Die fürsorgliche Bundesregierung und die undankbaren Kurden

Von Ulla Jelpke und Monika Morres

„Der Innenausschuß hat den Antrag der Gruppe der PDS in seiner 79. Sitzung am 4. März 1998 abschließend beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Ablehnung empfohlen.“

Was hier kurz und bündig abgeschmettert wurde, war ein erneuter Antrag der PDS-Bundestagsgruppe zur „Aufhebung des Verbots der Betätigung für die ,Arbeiterpartei Kurdistans‘ (PKK) und ,Nationale Befreiungsfront Kurdistans‘ (ERNK) in der Bundesrepublik Deutschland“.

An einer Beratung über den Inhalt unseres Antrags zeigten die Ausschußmitglieder allerdings wenig Interesse. Es gab keine Debatte über unseren Vorschlag zur Aufhebung des Verbotes kurdischer Organisationen und Publikationen, zur Rückgabe von eingezogenen Sach- und Geldvermögen an die Eigentümer und zur Einstellung von Strafverfahren lediglich aufgrund der Verbote oder auch zur Entlassung von Inhaftierten und Strafgefangenen. Wir hatten in der Begründung die Aufhebung der Verbote gefordert, um die vorhandenen Konflikte zu bewältigen und die Verständigung und das Zusammenleben in der BRD auf der Grundlage der Völkerverständigung und gegenseitigen Toleranz zu fördern und um Feindbilder abzubauen. Dem konnten oder wollten sich die Ausschußmitglieder nicht anschließen.

So erscheint auf der Bundestags-Drucksache über die Beschlußempfehlung des Ausschusses der zutreffende Hinweis: „Lösung: Ablehnung des Antrags. Alternativen: Keine.“ Daß sich die Grünen unserer Initiative nicht anschlossen und sich der Stimme enthielten, mag an der Wahlkampfzeit liegen. Dies ist eben nicht die Zeit der Gemeinsamkeiten. Traurig nur, daß derlei Überlegungen auf Kosten der in der Bundesrepublik lebenden Kurdinnen und Kurden gehen, deren kulturelle und politische Aktivitäten nach wie vor kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt werden.

Seit Jahren, und vor allem seit dem Erlaß des Bundesinnenministers Manfred Kanther zum sog. PKK-Verbot im November 1993, haben wir mehrere Anträge im Bundestag eingebracht und nahezu 70 Anfragen an die Bundesregierung gerichtet: Zum Hintergrund des Verbots und seinen Auswirkungen, zu den Waffenlieferungen an die Türkei, zu den deutsch-türkischen Polizeiabkommen oder zur Menschenrechtssituation in der Türkei. Die Regierung – zumeist das Bundesinnenministerium – zeigte durchgängig wenig Bereitschaft, unsere Fragen erschöpfend und auf der Basis von tatsächlichen Anhaltspunkten zu beantworten. Die Bundesregierung operierte vielfach mit vagen Vermutungen, zog sich auf Paragraphen des Verfassungsschutzgesetzes zurück oder lehnte die Fragen „wegen nachrichtendienstlicher Zusammenhänge einer öffentlichen Darstellung und Erörterung“ ab. Häufig wies sie bei Nachfragen zu Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden darauf hin, daß sie die etwas andere PKK (nämlich die Parlamentarische Kontrollkommission) hierüber unterrichte. Der Haken dabei ist jedoch, daß die PDS von diesem Gremium ausgeschlossen ist.

Wie genervt die Bundesregierung im Hinblick auf die kurdische Thematik ist, zeigte sich in einer Parlamentsdebatte vor zwei Jahren. Auf der Tagesordnung standen verschiedene Anträge der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, SPD und PDS zu den Themen Abschiebestopp für KurdInnen, Stopp der Militär- und Wirtschaftshilfe, Aufhebung des PKK-Verbots und Initiativen für eine politische Lösung.

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer (FDP), war es sichtlich leid. Er meinte, „auch als Staatsminister“ sagen zu müssen, „daß es statistisch keine Volksgruppe gibt, mit der sich der Deutsche Bundestag so intensiv und so fürsorglich auseinandergesetzt hat wie mit den Kurden – keine!“ Schäfer forderte weiter, „daß die Kurden in Deutschland bis zu einem gewissen Grade einmal anfangen, anzuerkennen, daß es kein Parlament in der Welt gibt, das sich ihrer Sache so angenommen hat wie das deutsche“; dies müsse „hier einmal gesagt werden“. Auf der anderen Seite beklagte er jedoch: „Wir haben uns weiß Gott immer wieder bemüht, auch mit der türkischen Regierung zu einem vernünftigen Verfahren zu gelangen“, doch hat dies seiner Meinung nach „keine ausreichenden Ergebnisse gebracht“. Eigentlich spricht diese Aussage eher für die Notwendigkeit, sich mit der Thematik nicht nur auf dem offenbar wenig erfolgreichen diplomatischen Parkett, sondern selbstverständlich auch im Parlament zu befassen. Und erst recht, solange dieser Bundestag über die Lieferungen von Waffen an die Türkei entscheidet, die auch gegen das kurdische Volk zum Einsatz kommen.

Freundliche Worte fand der Staatsminister in seinem Debattenbeitrag für seinen Kollegen im Auswärtigen Ausschuß, Christian Schmidt (CDU/CSU), weil dieser zu jenen gehören soll, „die mit großer Feinfühligkeit und großer Differenziertheit Außenpolitik betreiben“. Worin besteht die Sensibilität des Abgeordneten Schmidt? In der gleichen Bundestagssitzung griff dieser zunächst einmal jene an, die diese Debatte initiiert hatten, und bemerkte, „daß man den Eindruck haben könnte, daß die Redezeit offensichtlich an die PKK gegeben wurde statt an ein Mitglied des Deutschen Bundestages“. Nach seinen Auslassungen über den Mißbrauch des „Gastrechts“ meinte Herr Schmidt feinfühlig: „Ein Abschiebestopp wäre für Mitglieder der zu Recht verbotenen PKK geradezu eine Einladung, ihre terroristischen Aktionen in Deutschland fortzusetzen.“ Außerdem ginge es nicht an, dadurch quasi „den starken Zuwanderungsdruck von Kurden aus der Türkei noch zu erhöhen“, damit diese „ihr schlimmes Wesen hier treiben“ können. Er forderte „die Austrocknung des Sympathisantenumfelds in der Südosttürkei“ und lobte den damaligen und heutigen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz für dessen „neue“ Kurdenpolitik.

An der Situation der Kurdinnen und Kurden hat sich seit dieser Bundestagsdebatte nichts zum Positiven hin verändert. Weder wurde das systematische Foltern auf türkischen Polizeistationen und in den Knästen beendet noch die Verfolgung kurdischer PolitikerInnen, das Verschwindenlassen von Menschen oder die Vertreibungen aus den kurdischen Gebieten. Der Krieg gegen das kurdische Volk wird mit unverminderter Härte fortgesetzt. Das Militär wütet nicht nur in Nordwestkurdistan, die Truppen haben längst die Grenzen überschritten – im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Folgen von Krieg und Vertreibung sind Flüchtlinge. Während Weihnachten 1997 die Deutschen unter’m Tannenbaum saßen, suchten rund 1 200 Menschen, überwiegend KurdInnen, Zuflucht in Westeuropa. In schrottreifen Schiffen landeten sie an der Küste Italiens. Für die Strategen einer im Notfall auch militärischen Abschottung der EU gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen war der Ernstfall eingetreten. In einer polizeilichen und propagandistischen Aktion sondergleichen heizte die Bundesregierung die Abwehrstimmung an, Kanther diffamierte die Flüchtlinge gar als „verbrecherisch organisierte Wanderungsbewegung“. Er machte Druck auf die italienische Regierung: Sie müsse „die sofortige Rückschiebung der zuletzt gestrandeten kurdischen Flüchtlinge“ gewährleisten. Es folgte am 8. Januar 1998 in Rom eine Konferenz hochrangiger Polizeivertreter aus Italien, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden, der BRD und der Türkei, um einheitliche Maßnahmen gegen die „illegale Zuwanderung“ zu besprechen. Für die Türkei nahm ausgerechnet Necati Bilican teil, in dessen Amtszeit als Gouverneur es in den kurdischen Ausnahmezustandsgebieten zu zahlreichen Morden und schwersten Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Nach diesem Polizeitreffen begann die Türkei gleich damit, Hunderte von Flüchtlingen festzunehmen, und kündigte an, Flüchtlingslager zu errichten.

„Ich verstehe zuwenig davon“

Am 14. Januar 1998 befaßte sich auch der Bundestag in einer „Aktuellen Stunde“ mit der verschärften Abschottung der Grenzen gegen kurdische Flüchtlinge. Auch hier sprach der Bundesinnenminister über „besorgniserregende Ausmaße“ beim „Zuzug von Kurden“. Er erklärte, daß es keine Möglichkeit gebe, „die Probleme schlechter Verhältnisse in aller Herren Länder durch Zuwanderung und Verbleib in Deutschland zu lösen“, und machte die Flüchtlinge kurzum zu „nicht integrierbaren Ausländern“. Zudem habe die deutsche Bevölkerung im Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina genügend Menschlichkeit bewiesen, weshalb es nun „keine Bereitschaft und keine Möglichkeiten in Deutschland“ mehr gebe, „dies erneut und immer wieder zu tun.“ Der Innenminister machte klar, was er will: „Schengen muß angewendet werden.“ Seiner Meinung nach kann es nicht angehen, daß Italien „Leute, wenn sie ins Land gekommen sind, frei herumlaufen läßt“, damit diese dann nach Deutschland weiterreisen.

Den Vogel schoß in dieser Bundestagsdebatte der CDU/CSU-Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann ab. Seine Logik: Im Jahr 1997 haben „2,4 Millionen Deutsche Urlaub in der Türkei gemacht“, und nun solle ihm „hier einmal jemand klarmachen, daß Ihnen diese 2,4 Millionen abnehmen, daß die Türkei so schrecklich ist, daß sich Hunderttausende von Menschen auf den Weg machen müssen“ und „die Häfen ansteuern“. Unverständlich sei für ihn auch, daß jemand, „der seine Heimat verläßt und Flüchtling ist, schon von vornherein zu bemitleiden ist“. Wer so etwas behauptet, dem möchte er entgegnen: „Das ist doch alles Unsinn. Es gibt doch auch viele Deutsche, die ins Ausland auswandern.“ Dennoch will er „das, was mit den Kurden passiert ist, nicht verniedlichen“, um gleich hinzuzufügen: „Ich verstehe zuwenig davon“.

Solange Abgeordnete im Bundestag über Themen reden, von denen sie nichts verstehen, solange sie nicht bereit sind, politische Verantwortung für ihre Politik zu übernehmen und sich mit ihren Folgen auseinanderzusetzen, solange wird sich das Parlament mit dem Thema Kurdistan auseinandersetzen müssen.

Ulla Jelpke ist Abgeordnete der PDS im Deutschen Bundestag, Monika Morres ist Mitarbeiterin im Büro von Ulla Jelpke

 


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