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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 6 - 10.10.2000 - Onlineversion

Klaus Braunwarth

Imperialismus und Weltordnung

(vorläufige Fassung)



"Cicero hielt sich in seinen Schriften zum imperium populi Romani immer streng an die wirkliche Bedeutung von imperium, dem er in seinem Werk 'De legibus' begeistert Beifall zollte als der legalen Macht, das Recht durchzusetzen."

RICHARD KOEBNER, Empire, New York 1965, S. 4, zit. nach GEORGE LICHTHEIM, Imperialismus, München 1972, S. 16


"Das Recht ist der archimedische Punkt, mit dem das Reich des Geistes das der Materie aus den Angeln hebt."

FRITZ KERN, Humana Civilitas (Staat, Kirche und Kultur). Eine Dante Untersuchung, Leipzig 1913, S. 73


„... der Imperialismus (...) die furchtbarste Gestalt der Ratio ...“

HORKHEIMER/ADORNO, Dialektik der Aufklärung, Ffm. 1981, S. 108


I. WELTMARKT


Im Begriff des Kapitals ist seine Tendenz zur Schaffung eines Weltmarkts doppelt enthalten:

Erstens. Die Allgemeinheit, in der die Arbeit die Substanz des Werts bildet, schließt alle Formen ihrer besonderen Verausgabung ein, wie sie sich je nach der stofflichen Beschaffenheit des Arbeitsgegenstandes unterscheiden. Bei der Bestimmung des Werts und seiner Formen erscheint das vorerst als nur formelle Seite der Sache. Die menschliche Arbeit kann sich in jedem Gebrauchswertkörper - ob Rock, Weizen, Eisen oder Gold - vergegenständlichen und ihre Darstellung an ihm als Wert ist gleichgültig gegen die Besonderheit seiner Gebrauchsnatur. Der Wertausdruck einer Ware entfaltet sich als ihre Austauschbarkeit mit jeder anderen. Sinnfällig wird das im Geld, das der Wertnatur der Waren ihren dinglich selbständigen Ausdruck verleiht, das eben die "allgemeine Ware" ist, weil es jede beliebige kaufen kann.

Die Universalität der Naturalformen der Arbeit, die im Wert formell ihren Ausdruck finden wird durch das Kapital reell als Universalität der über die Arbeit vermittelten Naturaneignung gesetzt, ermöglicht durch die Entwicklung der Wissenschaft zur Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit. Das aber heißt, daß die gesellschaftliche Reichtumsproduktion sich von den Zufälligkeiten der auf ihrem Territorium vorfindlichen Naturbedingungen - mineralischen, pflanzlichen und tierischen Vorkommen usw. - emanzipiert und die ganze Erde zu ihrem Laboratorium macht.

Zweitens. Gebrauchswerte produziert das Kapital nur, sofern sie Träger von Wert, also Waren und weiter nicht nur Träger von Wert sondern Mehrwert, also Warenkapital sind. Macht das Kapital mit der Produktion keinen Schnitt, z.B. in der Krise, wird sie eingestellt. Das Kapital ist Wert, der Wert und das heißt genauer Mehrwert produziert. Das Kapital löst alle Formen naturwüchsiger Einheit der Produzenten mit ihren objektiven Produktionsbedingungen - Grund und Boden, Arbeitsmittel - auf und verwandelt die Faktoren des Produktionsprozesses selbst in Waren, wodurch die Warenproduktion erst gesellschaftlich verallgemeinert wird. Auf dem Markt kauft das Kapital was es der Qualität und der Quantität nach an Faktoren für seinen Produktionszweck braucht und kombiniert sie in seinem Produktionsprozeß gemäß seinen Verwertungsimperativen miteinander, wodurch die als Waren gekauften Produktionselemente zu Daseinsformen seiner selbst werden, Produktionsmittel und Arbeitsgegenstände zu konstantem, die Arbeitskraft zu variablem Kapital. Wie die Produktion von Wert, so ist auch die von Mehrwert die Leistung der in ihrer Verausgabung eine spezifische Gesellschaftlichkeit geltend machen müssenden menschlichen Arbeit und beruht den letzteren betreffend auf nichts anderem, als der Verlängerung der Arbeitszeit über das Maß hinaus, in der die Arbeitskraft das zu ihrer Reproduktion nötige, bzw. dessen Gegenwert, produziert. Kauf, Produktion und Verkauf von Waren dient dem Kapital nur zur Produktion und Realisation von Mehrwert auf stets wachsender Stufenleiter.

"Der Gebrauchswert ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln. Auch nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewinnens. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos." (MARX, Kapital I, MEW 23, S. 168 und 167)

Dieser kapitalistische Produktions- und Verwertungsprozeß schließt eine Reihe von Widersprüchen ein, die sich in der Konkurrenz - der Beziehung der Kapitale aufeinander; ganz wie die Ware nie als Individuum, sondern nur als Exemplar ihrer Gattung existiert, so bezieht sich das Kapital auf sich, in dem es sich in Einzelkapitale auseinanderlegt und über die Konkurrenz zum gesellschaftlichen Gesamtkapital vermittelt - entfalten und da, wo es das Kapital historisch noch nicht mit seinesgleichen zu tun hatte, in der Konkurrenz mit vorkapitalistischen Produktionsweisen. So tendiert, wie unter erstens schon entwickelt, das Kapital dazu, alle stofflichen Potenzen der Produktion als Mittel seiner Reichtumsproduktion zu entdecken und zu mobilisieren, findet aber auf seinem angestammten Territorium selber nur ein begrenztes Stück Natur vor. So schafft das Kapital mit der Verwandlung aller Produktion in kapitalistische überhaupt erst einen inneren Markt, andererseits gilt ihm dessen zahlungsfähige Nachfrage jederzeit als Schranke seines maßlosen Bereicherungstriebes, die es mit der Expansion auf auswärtige Märkte überwindet.

"Stellte sich die surplus labour (Mehrarbeit) oder value (Wert) bloß in nationalem surplus produce (Mehrprodukt) dar, so fände die Vermehrung des Werts um des Werts willen und daher die exaction of surplus labour (Auspressung von Mehrarbeit) eine Grenze an der Borniertheit, dem engen Kreis von Gebrauchswerten, worin sich der Wert der nationalen Arbeit darstellte. Aber erst der auswärtige trade (Handel) entwickelt seine wahre Natur als Wert, indem er die in ihm enthaltne Arbeit als gesellschaftliche entwickelt, die sich in einer unbegrenzten Reife verschiedner Gebrauchswerte darstellt und in der Tat dem abstrakten Reichtum Sinn gibt. ( ... ) Der abstrakte Reichtum, Wert, Geld hence (also) die abstrakte Arbeit entwickelt sich in dem Maße, worin die konkrete Arbeit zu einer den Weltmarkt umfassenden Totalität verschiedner Arbeitsweisen entwickelt. Die kapitalistische Produktion beruht auf dem Wert oder der Entwicklung der in dem Produkt enthaltnen Arbeit als gesellschaftlicher. Dies aber nur auf Basis des Foreign trade (Außenhandels) und des Weltmarkts. Dies also sowohl Voraussetzung als Resultat der kapitalistischen Produktion." (MARX, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.3, S. 249f.)


II. IMPERIALISMUS: BEGRIFF


Der Weltmarkt ist aber keine Weltgesellschaft. Die universalistische Tendenz des Kapitals ist widersprüchlich: Einerseits produziert sie in der Durchsetzung gegen die vorkapitalistische Zersplitterung von Territorial- und Herrschaftsverbänden einen inneren Markt und dessen staatliche Zusammenfassung zum Nationalstaat und verallgemeinert dessen Form global sogar auf Territorien, zu denen er gar nicht paßt, weil sie keine Nationalökonomie haben, andererseits produziert sie parallel und nicht etwa historisch nachgelagert den die Nationalstaaten und ihre Binnenmärkte überspannenden Weltmarkt, also die Abhängigkeit der Nationen voneinander.

Um sich als Produktionsverhältnis entwickeln und reproduzieren zu können, benötigt das Kapital ein System gesellschaftlicher Beziehungen, das - von stofflich bedingten Unterschieden abgesehen - gleiche Ausbeutungs- und Konkurrenzbedingungen herstellt und damit den Kapitalen ihre Assoziation zu einem gesellschaftlichen Gesamtkapital ermöglicht, innerhalb dessen ein Ausgleich der Profitraten stattfindet und es benötigt einen Staat, der als außer und über der Konkurrenz stehende Instanz über die Gewalt verfügt, die Subjekte der Konkurrenz auf die Einhaltung dieser der Form nach als Recht gesetzten Bedingungen zu verpflichten und der das Geld, das den Wert schließlich nicht nur zu messen, sondern ihn gültig darzustellen hat, emittiert und seinen Kurs festsetzt. Gesellschaft und Staat sind in ihrer Notwendigkeit aus den Wert- und Kapitalbestimmungen herleitbar, nicht aber deren nationalstaatliche Verfaßtheit. Die ist auf die spezifischen historischen Bedingungen zurückzuführen, unter denen sich das Kapital in Europa entwickelt hat, das heißt auf die bürgerliche Revolutionierung spätmittelalterlicher feudaler Territorialverbände. Die kapitalistischen Gesellschaften sind daher nationalstaatlich voneinander abgegrenzt und der Nationalstaat bildete den Rahmen der Entwicklung und Befestigung einer vereinheitlichenden kapitalistischen Vergesellschaftung. Umgekehrt bedeutete dies auch, daß die Nation damit einen gesellschaftlichen Inhalt bekam und kein reines ideologisches Konstrukt blieb, ungeachtet ihrer völkischen oder republikanischen Selbstmystifikation. Das Binnenmarktprojekt der EU hebt für die beteiligten Staaten das Zusammenfallen von Binnenmarkt und nationalstaatlichem Territorium auf und beginnt auch die Einheit von Staat und Nationalstaat aufzulösen, ebenso hört mit dem Euro die Währung auf, eine nationale zu sein. Aber die Scheidung von innerem und äußerem Markt und die Notwendigkeit und die Funktionen staatlicher Gewalt werden nicht obsolet.

Der nationale Markt, wiewohl Existenzbedingung des Kapitals, begrenzt eben nicht seine Aktionsbasis. Auswärts winken genügend Reichtümer, die es über die nationale Grenze locken und die Zahlungsfähigkeit des heimischen Marktes ist gemessen an seinem Bereicherungstrieb und seiner Expansionsfähigkeit eine Schranke die es jederzeit nimmt.

"Sobald aber das Fabrikwesen eine gewisse Breite des Daseins und bestimmten Reifegrad gewonnen hat, sobald namentlich seine eigne technische Grundlage, die Maschinerie, selbst wieder durch Maschinen produziert wird, sobald Kohlen- und Eisengewinnung wie die Verabeitung der Metalle und das Transportwesen revolutioniert, überhaupt die der großen Industrie entsprechenden allgemeinen Produktionsbedingungen hergestellt sind, erwirbt diese Betriebsweise eine Elastizität, eine plötzliche sprungweise Ausdehnungsfähigkeit, die nur an dem Rohmaterial und dem Absatzmarkt Schranken findet." (MARX, Kapital I, MEW 23, S. 474)

Die auswärtigen Märkte aber stehen dem Kapital nicht einfach offen, über sie herrscht ein anderer Souverän, dort gilt anderes Geld usw. Der Staat muß seinem nationalen Kapital den Zutritt zu diesen auswärtigen Märkten und sonstigen Reichtumsquellen eröffnen und da fällt eine ganze Menge zu regeln an: von der Geltung die dem nationalen Zahlungsmittel über die Grenze hinaus verschafft wird, über Zölle, Besteuerung, Rechtssicherheiten, Sicherung von Transportwegen usw. Ähnlich wie auf dem Nationalmarkt müssen auch für den internationalen Handel Konkurrenzbedingungen geregelt werden, nur daß bei letzterem Staaten miteinander zu tun bekommen, die über sich keinen Souverän mehr haben, also immer Gewaltfragen gegeneinander aufmachen können. Die Durchsetzungsfähigkeit der jeweiligen Interessen ist dabei eine Sache des Kalibers der ökonomischen (Währungsstärke, Rangfolge in der Weltmarkthierarchie, Handelsabhängigkeiten, Verschuldung usw.), politischen und militärischen Erpressungsmittel, die ihnen zu Gebote stehen. Daß bei Geschäften beide Seiten gleichermaßen profitieren und man sich über deren Modalitäten einfach zwanglos einigen könnte, gehört zu den Märchen der Marktwirtschaft, an die höchstens die glauben, mit denen Geschäfte gemacht werden, aber nicht die, die die Geschäfte machen.

Das internationale Geschäft wirft also spezifische Macht- und das sind in letzter Instanz immer Gewaltfragen auf, die ihm einen imperialistischen Charakter verleihen. Der Imperialismus ist das exterritoriale Dasein das Kapitals, er ist transnationale "Kapitalmobilität", die Durchsetzungsform des Kapitalverhältnisses auf dem Weltmarkt, "die reale Bewegung des Weltmarkts", aber was er nicht ist, ist eine bloße "Etappe" oder "Stadium" des Kapitalismus.


III. IMPERIALISMUS: THEORIEN



Entgegen den klassischen Theorien von HOBSON, HILFERDING und LENIN ist der Imperialismus nicht aus einer Wendung des Kapitalismus von der Konkurrenz zum Monopol zu erklären, sondern aus dem Begriff des Kapitals selbst, seiner universalistischen Tendenz zum Weltmarkt, deren Verlaufsformen (z.B. auch das Verhältnis von Waren- und Kapitalexport) sich je nach den historischen Umständen ändern, deren Unterschiede jedoch nicht die eine zu einer imperialistischen und die andere nicht macht.

Um sich als gesellschaftliches Verhältnis überhaupt zu konstituieren, raubt das Kapital einen großen Teil der weltweit verfügbaren Reichtümer zusammen (der Kapitalismus ist nicht aus einer nationalgesellschaftlichen Binnenentwicklung sozusagen organisch herausgewachsen); hat es sich als Produktionsverhältnis konstituiert, zwingt es anderen Weltgegenden die Produktion von Rohstoffen für seine Industrien auf und überschwemmt sie mit seinen Waren und macht sich fremde Arbeitskraft dienstbar; wo es dann mit seinesgleichen, anderen nationalen Kapitalen, zu tun bekommt, setzt die jeweilige Überlegenheit in der Konkurrenz politisch vermittelte Über- und Unterordnungsverhältnisse auf dem Weltmarkt durch, das sieht an der Oberfläche jeweils ganz anders aus, funktioniert mal mit, mal ohne Kolonien, kommt mal protektionistisch, mal freihändlerisch daher, mal gewaltsam, mal friedlich und das wechselt auch nicht beliebig, sondern hat seine kapitalgeschichtliche Logik, aber immer geht es um globale Benutzungs- und Herrschaftsverhältnisse, über die nach ökonomischer Stärke entschieden wird, geht es darum, daß das Geschäft nicht ohne Gewalt auskommt, und das ist Imperialismus!

Die erwähnten Imperialismustheorien beinhalten eine Reihe theoretischer Irrtümer - Monopol als tendentielle Aufhebung der Konkurrenz, als hätte des Kapital als Produktionsverhältnis nicht ohnehin ein Monopol, das es über die Konkurrenz der Kapitalien realisiert, wobei monopolistische Ambitionen einzelner Kapitale dann das Terrain, auf dem die Konkurrenz ausgetragen wird, verändern und erweitern; Herrschaft des Bank- über das Industriekapital, als hätte die Trennung von Geld- und Industriekapital nicht eine notwendige ökonomische Funktion, die wechselseitige Abhängigkeiten begründet; Stagnation der Entwicklung der Produktivkräfte, als wäre dem Kapital die beständige Umwälzung des Produktionsprozesses nicht wesenseigen usw. - die alle auf das eine hinauslaufen: ein monopolistisches und imperialistisches Stadium des Kapitalismus habe den klassischen 'Konkurrenzkapitalismus' des 19. Jahrhunderts abgelöst und das wird gerne mit selber abstrakten Salbadereien über konkrete Analyse konkreter Situationen garniert. Die Geschichte des Kapitals ist nicht die der Aufhebung oder der Modifikation seiner Gesetze (z.B. des Wertgesetzes durch das Monopol), sondern das Werden derselben. Das Kapital will sich als Absolutes setzen, für das Absolute aber gilt nach HEGEL

"Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist: und hierin eben besteht seine Natur, Wirklichkeit, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein." (HEGEL, Phänomenologie des Geistes, Theorie Werkausgabe, Bd. 3, S. 24)


IV. IMPERIALISMUS: GESCHICHTE


Gerade die nach der Leninschen Imperialismustheorie vorimperialistischen Etappen der Weltmarktentwicklung beruhen jeweils auf einem Monopol, aber in einem etwas anderen Sinne. Jeweils ein Land "repräsentiert für einige Zeit allein bestimmte Entwicklungsschritte des Kapitalverhältnisses".

"Bis ca. 1500 kontrollierten die norditalienischen Städterepubliken die ökonomischen Knotenpunkte der damaligen bekannten 'alten Welt'. Mit der Ausdehnung des den Europäern bekannten Territorium beherrschte für die nächsten 100 Jahre Portugal als Protagonist der großen geographischen Entdeckungen den internationalen Handel, verlor diese Stellung aber mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts an Holland, dessen herausragende Position im Welthandel mit der Errichtung manufakturmäßiger Produktion in großem Stil einherging. England riß ab dem 18. Jahrhundert auf Basis aufkeimender industrieller Produktion die Kontrolle der internationalen Markte an sich, sah sich jedoch gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den USA und dem damaligen Deutschen Reich mächtigen Konkurrenten gegenüber, die die industrielle Vorrangstellung des Empires unterminierten. Das Resultat des Ringens dieser Nationen um die Vormacht auf den internationalen Märkten war die ökonomische Führungsrolle der USA, die spätestens ab dem II. Weltkrieg anzusetzen ist und - wenn auch in eingeschränkter Weise noch bis zur Gegenwart andauert." (SOST, Kapitalistische Weltwirtschaft, Hamburg 1981, S. 186)

Gerade weil das Handelskapital, die bis zur Industrialisierung Englands herrschende Kapitalform keinen Mehrwert produziert sondern abschöpft, drängt es auf Expansion. Sein Profit wächst mit der Vergrößerung der Warenmassen, die es in die Zirkulation zieht. Das Handelskapital ist charakterisiert durch Raub, Expansion und dem Streben nach (Handels-) Monopol. Das Handelskapital wirkte in den Kolonien zunächst vornehmlich in Geldform und betrieb die Umwandlung der dortigen traditionellen Gebrauchswertproduktion in die von Waren, die es dann exportierte. Die zweihundertjährige Herrschaft des Handelskapitals (16. - 18. Jhdt.) beförderte die Entwicklung der Manufakturproduktion in Europa und schuf den Weltmarkt und den Welthandel.

Mit dem Aufkommen des englischen Industriemonopols überschwemmten englische Waren die kolonialen Märkte, die vorher hauptsächlich Waren zu exportieren hatten. Außerdem lieferte der Kapitalismus mit dem Sklavenhandel und der Sklavenschinderei auf den Baumwollplantagen für die englische Textilindustrie einen eindrücklichen Beweis, wie vor seinem Despotismus die Schrecken vergangener Herrschaftsepochen verblassen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brechen die USA und Deutschland das englische Industriemonopol. Neue Industrien (Elektrotechnik, Chemie, Automobilbau) kommen auf, die Schwerindustrie überflügelt die Konsumgüterindustrie an Bedeutung. Der Anteil des fixen Kapitals wird so hoch, daß er die Kapitalmobilität einschränkt und Kredit- und Aktienkapital nötig werden, um die Investitionen zu finanzieren. Das Kapital strebt jetzt nach monopolistischer Beherrschung der Rohstoffquellen, die durch Kapitalexport in die extraktiven Industrien und die Landwirtschaft samt dazugehörigem Transportsystem (Eisenbahnbau) erschlossen werden. Das ist die Zeit, die bei HOBSON, HILFERDING und LENIN als Imperialismus firmiert. Jetzt werden die Kolonien und Halbkolonien nicht mehr nur in die kapitalistische Warenzirkulation gezogen, sondern Teil des kapitalistischen Produktionssystems selbst. Das aber untergräbt zugleich die Basis des Kolonialsystems, weil sich damit in den Kolonien selbst wenn auch abhängige, fragmentierte und deformierte kapitalistische Produktionsverhältnisse entwickeln. Das Kolonialsystem zerbricht gerade auf dem Höhepunkt seiner Verflechtung mit den kapitalistischen Zentren. (Die Darstellung nach PARVIZ KHALATBARI, Ökonomische Unterentwicklung. Eine historisch-politökonomische Analyse, Berlin 1984)

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gründet der Imperialismus keine Reiche mehr. Weltmarktintegration und -expansion sind anders fortgeschritten. Die Umwälzung der kapitalistischen Produktionsprozesse vollzieht sich in den kapitalistischen Hauptländern im wesentlichen parallel, natürlich mit konkurrenzbedingten Ungleichheiten, aber nicht mehr mit Ländermonopolen auf ganzen Entwicklungsstufen Unter der Dollarhegemonie des US-Kapitals sind drei große Zentren kapitalistische Weltmarktverflechtung entstanden, Amerika, Europa und Ostasien, die jeweils von der US-, der deutschen und der japanischen Ökonomie dominiert werden und die sich die Konkurrenzschlachten um das Weltgeschäft liefern, die mit den durch die Mikroelektronisierung möglich gemachten Ökonomisierungen des fixen Kapitals und der internationalen Restrukturierung der Produktionsprozesse und neuen Formen der Dominanz des Geldkapitals in eine neue Etappe eintreten.


V. "WELTORDNUNG"


Die weltweit gültigen Benutzungs-, Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse lassen sich immer als eine "Weltordnung" interpretieren. Als der damalige US-Präsident BUSH seinerzeit davon sprach, eine neue Weltordnung schaffen zu wollen ("we create a new world order"), war das spezifischer gemeint: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihres 'realsozialistischen' Blocks kann die kapitalistischen Weltmächte nichts mehr daran hindern, die Weltverhältnisse nach ihren Interessen zu "ordnen". Der bei manchen beliebte Einwand, die "neue Weltordnung', habe sich als veritable "Welt-Unordnung" erwiesen, ist läppisch, denn wie tief westliche Politiker in ihren Reden auch immer in die rhetorischen Harfen greifen mögen, allen Ernstes liegt ihnen natürlich nicht am gedeihlichen Auskommen und entsprechend aufgeräumten Verhältnissen bis in den letzten Winkel des Globus. Wo sie volltönende Versprechungen abgeben, formulieren sie immer Titel, deren Vollstreckung im Namen eben höherer Ideale geboten erscheinen soll.

Die Schaffung einer "neuen Weltordnung" anzukündigen, reflektierte zunächst die Situation, daß eine alte hinüber und eine neue noch nicht da war, stellte dann klar, daß es was zu ordnen gibt und kündigte an, das auch zu tun. Das "wir" in dem Satz von BUSH bezog sich dabei gar nicht nur auf die USA, es sollte die anderen kapitalistischen Führungsmächte durchaus einschließen, wenn auch, unausgesprochen, auf den gebührenden Plätzen.

Daß die westlich-kapitalistischen Staaten sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem um die Sowjetunion herum gruppierten 'realsozialistischen' Lager konfrontiert sahen, zwang sie, ihre traditionellen innerimperialistischen Rivalitäten zurückzustellen und sich gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten zu einigen und die 'Systemkonfrontation' auf globaler Ebene zu suchen. Der durch den Weltkrieg beförderte Zusammenbruch der Kolonialreiche und die Tatsache, daß England und Frankreich geschwächt aus dem Krieg hervorgingen und Deutschland ihn verloren hatte, sich also erstmal auch nicht viel angeboten hätte, eine nationalzentrierte Einflußsphärenpolitik fortzuführen tat ein übriges, um den Zusammenschluß des kapitalistischen Westens unter Führung der USA zustandezubringen.

Diese politisch antizipierte 'Globalität' hat durch die unter ihrem Dach stattgefundenen Prozesse der Weltmarktrekonstruktion, -expansion und vor allem Weltmarktintegration, d.h. sowohl der Herausbildung (aufschließen der ökonomischen Entwicklung der westeuropäischen Länder zu den USA, Aufstieg Japans) wie der wechselseitigen ökonomischen Verflechtung von drei Zentren der kapitalistischen Reichtumsproduktion, überhaupt erst einen adäquaten ökonomischen 'Unterbau' erhalten. So herum haben Politik und Ökonomie der Nachkriegsordnung doch wieder zusammengefunden, wiewohl sie darin, daß die politische Weltgeltung der Sowjetunion keinen ökonomischen Grund hatte und weite Teile des Globus dem Zugriff des westlichen Kapitals zunächst entzogen waren, auseinandergefallen waren.

Die vor allem mit der Formierung der westeuropäischen Länder zu EU-Europa und die sich als Folge sowohl der weltweiten ökonomischen Krisenprozesse wie der durch neue Technologien beförderten Umwälzung der kapitalistischen Produktionsprozesse verschärfende Konkurrenz innerhalb der kapitalistischen Triade hatte zuletzt kaum noch Platz unter diesem politischen Dach der 'Blockkonfrontation', mußten ihr aus übergeordneten 'Systemgründen' doch immer politische Zügel angelegt werden. Die Implosion des 'realsozialistischen' Blocks hat da gepaßt und allerhand freigesetzt.

Für die imperialistischen Staaten kann es aber keine Rückkehr mehr zu einer Politik exklusiver Einflußsphären geben, es sei denn als Projekt einer Katastrophenpolitik. Der Prozeß der Weltmarktintegration ist darüber hingweggeschritten, wenn er auch nicht, wie oft behauptet, ökonomisch interessierter staatlicher Machtpolitik den Boden entzogen hat. Weder transnationale Konzerne noch die Existenz weltweit "vagabundierenden" Geldkapitals heben die Schwerkraft ökonomischer und damit immer auch politischer Reproduktionsprozesse auf, so wenig wie ein Flugzeug Newtons Gravitationsgesetze widerlegt, das eine funktioniert nur auf der Basis des anderen.

Vorerst bleibt den imperialistischen Hauptmächten gar nichts anderes übrig, als sich an einer Art politischem Weltregime im Sinne von BUSHS Weltordnung zu versuchen. Gerade weil sie jedes ökonomische Teilziel heute auch ökonomisch erreichen können - nicht eine Erdölquelle oder Bergbaumine, auch nicht die von Trepca, muß heute mehr militärisch erobert werden, das Angebot sie gegen Weltgeld auszubeuten, überzeugte jeden Regionalpotentaten - müssen die imperialistischen Staaten ihr Weltgeschäft gegen mögliche politische und militärische Störungen absichern. Kein Regionalhegemon darf ihrer globalen Hegemonie in die Quere kommen. Das Gewicht der Beteiligung an diesem gemeinsamen imperialistischen Weltregime ist für die beteiligten Staaten zugleich ein politischer Hebel, ihre jeweiligen Sonderinteressen, die ja nicht verschwunden sind, untereinander geltend zu machen und Positionen auf- und auszubauen, die zu benötigen man eben seine nichts Gutes verheißenden Gründe hat.

Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien, der nach dem Golfkrieg - bei dem es mit den Befürchtungen für die OPEC-Preispolitik durch einen um das annektierte Kuwait gestärkten Irak aber auch noch ein ökonomisches Motiv gab - zweite Weltordnungskrieg hat diese Konstellation sehr schön vor Augen geführt. MILOSEVIC hat dem Westen keinerlei verlangte ökonomische Benutzung verweigert, sondern sich dessen Feindschaft anders und prinzipieller als einer zugezogen, der eigene westlicherseits nicht abgesegnete politische Pläne und das am Rande des NATO-Bündnisgebiets und von EU-Europa verfolgte und eine gewisse Stärke zu erlangen drohte, die ihm das wie regional beschränkt auch immer ermöglichten. Das war eine Herausforderung des Gewaltmonopols der NATO und das heißt des imperialistischen Westens überhaupt, das diese für das Europa bis zur russischen Grenze faktisch beansprucht. Zugleich war der Krieg gegen Jugoslawien vor allem für Deutschland, aber auch für England und Frankreich eine willkommene Gelegenheit, ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu imperialistisch-militärischem "Krisenmanagement" im Rahmen der "neuen Weltordnung" zu demonstrieren und Führungsansprüche zur "politischen Gestaltung" Europas anzumelden, wie umgekehrt die USA den Europäern vorführten, daß ohne das Militärpotential der Weltmacht Nr. 1 gar nichts durchschlagendes läuft und die USA in wichtigen europäischen Angelegenheiten mitzureden haben.

Manchmal können imperialistische Interessen auch rein negativ sein, nicht ein ganz bestimmtes Ziel oder ganz bestimmte Verhältnisse durchsetzen wollen, aber verhindern, daß andere mit ihren Vorstellungen zum Zuge kommen. Das macht sie nicht weniger imperialistisch und nicht weniger gefährlich. Das ideale Mittel, anderen die Souveränität zu etwas abzusprechen, wozu man gar nicht unbedingt selbst jederzeit positiv Gebrauch machen, vielmehr Zeit und Umstände dafür sich selber vorbehalten will, ist das Recht. Nicht "der Führer", wie CARL SCHMITT meinte, das war deutschnational zu kurz gesprungen, aber der Imperialismus " setzt das Recht".

Klaus Braunwarth

Juni 2000

 

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