zurück trend SPEZIAL
BRD 1977 - Der Polizeistaat in Aktion

Aus: Rote Fahne. Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 12/1977 v. 23.3.1977, 8. Jg.

Erneuter brutaler Polizeiterror - 800 Verletzte

Über 15.000 AKW-Gegner in Grohnde!


Über 15.000 AKW-Gegner demonstrierten am 19. März gegen das im Bau befindliche Atomkraftwerk in Grohnde. Sie setzten gegen den brutalen Einsatz einer riesigen Polizeiarmee, die das Gebiet um Grohnde in ein Notstandsgebiet verwandelt hatte, ihr demokratisches Recht auf Demonstration am Bauplatz durch und konnten schließlich erst durch den Einsatz militärischer Mittel wie Schützenpanzer und Reiterstaffeln, durch über 7.000 Polizisten - darunter 3.600 aus anderen Bundesländern - daran gehindert werden, den Bauplatz zu besetzen. Die KPD, die diese Demonstration entschieden unterstützt hat, erklärt, daß der 19. März einen neuen großartigen Erfolg der AKW-Gegner im Kampf gegen das volksfeindliche Atomprogramm der Schmidt-Regierung darstellt.

Die Landesregierung Albrecht hatte alles versucht, um einen erneuten Höhepunkt im Kampf gegen das volksfeindliche Atomprogramm der Schmidt-Regierung zu verhindern. So war in der Woche vor der Demonstration eine faktisch vollständige Nachrichtensparre seitens sämtlicher bürgerlicher Nachrichtenmedien befolgt worden. Für die Bourgeoisie und ihre Staatsorgane war klar, daß am 19.3. in Grohnde mit aller Entschiedenheit um die Durchsetzung der Forderungen und Beschlüsse der niedersächsischen Landeskonferenz, die vor zwei Wochen mit über 50 Bürgerinitiativen getagt hatte, gekämpft wird. Nachdem eine völlig unbedeutende Gruppierung innerhalb der Bürgerinitiativen des Weserberglandes durch ihren Wortführer Schirr ("Weltbund zum Schutz des Lebens"), sich im Gegensatz zu diesen demokratischen Beschlüssen gegen die geplante Kundgebung am Bauplatz aussprach, wurde von zahlreichen Massenmedien, die vorher kein Wort über diese Demonstration verloren hatten, groß aufgemacht die Nachricht verbreitet, daß die Kundgebung nicht stattfindet. So blieb Schirr auch nichts anderes übrig, als auf seiner "Gedenkundgebung" in Kirchohsen vor wenigen hundert Teilnehmern mitzuteilen, daß sein Gespräch mit Ministerpräsident Albrecht ihn auf eine "positive Linie von Albrecht hoffen lasse". Noch am Abend zuvor versuchte Ministerpräsident Albrecht über Fernsehen in einem Interview folgende Hetzlinie auszugehen: Alle gewalttätigen Demonstranten seien als Schwerverbrecher anzusehen und der Rechtsstaat müsse an ihnen ein Exempel statuieren. Währenddessen besetzten über 500 AKW-Gegner dort die Bahnverbindung nach Hameln, um gegen die massiven Polizeimaßnahmen zu protestieren.

Überall unter der Bevölkerung im Umkreis von Hameln und Grohnde herrschte große Empörung über die Bürgerkriegsmaßnahmen.

Die Mehrzahl der Schulen wurde von Polizeieinheiten als Quartier genommen, für die Schüler fiel der Unterricht aus. Passanten, die sich vor der zur Festung ausgebauten Polizeidirektion Hameln aufhielten, wurden ohne jegliche Begründung festgenommen. In das Dorf Emmerthal, dem der Ort Kirchohsen angehört, und nach Grohnde erhielten schon tags zuvor nur noch unmittelbar Ortsansässige durch die Polizeisperren Einlaß. Auch hier bewirkten diese Bürgerkriegsmanöver das genaue Gegenteil: Viele Bauern und andere Werktätige schlossen sich spontan der großen Marschkolonne der Demonstranten um Bauplatz an.

Die Demonstrationszüge boten ein Bild größter Geschlossenheit und Disziplin, die Demonstranten hatten sich bewußt für den Schutz vor dem Terror der Polizei vorbereitet und ausgerüstet.

In Kirchohsen, zwei Kilometer vor dem Bauplatz, hatte die Polizei neben kleineren Sperren, die unter dem Druck des kilometerlangen Demonstrationszuges schnell wieder geräumt werden mußten, am Ortsausgang eine massive Sperre mit quergestellten Lkws und meterhohen Eisengittern errichtet. Dahinter standen einsatzbereit mehrere hundert Polizisten. Aber die festen Reihen der Demonstrationsspitze wichen nicht zurück. Mit Hilfe eines dicken Taues wurden unter den erstaunten Augen der Polizei Lkws und Metallgitter von hunderten AKW-Gegnern beiseitegezogen, trotz brutalem Einsatz der Polizeiknüppel und chemischer Keule. In geschlossener Formation drückten die Demonstranten die Polizeiketten beiseite. Der gesamte Demonnstrationszug marschierte weiter zum Bauplatz.

Dieser, zwischen Grohnde und den Ortsteil Kirchohsen nahe der Weser gelegen, glich einer militärischen Festung. Etwa 2.000-3.000 Polizisten waren zusammen mit zahlreichen Wasserwerfern allein auf dem Bauplatz selbst postiert, der durch eine doppelte Zaunanlage wie in Brokdorf mit eingeschweißtem Natodraht versehen war. Dieser galt unter Polizeifachleuten als "uneinnehmbar". Der Demonstrationszug marschierte mit Rufen wie "Kein AKW in Grohnde, Brokdorf, Whyl und anderswo" und "Weg mit dem Atomprogramm der Schmidt-Regierung" geschlossen an der Weserseite des Baugeländes auf.

Sofort begannen zahlreiche Wasserwerfer mit pausenlosem Einsatz konzentrierte ätzende Flüssigkeit zu versprühen. Tränengasgranaten und das nach der Genfer Konvention verbotene CN-Gas wurden eingesetzt; Polizeitrupps versuchten, mit langen Leitrohren die chemische Keule (chemical mace) zum ständigen Einsatz zu bringen.

Trotzdem gingen die AKW-Gegner daran, ihr Recht auf Durchführung der Kundgebung auch auf dem Bauplatz in die Tat umzusetzen. Die in Panik und Kopflosigkeit geratene Polizei sah sich der vereinten Kraft von tausenden AKW-Gegnern gegenüber, die die meterhohen doppelten Stahlzäune rund um den Bauplatz trotz pausenlosen Beschuß durch Tränen- und CN-Gas, chemical mace und Wasserwerfern an mehreren Stellen niederrissen.

Der ausgezeichnet organisierte Sanitätsdienst und die Solidarität aller kämpfenden AKW-Gegner vermochten es, die Auswirkungen der ständigen Giftgaskannonade des Polizeiapparates in gewissen Grenzen zu halten. Trotzdem erlitten einzelne Demonstrationsteilnehmer schwere Verätzungen der Augen und Lunge. An einer völlig freigeräumten Stelle versuchte die Polizeiführung mit mehreren Hundertschaften schwer ausgerüsteter Polizeikräfte einen Keil in den Demonstrationszug zu treiben. Dieser Versuch endete kläglich, als die Demontranten mit Kampfrufen zur Abwehr antraten, die Polizeitruppen auf der Stelle kehrt machten und Hals über Kopf auf den Bauplatz zurückrannten.

Erst durch den Einsatz von mehreren Tausend schwerbewaffneten Polizisten, die zum Teil mit gezogenen Pistolen vorrückten, dem Einsatz von Schützenpanzern und mehreren Reiterstaffeln gelang es dem staatlichen Gewaltapparat, seine militärisch-technische Überlegenheit zur Geltung zu bringen. Im gestreckten Galopp wurden die Polizeipferde in die Demonstranten hineingetrieben. Auf hilflos am Boden liegende Demonstranten wurde teilweise von mehreren Poizisten zugleich wie wahnsinnig eingeschlagen. In dieser Situation entschlossen sich die Demonstranten zum geschlossenen Rückzug in Richtung Grohnde.

Inzwischen gaben Sprecher des Sanitätsdienstes bekannt, daß 800 Verletzungen registriert wurden, die meisten Verletzungen wurden an Ort und Stelle behandelt. 50 schwerer Verletzte mußten in Krankhäusern ambulant behandelt werden; fünf AKW-Gegner stationär aufgenommen werden. Die schweren Verletzungen waren

vor allem durch den Einsatz der Reiterstaffeln bedingt, die vielfach die Pferde auf schon niedergeschlagenen Demonstranten herumtrampeln ließen.

Zugleich wurden 80 Festnahmen bekannt, vier AKW-Gegner wurden bis Sonntag in Haft gehalten.

Die Festgenommenen waren zunächst unter Schlägen auf dem Bauplatz geführt, dort teilweise einem Spießrutenlaufen ausgesetzt und bereits auf dem Platz erkennungdienstlich behandelt worden. In vielen Fällen hatten Polizeibeamte den Festgenommenen die Schutzhelme vom Kopf gerissen und sie wahlos auf den ungeschützen Kopf und ins Gesicht geschlagen. Teilweise mußten Festgenommmene verletzt, durchnäßt in Gefangenengroßtransportern auf dem Hof der Polizeidirektion Hameln über 5 Stunden auf weitere polizeiliche Behandlung warten. Auch während dieser Zeit waren Festgenommene ständig den Schlägen von Polizeibeamten ausgesetzt. Eine ärztliche Versorgung wurde den Verletzten verweigert.

Gegen diese Inhaftierten wurden zum Teil schwerste Vorwürfe wie "versuchter Totschlag" und ähnliches konstruiert. Den Verhafteten wurde die Kontaktaufnahme mit Rechtsanwälten und Angehörigen verboten; in Hameln und Hannover wurde den Rechtsanwälten durch "Hausverbot" der Kontakt zu den Inhaftierten verwehrt. Die Polizei versuchte, Verhöre zu erzwingen.

CDU-Ministerpräsident Albrecht, der von einem Hubschrauber aus die Auseinandersetzungen beobachtete, gab sich in einem weiteren Interview "empört, daß es Militanten immer noch gelingt, Bürgerinitiativen als Staffage für ihre brutalen Angriffe auf die Polizei zu mißbrauchen", und er erklärte, die Verhafteten seien Kriminelle.

Arn Sonntag, als über 500 Mitglieder von Bürgerinitiativen eine Protestdemonstration in Hannover vor dem Gefängnis gegen die Inhaftierungen durchführten, wurde ein erneuter Polizeiüberfall organisiert, zwei Demonstranten festgenommen.

Die Bundesregierung und die verschiedenen Landesregierungen versuchen immer stärker, durch die systematische Entfaltung des staatlichen Terrors und die vielfältigsten Manöver der Spaltung, Desorientierung und Illusionierung die Anti-AKW-Bewegung von ihren Zielen abzubringen. Aber auch am Beispiel Grohnde haben die verschiedensten Bestechungsversuche nicht verfangen:

Die AKW-Betreiber Preußen-Elektra, Hamelner Elektrowerke und andere - als Verbund zusammengeschlossen - haben der Gemeinde Emmerthal (Kirchohsener Ortsteil) einen Vorschuß der Gewerbesteuer in Höhe von 1,5 Millionen DM gezahlt für die Errichtung eines Hallenschwimmbades. Der Gemeinde Grohnde wurde im Zuge der Errichtung des AKW eine kostenlose Einrichtung einer neuen Wasserversorgung versprochen. Ein Bauer aus der Umgebung sagte hierzu: "Was soll ich mit einem Hallenschwimmbad, wenn ich und meine Familie jeden Tag durch Strahlen vergiftet werden, von der Ernte ganz abgesehen."

Im Gegensatz zu den offiziellen Lügen steht die Mehrheit der Bevölkerung mit großer Sympathie auf der Seite der Anti-AKW-Bewegung. Das wissen auch Schmidt, Matthöfer, Albrecht u. a. Der reaktionäre Versuch, diese Bewegung in "Terroristen und Gewalttäter" einerseits und "friedliche Protestler" andererseits zu trennen, stößt immer mehr auf Schwierigkeiten.

Es kommt jetzt darauf an, auf einer neuen Bundeskonferenz aller Bürgerinitiativen die Lehren aus den geführten Kämpfen zu ziehen, die nächsten Aufgaben und Schritte im Kampf gegen das volksfeindliche Atomprogramm der Schmidt-Regierung und auch die Schwerpnnkte dieses Kampfes festzulegen. Es gilt zudem, die Isolierung die DKP-Führer und der selbsternannten "Sprecher" wie Wüstenhagen in der Anti-AKW-Bewegung, die sich als AKW-Gegner aufspielen, in Wirklichkeit aber AKW-Befürworter sind; weiter voranzutreiben. Diese Herrschaften wollen den Kampf gegen das Atomprogramm in die Sackgasse der bürgerlichen Legalität und des Vertrauens auf die bürgerliche Justiz führen.

Kein Atomkraftwerk in Brokdorf, Grohnde, Wyhl, Magdeburg und anderswo!

Schluß mit den Bürgerkriegsmanövern von Polizei und Bundesgrenzschutz!

Sofortige Einstellung aller Ermittlungs- und Strafverfahren!

Kein Berufsverbot gegen Jens Scheer!

Das volksfeindliche Atomprogramm der Schmidt-Regierung muß fallen!

zurück