2. Das sogenannte "PKK-Verbot"

Exkurs

Massive öffentliche Vorverurteilung von PKK-Anhängern

Hier kann und soll nur auszugsweise und beispielhaft dargelegt werden, worauf sich die Feststellung einer massiven öffentlichen Vorverurteilung der PKK und ihrer (angeblichen) Unterstützer als „Drahtzieher massiver krimineller Aktivitäten in der BRD“ stützt:

Am 10.11.1993 fand im Bundestag eine aktuelle Stunde „betreffend Anschläge terroristischer Kurdenorganisationen auf türkische Einrichtungen in Deutschland und die deutsch-türkische Beziehungen“ statt. Die dem stenographischen Bericht dieser 188. Sitzung des Deutschen Bundestages entnommenen Äußerungen einiger führender Politiker belegen, wie im Schnellschuß ohne Beweise die PKK als Täter und Drahtzieher einer Serie von Anschlägen aus dem Jahre 1993 ausgemacht werden. So stellte Bundesminister des Innern Kanther fest:

„Es ist kein Zweifel, daß die Auseinandersetzung, die Kurden, geführt von der PKK, gegen Türken in unserem Land betreiben, an Brutalität und Gewalttätigkeit zugenommen hat.“

Kanther machte „terroristische Akte der PKK hier bei uns und überall in der Welt“ aus und fügte hinzu:

„Hier denke ich, meine Damen und Herren, wird das Gastrecht mißbraucht. Wir dürfen nicht zulassen, daß auf deutschem Boden vor allem den ausländischen Mitbürgern Leid zugefügt wird. Die Mittel und Methoden der PKK, wie wir sie kennen – Schutzgelderpressung, Brandanschläge, Geiselnahme, Überfall und auch Mord –, sind kriminell und müssen mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpft wer den.“

Bundesaußenminister Dr. Kinkel stellte in seiner Rede fest, daß „der durch ausländische Mitbürger verübte Terror in unserem Land uns mit Abscheu erfüllt“. Und weiter u.a.:

„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die PKK mit ihren Terrorangriffen z.Z. das Gesetz des Handelns in Südost-Anatolien bestimmt und daß sie eine Bedrohung für den türkischen Staat darstellt. (...) Wir dürfen nicht länger hinnehmen, daß militante kurdische Gruppen in Deutschland versuchen, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen ...“

Nach monatelangen Diskussionen über ein „PKK-Verbot“ in der Medienöffentlichkeit und (später) bekanntgewordenen Ermittlungen im Rahmen eines Verbotsverfahrens gegen die PKK/ERNK und zahlreiche PKK-nahe Vereinigungen aufgrund des Vereinsgesetzes setzte Bundesinnenminister Kanther am 23.11.1993 die Forderung von führenden Politikern der Regierungsparteien und anderen der „Law-and-Order-Fraktion“ in die Tat um: Er erließ eine umfangreiche Verbotsverfügung, die am 26.11.1993 vollstreckt und bekannt gemacht wurde.

Bei bundesweiten Polizeiaktionen wurden am 26.11.1993 weit über 100 Vereins-, Geschäfts- und Wohnräume durchsucht, Vereinslokale leergeräumt und versiegelt, Vereinsvermögen sichergestellt. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden über 600 Polizeibeamte in 19 Städten eingesetzt. Die ganze Tragweite dieser Verfügung wurde in der Öffentlichkeit weitgehend übersehen: Ab dato waren bei uns eine halbe Million Kurden als mindestens potentiell verdächtig anzusehen. Die meisten ihrer Vereinigungen in 29 Städten, selbst die ausdrücklich kulturell orientierten, wurden verboten, durchsucht und waren in jedem Fall in ihrer Arbeit behindert.

Der Bescheid bestand aus elf einzelnen Verfügungen, gegründet auf §§14, 15, 17 und 3 des Vereinsgesetzes, und zwar Feststellungen, daß bestimmte Vereinigungen gegen Gesetze verstoßen, das Verbot der Betätigung für alle betroffenen Vereinigungen, das Verbot und die Auflösung der meisten Vereinigungen (bis auf die PKK und die ERNK), das Verbot, Ersatzorganisationen zu bilden bzw. Kennzeichen usw. zu verwenden, die Vermögensbeschlag nahme sämtlicher betroffener Vereinigungen, und schließlich wurde die sofortige Vollziehung der Verfügungen angeordnet.

2.1. Gegenstand und Begründung des sog. „PKK-Verbotes“

Der Umfang der Verbotsverfügung

Es wurde festgestellt: Die Tätigkeit der PKK „einschließlich ihrer Teilorganisationen ... ERNK, Berxwedan-Verlags-GmbH und ... KURD-Ha (Kurdische Nachrichtenagentur) verstößt gegen Strafgesetze, richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung“, gefährde die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die PKK und ERNK durften sich im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes nicht mehr betätigen, Berxwedan-Verlag und KURD-Ha waren verboten und wurden aufgelöst.

Vereinigungs- und Betätigungsverbot sowie Auflösung galten auch für das Kurdistan-Komitee e.V. und die Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (Feyka-Kurdistan) „einschließlich ihrer Teilorganisationen“, das heißt kurdische Kulturvereinen in insgesamt 29 Städten, wobei letzteren nicht der Vorwurf gemacht wurde, gegen Strafgesetze zu verstoßen.

Einige andere kurdische Vereinigungen, die der PKK politisch nahestehen, waren von den Verfügungen ebensowenig betroffen wie kurdische Organisationen, die sich in der Vergangenheit ausdrücklich gegen die PKK ausgesprochen hatten.

Im Tenor der Verfügung hieß es weiter: „Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die ... (genannten Organisationen) zu bilden oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen.

Es ist verboten, Kennzeichen der verbotenen Vereine für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbotes öffentlich, in einer Versammlung oder in Schriften, Ton- und Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden oder zur Verbreitung bestimmt sind, zu verwenden.“

Die praktischen Konsequenzen der Verfügungen reichten über den hier verkürzt wiedergegebenen Tenor hinaus:

Zunächst werden Zuwiderhandlungen gegen die Verbote nach §20 Vereinsgesetz bestraft: Wer den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt, ja schon wer den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins unterstützt oder wer einem vollziehbaren Betätigungsverbot zuwiderhandelt bzw. verbotene Symbole verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§85 (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot) oder 129 (Bildung, Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer kriminellen bzw. „terroristischen Vereinigung“ nach §129 a StGB – letztere mit einer Höchststrafe von 10 Jahren Freiheitsstrafe bzw. für Rädelsführer 15 Jahren!) des Strafgesetzbuches mit einer (höheren) Strafe bedroht ist. In dem Zusammenhang wies der Bescheid ausdrücklich darauf hin, daß der Generalbundesanwalt bereits wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung im Sinne von §129 a Abs. 1 StGB ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat (Seite 18).

Die Begründung der Verbotsverfügung

Die Verbotsgründe wurden gestützt auf den angeblichen Verstoß gegen Strafgesetze durch PKK, ERNK, Berxwedan-Verlag und KURD-Ha, den sich auch Feyka-Kurdistan und die kurdischen Kulturvereine zurechnen lassen müßten – hergeleitet aus den „Anschlagswellen 1992“, den „europaweiten Ausschreitungen am 24.6.1993“ und den „konzertierten Aktionen und Gewalttätigkeiten am 4.11.1993“ sowie „innerparteilichen gewaltsamen Auseinandersetzungen“. Diese Aktivitäten gefährdeten zugleich die innere Sicherheit und öffentliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland.

In dem Zusammenhang stand auch der Satz (ohne jeden Versuch eines Beweises): „Die PKK steht in Verdacht, ihre Aktivitäten auch durch Spenden- und Schutzgelderpressung sowie illegalen Rauschgifthandel zu finanzieren.“ (Seite 12)

Ausführlicher wurde dargelegt: „Die PKK/ ERNK richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung“. Hierzu hießt es u.a.:

„Die von Anhängern/Sympathisanten der PKK/ERNK begangenen Straftaten in Deutschland und der Türkei (!) mit dem Ziel, einen Teil des türkischen Staatsgebietes in einen noch zu gründenden kurdischen Staat zu überführen, erfüllen diese Voraussetzungen. Die Straftaten stören das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken sowohl in der Türkei (!) als auch in Deutschland ...“ (Seite 25)

Und „die Gefährdung sonstiger erheblicher Belange der BRD“ wurde so begründet:

„Die gewalttätigen Aktionen ... stören erheblich das Verhältnis zum türkischen Staat.

Der Grad der Beeinträchtigung der außenpolitischen Beziehungen ist durch zahlreiche Demarchen der türkischen Regierung sowie dadurch deutlich geworden, daß die türkische Seite bei allen politischen Spitzengesprächen der letzten Zeit (u.a. Bundeskanzler Kohl in Ankara, Mai 1993, Ministerpräsidentin Ciller in Bonn im September 1993) den Vorwurf erhoben hat, die Bundesregierung dulde PKK-Aktivitäten auf deutschem Boden und kontrolliere sie nicht oder nur mangelhaft. Die Türkei trägt im einzelnen vor, die Propagandatätigkeit der PKK in einer für den Bestand des türkischen Staates lebenswichtigen Frage zu dulden und damit zur Destabilisierung in der Südostregion indirekt beizutragen.“ (Seite 26)

Hierauf lag das Schwergewicht der Begründung, hieß es doch in dem Zusammenhang mit Aktivitäten von Kurden wie den Wahlen für ein „kurdisches Nationalparlament“ in Westeuropa 1992 u.a.:

„Diese Aktivitäten schädigen bereits heute Deutschlands Ansehen in der Türkei und die bilateralen Beziehungen erheblich.

Die Bundesrepublik Deutschland ist als Mitglied der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, das völkerrechtliche Gewaltverbot nach Artikel 2 Abs. 4 der Charta der Vereinten Nationen und den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines ausländischen Staates zu beachten und die territoriale Integrität der Türkei nicht zu gefährden.

Die deutsche Außenpolitik und die Außenpolitik der gesamten westlichen Welt tritt für diese Integrität eines wichtigen NATO-, WEU- und Europaratspartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein. Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben. (Hervorhebung vom Verf.).

Darüber hinaus werden dadurch diejenigen Kräfte in der Türkei bestärkt, die die Bindung an Europa und an die westliche Welt lockern wollen.“ (Seite 27)

Kurze Bewertung

Der Platz reicht nicht, um auf die angeführten Belege (Beweismittel) und ihre Qualität im einzelnen einzugehen. Betont werden muß zunächst, daß PKK und ERNK nicht verboten wurden, schon gar nicht als „terroristische Vereinigungen“, sondern lediglich die Betätigung für diese in der Bundesrepublik Deutschland.

Unabhängig hiervon ist festzustellen:

a) Die Verfügung ging auf ihren 53 Seiten mit keinem Wort ein auf die tatsächliche Situation der Kurden in der Türkei, die offizielle Abschaffung der Menschenrechte in Ausnahmezustandsgebieten, die Massaker des türkischen Militärs an der kurdischen Zivilbevölkerung, die Zwangsevakuierungen und -deportationen, die systematische Folter und organisierten Morde an Oppositionellen, Journalisten und anderen Kurden durch Konter-Guerillakräfte bis hin zur Exekution des 71jährigen kurdischen Schriftstellers und PEN-Mitglieds Musa Anter und des kurdischen Parlamentsabgeordneten Mehmet Sincar auf offener Straße, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Der drohende Völkermord des türkischen Militärs an den Kurden mit Hilfe deutscher Waffenlieferungen im Werte von bis dahin etwa 10 Milliarden DM war natürlich erst recht kein Thema.

b) Statt dessen wurde umstandslos und offen die Version der türkischen Regierung von der „terroristischen PKK“ übernommen, die die Einheit des türkischen Staates bedrohe – „Terrorismus“ und „Separatismus“ im Sinne des türkischen Militärregimes. Diese Darstellung der politischen Ziele und Hintergründe sowie Methoden des nationalen Befreiungskampfes in Kurdistan war nicht nur verzerrt und einseitig, sondern grundfalsch:

Hatte doch die PKK-Führung das Ziel eines eigenen Staates Kurdistan bereits vor mehr als vier Jahren offiziell zurückgestellt und erklärt, es sei auch denkbar, einen längeren Zeitraum mit den Türken in einem Staat zu leben (Generalsekretär Öcalan sprach von 40 Jahren), entscheidend sei, daß das Volk Kurdistans das Recht erhalte, über seine Zukunft selbst zu bestimmen, und die Kurden das Recht, sich politisch frei zu äußern und zu betätigen;

Und hatte doch die ERNK in den von ihr kontrollierten Gebieten die Macht der mittelalterlichen Feudalherren gebrochen und moderne soziale und demokratische Verkehrsformen (für die Gleichberechtigung der Frauen und Jugendlichen, gegen Blutrache, Fehden usw.) eingeführt und so den Kampf für nationale und soziale Befreiung auf eine breite und moderne demokratische Grundlage gestellt.

2.2. Die Verfahren gegen das Verbot vor dem Bundesverwaltungsgericht

Die Verbotsverfügung wurde von sämtlichen betroffenen Vereinigungen bis auf die PKK und ERNK durch Klage beim Bundesverwaltungsgericht angefochten, und es wurde beantragt, die sofortige Vollziehung des Verbotes auszusetzen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschlüssen vom 15.7.1994 in den sogenannten „PKK-Verbots“-Verfahren die Verbotsverfügungen gegen kurdische Vereinigungen teilweise ausgesetzt.

Alle örtlichen kurdischen Vereine, die neben der Klage einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt hatten, und damit die überwiegende Mehrheit, durften daher ihre Tätigkeit weiterführen. Für das Gericht überwogen die „Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung“ von Bundesinnenminister Kanther. So komme das Bundesministerium des Inneren in der Verbotsverfügung weder seinen gesetzlichen Begründungspflichten nach noch sei entgegen der Verbotsverfügung davon auszugehen, daß die örtlichen Vereine Teil- und Nebenorganisationen der PKK/ERNK seien.

Diese Entscheidungen waren ein erfreulicher und für das Leben unserer kurdischen Mitbürger in der Bundesrepublik überaus wichtiger Erfolg. Sie waren zugleich eine schallende Ohrfeige für Bundesinnenminister Kanther. Zwischen den Zeilen wurde ihm bescheinigt, mit der Verbotsverfügung krassen Rechtsbruch begangen zu haben. Daß das höchste deutsche Verwaltungsgericht eine derart groß herausgestellte Entscheidung wie das Verbot der kurdischen Vereine wegen ihrer offensichtlichen Rechtswidrigkeit aussetzt, ist ein nicht alltäglicher Vorgang.

Gleichwohl war festzustellen, daß durch den Vollzug des Vereinsverbots bereits nicht zu behebender Schaden in großem Ausmaße verursacht worden war. Vor allem aber hatte das Bundesverwaltungsgericht die Betätigungsverbote für die PKK und die Nationale Befreiungsfront ERNK ebensowenig ausgesetzt wie das Verbot der Föderation der Kurdischen Vereine in der Bundesrepublik (FEYKA-Kurdistan) und des Kurdistan-Komitees, weil diese die im Namen der PKK/ERNK begangenen Gewaltakte von Kurden in Deutschland tatkräftig unterstützt und sich mit den ihnen zuzurechnenden Gewaltaktionen in Deutschland solidarisiert hätten. Sie gefährdeten dadurch die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, ohne daß es darauf ankomme, wie die mit der Gewaltanwendung oder -Propagierung verfolgten Ziele zu beurteilen seien und ob möglicherweise sogar berechtigte Anliegen vertreten würden.

Die behauptete tatkräftige Unterstützung und Solidarisierung mit der PKK/ERNK zugerechneten Gewaltaktionen (Konsulatsbesetzungen im Juni und Anschlägen auf türkische Einrichtungen im November 1994) wurde beim Kurdistan-Komitee insbesondere damit begründet, daß es sich von diesen „nicht distanziert“ habe. Außerdem stützte man sich auf die von der Bundesanwaltschaft behauptete angebliche „terroristische Vereinigung innerhalb der PKK“ zur Liquidierung von Parteifeinden, obwohl selbst die Bundesanwaltschaft im PKK-Prozeß vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht eine solche Vereinigung für die Zeit nach Oktober 1987 nicht mehr hatte feststellen können und eine neue terroristische Vereinigung im November 1993 weder vom Generalbundesanwalt noch einem Gericht festgestellt war.

Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Eilverfahren habe ich im August 1994 Verfassungsbeschwerde insbesondere wegen Verstoßes gegen die Vereinigungs- und Meinungsfreiheit erhoben, über die bis jetzt (nach fast vier Jahren!) noch nicht entschieden worden ist. Das Klageverfahren des Kurdistan-Komitees gegen den Bundesminister des Inneren in der Hauptsache ist vor dem Bundesverwaltungsgericht erwartungsgemäß ebenfalls negativ ausgegangen, ebenso die Klagen des Berxwedan-Verlages und der Nachrichtenagentur KURD-Ha. Nach Anfechtung eines entsprechenden Gerichtsbescheids hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 9.12.1997 die Klage des Kurdistan-Komitees abgewiesen. Die Begründung reduziert sich im wesentlichen wiederum auf die vorgebliche „Nichtdistanzierung“ des Kurdistan-Komitees von den der PKK zugeschriebenen Anschlagserien. Daraufhin wurde die schon im Zusammenhang mit dem Eilverfahren eingelegte Verfassungsbeschwerde im Februar 1998 erweitert, der Ausgang bleibt abzuwarten. Im Falle einer Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde könnte eine Menschenrechtsbeschwerde zur Europäischen Kommission für Menschenrechte in Straßburg bzw. eine anschließende Entscheidung des dortigen Europäischen Gerichtshofs eine positive Klärung herbeiführen. Es ist doch schwer vorstellbar, daß die dortigen Richter die massiven Einschränkungen der Vereinigungs- und Meinungs- bzw. Pressefreiheit für kurdische Organisationen in Deutschland absegnen, wo doch in allen anderen westeuropäischen Ländern vergleichbare Vereinsverbote und deren „konsequente Durchsetzung“ nicht existieren. Hinzu kommt der Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht, auf den im folgenden kurz eingegangen werden soll.

2.3. Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht –

das Gutachten von Prof.Dr. Norman Paech

In dem Klageverfahren vor dem Bundesverwaltungsgerichts wegen des Verbots kurdischer Vereinigungen durch Bundesinnenminster Kanther haben die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die die zentralen Vereine vertraten (Kurdistan-Komitee e.V., FEYKA-Kurdistan, Berxwedan Verlag und kurdische Nachrichtenagentur KURD-Ha), das umfassende Gutachten des renommierten Völkerrechtlers Prof. Dr. jur. Norman Paech aus Hamburg vorgelegt.

In seinem 39seitigen Gutachten kommt der Sachverständige zum Ergebnis,

„daß der türkisch-kurdische Krieg in Süd-Ost-Anatolien ein internationaler Konflikt im Sinne Art. 1 Abs. 1, Protokoll I ist. In ihm kämpft die PKK als legitime Vertreterin des kurdischen Volkes um die Gewährung des Selbstbestimmungsrechts und die Einhaltung der Menschenrechte. Abgesehen von völkerrechtswidrigen Angriffen auf Zivilpersonen und zivile Objekte ist ihr Kampf gegen das türkische Militär völkerrechtlich gerechtfertigt. Sie ist dementsprechend weder eine terroristische Vereinigung, noch verstößt ihr Kampf gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Eine ,Störung des friedlichen Zusammenlebens zwischen Kurden und Türken‘ liegt vielmehr in der Weigerung der türkischen Regierung, das Selbstbestimmungsrecht der Kurden anzuerkennen.

Auch derjenige, der die Bewertung des Krieges als internationaler Konflikt nicht akzeptiert, wird nicht abstreiten können, daß es sich auf jeden Fall um einen bewaffneten Konflikt handelt, auf den die Regelungen des Protokolls II Anwendung finden. In diesem Fall verbietet es sich, von der PKK als terroristischer Vereinigung zu sprechen und ihren Kampf als Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu werten.

Als eine ,organisierte bewaffnete Gruppe‘ hat sie Anspruch auf Neutralität dritter Staaten in ihrem bewaffneten Konflikt gegen den türkischen Staat.

Ihre Forderung nach Selbstbestimmung und Einhaltung der Menschenrechte ist völkerrechtlich gerechtfertigt und im vorliegenden Fall, in dem die türkische Regierung diese Rechte systematisch verweigert, auch mit Gewalt durchsetzbar.

Es ist insofern völkerrechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Organisation wie das ,Kurdistan Komitee e.V.‘ lt. ihrer Satzung ,den Unabhängigkeits- und Freiheitskampf des Volkes von Kurdistan vor der europäischen Öffentlichkeit bekanntmachen‘ will, ,die europäische Öffentlichkeit auf die Folter- und Massakerpraktiken der Junta an dem Volk von Kurdistan durch Dokumente und konkrete Formen der Aufklärung aufmerksam machen‘ will und ,sich mit den politischen Gefangenen in den Militärkerkern in Kurdistan, an erster Stelle Diyarbakir, solidarisiert‘ (vgl. Seite 46 der Verbotsverfügung). Ist es schon unklar, gegen welche Vorschriften des deutschen Rechts diese Satzungsbestimmungen verstoßen sollen, so bewegen sich derartige Aktivitäten voll im Rahmen des völkerrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts des kurdischen Volkes. Auch die vom Bundesministerium des Innern inkriminierten Veröffentlichungen des ,Kurdistan Komitee e.V.’, ,die sich nahezu ausschließlich in agitatorischer und verunglimpfender Weise mit der Situation der Kurden in der Türkei und in Deutschland befassen‘ (vgl. Seite 46ff der Verbotsverfügung), mögen provokativ und unbequem sein, halten sich jedoch im völkerrechtlichen Rahmen des Selbstbestimmungsrechts. Sie gehen, soweit es sich um ,Angriffe gegen den türkischen Staat‘ handelt, nicht über das hinaus, was neutrale Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder Helsinki Watch über Folter und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei veröffentlichen.

Auch die massiven Vorwürfe gegen die Bundesrepublik wegen ,heuchlerischer Politik‘ und ,Mitschuld an den Greueltaten und Massakern des türkischen Staates am kurdischen Volk‘ sind nicht nur von kurdischen, sondern auch von deutschen Organisationen zu hören. Vor dem Hintergrund einer engen Bündnispolitik, die die Türkei in Deutschland nicht nur durch Waffenlieferungen, sondern auch durch enge politische und wirtschaftliche Beziehungen miteinander verbindet, mag eine solche Kritik zwar als störend empfunden werden.

Es ist aber rechtlich vollkommen unerheblich und gibt für die vom Bundesminister des Innern zwar wohl ernst gemeinten, aber doch nur schlicht behaupteten Vorwürfe juristisch nichts her, daß die ,aggressive Agitation ... geeignet (sei), das friedliche Zusammenleben der Bürger in Deutschland erheblich zu stören, ... sich dieses Verhalten gegen den Gedanken der Völkerverständigung (richte) und die innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung (gefährde)‘ (vgl. Seite 48 der Verbotsverfügung).

Der Vorwurf gegenüber dem ,Kurdistan-Komitee e.V.‘, ,als Sprachrohr der PKK ... Gewaltandrohungen der PKK, ERNK und deren militärische Organisation Volksbefreiungskomitee Kurdistan (ARGK) unkommentiert in der Öffentlichkeit (zu verbreiten)’, ist ebenfalls vor dem Hintergrund des Kampfes um Selbstbestimmung völkerrechtlich unbedenklich, soweit es sich um Aktionen gegen militärische Einrichtungen des Gegners handelt. Soweit es sich um zivile Ziele des Gegners handelt – und hier hat nicht nur die PKK bewaffnete Aktionen gegen Tourismusgebiete der Türkei, sondern auch die türkische Regierung die Zerstörung von kurdischen Dörfern angekündigt –, sind derartige Aktivitäten völkerrechtswidrig. Die Veröffentlichung der Ankündigungen wie auch ihrer Durchführung – auch dies erfolgt in türkischen Presseorganen und ist nicht beschränkt auf kurdische Publikationen – ist rechtlich unbedenklich, soweit sich nicht aus der Veröffentlichung eine undistanzierte Propagierung der Aktivitäten ergibt.

Schließlich entbehrt auch der Vorwurf, das ,Kurdistan-Komitee e.V.‘ unterstütze ,Initiativen der PKK, die eine Anmaßung staatlicher Autorität auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland darstellen und den Eindruck erwecken, die Bundesregierung dulde die Beeinträchtigung der Souveränität der Türkei‘ (vgl. Seite 49 der Verbotsverfügung), der rechtlichen Grundlage. Es wird dabei auf die Wah len für ein ,kurdisches Nationalparlament‘ Ende 1992 und die Austeilung eines ,Visums für Kurdistan‘ an Reiseveranstalter und Reisende angespielt. Es wird mit diesen eher symbolischen Handlungen im Ausland kaum ,staatliche Autorität‘ angemaßt, sondern vielmehr versucht, das in der Türkei vorenthaltene Recht auf Selbstbestimmung im Exil demonstrativ einzufordern.

Nach alledem muß dem Bundesminister des Innern eine vollkommene Unkenntnis bzw. Nichtberücksichtigung des Rechts auf Selbstbestimmung vorgeworfen werden, welches ein zwingendes Prinzip des Völkerrechts ist (ius cogens). Trägt man diesem Prinzip jedoch Rechnung, so ist es nicht der kurdische Widerstand, sondern die türkische Regierung und das türkische Militär, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen und das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken stören.“ (Seite 37ff.)

2.4. Konsequente Durchsetzung des „PKK-Verbots“

Auf der Grundlage des „PKK-Verbots“ fand mehrere Jahre lang eine fast uferlose Kriminalisierung von Kurden mit Hilfe von Überprüfungen, Durchsuchungen, einer systematischen Ablehnung von Asylanträgen und gezielten Abschiebungen, Observationen, offiziellen Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz statt.

Einen guten Überblick hierzu bietet die im Anhang abgedruckte Zusammenstellung der wichtigsten Ereignisse im Rahmen dieser Kurdenverfolgung. Sie verdeutlicht vor allem zweierlei: die z.T. erschreckende Parallelität der Ereignisse in Deutschland und in der Türkei und die weitgehende Isolierung der bundesdeutschen Verfolgung gegenüber dem europäischen Ausland; wird doch dort die wachsende Bedeutung der PKK und ERNK offensichtlich realistischer eingeschätzt und in einer Reihe von Ländern sogar mit der Einrichtung offizieller Vertretungen der ERNK gewürdigt.

Zur Illustration der traurigen bundesdeutschen Wirklichkeit einige Zitate aus offiziellen Dokumenten und Fallbeispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

• Die Leitung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat die Mitarbeiter am 25.3.1994 zur „beschleunigten Durchführung der Verfahren von Antragstellern, die an den kurdischen Gewaltaktionen im März 1994 teilgenommen haben“, angewiesen, eine umfassende Berichtspflicht, statistische Erfassung und Datenaustausch einzuführen. Weiter heißt es: „Es ist generell darauf hinzuweisen, daß aus der Gefahr drohender politischer Verfolgung keineswegs auch auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses ge schlossen werden kann.“

In einer Sondersitzung haben die Staatssekretäre des Innenministeriums des Bundes und der Länder im April 1994 u.a. beschlossen: „Das PKK-Verbot ist unter Ausschöpfung aller Mittel weiterhin konsequent durchzusetzen. Etwaige Ersatzorganisationen sind aufzulösen. (...) Hinsichtlich aller Teilnehmer an Gewaltaktionen werden die vorhandenen ausländerrechtlichen Maßnahmen voll ausgeschöpft. Abschiebungen sind zu vollziehen, soweit dies im Einzelfall zulässig ist. (...) Die Bundesregierung wird ersucht, die türkische Regierung aufzufordern, eine Zusicherung abzugeben, daß Abgeschobene keine Todesstrafe, keiner Folter und keine sonstige unmenschliche Behandlung erfahren.“

• Am 1. Juli 1994 wurde in Hannover der kurdische Jugendliche Halim Dener von einem SEK-Zivilbeamten erschossen. Der Todesschuß kann nur verstanden werden vor dem Hintergrund des Feindbildes „Kurden“ in der Türkei und auch bei uns.

Auch in Niedersachsen wurde dies umgesetzt, u.a. gegenüber Bezirksregierungen und Ausländerbehörden mit Erlaß des Innenministers vom 6.4.1994 betreffend „Ausweisung und Abschiebung ausländischer Straftäter – Gewaltaktionen extremistischer Kurden“. Hinzu kamen reißerische Artikel in Polizeizeitschriften, wie in der „Hessischen Polizeirundschau“ vom Mai 1994 unter der Überschrift: „Wann fällt der erste Schuß?“ über einen Polizeieinsatz anläßlich einer Autobahnblockade. Es wird berichtet, wie nach dem Einsatz „über all ... Gruppen von Kollegen zusammenstehen ... ich werfe in meinem Kreis in die Diskussion, daß ich mein Waffenholster bereits geöffnet hatte, und ein Kollege pflichtet mir bei, daß er dies auch gemacht hatte.

Wir waren uns einig: Schußwaffengebrauch wäre gerechtfertigt gewesen, und wir alle fragten uns an diesem Nachmittag, sollte es so weitergehen: ,Wann fällt der erste Schuß‘?“

Wo es ein so klares Feindbild gibt, sitzt die Dienstwaffe noch lockerer als offenbar sonst.

Der öffentliche Protest kurdischer Vereinigungen, deutscher Demokraten und der internationalen Öffentlichkeit sind bekannt. Weniger bekannt vielleicht die hämische Reaktion der türkischen regierungsnahen Presse, die den polizeilichen Todesschuß in Deutschland mit Hetzartikeln unter der Überschrift „Verstehst Du nun, blonder Hans?“ für ihre Lügenpropaganda im „Kampf gegen den Terrorismus“ auszuschlachten versuchte.

Das Strafverfahren gegen den Todesschützen, den SEK-Polizeibeamten Klaus T., endete im Jahre 1997 nach öffentlicher Hauptverhandlung mit umfangreicher Beweisaufnahme für viele erwartungsgemäß mit einem Freispruch für den Schützen.

Rechtsanwalt Dr. Gössner, der in der Hauptverhandlung mit mir zusammen die Familie Dener als Nebenklägerin vertreten hat, geht in seinem Beitrag in dieser Broschüre auf die Einzelheiten ein.

• Mit Beschluß vom 14.9.1994 bestätigte das Verwaltungsgericht Hannover das Verbot des „Halim-Dener III. internationalen deutsch-kurdischen Kulturfestivals 1994“ durch die Polizeidirektion. Die Begründung des gerichtlichen Beschlusses nach den völlig friedlichen Großdemonstrationen der Kurdistan-Solidarität in den Monaten zuvor (u.a. im Mai in Frankfurt und im Juli in Hannover) reduzierte sich auf einigen einzigen Vorwurf:

„Auch die übrigen ... Versammlungen und Demonstrationen, die seit dem Verbot der PKK und ihrer Teilorganisationen stattgefunden haben, belegen, daß bei Veranstaltungen, in denen für die Lösung der Kurdenproblematik eingetreten wird, regelmäßig die unmittelbare Gefahr des Zeigens von Kennzeichen verbotener Vereinigungen besteht. Denn bei jeder der dokumentierten Versammlungen kam es dazu, daß eine Vielzahl von Teilnehmern während oder kurz nach dem Ende der Veranstaltung Fahnen und Embleme der PKK und ERNK zeigten.“ (Seite 14)

Die „Gefahr des Zeigens von Kennzeichen verbotener Vereinigungen“ soll also das vollkommene Verbot einer friedlichen Veranstaltung mit Zigtausenden von Kurden rechtfertigen. Eine wahrhaft erstaunliche Begründung, wenn man bedenkt, daß die türkischen Militärbehörden z.B. im März 1992 eine ausnahmsweise genehmigte Großveranstaltung zum kurdischen Newroz-Fest im Stadion von Diyarbakir mit eben dieser Begründung verboten hatten – am Newroztage selbst kam es bekanntlich zu den blutigen „Newroz-Massakern“, die sogar dazu geführt hatten, daß die deutsche Waffenhilfe mehrere Monate suspendiert wurde ... Weitblickend, wie deutsche Richter sind, betonten die Hannoveraner Verwaltungsrichter zwar „den hohen Rang der Versammlungsfreiheit in der Wertordnung des Grundgesetzes“, stellten demgegenüber aber definitiv fest:

„Ein Vereinsverbot, das nur unter strengen Voraussetzungen ausgesprochen werden kann, liefe leer, wenn die Mitglieder eines verbotenen Vereins weiter für diesen tätig sein oder für diesen werben dürften.“ (Seite 15)

• In einer Ladung an den Kölner AGRI-Verlag vom Polizeipräsidenten in Köln unter dem 12.9.1994 wegen „Verstoßes gegen §21 Landespressegesetz“ hieß es:

„In der Juni-Ausgabe des ,Kurdistan-Report‘ (Seite 35) werden bundesdeutsche Stellen des Völkermordes beschuldigt. Insofern besteht der Verdacht einer Straftat nach §90a StGB“ – das heißt Verunglimpfung des Staates, bedroht mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.“

Ein Dreiviertel Jahr später, am 1. Juni 1995, wurden die Geschäftsräume des AGRI-Verlages vier Stunden lang von 30 Polizisten besetzt und durchsucht, 15 Tonnen Bücher, Zeitschriften, Kassetten sichergestellt, der Verlag geschossen – von der Bundesanwaltschaft wegen des Vertreibens von Material über den 5. Parteikongreß der PKK, zusätzlich vom Gewerbeaufsichtsamt in Köln aus „gewerberechtlichen Gründen“. In einer Erklärung eines Verlagsprechers hieß es:

„Dieser Angriff des deutschen Staates erinnert mich an die Bücherverbrennung des Hitlerfaschismus. Wir publizieren und vertreiben verschiedene Bücher, Broschüren, Kassetten etc. mit dem Ziel, das kurdische Volk zu informieren, aufzuklären und zu bilden. Das ist ein Angriff auf die Informations- und Meinungsfreiheit. (... ) Damit wendet der deutsche Staat die gleichen Methoden an wie der türkische.“

Bundesweite Proteste von Kurden, den Grünen usw. folgten.1

• Zur gleichen Zeit lag die Anklage der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München wegen der Verbreitung des „Kurdistan-Reports“ (Ausgaben Juni und Juli 1994, Nr. 68) gegen drei Münchener Bürger an das Landgericht (Große Strafkammer – Staatsschutzkammer!) vor; in den Ausgaben dieser Zeitschrift seien Textpassagen enthalten, „deren Inhalt jeweils Unterstützungscharakter zugunsten der mit Verfügung des Bundesministers des Inneren vom 22.11.1993 mit einem Betätigungsverbot im Bereich der Bundesrepublik Deutschland versehenen PKK hat“, die in den Artikeln „Vom touristischen ,Paradies‘ in die Hölle des Krieges“ sowie „Die nationale Frage im allgemeinen und die nationale Befreiungsbewegung Kurdistans“ enthalten seien. Weiter hieß es in der 19seitigen Anklageschrift:

„Außerdem befindet sich auf der Titelseite dieser Ausgabe des ,Kurdistan Reports‘ links oben das Kennzeichen (roter fünfzackiger Stern auf grün-gelben Grund) der mit Verfügung des Bundesministeriums des Inneren vom 22.11.1993 bestandskräftig im Bereich der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot versehenen ... ERNK.“

• Im März 1995 wurde das „Kurdistan Informationsbüro“ (KIB) in Köln, Braunschweig u.a. als Nachfolgeorganisation des verbotenen „Kurdistan-Komitees e.V.“ Köln aufgrund einer Verfügung von Bundesinnenminister Kanther als „eine Ersatzorganisation des im November 1993 verbotenen Kurdistan Komitees verboten, das wiederum der kurdischen Arbeiterpartei PKK zugerechnet werde“.2

Diese Beispiele aus einem begrenzten Zeitraum verdeutlichen, daß die „konsequente Durchsetzung des PKK-Verbots“ die gesamte kurdische nationale Befreiungsbewegung unter Führung der PKK und ihrer Anhänger in Deutschland kriminalisiert, sobald sie sich in der Öffentlichkeit entsprechend äußern oder betätigen. Auch einem vollkommen unpolitischen und unbefangenen Betrachter dürfte es schwer fallen zu glauben, daß hierfür nur juristische Gründe maßgeblich sind, wenn man bedenkt, daß PKK, ERNK und ihr nahestehende kurdische Vereinigungen in anderen westeuropäischen Ländern keineswegs verboten sind und etwa das in Hannover verbotene „III. internationale Kurdistan-Festival“ Ende September in Maastricht mit über hunderttausend Teilnehmern ohne irgendwelche Zwischenfälle stattfinden konnte: Es waren etwa 50 Polizisten ausschließlich zur Verkehrsregelung eingesetzt, überall waren Schriften und sonstiges Material der kurdischen nationalen Befreiungsbewegung einschließlich PKK und ERNK zu sehen und wurden dort vertrieben, ohne daß irgend jemand hieran Anstoß nahm.

1 Vgl. Politische Berichte, 15.6.1995

2 Pressemitteilung dpa vom 2.3.1995

 


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