Grüne Politik und die kurdische Frage

Von Friedel Grützmacher

Spätestens seit Mitte der 80er Jahre, als der Kampf des kurdischen Volkes gegen die Unterdrückungspolitik der türkischen Regierung wieder an die Öffentlichkeit drang, haben die Grünen sich intensiv und oft kontrovers mit dieser Problematik beschäftigt. Der Widerstand gegen die auch mit Gewalt durchgesetzte Assimilationspolitik der türkischen Regierung, die eine(n) Kurden/in nur dann akzeptiert, wenn er/sie bereit ist, die kurdische Identität aufzugeben, wird seitdem vor allem von der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und deren Führer, Abdullah Öcalan, getragen.

An der PKK und deren Führer entzünden sich seitdem die Kontroversen der Grünen bei der kurdischen Frage.

Auf der einen Seite steht die Ansicht, daß hier einem Volk von 4 Millionen Menschen (nur in der Türkei) das Selbstbestimmungsrecht brutal verweigert wird. Da das Selbstbestimmungsrecht in der Programmatik der Grünen von Beginn an einen hohen Stellenwert eingenommen hat, haben sich auch viele prominente VertreterInnen von Bündnis 90/Die Grünen sehr nachdrücklich für das kurdische Volk in der Türkei eingesetzt. So hat Claudia Roth, bisher Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, ein eigenes Büro in Istanbul eingerichtet, um möglichst nah an dem Problem agieren zu können. Sie hat viel dazu beigetragen, daß im Europäischen Parlament die kurdische Frage auf der Tagesordnung blieb. So forderte das EU-Parlament am 15.1.98 die Mitgliedsstaaten, den Rat und die Kommission der EU auf zu einer internationalen Initiative für eine politische Lösung des kurdischen Konflikts. Claudia Roth wird übrigens nach dem 27.9. für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag sitzen.

Ebenso hat sich in den letzten vier Jahren Amke Dietert-Scheuer in der Bundestagsfraktion intensiv mit der Kurdenproblematik beschäftigt. Sie hat eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich damit beschäftigen wird, welche Möglichkeiten es von Bündnis 90/Die Grünen aus gibt, zu einer Lösung des Konflikts beizutragen auf der Grundlage „einer Demokratisierung und zugleich Dezentralisierung der gesamten Türkei“. „Die AG ergreift für keine der Konfliktparteien Partei“, stellt Amke Dietert-Scheuer klar. „Es gibt gute Gründe für Kritik an beiden Seiten.“ Damit hat sich die bündnis-grüne Bundestagsfraktion eindeutig positioniert. Einer einseitigen Parteinahme für das kurdische Volk und vor allem für die führende Widerstandsorganisation PKK, die es sicher bei vielen Grünen gab und noch gibt, ist damit eine Absage erteilt worden.

Aber die kurdische Frage ist nicht nur ein außenpolitisches, sondern auch ein innenpolitisches Problem. Denn die massive Unterdrückung des kurdischen Volkes findet seine Entsprechung sehr deutlich in einem Ansteigen der Flüchtlingszahlen von KurdInnen aus der Türkei. Rund 400 000 KurdInnen leben derzeit in der Bundesrepublik. Seit dem sog. PKK-Verbot vom November 93 werden ihnen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt.

Bündnis 90/Die Grünen haben sich damals sofort sehr eindeutig für die Aufhebung des Vereins- und Betätigungsverbotes gegen kurdische Vereine, Organisationen und Verlage in Deutschland eingesetzt. Denn die innenpolitischen Folgen dieses Verbots beschädigen unsere demokratische Grundordnung, weil die Aufhebung von Grundrechten einer Minderheit immer auch eine Gefahr für die Grundrechte aller ist. Leider wird in der Öffentlichkeit und teilweise auch bei VertreterInnen von Bündnis 90/Die Grünen der Einsatz für die Aufhebung des sog. PKK-Verbots gleichgesetzt mit einer Parteinahme für die PKK.

Es geht hier aber nicht um die PKK oder ihr nahestehende Organisationen, sondern es geht darum, daß diese Bundesregierung die Angst vor der PKK geschürt hat, indem sie sie als „terroristisch“ bezeichnet hat, und mit dieser Angst nicht nur politische Initiativen gegen Flüchtlinge und AsylbewerberInnen durchgesetzt hat, sondern daß sie diese Angstmache auch benutzt, um unsere Meinungsfreiheit einzuschränken. Ich bin der Meinung und setze mich auch innerhalb der Partei dafür ein, daß das Vereins- und Betätigungsverbot gegen die PKK, die ERNK und die kurdischen Vereine und Organisationen dringend aufgehoben gehört, und ich unterstütze daher gemeinsam mit vielen Grünen die Petition an den im September 98 neu zu wählenden Petitionsausschuß, die eine Aufhebung des sog. PKK-Verbots verlangt.

Friedel Grützmacher ist Abgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Rheinland-Pfalz

 


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