Kurdenverfolgung. Verbote. Kurdenverfolgung.

Von Hans Branscheid

Der triste Zyklus, der seit zehn Jahren fortwährend zu zitieren ist, kennt kein Ende:

Vertreibung, Verfolgung, Ausweisung.

Früher schon dieses Leid: Zerstörung kurdischer Lebenswelten seit dem 1. Weltkrieg, als die Briten ihre ersten Giftgasversuche „an den aufständischen Kurden“ unternahmen. Ein bislang wenig erwähntes Ereignis. Testfeld für neue Waffen, die jene ,,höhere Form des Tötens“ erlaubte, und militärische Aufstandsbekämpfung. Auch die weitere Geschichte kennt für die Kurdinnen und Kurden nur eines: Feinde ringsum. In allen Ländern, in denen zu leben sie gezwungen wurden. Mit dem genozidalen „Höhepunkt“, dessen wir soeben gedenken mußten: der Ausrottung der Menschen Halabjas. Fabrikmäßig, systematisch, mit Giftgassprays, kostengünstig wie mit Insektiziden gearbeitet. Die Schrift der deutschen Meisterhand war unverkennbar; den Massenmord selber noch zum Produktionsziel erheben. Ein Geschäft auch daraus machen. Weiter Geschäfte machen. Mit Krediten und Waffen. An die türkische Seite geliefert, diesen vertrauten historischen Partner, dem nun beizuspringen war mit dem ganzen tödlichen Arsenal, das ausreichte, um 3500 Dörfer zu zerstören.

Sagen Sie heute nur bitte nicht, dagegen hätte jemand je protestiert. Auch wenn es, natürlich, Menschen gab, die das Ungeheuerliche auch ungeheuerlich fanden: erst die Menschen vergasen und vertreiben, dann von unserm weißhaarigen Herrenmenschen an den Grenzen barsch zurückweisen lassen. Und nicht nur das: die schon eingedrungen waren in die Grenze, die verdächtigen Subjekte, wurden verboten: weil sie nicht einmal in Ansehung eines Genozids schweigen wollten. An ihren Familien, Kindern, Freunden, Geliebten und Verwandten. Aber sonst ist nur geschwiegen worden.

So lautet diese Geschichte einer zehnjährigen Verfolgung. – Ob deren Ende in Aussicht ist? Das liegt an uns. Aber ich glaube daran, daß die kurdischen Organisationen in den nächsten zwei Jahren wieder zugelassen werden. Ich gehe davon aus, daß man ihre Parteien als Verhandlungspartner akzeptiert. (Nicht ohne diese bis dahin nach Kräften zu schwächen.) Aber die existentielle Sehnsucht von 30 bis 40 Millionen Menschen ist in der Geschichte noch niemals aufhaltbar gewesen. Was immer derzeitiger Stand der Kämpfe und des Bewußtseins in allen Teilen Kurdistans ist: Kurdistan steht auf der Tagesordnung. Das vergißt niemand mehr. Im Land nicht. Nicht in der Diaspora. Es wird eine kurdische Wirklichkeit geben, die menschlich sein wird und frei.

Was das ist, und wann, und wie; das liegt an den Kurdinnen und Kurden. Viele von ihnen haben den offenen, freien Kontakt zur ganzen Welt noch nicht gefunden, nicht eröffnet, nicht eröffnen können. Sie sollten sich zukünftig selbstbewußter und souveräner darstellen: ohne Scheu und emanzipiert. Wir sind die Kurdinnen und Kurden mit eigener Geschichte und unseren Wünschen und Ideen. Wir sind nicht länger zu verleugnen. Wir sind präsent. Wir sind offen. Wir sind Kurdistan.

Dann kann man Kurdistan auch endlich sehen. Überall. In Köln, Paris, Ankara, Diyarbakir und Sülaimania.

Zehn Jahre sind genug. Laßt uns einen neuen Anfang machen, die alten Freunde zu bekämpfen.

Hans Branscheid, medico international / Appell von Hannover

 


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