Vorwort

„Kurden und die PKK“: ein Dauerbrenner im Bereich der „Inneren Sicherheit“, kein Thema hat in den letzten zehn Jahren mehr Polizisten, Richter, Journalisten und Massenmedien beschäftigt. Vom größten „Terrorismus-Prozeß in der Geschichte der BRD“ vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht mit der PKK als jahrelangem „Hauptfeind der Inneren Sicherheit“ in den Presseerklärungen des Generalbundesanwalts und allen Verfassungsschutzberichten, Dutzenden von Verboten kurdischer Vereinigungen durch Bundesinnenminister Kanther und andere, Hunderten von Verboten von Veranstaltungen und Demonstrationen mit anschließend gewaltsamen Auseinandersetzungen quer durch die Republik bis hin zu Tausenden von Hausdurchsuchungen, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, um nur die wichtigsten Stichworte zu erwähnen. Inzwischen ist es ruhiger geworden, der Prozeß des „Dialogs und der Deeskalation“ zwischen deutschen Behörden und der PKK-Führung hat dazu maßgeblich beigetragen.

Die Probleme und ihre Ursachen sind aber offensichtlich noch lange nicht gelöst (während ich diese Zeilen schreibe, wird von neuen Vereins- und Hausdurchsuchungen und einer „Terrorismus-Anklage“ vor dem Staatsschutzsenat eines Oberlandesgerichts berichtet). Nicht nur weil die Kurden aus ihrer Heimat, wo sogar ihre Existenz verleugnet wird, durch einen schmutzigen, unerklärten Krieg des „Nato-Partners“ Türkei vertrieben und im bundesdeutschen Exil als „Kriminelle und Terroristen“ diskriminiert wurden. Sondern weil hier die Rede sein soll von einer Gattung Menschen, die es bei uns offiziell gar nicht gibt: von politischen Gefangenen, politisch Verfolgten ...

Höchste Zeit also für den Versuch einer kritischen Bilanz aus der Sicht eines als Strafverteidiger und Rechtsanwalt mit der Materie befaßten Autors, durchaus parteilich und kritisch also, ohne Anspruch auf Objektivität und Wissenschaftlichkeit, die erforderlichen Untersuchungen hierzu liegen noch nicht vor. Ebensowenig wie die moderne Odyssee über die kurdischen Menschen, denen in ihrer Heimat und im Exil unermeßliches Leid zugefügt wurde; die es aber trotzdem nicht aufgegeben haben, für ihre Rechte, d.h. ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre Identität zu kämpfen.

Dieses Buch ist aber kein Heldenepos und soll Kurden auch nicht als „Unschuldslämmer“ darstellen, die sie nicht sind. Viele von ihnen wußten, daß sie gegen Gesetze und Verordnungen - insbesondere in ihrer Auslegung durch Polizei und herrschende Meinung - verstoßen, wie z.B. andere Autobahnblockierer oder militante Demonstranten auch. Gerade bei ihnen hätten also Menschenrechte und Völkerrecht Maßstab jeder Reaktion sein müssen. Aber hier stand nicht die Ahnung kriminellen Unrechts mit rechtsstaatlichen Mitteln in fairen Prozessen auf demokratischer Grundlage im Vordergrund, sondern die politische Feinderklärung, die öffentliche Vorverurteilung, undemokratische Mittel und eine politische Justiz, die in schlimmer obrigkeitsstaatlicher Manier tätig wurde. Bis hin zur Einführung spezieller neuer Gesetze und Polizeimaßnahmen im Rahmen des „Sicherheitsstaates“ bundesdeutscher Art, aus willkommenen Anlaß vorexerziert an einer unbequemen Minderheit.

All dies hat zu einem gefährlichem Abbau demokratischer Rechte geführt, der keineswegs nur die Kurden angeht - dies muß einer breiteren Öffentlichkeit aufgezeigt werden. In diesem Sinne hoffe ich, mit dem Buch den Anstoß zu einer weiteren kritischen Diskussion zu geben.

Zur Form der Darstellung: Die Versuchung war groß, die Geschichte seit April 1988 in historisch-biographischer Form zu erzählen (als ich am Rande eines Seminars über das Asylrecht für Kurden gefragt wurde, ob ich die Strafverteidigung in einem „Terroristenprozeß“ gegen einen kurdischen PKK-Anhänger übernehmen würde) oder eine durchaus spannende Kriminalgeschichte daraus zu machen, beginnend mit dem Aufstieg und Fall des ersten Kronzeugen in der Geschichte der deutschen Justiz 1988 und seinen Nachfolgern bis 1998. Statt dessen habe ich ein seit Jahren auf zahlreichen Veranstaltungen gehaltenes Referat zur Grundlage gemacht und aktualisiert. Dadurch enthält der Text zahlreiche Originaldokumente wie Prozeßerklärungen, Auszüge aus Schriftsätzen der Verteidigung, Presseerklärungen und Sachverständigengutachten und kommentiert diese. Diese überwiegend dokumentarische Form der Darstellung wurde beibehalten, um so einen hohen Grad der Authentizität zu erreichen.

Ich danke allen, die mit Beiträgen, Anregungen und Kritik an dem Versuch einer aktuellen Bilanz mitgewirkt haben und mitwirken und wünsche den Völkern Kurdistans Erfolg in ihrem Kampf für das Selbstbestimmungsrecht vor dem Ende dieses Jahrtausends! Unsere Aufgabe bleibt es, in Europa für die Menschenrechte auch für Minderheiten zu kämpfen und gegen einen „Sicherheitsstaat“, bei dem es sich in Wahrheit um einen Polizeistaat neoliberaler Prägung handelt.

Bremen, im August 1998

Eberhard Schultz

 


[Zum Inhaltsverzeichnis] [Zum Seitenanfang]