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BRD 1977 - Der Polizeistaat in Aktion

Ein Jahr Strafe für Vorsitzenden der KPD wegen Aufrufe in Flugblättern

Neun Monate für Mitangeklagten
Polizisten zur Kündigung aufgefordert



Wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, verhängte gestern nach 15tägiger Verhandlung die Staatsschutzkammer des Landgerichts ein Jahr Freiheitsstrafe gegen den West-Berliner KPD-Vorsitzenden Heinrich und neun Monate Freiheitsstrafe gegen einen ehemaligen Polizisten. Beide Angeklagte wurden wegen fortgesetzter verfassungsfeindlicher Einwirkung auf die Polizei verurteilt, Heinrich darüberhinaus wegen öffentlicher Aufforderung zum schweren Hausfriedensbruch und übler Nachrede. Den Angeklagten wurde wegen rechtsfeindlicher Einstellung eine Aussetzung der Strafen zur Bewährung verweigert. Sie werden Revision einlegen.

Sämtliche Punkte der Verurteilung beziehen sich auf Flugblätter, die im vergangenen Frühjahr - teilweise vor Polizeikasernen - von Anhängern der KPD verteilt worden waren. Für die meisten hatte Heinrich die presserechtliche Verantwortung übernommen; den ehemaligen Polizisten hielt das Gericht für überführt, an Verteilungen teilgenommen zu haben. In den Flugblättern war die Nutzung des lange leerstehenden Bethanien-Komplexes als Kinderpoliklinik gefordert worden wegen einer kinderärztlichen Unterversorgung in Kreuzberg, die auch Bezirksamtsvertreter in der Beweisaufnahme zugestanden. Die dem Angeklagten Heinrich zur Last gelegte Aufforderung zum schweren Hausfriedensbruch sah das Gericht in der Aufforderung der Flugblätter, das leerstehende Gebäude zu besetzen und auf seine Tauglichkeit als Klinik zu untersuchen.

In Flugblättern, die an Polìzeibeamte verteilt wurden, waren sie zur Dienstverweigerung und zum Austritt aus der Polizei aufgefordert worden. Hierin sah das Gericht eine planmäßige Einwirkung nut die Polizei als öffentliches Sicherheitsorgan, um ihre pflichtgemäße Bereitschaft zu untergraben.

Wegen übler Nachrede müsse Heinrich bestraft werden, weil die in einem von ihm gezeichneten F1ugblatt aufgestellte Behauptung ein Säugling habe im Urban-Krankenhaus wegen mangelhafter Ausrüstung und Ausbildung des Personals nicht gerettet werden können nicht beweisbar wahr sei. Es habe sich bei dem Vorfall am 4. Januar 1975 um eine Toteinlieferung gehandelt. Ein behandelnder Arzt hatte als Zeuge ausgesagt, er habe noch Herztöne festgestellt und hätte mit kindergerechtem Gerät den Säugling vielleicht retten können. Auf diese Aussage ging das Gericht nicht näher ein.

Der Vorsitzende, Richter Kubsch, sprach in der Urteilsbegründung den Angeklagten jegliche humanitären Gründe für ihr Vorgehen ab. Es sei ihnen nur darum gegangen, Unruhe zu stiften und den Gemeinschaftsfrieden zu stören und "den Geist der Widersetzlichkeit zu erzeugen". "Sobald die Polizei nicht mehr die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung garantieren kann, stünde das Chaos bevor."

Bei solchen und ähnlichen Sätzen wurde derVorsitzende immer wieder von Sprechören der etwa 25 Zuschauer gestört. Der Vorsitzende ließ gegen Schluß des unter Polizeischutz begründeten Urteils den Saal räumen

Protestzug gegen die Urteile

An einer Protestdemonstration gegen dir Urteile der Staatsschutzkammer beteiligten sich gestern abend nach Mitteilung der Polizei rund 1000 Personen links orientierter Organisationen. Der Protestzug begann in der Turmstraße und führte bis zur Ecke Wilhelmshavener Straße. In dem Zug wurden Transparente mit der Aufschrift "Das Terrorurteil des Staatsschutz-Prozesses muß fallen!" und "Weg mit dem KPD-Verbot" mitgeführt. Die Polizei hatte die Demonstration mit 400 Beamten abgeschirmt. Zu besonderen Vorfällen kam es nicht.

Aus "Tagesspiegel" vom 7. 4. 1975

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