1. Der große Düsseldorfer "PKK-Prozeß" gegen PKK-Anhänger nach §129a StGB als Versuch, die PKK als revolutionäre Bewegung für nationale und soziale Befreiung zu liquidieren

Am 7.3.1994 verkündete der Vorsitzende Richter des 5. (Staatsschutz-)Senats des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf das Urteil gegen die vier verbliebenen Angeklagten nach fast viereinhalb Jahren Hauptverhandlung: Zwei Angeklagte erhielten eine lebenslange Freiheitsstrafe (wegen eines bzw. zweier Morde und eines Mordversuchs), zwei Angeklagte Freiheitsstrafen von sechs bzw. sieben Jahren mit der Folge, daß die beiden kurdischen Politiker nach Urteilsverkündung freigelassen wurden; sie wurden der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ innerhalb der PKK (ebenso wie einer der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten) für schuldig befunden, in einem Fall zusätzlich der Freiheitsberaubung.

Damit endete der größte Prozeß in der Geschichte der deutschen Strafjustiz in I. Instanz. Verteidigung und Generalbundesanwalt legten zunächst gegen das Urteil Revision ein, die für drei Angeklagte jedoch zurückgenommen wurde. Die Revision eines der Hauptangeklagten, S. Erdem, wurde später vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen, die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, über die 1997 zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strafburg eingelegte Menschenrechtsbeschwerde ist noch nicht entschieden worden (siehe unten).

1.1. Die Ausgangsbedingungen

Eine zuverlässige Einschätzung dieses Jahrhundertprozesses verlangt Klarheit über die Ausgangsbedingungen bei den Vorbereitungen Mitte der achtziger Jahre und die mit ihm verfolgten Ziele. Stichwortartig lassen diese sich so zusammenfassen:1

1. Zeitgleich mit der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in Nord-Westkurdistan (Südost-Türkei) durch die PKK im August 1984 begannen in Westeuropa internationale Geheimdienste und sogenannte Sicherheitsexperten eine Kampagne gegen die bis dahin allgemein akzeptierte PKK als „gefährliche Terroristen“, die in dem Versuch gipfelte, der PKK den Mord an dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme in die Schuhe zu schieben, ein Versuch, der allerdings kläglich scheiterte.

Obwohl gewaltsame Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund der traditionellen kurdischen Gesellschaft (Blutrache u.a.) und der Entwurzelung in Westeuropa nichts Außergewöhnliches sind und Tötungen von Anhängern antifaschistischer Exilorganisationen in diesem Jahrhundert allein in Westeuropa (Spanien, Frankreich, Italien u.a.) in die Tausende gehen und die Schuld hieran ohne endgültige historische Klärung wechselweise faschistischen Agenten oder konkurrierenden Organisationen gegeben wird, begann man, hinter jeder Tötung eines Kurden in Westeuropa die PKK zu verdächtigen. Seit 1986 verstärkte die türkische Regierung ihre diplomatischen Aktivitäten zur Isolierung und Zerschlagung und gleichzeitig ihre geheimdienstlichen Aktivitäten zur Unterwanderung und Liquidierung der PKK. Gleichzeitig inszenierte der türkische Geheimdienst MIT Anschläge, um sie der PKK in die Schuhe schieben zu können (insbesondere der angebliche Sprengstoffanschlag gegen den türkischen Generalkonsul in Hamburg im Herbst 1986). Im Rahmen dieser Inszenierungen wurde die PKK in systematischen Polizei- und Medienkampagnen zu den „gefährlichsten Terroristen Europas“ erklärt.

Nach dem Fehlschlag der Kriminalisierung von PKK-Anhängern als „Terroristen“ in Schweden, Frankreich und der Schweiz (trotz landesweiter Razzien, Massenfestnahmen usw. wurde keine einzige Waffe, kein Gramm Sprengstoff gefunden, geschweige denn die vorher groß angekündigten Kriegswaffen) sowie dem Fehlschlag des vom türkischen Geheimdienst MIT inszenierten Sprengstoff anschlags in Hamburg wurde beschlossen, die Kriminalisierung der PKK als „Terroristen“ in der BRD mit Hilfe des berüchtigten §129a und seines polizei- und strafprozessualen Instrumentariums und der besonderen Erfahrungen der repressiven politischen Justiz in Deutschland bei der Bekämpfung revolutionärer Opposition durchzuführen.

Begünstigt wurde dies durch eine Kampagne türkischer und kurdischer Gruppierungen, die die PKK für Tötungen verantwortlich machten und zusammen mit bundesdeutschen links-alternativen Kräften (GAL Hamburg; die Tageszeitung „taz“ u.a.) behaupteten, die PKK wolle alle politischen Gegner liquidieren.

2. Nach entsprechenden Pilotverfahren gegen die tamilischen „Tigers“ wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB) begann nach umfangreichen vorbereitenden Arbeiten von Bundesverfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Landeskriminalämtern usw. im Januar 1987 offiziell das Ermittlungsverfahren gegen die PKK.

Hierzu wurden spezielle neue Rechtsgrundlagen verfaßt, nachdem der frühere Generalbundesanwalt Rebmann im Juli 1986 einen Beitrag veröffentlicht hatte, in dem es heißt:

„Angesichts der internationalen Verflechtungen des Terrorismus und der überhaupt mehr und mehr erkennbaren terroristischen Internationalisierung ist eine umfassende zentrale Ermittlungszuständigkeit der Staatsanwaltschaft des Bundes für alle schwerwiegenden Straftaten terroristischer Prägung un er läß lich“.2

Im Oktober 1986 führte Generalbundesanwalt Rebmann Gespräche mit hochrangigen Vertretern der Türkei (darunter dem Botschafter Iscen) über die Zusammenarbeit gegen den „internationalen Terrorismus“.

Ende Oktober brachte die Regierungskoalition einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung des Terrorismus ein, wonach die Bundesanwaltschaft künftig auch zuständig sein sollte für die Verfolgung von „terroristischen Vereinigungen“ aus dem Ausland, wenn sie in der Bundesrepublik Katalogstraftaten des §129a StGB begehen, die „die Sicherheit ... seiner nichtdeutschen Vertragsstaaten ... zu beeinträchtigen“ drohen. Die Gesetzesänderung trat zum 1.1.1987 in Kraft.

3. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und parallel hierzu begann 1987 in der BRD eine massive flächendeckende „staatliche Verfolgung“ der Kurden mit den Mitteln des Straf-, Polizei- und Verwaltungsrechts, Hausdurchsuchungen, Verboten von Veranstaltungen und Demonstrationen, der Beschlagnahme von DM 700000,– Spendengeldern (die allerdings später zurückgegeben werden mußten, nachdem sich trotz intensiver Bemühungen der Landeskriminalämter niemand hatte finden lassen, dem das Geld als „Schutzgeld“ abgepreßt worden sein sollte). Den presserechtlich Verantwortlichen kurdischer Veröffentlichungen wurde verboten, die Zeitungen herauszugeben, die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen abgelehnt mit der Begründung, die Kurden hätten sich „an Demonstrationen der PKK gegen die Türkei“ beteiligt, anläßlich des Besuchs der türkischen Ministerpräsidentin wurden Kurden tagelang unter „Hausarrest“ gestellt usw.

Parallel hierzu begann die PKK-Führung Untersuchungen über die Tätigkeit ihrer Europavertreter, die damit endeten, daß im Oktober 1987 zwei langjährige Hauptverantwortliche, Cafer (Ali Cetiner) und Edip, aller Ämter enthoben und ausgeschlossen wurden.

4. Im Februar 1988 wurde das Geheimdienstkomplott in Szene gesetzt: Innerhalb von 10 Tagen stellten sich unabhängig voneinander zwei Kurden der deutschen Polizei und behaupteten, mit knapper Not dem Tod durch ein „Volksgericht“ der PKK entkommen zu sein – daraufhin begann die Verhaftungswelle gegen mehr als 20 kurdische PolitikerInnen. Diese zwei wurden zunächst zu den beiden Hauptbelastungszeugen aufgebaut und machten – betreut von der Zeugenschutzabteilung des Bundeskriminalamts – umfangreiche Aussagen gegen die PKK-Führung in der Bundesrepublik und im Nahen Osten.

Inzwischen wurde – rechtzeitig zum ersten Besuch des türkischen Ministerpräsidenten in der BRD im Oktober 1988 – die umfangreiche Anklageschrift von etwa 250 Seiten (und einem weiteren Leitzordner voll Beweismitteln, insbesondere beschlagnahmte Dokumente und Schriftstücke, die in zum Teil falscher und tendenziöser Übersetzung erfolgten) vorgelegt.

In der Anklageschrift wurde behauptet, innerhalb der PKK gäbe es eine – nur vage und ohne klare Konturen umschriebene – terroristische Vereinigung, die zur Durchsetzung des Alleinvertretungsanspruchs der PKK zur Erreichung eines kommunistischen Gesamt-Kurdistans Parteiabweichler und führende Repräsentanten anderer kurdischer Organisationen bestrafe und liquidiere. In dem Zusammenhang wurden der PKK in Westeuropa mehr als ein Dutzend Morde angelastet, ohne auch nur ein einziges authentisches Dokument mit Anweisungen o.ä. oder einem Tatzeugen für die Verantwortlichkeit der PKK-Führung präsentieren zu können. Die „Bestrafungspraxis“ und eine Reihe von ebenfalls angeklagten schweren Freiheitsberaubungen stützten sich auf die Aussagen der beiden erwähnten Hauptbelastungszeugen.

Erst viel später wurde bekannt, daß der frühere PKK-Europa-Verantwortliche Ali Cetiner sich am 1. Februar 1988 nach Schweden abgesetzt hatte. Der schwedische Geheimdienst SÄPO, der bereits Monate vorher über das Kommen des in den Akten als „Top-Terrorist“ geführten Cafer informiert war, besorgte ihm eine konspirative Wohnung, finanzierte ihm den Lebensunterhalt und führte ihn als „Quelle A“, u.a. um mit seiner Hilfe die „Palme-Mord-Spur“ wieder aufzuwärmen. Noch im Februar bot Cetiner seinen SÄPO-Kontaktleuten an, für diese als „Doppelagent“ zu arbeiten. SÄPO-Agenten schmuggelten illegal eine Abhöreinrichtung ein, mit deren Hilfe Cetiner und andere PKKler überwacht werden sollten. Als die illegalen Aktivitäten aufflogen, entwickelte sich daraus ein Riesenskandal; über die Affäre mußte die schwedische Justizministerin als Mitwisserin zurücktreten. Nun plötzlich beantragten die deutschen Ermittlungsbehörden, die Cetiner per Haftbefehl gesucht hatten und angeblich nichts von seinem Aufenthalt in Schweden wußten, seine Auslieferung für den 129a-Prozeß.

Nach seiner Auslieferung im Januar 1989 sowie anfänglichen Schwierigkeiten erklärte sich Cetiner bereit, mit den deutschen Behörden zusammenzuarbeiten und gegen die PKK auszusagen, wenn die Frage seiner „Existenzsicherung“ geklärt werde und er nicht auf die Anklagebank vor das Düsseldorfer Oberlandesgericht müsse. Nachdem ihm dies zugesichert worden war, begann er, umfassend gegen die Angeklagten im Düsseldorfer Verfahren auszusagen, wobei er offensichtlich über seine eigene Rolle und Verantwortlichkeit täuschte und sich als Opfer gewalttätiger PKK-Führer hinstellte.

Entscheidendes Mittel für die Aussagewilligkeit Cetiners wurde die Kronzeugenregelung, die auf Betreiben der Bundesanwaltschaft nach jahrzehntelangen vergeblichen Anläufen im Juni 1989 vom Parlament verabschiedet wurde. Cetiner erhielt die Zusicherung, daß man in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren die Anwendung der Kronzeugenregelung mit einer Strafe im untersten Rahmen beantragen werde, vorausgesetzt, er mache weiter umfassende Aussagen gegen die Angeklagten des Düsseldorfer Verfahrens.

Das Verfahren gegen ihn wegen Mordes an einem Kurden 1984 wurde entsprechend der ihm gegebenen Zusage vom Düsseldorfer Verfahren abgetrennt. Im April 1990 fand die Hauptverhandlung statt, in der er die Beteiligung an der Vorbereitung der Tötung gestand. Ein Sachverständiger stellte bei Cetiner verminderte Zurechnungsfähigkeit wegen „Grenzdebilität“ und „politischem Fanatismus“ fest. Außerdem wandte das Landgericht die Kronzeugenregelung auf seine Tat an, so daß er für den Mord anstelle der sonst obligatorischen lebenslangen Freiheitsstrafe eine Zeitstrafe von fünf Jahren erhielt – ohne daß auch nur festgestellt worden wäre, ob durch seine Aussagen tatsächlich weitere Straftaten der „terroristischen Vereinigung“ verhindert worden sind, und ohne daß die Verteidiger der im Düsseldorfer Verfahren inhaftierten Angeklagten irgendeine Möglichkeit gehabt hätten, auf das Berliner Verfahren Einfluß zu nehmen.

5. Rechtzeitig vor Beginn der Hauptverhandlung vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht erklärte Generalbundesanwalt Rebmann die PKK zum „Hauptfeind der inneren Sicherheit“ der BRD und das anstehende Verfahren zum „größten Terrorismusprozeß in der Geschichte der Bundesrepublik“. Er sprach von einer „Herausforderung der deutschen Strafjustiz“, der diese sich „stellen werde“, und thematisierte in dem Zusammenhang die Bedeutung dieses Verfahrens für die Verschärfung des Ausländer- und Asylrechts:

„Das sollen die führenden Mitglieder der PKK zur Kenntnis nehmen. (...) In diesem Zusammenhang muß auch bedacht werden, daß eine zu großzügige und an unseren Sicherheitsbedürfnissen nicht orientierte Asyl- und Ausländerpolitik auf weite Sicht zu einem Faktor der Instabilität in unserem Staate werden kann.“

Gleichzeitig betrieb er den Umbau einer verschämt „Nebenstelle des OLG“ genannten ehemaligen Polizeikaserne zu einem halb unterirdischen, bombensicheren Gerichtssaal mit einem Kostenaufwand von 8,5 Mio. DM speziell für diesen Prozeß. Seit Herbst 1988 waren die Richter des 5. (Staatsschutz-)Senats des OLG nur noch für das PKK-Verfahren zuständig. Trotz einer umfassenden rechtlichen Einwendungsschrift gegen die Anklage durch die Verteidigung ließ der Senat die Anklage des Generalbundesanwalts mit unwesentlichen Einschränkungen zu.

6. Die öffentliche Hauptverhandlung begann am 24.10.1989 unter großem Interesse der Medien und der Öffentlichkeit und unter bis dahin selbst in „Terrorismus-Verfahren“ nicht gekannten Verhandlungsbedingungen:

In der vollkommen abgeschotteten und von Polizei mit Maschinenpistolen und einer großen Zahl von Justizwachtmeistern usw. bestens geschützten Gerichtsfestung mußten die inhaftierten Angeklagten im Gerichtssaal hinter einer bis zur Decke reichenden Plexiglaswand Platz nehmen. Also ohne den für die Verteidigung erforderlichen direkten Kontakt zu ihrem Verteidiger und offenbar mit dem gezielten Effekt, sie in dem „Hochsicherheits-Gericht“ als besonders gefährliche „Raubtiere“ zur Schau zu stellen. Dieser „Kurden-Käfig“ wurde schnell zum Symbol dieses Verfahrens, von der Verteidigung bekämpft als „hygienisch einwandfreie mitteleuropäische Variante der berüchtigten Massenschauprozesse türkischer Militärgerichte“.

Zusammenfassend läßt sich die vom Gene ral bundesanwalt beabsichtigte historische und politische Funktion des Verfahrens umschreiben als Versuch, eine revolutionäre nationale Befreiungsbewegung am Rande Europas mit den Mitteln eines schauprozeßartigen Massenverfahrens durch die Sondergerichtsbarkeit eines Staatsschutzsenats auf der Grundlage des undemokratischen §129a-Instrumentariums als „terroristisch“ zu kriminalisieren, um so mehrere Ziele gleichzeitig zu verfolgen:

• dem NATO-Partner Türkei beizustehen, die wachsende internationale Kritik am systematischen Staatsterror gegen den nationalen Befreiungskampf der Kurden unter dem Vorwand der „Terroristenbekämpfung“ zu neutralisieren, indem ein Gericht in einem formal-rechtsstaatlichen Verfahren in einem westeuropäischen Staat PKK-Anhänger als „Terroristen“ verurteilen sollte;

• weiterer Abbau des Asylrechts und Verschärfung von Ausländerrecht und Ausländerfeindlichkeit;

• Ausdehnung des §129a auf Auslandsorganisationen; Einführung weiterer polizeistaatlicher Gesetze bzw. Absicherung bestehender umstrittener Praktiken (Erweiterung der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts, Kronzeugenregelung, Zeugenschutzprogramm, Abbau von Verteidigerrechten);

Kurz: Ziel war der Ausbau eines formal-rechtsstaatlichen polizeistaatlich ausgerichteten Sicherheitsstaats zur weiteren Abschottung der „Festung Europa“ nach außen und Faschisierung bzw. Militarisierung nach innen.

Bei alledem darf rückblickend nicht außer acht gelassen werden, daß in der Vorbereitungsphase des PKK-Prozesses (‘86 bis Mitte ‘89) die Nachkriegsordnung der „Systemkonkurrenz“ noch festgefügt schien, nationale Befreiungsbewegungen zum Teil die Unterstützung der „sozialistischen Länder“ genossen, wenn sie auf den Volks- bzw. Guerillakrieg verzichtet hatten (wie PLO oder ANC). Aber auch die von der Sowjetunion nicht unterstützten Befreiungsbewegungen wie die PKK waren zu festen Größen im antikommunistischen Weltbild angewachsen, zumal sie offenbar eine ernste Bedrohung des wichtigen NATO-Partners Türkei darstellten, der an der Südostflanke nicht nur den Schutz vor der Sowjetunion, sondern auch als Brückenkopf in die arabischen Welt dienen sollte.

1.2. Der §129a Strafgesetzbuch („Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“) als Teil des deutschen Staatsschutzsystems und politischer Sondergerichtsbarkeit

Spätestens seit Beginn der achtziger Jahre wurde die Anwendung des §129a auf einen wachsenden Kreis von politisch aktiven Personen und Gruppen ausgeweitet.

Gleichwohl wurde 1987 mit der Novellierung dieser Norm der ohnehin recht konturlose Tatbestand noch weiter gefaßt, und zwar mit Zielrichtung auf den militanten sozialen Widerstand. In der Zeit von 1980 bis 1989 sind insgesamt über 3300 Ermittlungsverfahren nach §129a StGB eingeleitet worden, von denen fast 10000 verdächtige Personen betroffen waren.

Dieser weitgefaßte §129a StGB ist nun nicht etwa eine einsame isolierte Strafrechtsbestimmung, sondern er ist zentrale Anknüpfungsnorm für zahlreiche Sonderbestimmungen und Ermächtigungen, die in unterschiedlichen Gesetzen (insbesondere in der Strafprozeßordnung und im Gerichtsverfassungsgesetz) aktiviert werden, sobald „Terrorismus“-Verdacht angenommen wird. Sie führen u.a. zu einer politischen Sondergerichtsbarkeit, die kaum mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist.

Für „Terrorismus“-Verdächtige kreierte der Gesetzgeber in einer zusätzlichen Sondervorschrift (§112 Abs. 3 StPO) die Möglichkeit, unter erleichterten Voraussetzungen, nämlich ohne Feststellung eines der traditionellen Haftgründe, Untersuchungshaft anzuordnen (absoluter Haftgrund). Darüber hinaus werden solche Tatverdächtige in der Regel isolierenden Sonderhaftbedingungen ausgeliefert, die mit der „besonderen Gefährlichkeit“ der Inhaftierten begründet werden. Zu den Sonderhaftbedingungen für „Terrorismus“-Verdächtige, die in sogenannten Haftstatuten im einzelnen festgelegt werden, gehören im wesentlichen:

• Trennscheibe für Besprechungen zwischen Verteidigern und Gefangenen (§148 Abs. 2 StPO; §129 Abs. 1 StVollzG);

• Überwachung des Schriftverkehrs zwischen Inhaftierten und Verteidigern (§§148 Abs. 2, §148a StPO); weitgehende Postzensur;

• Isolierung der Gefangenen in Einzelhaft oder in Kleinst- und Kleingruppen nach richterlichen Sonderhaftstatuten;

• Unterbringung in eigens eingerichteten Toten Trakten (in den siebziger Jahren) und in Hochsicherheitstrakten.3

Der politische Charakter der Strafverfolgung nach §129a StGB manifestiert sich auch in der unterschiedlichen „strafjustiziellen Behandlung des ,Rechtsterrorismus‘ im Vergleich zum ,Linksterrorismus‘ (1980 bis 1989)“, die Rolf Gössner in einem weiteren Kapitel untersucht und so zusammenfaßt:

„Politische Justiz richtet sich – auf den ersten flüchtigen Blick – gegen ,links‘ und gegen ,rechts‘ gleichermaßen und vermittelt somit den Eindruck einer gewissen staatlichen Neutralität. Dieser Eindruck ist falsch. Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen für den ,Terrorismus‘- Bereich in aller Klarheit: Es gibt sie tatsächlich doch, die einerseits vielfach befürchtete und unterstellte, andererseits vehement geleugnete und verdrängte Rechts-Blindheit bundesdeutscher Politjustiz – immer noch und nachweislich. Sie manifestiert sich in einer für die achtziger Jahre statistisch untermauerbaren, signifikant unterschiedlichen justiziellen Behandlung von ,Linksterrorismus‘ (LT) und ,Rechtsterrorismus‘ (RT) – eine Ungleichbehandlung nicht etwa entsprechend der ungleichen Phänomene, sondern gerade verkehrt herum: Einseitig zu Lasten des linkspolitischen Oppositions- und Widerstandsspektrums, während das rechte, neonazistische Spektrum demgegenüber vielfach begünstigt wird.

Folgende Tendenzen lassen sich zusammenfassend herauslesen: Es wurden fast fünfundzwanzigmal mehr LT-Verfahren eingeleitet als RT-Verfahren. Das bedeutet: In Sachen ,Links terrorismus‘ wird wesentlich extensiver ermittelt, werden entsprechend mehr verdächtige Personen involviert als dies beim ,Rechtsterrorismus‘ der Fall ist. Es handelt sich um vollkommen unterschiedliche Dimensionen staatlicher Reaktionen, die kaum mit unterschiedlichem Umfang, auch nicht mit unterschiedlicher Gefährlichkeit der beiden Phänomene zu erklären sind.

• Im Gegensatz zu den LT-Ermittlungsverfahren nach §129a StGB nehmen die entsprechenden RT-Verfahren im Laufe der achtziger Jahre stetig ab und tendieren seit 1986 gegen Null. Diese Nulltendenz geht einher mit einem Aufwärtstrend ,rechtsterroristischer‘ Gewaltaktivitäten.

Zu Lasten des linken Spektrums wird, im Gegensatz zum rechten, wesentlich häufiger, nämlich fast zu 100%, ein Organisationsdelikt nach §129a StGB angenommen bzw. unterstellt – mit den bekannten Folgen von staatlichen Sonderermächtigungen, die an jene Norm geknüpft sind. Die These vom isolierten ,rechtsterroristischen‘ Einzeltäter und die Kollektivitätsthese gegen Links finden hier ihren Ausdruck. (...)

• Schließlich gibt es auch an der U-Haftpraxis deutliche Unterschiede: Wurden im RT-Bereich lediglich 9,5% der verdächtigen U-Haftgefangenen später zu keiner vollstreckbaren oder überhaupt keiner Freiheitsstrafe verurteilt, so sind es im LT-Bereich etwa 42% die zu Unrecht oder vorschnell in U-Haft genommen wurde. Bei RT-Verdächtigen wird also das Mittel der U-Haft wesentlich weniger breit gestreut, weniger ,willkürlich‘ angewandt als bei LT-Verdächtigen, die zudem besonderen Isolationshaftbedingungen ausgesetzt werden.

Die ausgedehnte Anwendung des §129a-Sonderrechtssystems und der besondere ,anti-terroristische‘ Verfolgungseifer der Sicherheitsbehörden und der politischen Justiz, den wir bei der Bekämpfung des ,Linksterrorismus‘ feststellen mußten, läßt sich – dies zeigt unsere statistische Bestandsaufnahme – bei der justiziellen Behandlung des ,Rechtsterrorismus‘ in keiner Weise erkennen.“4

1.3. Exkurs

Die historische Bedeutung der politischen Justiz und des Sicherheitsstaats-Komplexes

Wie in der „Kamalatta“-Flugschrift „Von Stammheim nach Düsseldorf“ dargelegt, hatte und hat der PKK-Prozeß eine politische Bedeutung, die weit über die Unterstützung der BRD für die türkische Staatsmacht bei der Unterdrückung des kurdischen Befreiungskampfes auf der Basis eigener wirtschaftlicher und auch strategische Interessen hinausging. Er war ein Pilotprojekt für das Vorhaben der BRD und anderer EU-Staaten, über die Kriminalisierung innerstaatlicher, politisch oppositioneller, linker Bewegungen als „terroristisch“ hinaus auch die Unterdrückung von Befreiungsbewegungen in ein strafrechtliches Gewand zu hüllen und diese Bewegungen mit staatlicher Weihe als „terroristisch“ zu denunzieren. Es handelt sich damit um einen kaum noch getarnten Angriff auf Entwicklungen des humanitären Völkerrechts, insbesondere des Kriegsvölkerrechts, das seit dem Zweiten Weltkrieg vor allem durch die Unterstützung von den Staaten des Trikont und den osteuropäischen Staaten auf den Schutz in bewaffneten internationalen und zum Teil auch innerstaatlichen Konflikten ausgeweitet worden war.

Es entspricht in diesem Zusammenhang der Taktik der EU-Staaten, die zur Aufrechterhaltung kapitalistischer, imperialistischer und neokolonialer Strukturen erforderliche Auslöschung von Widerstandsbewegungen soweit wie machbar als rechtsstaatliche Strafverfolgung in Verbindung mit polizeilichen Maßnahmen darzustellen. Dies unterscheidet die EU-Taktik von den durch die USA in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt durchgeführten und offen völkerrechtswidrigen militärischen Aktionen (vgl. Bombardierung von Tripolis oder die Besetzung von Granada bzw. Panama).

Die BRD nimmt schon seit langem bei dem Ausbau dieses Konzeptes der westeuropäischen „Inneren Sicherheit“ eine führende Rolle ein. Dies beruht keineswegs nur auf ihrer wirtschaftlichen Vormachtstellung. Stützen kann sie sich vielmehr vor allem auf ihre im Unterschied zu anderen europäischen Staaten reaktionäre politische und rechtliche Tradition in der Verfolgung politischer Opposition.

Nirgendwo sonst scheint auf diesem Hintergrund das polizei- und strafrechtliche Instrumentarium zur Bekämpfung politischer Gegner und ihrer Kriminalisierung als „Terroristen“ so ausgebaut und ausgefeilt wie bei uns. Es war daher nur logisch, daß nach den gescheiterten Anläufen in der PKK-Kriminalisierung in anderen europäischen Staaten die BRD die Federführung übernommen und – wie sich auch an mehreren Auslieferungen an die BRD im Zusammenhang mit dem Verfahren zeigte – dieses Pilotprojekt bei sich zentralisiert hat.

Um die Rolle der BRD und der EU-Zusammenarbeit und speziell die Funktion des §129a StGB als Schlüsseltatbestand für die innere Feindverfolgung zu verstehen, sollen die historischen Hintergründe und die Entwicklungen, die als „Terrorismusverfolgung“ dargestellt werden, näher beleuchtet werden.

Die Vorgeschichte des §129a StGB

Fortentwicklung reaktionärer politischer Strafrechtstradition

Als 1976 der §129a StGB als „Anti-Terrorismus-Gesetz“ in das bundesrepublikanische Gesetzbuch eingeführt wurde, geschah dies – ebenso wie Ende 1986 bei der Neufassung und Ergänzung des Paragraphen, ohne die die Verfolgung der PKK nicht möglich gewesen wäre – mit dem Argument, ein notwendiges Instrumentarium gegen den „Terrorismus“ schaffen zu wollen.

Ausdrücklich werden in §129a Bildung, Mitgliedschaft und Unterstützung von sowie Werben für „terroristische Vereinigungen“ unter Strafe gestellt. Doch nicht nur die Anwendungsweise dieser Vorschrift seitdem zeigt die wahren Hintergründe seiner viel weiterreichenden Bedeutung, die hinter dem Negativbegriff „Terrorismus“ öffentlichkeitswirksam versteckt werden sollen. Darüber gibt auch die Betrachtung der historischen Entwicklung Aufschluß.

Der Paragraph wurde erstmals 1871 als §129 ins Reichsgesetz aufgenommen; er steht in einer langen Tradition der Sicherung herrschender Macht durch das Unter-Strafe-Stellen der Diskussion um und das Handeln gegen das staatliche Gewaltmonopol. In der liberalen und bürgerlich-revolutionären Tradition, wie sie heute noch in einigen Restbeständen etwa in Frankreich und den USA existiert, ist das politische Strafrecht in dreierlei Hinsicht eingeschränkt:

1. durch die Wahrung verfassungsmäßiger demokratischer Rechte – ihre Wahrnehmung kann nicht zugleich strafrechtlich diskriminiert werden. Weitgehende demokratische Rechte auch gegenüber der Staatsmacht – wie insbesondere das Widerstands-, ja Aufstandsrecht in den frühbürgerlich- evolutionären Verfassungen z.B. in Frankreich und den USA – lassen nur noch relativ geringen Raum für politische Kriminalisierung;

2. durch die Prinzipien eines rechtsstaatlichen Tatstrafrechts, bei dem also die Strafbarkeit durch einen äußeren Tatbestand im Sinne der Beschreibung eines bestimmten, vom Normalverhalten abgrenzbaren objektiven und zumindest objektivierbar in die Richtung der Schädigung fremder Rechtsgüter wirkenden Verhaltens bestimmt ist – „Schutzgüter“ wie das „psychische Klima“, der „öffentliche Friede“ usw. passen nicht dazu;

3. durch den Grundsatz der Respektierung der politischen Identität. Er grenzt die staatliche Zugriffsmöglichkeit der Art und dem Inhalt nach ein, wo Strafverfolgung an sich erfolgt bzw. erfolgen darf.

Die Entwicklung in Deutschland ist dagegen seit dem 18. Jahrhundert auf dem Boden des reaktionären Klassenbündnisses von Feudaladel und Bourgeoisie und der weitgehenden Abtötung und Versumpfung bürgerlich-revolutionärer Entwicklung wesentlich geprägt von einer demokratie- und massenfeindlichen Polizeistaatskonzeption, speziell der preußischen. Beispielhaft dafür steht die lange Geschichte der Organisationsdelikte, wonach die bloße Mitgliedschaft in bestimmten oppositionellen politischen Organisationen als solche verfolgt wird. Sie geht von dem demokratiefeindlichen Grundgedanken aus, daß schon der politische Zusammenschluß von Menschen gegen die bestehenden Verhältnisse kriminell sei. Gleichzeitig ist sie gekennzeichnet durch die sogenannte „Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes“, also rechtsstaatswidriger Präventiv verfolgung ohne Tat.

Die Geschichte des politischen Organisationsstrafrechts geht zurück auf das 1789 erlassene preußische „Edikt“ wegen Verhütung und Bestrafung geheimer Verbindungen, welche „der allgemeinen Sicherheit nachteilig werden könnten“.

Dieser Erlaß, der aus Sorgen vor den Auswirkungen der französischen Revolution verkündet wurde, knüpfte an die Vorschriften der §§184, 185 des Allgemeinen Preußischen Landrechts an, in denen es hieß:

„Heimliche Verbindungen mehrerer Mitbürger des Staates müssen, wenn sie auf den Staat selbst und dessen Sicherheit Einfluß haben könnten, von den Verbundenen bei Vermeidung nachdrücklicher Geld- und Leibesstrafe der Obrigkeit zur Prüfung und Genehmigung angezeigt werden.“

Diesem Erlaß schloß sich 1818 die Preußische Verordnung gegen „geheime Gesellschaften“ an. Damit ist das erste Gesinnungsstrafrecht geschaffen, das sich nicht nur gegen politische Aktivitäten richtet, sowie im Gefolge die erste Datei über unliebsame Personen. Diese Regelungen stehen in der Tradition der nach den Karlsbader Beschlüssen gefaßten „Maßregeln“ gegen die Forschungs- und Pressefreiheit sowie des Erlasses von 1824, der Burschenschaften als politische Verbindungen strafrechtlich verfolgte und ihre Mitglieder mit Berufsverboten für öffentliche Ämter belegte. Schon damals gab es in Frankfurt eine Zentralstelle, an der das schwarze Buch „mit einer alphabetischen Liste der politisch unliebsamen Personen“ geführt wurde, und landesweit wurden „Kommissionen“ zur einer „Ermittlung demagogischer Umtriebe“ gebildet.5

Im Erlaß von 1836 wurde zum ersten Mal neben der geheimen und „staatsfeindlichen“ auch die „kriminelle“ Verbindung unter Strafe gestellt. Diese Regelung fand Eingang in das Preußische Strafgesetzbuch und wurde konsequent in das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 aufgenommen. Unter Strafe gestellt wurden „Die Theilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Fassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheimgehalten werden soll oder in welcher gegen das unbekannte Obere Gehorsam oder bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird ...“ (§128) sowie „Die Theilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigung gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften ...“ (§129). Schon damals argumentierten Befürworter dieser Gesetze, der §129 richte sich gegen das in sogenannten Gangstervereinen organisierte ordinäre Ganoventum.

In Wahrheit ging es um einen neuen Feind, das in Europa damals umgehende Gespenst des Kommunismus, gegen den das einst selbst verfolgte Bürgertum nunmehr staatliche Härte praktizierte.

So fand der §129 auch seine Anwendung vor allem gegen die Arbeiterbewegung, 1878 ergänzt durch das juristische Instrumentarium der „Sozialistengesetze“. Wie weit die extensive Auslegung damals ging, zeigt das Beispiel der Verurteilung von Teilnehmern und Teilnehmerinnen an dem Sozialistenkongreß, weil sie dort über Maßnahmen zur Verbreitung der Zeitschrift „Sozialdemokraten“ diskutieren wollten.

Während die Sozialistengesetze 1890 unter dem zunehmenden Druck der wachsenden Arbeiterbewegung aufgehoben wurden, überlebte der §129 nicht nur diese Zeit, sondern auch das Wilhelminische Kaiserreich und fand Eingang in die Gesetzgebung der Weimarer Republik, ergänzt durch §86 des StGB (Vorbereitung zum Hochverrat) sowie in §7 des Republikschutzgesetzes von 1922, mit dem zwischen drei Monaten und fünf Jahren bestraft wurde, „wer an einer geheimen oder staatsfeindlichen Verbindung (§§128, 129 StGB), die die Bestrebung verfolgt, die verfassungsmäßig gestellte republikanische Staatsform des Reiches oder eines Landes zu untergraben, teilnimmt oder sie aber ... unterstützt“. Die Gesetzgebung öffnete dem Gesinnungsstrafrecht die Türen: Verleger, Redakteure, Autoren, Drucker, Setzer kommunistischer Schriften sowie Buchläden, die in ihrem Sortiment kommunistische Literatur führten, wurden wegen „literarischen Hochverrats“ bestraft. Sogar das Rezitieren revolutionärer Gedichte wurde vom Staatsgerichtshof beim Reichsgericht als Akt der Vorbereitung zu Hochverrat in Tateinheit mit einem Vergehen nach §129 StGB über das Republikschutzgesetz angesehen und dementsprechend verurteilt. Kriminalisiert wurden auch Hilfsmaßnahmen für die politischen Gefangenen und ihre Angehörigen, die „Rote Hilfe“ wurde als staatsfeindliche Verbindung betrachtet und ihre Mitglieder wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verfolgt.

In einem Urteil aus dem Jahre 1926 heißt es dazu u.a.:

„Es ist zwar ... eine der Aufgaben der Roten Hilfe, in Untersuchungshaft befindliche Parteimitglieder und deren Angehörige mit Geldmitteln, Kleidungsstücken usw. zu unterstützen.

Mit dieser Unterstützung wird aber der Zweck verfolgt, der ,Entmutigung‘ vorzubeugen, welche die ,Not der Familien Inhaftierter in die Reihen der Arbeiterklasse trägt‘ ...“

Bis zum Ende der Weimarer Republik gab es aber auch in Deutschland immerhin einige – in der Realität der politischen Justiz allerdings nie sehr bedeutsame – gesetzliche Regelungen, die an die oben dargestellten bürgerlich-liberalen Grundsätze anknüpften. So fand die Respektierung der politischen Identität des Gegners Ausdruck in der 1871 eingeführten Festungshaft für bestimmte politische Delikte, z.B. Hoch- und Landesverrat. Die Festungshaft war nicht zufällig der militärischen Internierung ähnlich, insbesondere gekennzeichnet durch weitgehende Freizügigkeit, Informationsfreiheit und gemeinsame Unterbringung der Angehörigen der betreffenden politischen Organisation. Darüber hinaus sahen seit 1923 die Reichsratsgrundsätze bei politisch motivierten Taten die sofortige Gewährung der weitestgehenden Vergünstigungen für den Gefangenen vor. Die Reichsjustiz konnte nicht umhin, Festungshaft und Vergünstigungen immerhin auch z.B. einer ganzen Anzahl von KPD-Mitgliedern zu gewähren.

Carl Schmitt, der führende Staatsdenker des Dritten Reiches, entwickelte demgegenüber schon 1927 die Konzeption eines Feindstrafrechts. Zu den ersten Maßnahmen des Hitler-Regimes gehörte dann auch die Beseitigung der bisherigen Festungshaft und der Rechtsratsgrundsätze. Jeglicher Rest liberaler Tradition wurde ausgelöscht. Demgegenüber wurde an die reaktionäre preußisch-feudale Tradition angeknüpft und diese eskaliert. Wurde einerseits der Beamten- und Justizapparat durch Gesetze von 1933 und 1937 darauf verpflichtet, „jederzeit rückhaltslos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten“, so wurde andererseits von Freisler 1936 klargestellt:

„Für Anerkennung der Gesinnungstäterschaft ist im nationalsozialistischen Strafrecht kein Raum. Das würde der Bewertung des Täters als zwar gegnerischem, aber doch anständigen Kämpfer entsprechen.“

Das politische Strafrecht des Dritten Reiches war ganz unumwundenes Täterstrafrecht gegen den „Volksschädling“, und die Justiz tat ein übriges, wo die gesetzlichen Handhaben immer noch nicht ausreichten. So erklärte schon 1933 der Landgerichtspräsident Diet rich:

„Die restlose Ausrottung des inneren Feindes gehört unzweifelhaft zur Wiederherstellung der deutschen Ehre. An ihr kann der deutsche Strafrechtler durch großzügige Auslegung des Strafgesetzbuches teilnehmen.“

In der Zeit von 1933 bis 1945 hatte der §129 RStGB allerdings im Verhältnis zu anderen Maßnahmen nur geringe Bedeutung. An seine Stelle traten u.a. neue Gesetze zur „Schutzhaft“ und „Vorsorgehaft“ für Oppositionelle, Juden, „Zigeuner“ usw. Ein „grundlegender Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ vom Dezember 1937 hatte die Vorbeugehaft für – wie es damals hieß – „Asoziale“ möglich gemacht.

Nach der Zerschlagung des Faschismus setzten die Alliierten die Staatsschutzbestimmungen des ansonsten weitergeltenden Reichsstrafgesetzbuchs außer Kraft. Erst nach der Gründung der BRD wurde dieser rechtsleere Raum wieder gefüllt.

Kaum war die BRD installiert, der angeblich freiheitlichste Staat auf deutschem Boden, ging die Regierung daran, nach alter Tradition ein umfassendes neues Staatsschutzrecht einzuführen. In der Begründung zum Regierungsentwurf für das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.5.1951 hieß es:

„Der moderne Staat bedarf neuer Schutzvorschriften, die seine Verteidigungslinie in den Bereich vorverlegen, in dem die Staatsfeinde unter der Maske der Gewaltlosigkeit die Macht erschleichen.“

Denselben Gedanken hatte der Kieler Strafrechtsprofessor Dahm 1935 so ausgedrückt:

„Der nationalsozialistische Staat will die Verteidigungslinie vorverlegen, es will nicht abwarten, bis der Verbrecher seine Absicht verwirklicht.“

Mit der Behauptung, die „Angriffe aus dem Lager der unbelehrbaren verbrecherischen Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie“ abzuwehren, wurde im Juli 1951 das „neue Staatsschutzrecht“ verabschiedet. Als dessen Kernstück bezeichnete der Justizminister die Bestimmungen, mit denen das „Handeln, das vor dem Hochverrat liegt“, der „ideologische Hochverrat“, die „ideologische Unterminierung“ und „geistige Sabotage“ bekämpft werden sollte.

Mit anderen Worten: Das neue „Staatsschutzrecht“ sollte strafbares Verhalten vorverlagern in den Bereich von Ansichten, Absichten und Äußerungen – Vorverlagerungen in die Gesinnung und deren Verbreitung. In diesem Sinne wurde mit den neuen Staatsschutzbestimmungen der §129 verschärft. Erstmals wurde auch die „Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ unter Strafe gestellt. Auch Personen, die nur helfen, sollen nach §129 wie Täter behandelt werden. „Unterstützung ist“, wie der Bundesgerichtshof formulierte, „zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe“.

Dies bedeutet konkret: Selbst völlig legale Akte praktischer Solidarität mit Mitgliedern illegaler Organisationen konnten nach §129 als Täterdelikt verfolgt werden, sei es die Beschaffung von Büchern, Nahrung oder Kopfschmerztabletten. Oder wie es das Bundesverfassungsgericht formulierte:

„Der einzelne“ wird vom politischen Strafrecht „nämlich nicht betroffen, soweit er selbstbestimmte politische Ziele anstrebt und vertritt ... Sein Handeln wird gefährlich durch die von einer Organisation ausgehenden Wirkungen ... Die Abwehr richtet sich nicht gegen die Handlung eines einzelnen als solche, sondern gegen die mit ihr verbundene Stärke der Organisation.“ (Entscheidung vom 14.1.1969)

Noch deutlicher kann man wohl kaum die unselige Tradition, die in dieser Art „Staatsschutz“ zum Ausdruck kommt und bis in das PKK-Verfahren fortwirkt, nicht zum Ausdruck bringen. In den fünfziger und frühen sechziger Jahren diente der §129 („kriminelle Vereinigungen in verfassungsfeindlicher Absicht“) neben dem neu geschaffenen §90a („Verstöße gegen die verfassungsmäßige Ordnung“) auch zur Zerschlagung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und zur Kriminalisierung ihrer Anhänger. Nach dem Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht 1956 wurden Tausende von Kommunisten verurteilt.

Mit Ermittlungsverfahren gegenüber 120000 und weitere 250000 davon mittelbar betroffenen Personen sollten insbesondere die Opposition gegen die Wiederbewaffnung der BRD und den Ausbau der BRD zum antikommunistischen Bollwerk des Westens und die Ostermarschbewegung gegen den Atomtod getroffen werden.

Die politische Bedeutung der damaligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum §129 wurde in einer grundlegenden kritischen Studie später so zusammengefaßt:

„Erstens ermöglichte §129 die Bestrafung der ,... Mitläufer‘ und ,Mitglieder’, ja sogar von außenstehenden Dritten, die die kommunistische Vereinigung nur ,unterstützt‘ hatten. Alle solche Fälle geringer Bedeutung zu bestrafen, war weder technisch möglich noch politisch sinnvoll. Die Strafverfolgungsbehörden hatten mit §129 allerdings ein Damoklesschwert in der Hand, das sie je nach politischer Zweckmäßigkeit oder in Fällen von Beweisnot an wenden konnten.

Zweitens diente die Verurteilung nach §129 insbesondere diffamierenden Zwecken. Die Kommunisten wurden durch Gleichsetzung mit dem organisierten Verbrechen in den Augen der Öffentlichkeit herabgesetzt.“6

Mit dem Entstehen der Außerparlamentarischen Opposition im Gefolge der Studentenrevolte der Jahre 1967 und 1968 gab es erstmals in der Geschichte der BRD wieder eine bedeutende politische Kraft, die das bestehende System grundlegend in Frage stellte. Die sich aus der APO herausbildenden kleineren Gruppen, die den bewaffneten Widerstand befürworteten und praktizierten – insbesondere die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) und die „Bewegung 2. Juni“ – wurden nach §129 ebenso verfolgt wie Buchhandlungen, in denen deren Texte vertrieben wurden, sowie Rechtsanwälte und Ärzte, die sich gegen die Haftbedingungen der Gefangenen aussprachen und somit als „Unterstützer“ bezeichnet wurden.

Aber keineswegs nur dieser Bereich wurde betroffen: Das Frauenzentrum in Frankfurt beispielsweise wurde wegen Organisierung von Fahrten zu niederländischen Abtreibungskliniken ebenso mit Verfahren nach §129 StGB überzogen wie Hausbesetzer in Hamburg.

Oder anders ausgedrückt: Kollektiv und öffentlichkeitswirksam organisierte Widerstands- und Selbsthilfeaktionen, deren Vorbereitung und die sie stützende Solidarität wurden als „Bandentätigkeit“ kriminalisiert.

Der „gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus“ – neue Dimension in der inneren Feindbekämpfung in der NATO und EG

Es waren jedoch keineswegs nur diese inneren Ereignisse in der BRD – und ähnlich in Frankreich und anderen westeuropäischen Staaten –, die zur erneuten, immer extensiveren Anwendung des §129a StGB, dann aber vor allem zu einer noch darüber hinausgehenden speziellen Strafverfolgungsstrategie gegen angeblichen Terrorismus seit Beginn der siebziger Jahre führten. Die Wurzeln dieser Variante der Feindbekämpfung liegen vielmehr viel früher. Sie sind eng verbunden mit der Entwicklung von antikolonialen und antiimperialistischen Bewegungen in den Trikont-Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg einerseits und den aus langfristigen strategischen Einschätzungen der Herrschenden in den NATO-Staaten gespeisten Bemühungen um eine neue, zwischen den verschiedenen NATO- und EG-Staaten koordinierte Repressions- und Kriminalisierungsstrategie.

Bezeichnend ist zunächst einmal: Polizeiliche Aufrüstung gegen „innere Unruhen“ und Schaffung von heute so genannten Antiterroreinheiten, westeuropäische Koordination auf dem Gebiet, Entwicklung von Konzeptionen in der NATO, Bemühungen um Gesetzesverschärfungen und europäische Übereinkommen – all das wurde in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre in Angriff genommen, zu einer Zeit also, als die Auseinandersetzung mit der RAF und ähnlichen Organisationen in der BRD und anderen westeuropäischen Staaten noch gar nicht virulent war. Vorarbeiten für das spätere „europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus“ begannen im Europarat bereits 1973. Die angebliche Antiterrorismus-Spezialtruppe GSG 9 des Bundesgrenzschutzes wurde ebenfalls bereits in diesem Jahr gebildet. Ebenso entstanden in den sechziger bis Anfang der siebziger Jahre grundlegende Werke von hohen NATO-Militärs – etwa dem Briten Kitson, „Im Vorfeld des Krieges“, oder dem französischen Generalstäbler André Beaufre, „Die Revolutionierung des Kriegsbildes“ (deutsch im Seewald-Verlag) –, die sich mit der aus der Guerillabekämpfung in Ländern der „Dritten Welt“ abgeleiteten Konzeption befaßten, den Feind moralisch als „Terrorist“ zu diskriminieren und ihn mit allen Mitteln und der Verschmelzung polizeilicher und militärischer Funktionen auszuschalten und zu isolieren, und diese auf den „inneren Feind in Westeuropa“ übertrugen.

Ganz offensichtlich nimmt all das Bezug nicht auf bestimmte Erscheinungsformen gewaltsamer politischer Angriffe auf das System, die heute immer extensiver als „terroristisch“ deklariert werden, sondern generell auf in den sechziger Jahren sich verstärkende „innere Unruhen“ großer Bevölkerungsteile und auf die gesamte Entwicklung der Unabhängigkeitsbestrebungen gegen den Anspruch auf wirtschaftliche und politische Vormacht der NATO-Staaten.

1.4. Exkurs

Imperialistische „Counter-Insurgency- Strategie“ und die Rolle der Geheimdienste bei der Bekämpfung national-revolutionärer Befreiungsbewegungen und ihre Legitimation durch politische Justiz

Die Verfolgung der PKK als „Terroristen“ in Westeuropa ab 1984 ist, wie oben skizziert, Bestandteil eines Geheimdienst-Komplotts im Rahmen der NATO-Counter-Insurgency-Strategie gegen die kurdische nationale Befreiungsbewegung unter Einsatz von Agenten bei verdeckten Counter-Guerilla-Aktionen und als Staatszeugen. Mehrere Geheimdienste haben ohne gesetzliche Grundlage die Ermittlungen in wichtigen Punkten gesteuert und die Entscheidungen der Ermittlungsbehörden in einem Maße beeinflußt, daß von einer weitreichenden Steuerung des Strafverfahrens durch hierzu nicht berufene Organe auszugehen ist.

Die NATO-Counter-Insurgency-Strategie gegen nationale Befreiungsbewegungen

Seit den Partisanenkämpfen im Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Entfaltung von antikolonialen Befreiungsbewegungen in Asien, Afrika und Latein- Amerika hat sich in allen kapitalistischen Staaten, speziell im Rahmen der NATO, vor allem in den Militär- und Polizeizentralen, parallel zur Entwicklung des Kalten Krieges gegen die „kommunistische Bedrohung“ eine systematische und langfristige Gegenstrategie entwickelt. Hierbei haben Geheimdienste aller Art von Anfang an eine große Rolle gespielt.

Um das Hauptziel, das kommunistische Regime in der Sowjetunion zu stürzen, zu verwirklichen, wurden Wissenschaftler, Techniker und Militärs, darunter vor allem Nazis, Kollaborateure oder Kriegsverbrecher, in den Dienst der amerikanischen Geheimdienste aufgenommen. So äußerte Harry Rositzke, ehemaliger Leiter der Geheimoperationen der CIA in der Sowjetunion u.a.:

„Es war unbedingt notwendig, daß wir jeden Schweinehund verwendeten, Hauptsache, er war Antikommunist ...“

Die politische Zielsetzung der verdeckten Kriegsführung hat Alexander Haig, Reagans erster Außenminister, 1981 offen ausgesprochen, als er ins State Department kam:

„Die sogenannten nationalen Befreiungsbewegungen behindern unsere Fähigkeiten, die Weltereignisse in unserem Sinne zu beeinflussen und die Rohstoffe für uns zu sichern.“7

Die CIA-Experten Kunhanandan Nair und Michael Opperskalski fassen dies 1988 so zusammen:

„Die Reagan-Administration hat sofort nach ihrem Amtsantritt im Januar 1981 den Terrorismus zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt, und die CIA erhielt in seiner Bekämpfung die Schlüsselposition. Kennzeichnend für ihre Strategie ist, daß sie ihrem Wesen nach nie defensiv war, sondern von Anfang an die offensiven Elemente überwogen. Seine konkreteste Ausprägung und bisherige Schwerpunktanwendung zeigte sich im Nahen Osten.“8

Nair und Opperskalski erläutern zunächst die rechtlichen Grundlagen: Dem amerikanischen Kongreß wurden mehrere Gesetzesentwürfe zur Terrorismusbekämpfung unterbreitet. Der Gesetzentwurf Nr. 2626 bezeichnet die Ausbildung von Terroristen, die materielle und technische Unterstützung von terroristischen Organisationen sowie den Mißbrauch einzelner Personen oder Gruppierungen für die Durchführung von Terroranschlägen als kriminelle Handlung. Dabei wird das Recht der Charakterisierung einer Organisation als terroristische Gruppierung dem Außenminister der USA zugebilligt. Seine Entscheidung kann vom Gericht nicht angefochten werden. Gleichzeitig mit der Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die Terrorismusoffensive wurden die militärischen Kommandostrukturen gegen die als „terroristisch“ eingestuften politischen Gegner ausgebaut. So entstanden von 1982 bis 1984 u.a. das Erste Spezialoperationskommando der US-Armee und die vereinte Spezialoperationsagentur des Pentagon. Unter ihrem Kommando operieren die verschiedenen Spezialeinheiten wie „Delta Force“, die Hubschraubereinheit „Task Force“ (Einsatzgruppe) 168 des Heeres usw.9

Weiter heißt es in dem Zusammenhang:

„Bereits aus der Vergangenheit sind Hinweise bekannt, daß die CIA aktiv war, um in terroristische Gruppen einzudringen und sie ihren Zielen nutzbar zu machen. Nach Aussagen des italienischen Terroristen Enrico Paghera soll der CIA-Agent Ronald Stark versucht haben, mit den Roten Brigaden, der ,Prima Linea‘ und einer Palästinenser-Organisation eine Gruppe internationaler Terroristen zu gründen. Ende 1983 verstärkte die CIA ihre Bemühungen, des Terrorismus verdächtige Gruppen in der ganzen Welt zu infiltrieren und zu durchdringen.“ (Seite 49)

Die Strategie und Planung der sogenannten „Low Intensity Conflicts“ (zu deutsch etwa: Konflikte auf niederer Ebene) wurde 1988 zurückblickend so zusammengefaßt:

„Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Kriegsführung in der Dritten Welt ausgebreitet. Die Verwicklung der USA in derartige Konflikte kann als Hilfe für befreundete Regierungen erfolgen, die gegen die Rebellen kämpfen, als Hilfe für befreundete Rebellen-Bewegungen, die gegen nicht befreundete Regierungen kämpfen, und als sogenannte Konterterrorismus-Aktionen.“10

Obwohl von der amerikanischen Regierung immer wieder geleugnet, gilt es unter Experten inzwischen als gesichert, daß die CIA zahlreiche Mordanschläge selbst durchführt, andere in Auftrag gegeben hat usw. So half die CIA dem südafrikanischen Boss und der chilenischen Dina dabei, ein Killerteam zusammenzustellen, das sich aus Exilkubanern zusammensetzte. Der chilenische Geheimdienst revanchierte sich dafür mit der Ermordung von mindestens zehn Mitgliedern des kubanischen Sicherheitsdienstes, und die Südafrikaner lieferten in Gegenzug Geheiminformationen an das Hauptquartier in Langley. Am 14.4.1984 bestätigte der ehemalige US-Botschafter in El Salvador, Robert White, daß er erfahren habe, daß die CIA Söldner für den Mord an nicaraguanischen Politikern ausgebildet und bezahlt hätte.

Außerdem informierte er die US-amerikanische Öffentlichkeit über die enge Verbindung zwischen dem amerikanischen Geheimdienst und den Todesschwadronen in vielen mittel- und südamerikanischen Ländern, die systematisch oppositionelle Linke und Gewerkschafter ermordeten.11

Inzwischen wurde durch eine Reihe ehemaliger CIA-Agenten sowie wissenschaftlicher Untersuchungen anhand von Dokumentations- und Aktenmaterial nachgewiesen, daß der US-Geheimdienst CIA nicht nur „klassische“ Spionage betrieben hat, sondern darüber hinaus politische Parteien und Gewerkschaften unterwandert, Medienkampagnen durchgeführt, Wirtschaftssabotage betrieben, Kriege angezet telt, Rebellengruppen aufgebaut, andere infiltriert hat usw.

Wie schwierig es ist, die Wahrheit über die Aktivitäten der CIA zu veröffentlichen, zeigt das Schicksal ehemaliger CIA-Mitarbeiter,wie das von Philip Agee, eines CIA-Mannes, der mehr als ein Jahrzehnt in Lateinamerika an führender Stelle tätig war. Nach der Erstveröffentlichung seines Tagebuchs 1956 bis 1964 („CIA intern“) wurde er bedroht, gejagt, eingekerkert, auf Druck der Vereinigten Staaten aus fünf NATO-Ländern ausgewiesen. 1979 wurde ihm der Paß entzogen, und er war gezwungen, mit Dokumenten von Grenada und Nicaragua zu reisen. Zehn Jahre lang bemühte sich Agee vergeblich, bei den US-amerikanischen Bundesgerichten etwas Genaueres über die Einzelheiten des illegalen Vorgehens der CIA zu erfahren. Es gab zahlreiche Hinweise, daß es sich dabei um eine kriminelle Verschwörung oder um einen Aktionsplan handelte, der jedoch letztendlich zum Glück nicht ausgeführt wurde. 1991 bestätigte ihm ein ehemaliger CIA-Kollege, der inzwischen nicht mehr dort arbeitete, seinen schlimmsten Verdacht: daß die CIA Anfang der siebziger Jahre ernsthaft erwogen hatte, ihn verschwinden zu lassen.

Offizielle und inoffizielle Zusammenarbeit des türkischen Geheimdienstes MIT mit deutschen Geheimdiensten

Der türkische Geheimdienst MIT führt seit Ende der siebziger Jahre zum Teil zusammen mit speziellen Counter-Guerilla-Organisationen im Auftrage des türkischen nationalen Sicherheitsrates Geheimdienstaktionen gegen die PKK im In- und Ausland, auch in Westeuropa und der BRD, durch.

Die Aktivitäten reichen von der genauen Beobachtung aller Aktivitäten, einer Erfassung der Mitglieder und Anhänger über die Infiltration in die Organisation und den Versuch, sie auf allen Ebenen mit Agenten zu durchsetzen, über gezielte Desinformationskampagnen zur Spaltung der Organisation und zum Kampf zwischen der PKK und anderen kurdischen und türkischen Organisationen bis hin zu Anschlägen und Morden, die der PKK in die Schuhe geschoben werden sollen.

Hierbei wird der MIT im Rahmen der NATO-Zusammenarbeit von deutschen und anderen Geheimdiensten unterstützt. Er erhält außerdem sämtliche in der BRD verfügbaren Informationen über türkische Staatsangehörige und andere Kurden sowie Sympathisanten der PKK.

Daß der MIT zusammen mit anderen Geheimdiensten in der Türkei sehr viel mehr tut, als nur Auskünfte sammeln, ist in der Türkei längst bekannt. Bei uns war es einem Filmbericht von „Panorama“ und diversen Zeitungsberichten zu entnehmen. So schrieb der „Spiegel“ in einem Bericht über die Geheimdienste „GLADIO“ in der Türkei:

„Ex-Offiziere enthüllten, daß sich die Tarntruppe aus ehemaligen Armee- und Polizeioffizieren sowie Zivilisten rekrutierte. Sie sollte Widerstandsgruppen für den Fall einer sowjetischen Invasion ausbilden. Doch bald, so gab Ex-Oberst Talan Turhan zu, widmete sich die Organisation vornehmlich der Beschattung, Verfolgung und Folterung von Funktionären linker Organisationen.“12

Es wird berichtet, daß die Geheimeinheiten auch im Ausland operierten. Die „Frankfurter Rundschau“ berichtete am 2.1.91 in dem Zusammenhang von zwei Büchern der US-Armee bzw. der CIA die im Auftrag des türkischen Generalstabs ins Türkische übersetzt wurden: „Anti-Guerilla-Operationen“ und „Ge gen kriegstaktiken“. Das darin beschriebene Tätigkeitsfeld für die geheime Organisation:

„Menschen töten, Bomben werfen, Raub überfälle organisieren, Folter, Menschenführung, Brandstiftung, Sabotage, Propaganda, Desinformationspolitik“.13

Ömer Erzeren faßt dies so zusammen:

„Eine erschreckende Indizienkette spricht dafür, daß die antikommunistische „unorthodoxe Kriegsführung“ in Friedenszeiten terroristische Aktivitäten organisierte: Counter-Guerilla – ein halbamtlicher Geheimbund, der Killerkommandos unterhält, über riesige Waffenarsenale verfügt und eigene Folterkammern unterhält. (…). Ein Ex-Offizier, der als Übersetzer in dem ,Amt für besondere Kriegsführung‘ tätig war, berichtet über Treffen mit Partnerorganisationen in anderen NATO-Ländern. (...) Doch Counter-Guerilla ist in der Türkei nicht nur Vergangenheitsbewältigung. Irreguläre Kräfte des ,Amtes für besondere Kriegsführung’, die nicht in die Armeehierarchie eingebettet sind, operieren heute im Südosten der Türkei gegen die kurdische Guerilla. Dutzende Morde, die als Guerilleros verkleidete Männer verübten, soll auf ihr Konto ge hen.“14

Im folgenden wird eine Reihe von inzwischen bekannt gewordenen Fakten über Entstehung, Entstehung und Organisation des MIT dargestellt.

Die Entstehung des MIT

Seit ihrer Gründung ist die PKK bevorzugtes Objekt der türkischen Geheimdienste, spätestens seit dem Militärputsch vom 12.9.1980 als offizieller „Staatsfeind Nr. 1“ der Türkischen Republik.

Der Geheimdienst MIT („Milli Istikbarat Teskilati“) entstand 1965 als nationale Nachrichtenorganisation unter diesem Namen. Er geht auf Geheimdienste des Osmanischen Reiches zurück. 1912 wurde eine privat organisierte „Teski-lat-i Mahsosa“ mit deutscher Unterstützung unter der Führung von Enver Pascha u.a. gegründet.

Wolfgang Gust schreibt in seinem Standardwerk „Der Völkermord an den Armeniern – die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt“ (München 1993) hierzu unter der Überschrift „Die Spezialorganisation“:

„Die Spezialorganisation unterstand dem Kriegsminister Enver, der sie, so der amerikanische Historiker Phillip Henrick Stoddard in einer Studie über die Jungtürken-SS, ,aus jungen Abenteurern rekrutierte, zumeist niederrangigen Armeeoffizieren, die sich durch Morde und Terrorakte im Dienste des Komitees für Einheit und Fortschritt ausgezeichnet hatten’. (...)

Mit geheimdienstlichen Mitteln sollte die Spezialorganisation den Zerfall des Osmanischen Reiches aufhalten, hauptsächlich in den arabischen Ländern des Imperiums. Aber sie versuchte auch, die Nachbarländer zu destabilisieren, vor allem durch Insurgierung moslemischer Rebellen im Kaukasus, dem Hinterland eines möglicherweise selbständigen Armeniens, sowie in Mittelasien und selbst in Indien. Finanziert wurde die Organisation vom Kriegsministerium, und auch die Deutschen unterstützten die Teski-lat-i Mahsusa regelmäßig mit Goldlieferungen, wenn stimmt, was Stoddard behauptet. (...)

Die Teski-lat-i Mahasusa sei ein ,Staat im Staat‘ gewesen, sagte der letzte Vorsitzende der Spezialorganisation, Esref Kuscubasi, und sie habe ,die wichtigsten und gleichzeitig gefährlichsten Maßnahmen‘ durchgeführt. Was damit im Klartext gemeint war, verriet der Verbindungsmann der Organisation in Trapezunt, Yusuf Riza: Die Organisation wurde aus schließ lich zur Vernichtung der Armenier eingesetzt. (...) Diese Männer rekrutierten die Mordkommandos, die sich, nach Dadrians Untersuchungen, in drei verschiedene Gruppen aufteilten. Da waren am deutlich sichtbarsten die Gendarmen, die nach französischem Vorbild organisierte Provinzpolizei. (...) Gruppe zwei waren die sogenannten Teschettes (türkisch: Cete oder Cetler), was soviel wie ,Banden‘ heißt. Ihr Name alleine genügte, um die Armenier erzittern zu lassen. Sie unterstanden direkt der Spezialorganisation.

Ihre Aufgabe war es, ,die anstehenden Fragen durch den Einsatz brutaler Gewalt einer Lösung zuzuführen‘, wie es in einem Prozeßdokument stand, das heißt, der ,Vernichtung‘ der armenischen Deportierten, so die türkische Anklage. Um die Gutgläubigen (vor allem unter den Ausländern) irrezuführen, wurden diese Teschettes pro forma mit militärischen Aufgaben betraut, wie ein Gericht feststellte.

Die dritte Gruppe waren ausschließlich entlassene Strafhäftlinge, die auch der Sonderorganisation unterstanden. (...)

Nach Angaben armenischer Gewährsleute, berichtete der deutsche Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim seinem Reichskanzler, hätten die Jungtürken Erzurums im Dezember 1914 regelrechte Proskriptionslisten aufgestellt. (...)

Der deutsche General Posseldt, bis April 1915 Festungskommandant von Erzerum, konnte die Angaben bestätigen und wußte sogar, daß 22 Armenier auf den Listen verzeichnet waren. (...) Von jungtürkischen Aktivitäten sprach auch der deutsche Oberstleutnant Stange, der in Erzerum türkische Guerillatruppen für den Einsatz jenseits der Grenzen trainiert und deshalb einen besonders guten Einblick hatte.

,Die Ausrottung und Vernichtung der Armenier’, telegrafierte Stange in einer Zusammenfassung der Ereignisse am 23. August 1915 an die deutsche Militärmission in Konstantinopel, ,war vom jungtürkischen Komitee in Konstantinopel beschlossen, wohlorganisiert und mit Hilfe von Angehörigen des Heeres und freiwilligen Banden durchgesetzt’. (...)

Auch die Teschettes waren den Deutschen aufgefallen. Als Botschafter von Wangenheim in einem Bericht an den Reichskanzler zum ersten Mal von diesen Truppen sprach, nannte er sie ,militärisch organisierte türkische Irreguläre und Banden von Marodeuren‘.“15

1928 baute dann Oberst Nikolai im Auftrag des Deutschen Reiches einen Nachrichtendienst, MAH (Milli Amale Hizmet = Nationaler Dienst), für den türkischen Generalstab auf.

Wichtiges Quellenmaterial zu den historischen Grundlagen der engen Zusammenarbeit der Polizei und Geheimdienste, ohne die das „PKK-Verbot“ und die Staatsschutzstrafverfahren gegen Anhänger der PKK nicht verständlich wären, findet sich in dem Buch „Die deutsche Türkeipolitik und ihre Auswirkung auf Kurdistan“.16 So der Bericht des Botschafters Rudolf Nadolny, in dem erwähnt wird, daß der deutsche Oberst Nikolai in den 20er Jahren „auf ausdrücklichen Wunsch des türkischen Außenministeriums dem türkischen Geheimdienst einen Nachrichtendienst einrichtete“ (S. 258). Oder die Mitteilung des deutschen Botschafters an den Generalkonsul 1943, daß drei faschistische Agenten im Rahmen von Spezialeinsätzen der Fünften Kolonne im Nahen Osten zum Generalkonsul in Istanbul übersandt würden. Oder die wertvollen Hinweise auf die NATO-Geheimdienst-Sonderkampftruppe, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Türkei mit Hilfe nicht nur der US-amerikanischen CIC und CIA, sondern eben auch von Kräften aus dem Nazi-Geheimdienst „Organisation Gehlen“ entstand, deren Chef bekanntlich später auch maßgeblich am Aufbau des BND beteiligt war und die Counter-Guerilla-Kräfte u.a. für die Türkei ausbildeten.17

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser MAH reorganisiert. Er erhielt vier Abteilungen für „Spionage“, „Gegenspionage“, „Propaganda“ sowie „Technik und Logistik“. Der MAH ging 1965 in den MIT über. Hinzu kamen Abteilungen für „Sicherheit“, für „Beobachtungen destruktiver Aktivitäten“ (Separatismus) und „Kommunismus“. Der MIT operiert vor allem in zivilen Bereichen in allen denkbaren Einrichtungen sozialer, kultureller, politischer oder kirchlicher Art.

Der MIT stand mit Israel und bis 1979 mit dem Iran aber ohnehin in einem nachrichtendienstlichen Dreierbund, bei dessen Entstehung die USA Pate gestanden hatten. Bereits 1980 soll er ca. 4000 hauptamtliche Mitarbeiter im In- und Ausland beschäftigt haben, das heißt vorzugsweise in diplomatischen Vertretungen und illegalen Residenturen, als die wirtschaftliche und religiöse Auslandseinrichtungen fungieren.

Die MIT-Zentrale befindet sich in Ankara, eine weitere wichtige Inlandsstation in Istanbul. Von Anfang an arbeitete der türkische Geheimdienst eng mit deutschen Diensten zusammen. Diese Zusammenarbeit wurde Ende der vierziger Jahre von der Organisation Gehlen nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wieder aufgenommen. Die Auslandsresidentur in der Türkei zählte zu den ersten des neu entstandenen Bundesnachrichtendienstes (BND). Zu der Dienststelle in der deutschen Botschaft in Ankara kam eine zweite in Istanbul hinzu. Von dort aus betrieben der BND und der türkische Geheimdienst gemeinsam einen Stützpunkt zur Fotoaufklärung gegen sowjetische Kriegs- und Handelsschiffe, die den Bosporus passierten. In Samsum am Schwarzen Meer und von anderen Stationen aus gab es eine enge Kooperation bei der funkelektronischen Aufklärung in die Sowjetunion hinein. In der Türkei war die dafür zuständige Abteilung II (Technik) in den 70er Jahren so stark vertreten, daß wöchentlich ein Versorgungsflug aus München-Riehm stattfand.18

Unter Führung des Dr. jur. Rainer Kesselring, Sohn des Generalfeldmarschalls der Hitler-Wehrmacht Albert Kesselring und CSU-Mitglied, baute der BND, der seine eigene Computerisierung gerade abgeschlossen hatte, von 1978 an das Informations- und Dokumentationssystem des MIT auf.

Seine Politik trug wesentlich dazu bei, daß die Unterdrückung der Opposition in der Türkei noch professioneller betrieben werden konnte. Nach Einschätzung von Insidern wäre „die in die Zigtausende gehenden Verhaftungen nach dem 12. Dezember 1980 ... ohne die Abstützung auf die Datenverwaltung made in Germany so nicht möglich gewesen“.19 Der 1988 pensionierte General Hiram Abbas, der Leiter des MIT war, spielte beim Militärputsch eine Schlüsselrolle und war Gesprächspartner von Klaus Kinkel, der zur Zeit des Militärputsches Leiter des BND war. Nach Angaben aus Oppositionskreisen war der MIT zu Beginn der 80er Jahre auch für Morde an Oppositionellen in Westeuropa verantwortlich. Klaus Kinkel unterstützte nachhaltig diesen Geheimdienst der Militärdiktatur, die im In- und Ausland für Folterungen und politische Morde verantwortlich gemacht wurde, bei den Bemühungen, die in der Bundesrepublik lebende Opposition, besonders die kurdische, zu verfolgen.

Der spätere Bundesaußenminister hat wie kein anderes Kabinettsmitglied detaillierte Kenntnisse über die Zusammenarbeit des BND mit dem türkischen Repressionsapparat, die er selbst auf neue Höhen brachte. Er weiß auch, daß die von ihm verstärkte Weiterleitung von Informationen aus Asylanträgen von Kurden vom BND-Präsidenten Konrad Portzner fortgesetzt wird. In seinem Ministerium jedoch herrscht wenig Neigung, das nachrichtendienstliche Wissen des Chefs in dieser Frage in die Beurteilung der Gefährdung nach einer Abschiebung mit einzubeziehen.20

Inzwischen sind einige frühere Aktivitäten des MIT bekanntgeworden, so u.a. der Mahir-Kaynak-Fall: Mahir Kaynak war ein Spitzel der MIT, der Ende der 60er Jahre als Professor getarnt in einem „Komitee“ mitarbeitete, dessen Mitglieder (Generäle, Offiziere, Lehrer usw.) einen „fortschrittlichen“ Putsch vorbereiteten. Kurz vor dem geplanten Putsch wurden alle Mitglieder verhaftet, Mahir Kaynak trat als Zeuge der MIT gegen die Verhafteten auf. Die Vorgehensweise des MIT wird in den Worten des früheren MIT-Verantwortlichen von Diyarbakir, Oberst Kelicen, deutlich, der sagte:

„Für uns besteht das Problem nur in der Personifizierung des einzelnen. Es ist für uns kein Problem, dem Gericht, wenn nötig, Zeugen oder Beweise vorzulegen.“

Das heißt, der MIT braucht nur zu wissen, was mit welcher Person geschehen soll. Für die Beschaffung von „Beweisen“ und „Belegen“ wendet er Methoden wie Erpressung, Bestechung oder Folter an. Dies wird in dem Buch des früheren Offiziers Talat Turhan „Erinnerung an den 12. März“ im einzelnen beschrieben.

Der türkische Geheimdienst MIT arbeitet eng zusammen mit dem „Amt für Spezialkriegsführung“, aus dem er hervorgegangen ist. Dieses Amt wurde mit Hilfe der USA gegründet und führte seine Aktivitäten vom Gebäude der Hilfsorganisation JUSSMAT (amerikanische militärische Hilfsorganisation für die Türkei im Rahmen des Marshall-Plans) in Ankara aus fort. Der frühere Ministerpräsident Bülent Ecevit erklärte, er habe von der Existenz dieses Amtes erst 1974 erfahren, als der damalige Stabschef Sancar aus den geheimen Mitteln des Ministerpräsidiums erhebliche Summen Geldes haben wollte. Bis zu diesem Punkt seien die gesamten Ausgaben der Organisation von den USA gedeckt worden. Auf das Konto dieses Amtes gehen u.a. Sabotageaktionen und Komplotte. Auch die Entführung des israelischen Generalkonsuls Ifraim Elrom 1971 wurde vom Amt geplant, der Hauptmann Ilyas Aydin, einer der Entführer, der ihn mit Kopfschuß tötete, war ein Mitglied des Amtes für Spezialkriegsführung.

Zu den verschiedenen Abteilungen des Amtes für Spezialkriegsführung gehörte auch die Counter-Guerilla, die sich vor dem Militärputsch von 1980 innerhalb der faschistischen MHP (Milliyetci Hareket Partisi, Nationale Bewegungspartei) organisiert hatte. Auf das Konto der Counter-Guerilla geht u.a. ein Massaker anläßlich der 1.-Mai-Veranstaltung auf dem Taksim-Platz in Istanbul, bei dem 34 Demonstranten getötet und Hunderte verletzt worden sind. Die Verantwortlichen waren bekannt, wurden aber nicht zur Rechenschaft gezogen. Hierzu äußerte sich der frühere Ministerpräsident Ecevit so:

„Wir waren zu der Zeit die größte Oppositionspartei. Wir haben eine Untersuchungskommission für diesen Vorfall gegründet. Aber von einem bestimmten Punkt an gingen die Spuren verloren. Wir stießen sozusagen in ein Informationsloch und auf Widerstand. (...) Aus diesem Grund ist mir als Wahrscheinlichstes in den Sinn gekommen, daß dieser Vorfall mit dem zivilen Arm des Amtes für Spezialkriegsführung in Verbindung stand.21

Der frühere Vorsitzende des Amtes für Spezialkriegsführung, Generalmajor a.D. Cihat Akyol, schreibt in seinem Buch über die psychologische Kriegsführung:

„Man kann mit diesen Vorfällen wie Plünderungen, Massakern und Vergewaltigungen den Anschein erwecken, als seien diese von den Aufständischen durchgeführt worden. Nun muß man allerdings wissen, daß dieses Thema sehr heikel ist, wenn der Ort, die Art und der Inhalt nicht meisterhaft bedacht sind, kann das das Gegenteil bewirken. (...) Um die Bevölkerung von den Aufständischen zu trennen, wird empfohlen, gefälschte Operationen der Sicherheitskräfte mit beispielloser Grausamkeit und maßloser ungerechter Behandlung der Bevölkerung durchzuführen.“22

Auf das Konto der Counter-Guerilla gehen zahlreiche Morde und angebliche Massaker der PKK in der 2. Hälfte der 80er und Anfang der 90er Jahre und später Folterungen und Morde der berüchtigten „JITEM“, des Geheimdienstes der Gendarmerie, wie im Zusammenhang mit dem sogenannten „Susurluk-Unfall“ offiziell bekannt wurde (wie auch in den bundesdeutschen Medien recht ausführlich berichtet, deshalb wird von einer weiteren Darstellung an dieser Stelle abgesehen).

1.5. Die Funktion des Düsseldorfer PKK-Verfahrens vor diesem geschichtlichen Hintergrund

Auch wenn Generalbundesanwalt und Oberlandesgericht Düsseldorf immer wieder betonten, es handele sich nicht um einen politischen, sondern um einen normalen Strafprozeß wegen krimineller Verbrechen und Vergehen, so war das Gegenteil unübersehbar.

1.5.1 Die besonderen Haftbedingungen, insbesondere strenge Einzelhaft unter Isolationsbedingungen

Die besonderen Haftbedingungen für §129a-Gefangene waren bereits in den siebziger Jahren Gegenstand öffentlicher und wissenschaftlicher Kritik.

Amnesty international stellte in den Jahresberichten 1980-82 zur BRD fest, daß die lange Isolation von politisch motivierten Gefangenen zu ernstlichen gesundheitlichen Schäden geführt hat.

1986 sagte der Züricher Psychiater Ralph Binswanger vor dem UN-Menschenrechtsausschuß aus, die in der BRD praktizierte Isolationshaft der nach §129a StGB Verurteilten erfülle nach international anerkannten Definitionen den Tatbestand der Folter.

Die Haftbedingungen der Kurdinnen und Kurden im Düsseldorfer PKK-Verfahren wurden in einer Verteidigererklärung aus dem Jahre 1989 zur Anklage der Bundesanwaltschaft so gekennzeichnet:

„Die inhaftierten Beschuldigten unterliegen strenger Einzelhaft in speziellen Sicherheitsbereichen; die Zellen sind zusätzlich gesichert, Besuche nur mit Trennscheibe möglich; Durchsuchungen finden vor und nach dem Besuch bei den Gefangenen und bei den privaten Besuchern statt; auch die Verteidigerpost wird kontrolliert, Telefongespräche sind nicht einmal dem Verteidiger erlaubt.

Bis zum Mai letzten Jahres war jeder Kontakt mit anderen Gefangenen untersagt, die Beschuldigten durften keine Privatkleidung tragen, die Fenster waren mit Fliegengittern bzw. Lochblech undurchsichtig gemacht usw.

Nach verschiedenen Anträgen und Gegenvorstellungen von Verteidigern und Hungerstreiks mehrerer Gefangener wurden im Mai 1988 einige Hafterleichterungen ,unter Berücksichtigung (des) bisherigen Verhaltens auch während der Untersuchungshaft‘ beschlossen – die Möglichkeit, an Gemeinschaftsveranstaltungen teilzunehmen, die Erlaubnis, Privatkleidung zu tragen – die übrigen Einschränkungen wurden jedoch ,mit Rücksicht auf die Eigenart des Tatvorwurfs‘ aufrechterhalten.

Obwohl §119 Abs. 2 StPO verlangt, daß dem Verhafteten nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung der Vollzugsanstalt erfordern, und eine konkrete Prüfung und Begründung in jedem Einzelfall erforderlich ist, erschöpft sich die Begründung für die isolierenden Haftbedingungen zu Unrecht in der ,Eigenart des Strafvorwurfs’. Irgendwelche darüber hinausgehenden Tatsachen sind nicht behauptet oder gar bewiesen. Weder den Beschuldigten noch der PKK insgesamt werden Aktionen gegen staatliche Einrichtungen der Bundesrepublik oder gar Gefängnisse vorgeworfen.

Nach Eingang der Anklage erließ das jetzt zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf ohne vorherige Anhörung der Beschuldigten und Verteidiger und ohne Einzelfallprüfung im November 1988 ein neues Haftstatut, in dem mit 57 Einzelmaßregeln strenge Haft unter Isolation angeordnet wurde. U.a. waren vorgeschrieben:

• Zusätzliches Türschloß oder Kette,

• Fliegendraht bzw. Lochblende vor den Fenstern der Zelle,

• keinerlei Kontakt mit anderen Gefangenen mehr,

• Durchsuchungen auch der Verteidigerakten,

• unauffällige Beobachtung der Gefangenen Tag und Nacht usw.

Hiergegen fanden mehrere Hungerstreiks und öffentliche Proteste statt. Wir brachten in der gemeinsamen Erklärung unsere Empörung über die Vorgehensweise des OLG zum Ausdruck und betonten:

Die völlig unbegründeten Haftverschärfungen treffen unsere Mandanten – die zum Teil der deutschen Sprache nicht mächtig sind – in besonders schwerwiegender Weise. Die psychisch und physisch schädigenden Auswirkungen der isolierenden Haftbedingungen potenzieren sich bei ihnen zwingend durch die von vornherein beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten. Offenbar soll durch das Vorgehen versucht werden, ihre besondere Gefährlichkeit erst durch die angeordneten Haftbedingungen zu untermauern.

Daraufhin sah sich das OLG Düsseldorf im Januar 1989 gezwungen, das Haftstatut in einigen Punkten zu korrigieren; so wurden die zusätzlichen Sicherungen der Zellen teilweise rückgängig gemacht, den einzelnen Anstaltsleitungen ,im Einzelfall‘ ein Abweichen vom grundsätzlichen Ausschluß von Gemeinschaftsveranstaltungen erlaubt, der Zeitungs- und Zeitschriftenbezug wurde etwas erweitert.

Die Isolation ist dadurch natürlich keineswegs aufgehoben. Viele Untersuchungshaftanstalten denken auch gar nicht daran, das Ermessen im Sinne erweiterter Kontaktmöglichkeiten zu nutzen, einige weigern sich sogar, die Erleichterungen durchzuführen!

Insbesondere das Verbot, die kurdischen Zeitungen,Serxwebun‘ und ,Berxwedan‘ sowie weitere Zeitschriften des ,Agri-Verlages‘ zu beziehen, bleibt bestehen, da es sich um ,PKK-Veröffentlichungen‘ handele. Privatbesuche unter Überwachungen des Landeskriminalamts und mit Trennscheibe dürfen nur zweimal monatlich in einer Dauer bis zu höchstens 30 Minuten stattfinden, Telefongespräche nur in besonders dringenden Fällen nach Genehmigung durch die Anstaltsleitung und mit einem Dolmetscher unter Überwachung.“

Die Sonderhaftbedingungen aufgrund §129a StGB wurden bei dem dritten kurdischen Gefangenen des Düsseldorfer PKK-Verfahrens, der (u.a. wegen Mordes) zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war, auch dann nicht aufgehoben, als das Düsseldorfer Oberlandesgericht in Übereinstimmung mit der Bundesanwaltschaft den zeitlichen Bestand der „terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK“ auf die Zeit bis Oktober 1987 beschränkt hatte, so daß der Grund für die besonderen Haftbedingungen – die besondere Gefährlichkeit einer bestehenden terroristischen Vereinigung auch für die Justiz – im Jahre 1994 eigentlich nicht mehr hätte bestehen dürfen ...

Wie ausgeführt, stellt die Einzelhaft unter Isolationsbedingungen nach der Ansicht von Wissenschaftlern auch bei deutschen Gefangenen wegen ihrer schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen eine Form der Folter dar. Es liegt auf der Hand, wie gravierend sich bei den kurdischen §129a-Gefangenen zusätzlich die Unkenntnis der deutschen Sprache, der deutschen Umgangsformen und der hiesigen Verhältnisse auswirken muß.

Ihnen stehen also nicht einmal die – sicherlich sehr eingeschränkten und oft problematischen – Kommunikationsmöglichkeiten deutscher 129a-Gefangener zur Verfügung, etwa täglich mit den Gefängniswärtern, ab und zu mit anderen Gefängnisbeamten, unter Umständen mit Ärzten, Krankenschwestern, Geistlichen usw. ein paar Worte zu wechseln. Wie verheerend sich die Umstände auswirken können, sei an einem Beispiel deutlich gemacht:

Die kurdischen Gefangenen des Düsseldorfer PKK-Verfahrens wurden wiederholt von Beamten in Zivil aus ihrer Zelle abgeholt, gefesselt, ihnen wurden persönliche Gegenstände abgenommen, sie wurden in ein Auto verfrachtet und gefesselt irgendwohin gefahren, ohne daß sich die Beamten ausgewiesen oder ihr Vorgehen in irgendeiner Weise erklärt hätten. Wie sich später durch Nachforschungen und aufgrund von Dienstaufsichtsbeschwerden der Verteidiger ergab, handelte es sich um Gegenüberstellungen, die vom Bundeskriminalamt an anderen Orten als dem Gefängnisort durchgeführt wurden. Man hielt es jedoch nicht für nötig, dies den des Deutschen nicht mächtigen Gefangenen in irgendeiner Weise zu erläutern oder etwa die Verteidiger vorher zu benachrichtigen. Trotz des Protestes der Verteidigung hielt die Bundesanwaltschaft an ihrem Standpunkt mit der lapidaren Begründung fest, eine solche Erläuterung oder Benachrichtigung der Verteidigung sei im Gesetz nicht vorgesehen. Ist es da ein Wunder, wenn sich die kurdischen Gefangenen „wie ein Stück Vieh behandelt“ fühlten? Sie haben sich daher mit wiederholten Hungerstreiks gegen die Zerstörung ihrer Identität zur Wehr gesetzt und Forderungen nach Erleichterungen erhoben, die jedoch in keinem einzigen wichtigen Punkt erfolgten.

Das wichtigste Instrument zur Zerstörung der kurdischen Identität in diesem Verfahren war jedoch die Beschränkung des Bezugs fremdsprachiger Tageszeitungen und Zeitschriften: Gestattet waren lediglich vier namentlich aufgeführte türkische Tageszeitungen und ein Wochenmagazin, alle anderen Zeitungen und Zeitschriften waren die ersten Jahre ebenso untersagt wie der Bezug von Zeitungsausschnitten, Flugblättern oder Flugschriften, insbesondere der Bezug von sämtlichen Publikationen des „Agri-Verlages“ in Köln (insbesondere der von ihm herausgegebenen Zeitschriften „Berxwedan“ und „Serxwebun“). Des weiteren der Austausch von Büchern, Druckschriften, Zeitungen usw. mit anderen Gefangenen. Mit anderen Worten, die Gefangenen konnten jahrelang keine einzige kurdische Veröffentlichung beziehen und erst recht keine einzige Veröffentlichung ihrer eigenen oder anderer kurdischer Organisationen.

1.5.2. Die zentralen Anklagepunkte in Stichworten

Die gesamte Führungsstruktur der PKK vom Zentralkomitee im Nahen Osten bis hin zu den angeblichen Gebietsverantwortlichen in Westeuropa wurde als Mitglieder der terroristischen Vereinigung verfolgt, es existierte u.a. ein Haftbefehl gegen den Generalsekretär der PKK, Abdullah Öcalan.

Neben dem zentralen Anklagevorwurf der „terroristischen Vereinigung“ verdeutlichte vor allem die Zulassung der weiteren Anklage des Generalbundesanwalts vom 30.12.1988 die rechtsstaatliche Fragwürdigkeit, aber auch die politischen Vorgaben des Verfahrens: Gegen zwei Angeklagte wurde wegen angeblicher Beteiligung an der Erschießung von zwei im Guerillacamp der PKK in Barlias/Libanon in Parteihaft genommenen Personen „zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Januar/Februar 1987“ der Vorwurf der Mittäterschaft an zweifachem Mord im Sinne des §211 erhoben. Wie sich aus der Anklage ergab, war der Bundesanwaltschaft weder der Verbleib der nach ihrer Behauptung Erschossenen noch in einem Fall auch nur der Name des Erschossenen bekannt.

Mit dieser Anklage hatte die Bundesanwaltschaft das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlassen und einen Anklagevorwurf wegen von Ausländern im Ausland begangenen Taten erhoben, was gem. §7 Abs. 2 Nr. 2 StGB nur unter ganz besonderen Umständen überhaupt möglich ist. Aber nicht nur das: Sie hatte zum ersten Mal Vorgänge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Befreiungskampf in einem Lande standen – Vorgänge aus einem Guerilla-Ausbildungscamp einer Befreiungsbewegung – zum Gegenstand einer Anklage gemacht.

Zentraler Anklagepunkt des Düsseldorfer PKK-Verfahrens war die angebliche „terroristische Vereinigung“ nach §129a StGB. Die Verteidigung hat diesen Prozeß von Anfang an vor allem in dieser Frage kritisiert. Die umfangreichen Einwendungen zur Anklageschrift wiesen umfassend nach, daß es an jeglicher schlüssigen Feststellung der Existenz einer Vereinigung im Sinne des §129a StGB sowie der Mitgliedschaft der Angeschuldigten fehlt. Nach Zulassung der Anklage durch den Senat stützte die Verteidigung in der Hauptverhandlung den umfassenden Antrag auf Einstellung des Verfahrens insbesondere auch darauf, daß der Senat mit seinem Eröffnungsbeschluß mit der ganzen bisherigen Rechtsprechung nach §129a StGB in wesentlichen Punkten gebrochen hat, ohne das auch nur zu erwähnen und zu begründen: „Der Senat hat das Tor aufgestoßen zu einer massiven und – betrachtet man es im Zusammenhang mit der Eröffnung der Libanon-Anklage – prinzipiell nur noch von Erwägungen politischer Opportunität begrenzten Kriminalisierung von Auslandsvereinigungen.“ Die Angeklagten selbst kritisierten in ihren Stellungnahmen zur Anklage den politischen Charakter des Verfahrens vor allem an diesem Vorwurf.

Die ursprünglichen zentralen Tatvorwürfe, auf die die Haftbefehle und die Anklage gestützt waren, insbesondere die Behauptung eines sogenannten „Volks-/Revolutionsgerichts“ zur Liquidierung von sogenannten Parteifeinden der PKK in Köln, u.a. im Februar 1988, konnten in der Hauptverhandlung nicht aufrechterhalten werden. Nach den Aussagen der beiden Hauptbelastungszeugen der Anklage wurde das Verfahren gegen mehr als die Hälfte der Angeklagten „wegen Geringfügigkeit“ eingestellt. Ohne den Kronzeugen Cetiner hätten alle Angeklagten freigesprochen werden müssen, wie der damalige Hauptvertreter der Anklage als Zeuge im Mordprozeß gegen den Kronzeugen vor dem Landgericht Berlin freimütig eingeräumt hatte. Dieser Kronzeuge Ali Cetiner war der allererste Zeuge aufgrund der Kronzeugenregelung im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten, die nach wie vor umstritten ist und von der herrschenden Meinung in der Literatur zu Recht abgelehnt wird, weil sie mit den Grundsätzen unseres Strafverfahrens nicht vereinbar ist – das Bundesverfassungsgericht hat die Frage der Verfassungsmäßigkeit bisher offen gelassen. Seine umfassenden Aussagen stehen im Zusammenhang mit seiner Verurteilung wegen eines gemeinschaftlich begangenen Mordes zu fünf Jahren statt der sonst obligatorischen lebenslangen Freiheitsstrafe – im Laufe seiner lang andauernden Vernehmung vor dem OLG Düsseldorf war er bereits wieder aus der Haft entlassen, während die später wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilten Kurden immer noch in Untersuchungshaft saßen. Der Zeuge hat die kurdischen Beschuldigten umfangreich belastet, aber die eigene Rolle in der PKK-Führung auch nach Ansicht des Düsseldorfer Oberlandesgerichts wahrheitswidrig heruntergespielt und vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zunächst in einem wichtigen Punkt eine Falschaussage gemacht, wie seine eigene Rechtsanwältin dem Gericht mitteilte. Nach seiner daraufhin erfolgten erneuten Vernehmung entzog er sich der weiteren Befragung seitens der Verteidigung durch die Berufung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht, weil er sonst selbst eine Strafverfolgung wegen §129a StGB befürchte.

Dieses umfassende Auskunftsverweigerungsrecht wurde ihm vom Oberlandesgericht zugebilligt, obwohl die schwedische Justiz bei seiner Auslieferung eine Bestrafung nach §129a StGB ausgeschlossen hatte, gegen den Widerspruch der Verteidigung, die den Zeugen als gekauften und manipulierten Zeugen und mutmaßlichen Agenten von türkischen und schwedischen Geheimdiensten bezeichnete und hierfür eine Reihe handfester Indizien anführte. Die von der Anklage behaupteten Tötungsdelikte hat der Kronzeuge zwar wunschgemäß bestätigt, aber bis auf einen Fall – in dem er selbst als Mittäter statt der sonst obligatorischen lebenslangen eine fünfjährige Freiheitsstrafe erhalten hatte – nur als Zeuge vom Hören-Sagen. Die angebliche terroristische Vereinigung innerhalb der PKK zur Liquidierung von Parteifeinden endete nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts im Oktober 1987, also genau zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kronzeuge Ali Cetiner als Provokateur und mutmaßlicher Agent des Geheimdienstes aus der nationalen Befreiungsbewegung Kurdistans ausgeschlossen worden war.

Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom März 1994 hatten die vier Angeklagten und die Bundesanwaltschaft Revision eingelegt, allerdings in drei Fällen zurückgenommen, so daß diese Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sind.

1.5.3. Das Ergebnis des PKK-Prozesses und die Konsequenzen

In der Berichterstattung über das Urteil des Mammutverfahrens wurde Wesentliches unter den Teppich gekehrt: nicht nur der Freispruch eines der Angeklagten von der Mordanklage und die Zurückweisung des Vorwurfs der Rädelsführerschaft in der angeblichen „terroristischen Vereinigung“ bei zwei Angeklagten, sondern auch die Einstellung des Verfahrens in der sogenannten „Libanon-Anklage“ und die personelle und zeitliche Begrenzung der angeblichen „terroristischen Vereinigung“, zu der nicht mehr die gesamte PKK-Führung, sondern nur ein Teil der Europaorganisation gehört haben sollte und deren Existenz vor allem nur bis zum Oktober 1987 festgestellt wurde.

Damit war das Szenario, das der Inhaftierung von mehr als 20 KurdInnen und der Anklageschrift aus dem Jahre 1988 zugrunde lag, endgültig zusammengebrochen. Waren doch Ausgangspunkt hierfür die Angaben zweier Hauptbelastungszeugen im Februar 1988, die behauptet hatten, soeben mit knapper Not dem Todesurteil durch die PKK im Rahmen eines „Volksgerichts“ entkommen zu sein.

Der Versuch der Bundesanwaltschaft, die nationale Befreiungsbewegung PKK in einem Mammutschauprozeß über den §129a als „Terroristen“ zu kriminalisieren, war gescheitert.

Als „Beweis“ für die später vom Bundesminister des Innern in seiner Verbotsverfügung gegen 35 kurdische Organisationen und für die von der Bundesanwaltschaft im Einklang mit dem türkischen Regime betriebene Abstemplung der gesamten PKK als „terroristisch“ konnte das Urteil eigentlich gerade nicht dienen.

Die Berichterstattung in den Medien erweckte demgegenüber den Eindruck, als habe das Gericht den „Terrorismus der PKK-Führung“ verurteilt, und wurde so zum Wasser auf die Mühlen von Bundesinnenminister Kanther beim Verbot kurdischer Vereinigungen und vor allem der türkischen Militärführung in ihrem offiziell erklärten „Vernichtungskrieg“ gegen die PKK und ihre Unterstützer.

Der Senat hatte die Einstellung der „Libanon-Anklage“ ausschließlich auf die vom libanesischen Generalstaatsanwalt mit Schreiben vom 20.12.1993 bescheinigte Anwendbarkeit des Amnestiegesetzes aus dem Jahre 1991 gestützt.

Ohne dieses der Verteidigung im letzten Moment übermittelte Dokument hätte der Staatsschutzsenat keinerlei Skrupel gehabt, im Wege der „stellvertretenden Strafrechtspflege“ auch für angebliche Taten von Kurden an Kurden in einem Milizcamp im Libanon tätig zu werden und sich damit erstmals seit Bestehen der BRD in dieser Art und Weise in innere Angelegenheiten anderer Staaten und Völker einzumischen. Dies, obwohl keine der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts (nach §7 Abs. 2 Nr. 2 StGB) jemals in diesem Verfahren vorlagen und ernsthaft geprüft wurden. Und obwohl der Senat seinerseits keinen ernsthaften Versuch unternommen hatte, von den libanesischen Justizorganen selbst Auskünfte einzuholen, und der Verteidigung jede Hilfe bei der dann von ihr allein betriebenen Aufklärung verweigerte.

Dennoch ist festzuhalten, daß im Ergebnis der Versuch der Bundesanwaltschaft fehlgeschlagen war, in diesem Verfahren erstmals eine gerichtliche Absegnung dafür zu erreichen, daß sich die deutsche Justiz eine Weltpolizistenrolle anmaßt. Auch im Sinne der Ausweitung der Rechtsprechung zur terroristischen Vereinigung auf Auslands- und Massenorganisationen war die Bundesanwaltschaft nicht sehr viel weiter gekommen, auch wenn die vom 5. Strafsenat des OLG Düsseldorf kreierte Konstruktion einer zeitlich begrenzten kleinen „terroristischen Vereinigung“ innerhalb der PKK in der BRD in ihrem rechtspolitischen Folgen schlimm genug war.

Urteilsbegründung und Berichterstattung erweckten den Eindruck, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, daß die deutsche Justiz mit der Verfolgung eines Organisationsdelikts sich in interne Vorgänge einer legitimen nationalen Befreiungsbewegung gegen Kolonialismus, kolonialistische und rassistische Unterdrückung einmischt und aus ihrer Führungsstruktur eine angebliche „terroristische Organisation“ konstruiert, statt sich auf die Verfolgung von Tötungen im Rahmen eines Schwurgerichtsprozesses unter rechtsstaatlichen Verfahrensbedingungen zu beschränken. Zu erinnern ist in diesem Zu sammenhang an die nach wie vor richtigen Kommentare kritischer Massenmedien zu Beginn der Hauptverhandlung, daß es nicht Aufgabe der deutschen Justiz sei, über die Legitimität ausländischer Befreiungsbewegungen zu urteilen. Solche kritischen Stimmen suchte man in der Berichterstattung aus Anlaß der Urteilsverkündung nach viereinhalb Jahren vergeblich.

Ganz im Gegensatz zu dem Versuch, sich mit der Strafverfolgung in den 129a-Verfahren zum Schutzpatron der in Westeuropa oder sogar im Nahen Osten angeblich von der PKK getöteten Kurden aufzuschwingen, stand die Haltung des Generalbundesanwalts gegenüber den Verantwortlichen der Massaker an den Kurden und ihrer Unterstützung durch bundesdeutsche Stellen.

Exkurs

Die Strafanzeige wegen Beihilfe zum Völkermord

Im Januar 1993 hatte ich im Auftrage von Vertretern politischer Parteien (der Grünen und der PDS), Menschenrechtsorganisationen (medico international), Abrüstungsinitiativen und Strafverteidigervereinigungen beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige wegen Beihilfe zum Völkermord durch bundesdeutsche staatliche Stellen und Rüstungsbetriebe erstattet und diese auf 100 Seiten umfangreich begründet.

Fast ein Jahr später – einen Monat nach dem sogenannten PKK-Verbot – lehnte mit Schreiben vom 30.12.93 der Generalbundesanwalt ab, die Strafanzeige weiterzufolgen:

„Die Prüfung des angezeigten Sachverhaltes unter Berücksichtigung von Informationen des Auswärtigen Amts sowie von gerichtsbekannten und allgemeinkundigen Tatsachen hat keine zureichenden und tatsächlichen Anhaltspunkte für Völkermordtaten der türkischen Regierung ergeben. Daher entfällt schon mangels Haupttat der Anfangsverdacht für eine Beteiligung von Bundesbürgern. (...) (Seite 1)

Ziel des Vorgehens der türkischen Sicherheitskräfte in Südost-Anatolien ist die erfolgreiche Bekämpfung des PKK-Terrorismus als Voraussetzung für eine Befriedung der Region. ,Politische Maßnahmen‘ und solche der wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung werden von der derzeitigen Koalitionsregierung erst nach einer militärischen Befriedung ins Auge gefaßt. (...) (Seite 4)

Soweit bei den Vorfällen militärische Geräte aus deutschen Waffenlieferungen zum Einsatz gekommen sind, geschah dies ohne Wissen und Willen deutscher Dienststellen. (Seite 8) … hat die Bundesregierung durch die zitierte Verwendungsklausel eindeutig bekundet, daß sie nur mit einer Verwendung im Sinne von Artikel 5 NATO-Vertrag (Angriff auf das Bündnisgebiet), nicht aber mit einem Einsatz im Rahmen der Terrorismusbekämpfung einverstanden ist.“ (Seite 10)

Der Generalbundesanwalt übernahm also aus Ankara die Version der angeblichen reinen „Terrorismus-Bekämpfung“, ohne auch nur ein einziges der angebotenen Beweismittel (Filmberichte, Zeugen, Sachverständige) anzufordern und ernsthaft zu prüfen. Dies galt auch für die zahlreichen Beweismittel für den systematischen Einsatz von Waffen aus Deutschland, u.a. BTR-60 Panzer, Panzerwagen, Gewehre. Diese Schonung der Völkermörder und ihrer Unterstützung stand im Einklang mit dem Vorgehen gegen die von Völkermord Betroffenen: Kurz vorher hatte Bundesinnenminister Kanther militante Proteste von Kurden zum Vorwand genommen, umfassend gegen kurdische Vereinigungen loszuschlagen.

1 Vgl. dazu näher im einzelnen Einstellungsantrag der Verteidigung im Kurdenprozeß, herausgegeben vom Kurdistan-Komitee, Oktober 1990; Schultz/Schubert Von Stammheim nach Düsseldorf Die Inszenierung des Schauprozesses gegen 19 KurdInnen durch den Generalbundesanwalt, Kiel 1989 („Kamalatta-Flugschrift“); Schultz: Politische Justiz gegen eine ,Auslandsvereinigung‘ und die Rolle des ,Kronzeugen‘ als zentrales Beweismittel in schauprozeßartigem Mammutverfahren – der PKK-Prozeß in Düsseldorf, in „Sicherheitsstaat – Staatssicherheit, herausgegeben von Janssen und Schubert, Bielefeld 1990

2 Neue Zeitschrift für Strafrecht 1986, Seite 298ff, 291.

3 Rolf Gössner, Das Anti-Terror-System, Politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat, Hamburg 1991, Seite 37- 41

4 Gössner, ebenda, Seite 328ff.

5 Vgl. hierzu und zu dem folgenden Enno Brandt, Staatsgewalt politische Unterdrückung und innere Sicherheit in der Bundesrepublik, Göttingen 1988, Seite 18ff.

6 Alexander von Brünneck: Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1968, Frankfurt 1978, Seite 152

7 Interview mit A.Haig, Times, 16.3.1981, Seite 25

8 zitiert nach: CIA: Club der Mörder, Der US-Geheimdienst in der Dritten Welt, Göttingen 1988, Seite 46

9 Nair und Opperskalski a.a.O., Seite 48

10 Christian Science Monitor, 25.11.1988, Seite 3-4, zitiert nach Jürgen Roth, Die Mitternachtsregierung, Hamburg 1990, Seite 56f.

11 so Nair und Opperskalski, a.a.O., Seite 123

12 Nr. 48/1990, Seite 175

13 zitiert nach Leo A. Müller, GLADIO – Das Erbe des Kalten Krieges, Hamburg 1991, Seite 57

14 taz vom 29.11.1990, Seite 13

15 Seite 215f.

16 GNN-Verlag, Stuttgart, Januar 1997

17 vgl. ebenda, Celik, Seite 59ff.

18 Vgl. Erich Schmidt-Eenboom, Der Schattenkrieger, Klaus Kinkel und der BND, Düsseldorf 1995, Seite 28

19 Schmidt-Eenboom, ebenda, Seite 29

20 so Schmidt-Eenboom, ebenda, Seite 30 und 33

21 Cumhurriyet, 17.11.1990

22 Counter-Guerilla und die MHP, Seite 45, zitiert nach Kurdistan-Report, August 1992, Seite 24

 


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