomeration, immer geht es um Markterweiterung bei gleichzeitiger Minimierung des variablen Kapitalteils am eingesetzten Gesamtkapital. Das Geldkapital erscheint heute als der unbestrittene Gewinner. Daß das Angebot an Kapital gar nicht groß genug sein kann, indizieren die Börsenkurse. Zugleich kommt der Börse die entscheidende Rolle bei der Vernichtung überakkumulierten Kapitals zu - eine Funktion, wie sie im 20.Jahrhundert von zwei Weltkriegen mitbesorgt wurde. Mit besten Grüßen - und in der Hoffnung, daß unser Gedankenaustausch Fortsetzungen findet - es folgt: II. Brief von Klaus Baumwarth vom 23.09.00
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