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BRD 1977 - Der Polizeistaat in Aktion


Verschärfung des Kampfes gegen das Atomprogramm der SPD/FDP-Bundesregierung

Gegen den Bau des AKW in Brokdorf



19.2. 1977 Wilster Marsch:Besetzter Bauernhof unmittelbar hinter der Polizeisperre

Am 19.2.1977 folgten 35.000 dem Aufruf der Bürgeriniative Umweltschutz Unterwerelbe, dem sich 200 Bürgerinitiativen angeschlossen hatten, und durchbrachen das Demonstrationsverbot in Brokdorf. Die DKP unterstützt von Gliederungen der SPD und einigen Bürgerinitiativen unterwarf sich dem Demonstrationsverbot und führt am selben Tag eine Kundgebung in Itzehoe durch. Von den rund 10.000 TeilnehmerInnen in Itzehoe nahmen dann noch 3.000 an der Demo in der Wilstermarsch teil. Der Kommunistische Bund Westdeutschland (BWK) rief am selben Tag zu Kundgebungen in über 40 Städten der BRD auf.

Wir dokumentieren aus: Rote Fahne, Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), Nr. 8 vom 23.2.1977

"Die größte Polizeiaktion in der deutschen Nachkriegsgeschichte" (Stoltenberg)

Zur Vorbereitung des praktizierten Notstands wird die Demonstration in Brokdorf zunächst vom Landrat in Steinburg verboten, dann vom Verwaltungsgericht in Schleswig erlaubt. Nach der Intervention der Landesregierung wird von der selben Kammer des Landgerichts das Urteil wieder aufgehoben und später vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigt. Das Demonstrationsverbot bahnt der zügellosen Polizeiwillkür den Weg.

EINE DOKUMENTATION

  • Aus allen Ländern der BRD wurden 6.500 Bereitschaftspolizisten und 2.000 BGS-Soldaten zusammengezogen. Teile der Bundeswehr erhalten Alarmbereitschaft. Aus Rheinland-Pfalz kommen 200 Polizisten und zwei Wasserwerfer, aus Nürnberg undAugsburg 500; 400 Polizisten und 44 Fahrzeuge werden mit einem Sonderzug aus Baden-Württemberg rangeschafft. Insgesamt sind über 1.000 Wasserwerfer, Schützenpanzerwagen und andere PKWs im Einsatz in Brokdorf. Hinzu kommen zahlreiche Polizeitruppen bei der Abriegelung der Autobahnen in der BRD. In Westberlin allein 450, in Baden-Württemberg und Bayern mehrer Hundertschaften. Insgesamt sind ca. 10.000 Polizisten im Einsatz. Darunter ein Sonderzug des Bundeskriminalamts (BKA) Direktleitung für Bildübertragung an den zentralen Computer, sowie Spezialeinheiten der "Mobilen Einsatzkommandos" (MEK). Auf der Unterelbe sind Kreuzer der Wasserschutzpolizei im Einsatz, allein über Brokdorf fliegen sechs Hubschrauber. Neben der Standardbewaffnung tragen zahlreiche Polizisten Maschinenpistolen, am Bauplatz werden noch am Morgen des 19. 2. Schießübungen veranstaltet. Die Wasserwerfer sind mit Tränengas versetzt, Tränngasbomben liegen in den Hubschraubern bereit.
  • Der Bauplatz wird zur Polizeifestung ausgebaut. Alles Baumaterial wird entfernt, Hubschrauberlandeplätze angelegt, im Bauplatz sind 37 Wasserwerfer und 20 Schützenpanzerwagen. Ein 5 m hoher Zaun wurde errichtet, vor dem Zaun ein Wassergraben bis zu 6 m breit. Brokdorf wird hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Im Umkreis von 6 km werden alle Straßen durch mit Sand gefüllte Container, Natodrahtgittern und Polizeihundertschaften mit Wasserwerfern abgeriegelt. Selbst bürgerliche Journalisten schreiben: "Zustände wie in einem militärisch besetzten Land."
  • In der ganzen BRD, konzentriert in Schleswig-Holstein, wurden Straßensperren errichtet. Leitlinie der bayrischen Staatspolizei: "Kein Demonstrant verläßt bayrisches Staatsgebiet." Der BGS verschärft die Grenzkontrollen von Dänemark und den Niederlanden, jeder muß angeben, wo er in der BRD hinwill. In Westberlin kontrollieren 450 Polizisten, sie fìnden laut "Morgenpost": 7 Fackeln, 2 Spaten, 2 Hämmer, 2 Messer, 1 Spraydose, 4 Bambusstangen. In der Nacht vom Freitag zum Samstag werden die Autobahnen in der BRD systematisch überwacht.

22 Uhr: 2 Busse werden hinter Mannheim angehalten, die Insassen zu Po1izeikasernen gebracht.

23.30 Uhr: Busse aus Münster werden durchsucht.

0.45 Uhr: Die Busse aus Reutlingen werden durchsucht.

1 Uhr: 4 Busse aus Nürnberg werden angehalten, es wird verweigert, einen Anwalt anzurufen. Weiterfahrt wird erst gegen 5 Uhr erlaubt. Ein Bus muß umkehren.

1.15 Uhr: 2 Busse aus Karlsruhe/Heidelberg werden angehalten; 2 Personen werden fest genommen.

1.32 Uhr: 3 Busse aus Frankfurt werden bei Butzbach für 2 Stunden festgehalten.

1.49 Uhr: Die Busse aus Tübingcn werden von der Polizei auf Rastplätze geleitet und angehalten. Busse aus Freiburg und Stuttgart werden angehalten.

2.42 Uhr: 2 Busse ausWürzburg werden bereits seit 22 Uhr festgehalten; vor den Bussen hunderte von Polizisten, der Platz taghell von Scheinwerfern erleuchtet; kein Anruf bei einem Anwalt ist möglich. Die Businsassen machen eine Kundgebung, fordern sofortige Weiterfahrt. Erst um 4 Uhr können sie weiterfahren; 2 Busse müssen zurückkehren.

2.43 Uhr: Bochumer Busse werden vom 14. Kommissariat kontrolliert.

2.45 Uhr: Münchner Busse werden ebenfalls in Würzburg festgehalten. Dies ist nur ein Ausschnitt aus den Kontrollen!

  • Beschlagnahmt werden Helme, Transparentstangen, Zenitungen, Fettcreme, Zitronensaft, Zahnbürtsen, Zahnpaste etc. Nach Schätzungender BUU (Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe) konnten ca. 6.000 Demonstranten Itzehoe nicht erreichen. In Hamburg wurden 786 Autos, 10 Busse und 1.650 Personen kontrolliert. Es wurde Vorbeugehaft praktiziert. In Hamburg wurden 18 Personen festgenommen, im Gebiet von Itzehoe/Wilster über 50 bis zum Nachmittag, insgesamt sind es über 90 Verhaftungen. In Hamburg wurden die Festgenommenen in eine Turnhalle gebracht, ein Massenlager. In Itzehoe wurde den Anwälten des Ermittlungsausschusses die Kontaktaufnahme mit den Gefangenen verweigert. Alle Gefangenen eurden rechtswidrig erkennungsdienstlich behandelt. Festnahmevorwände sind: Verdacht des Landenfriedensbruchs, Vorbeugehaft, "versuchter Totschlag". Über Rundfunk ging das Beispiel des PKW´s, der NATO-Munition geladen hatte. Inzwischen stellte sich heraus, daß es sich bezeichnenderweise um ein aktives CDU-Mitglied handelte, um den 2. Vorsitzenden der "Jungen Union" von Brunsbüttel. Es wurde das Gerücht des Motorseglers, der Brokdorf angreifen sollte, verbreitet. Dabei handelte es sich um ein von Journalisten angemietetes Flugzeug für Luftaufnahmen. Ein LKW-Fahrer wurde wegen versuchten Totschlags gesucht, da er eine Sperre durchbrochen haben soll. Dabei hatte er nur ein Haltesingnal übersehen.
  • Zur Durchsetzung des Demonstrationsverbots hatte die Polizei die Taktik zunächst in der ganzen BRD, dann konzentriert zwischen Hamburg und Wilster, die Anfahrt zu zersplittern. Doch dieser Plan scheiterte kläglich. Die 35.000 überrolten diese Polizeisperren in geschlossenem Konvoi. Inzwischen tut die Polizeiführung so, als ob es das Demonstrationsverbot gar nicht gegeben hätte, um die Niederlage nicht eingestehen zu müsssen. Aber noch bis 12 Uhr wurde im Rundfunk über den Zersplitterungsplan der Polizei berichtet; als er scheiterte, hat man ihn fallengelassen, Zug um Zug zog die Polizei zurück bis in ihr militärisch besetztes Gebiet. Dort konzentrierte sich der Terrorapparat der Bourgeoisie mit über 6.000 Polizisten und BGS-Soldaten, die schwer bewaffnet waren. Am Konfrontationspunkt in Neufeld wurden nur geringe Kräfte aufgestellt, es bot sich ein scheinbat leicht zu durchbrechender Schlauch. Aber in den Flanken und am Ende des Schlauchs standen die massierten Truppen. Die Polizeiprovikation wurde von den Demonstranten durchschaut, der geordnete Rückzug wurde organisiert.

Wir dokumentieren aus: aus: Roter Morgen, Zentralorgan der KPD/Marxisten-Leninisten, Nr.8 vom 25. Februar 1977

Brokdorf zeigt: Bundeswehr=Bürgerkriegsarmee

Wie der "Rote Morgen" erfuhr, fanden in der Kaserne des Heeresfliegerbataillons 6 (Walderseekaserne), 10 km vor Itzehoe von Richtung Neumünster aus, folgende Versammlungen und Belehrungen in Zusammenhang mit Brokdorf statt:

  1. Seit zwei Wochen führt die Polizei Versammlungen und Lehrgänge zu Brokdorf in der Kaserne durch.
  2. Am Montag, 14. 2., hat in der Kaserne eine Informationsversammlung der Polizei für Offiziere des Heeresfliegerbataillons stattgefunden. Hier wurden die Offiziere über das Vorgehen der Demonstranten auf der zweiten Demonstration in Brokdorf informiert. Es wurden Tonbandaufnahmen der Polizei über den Funkverkehr sowie ein Film über diese Demonstration gezeigt. Die Aufnahmen waren vom Bauplatz aus, von Hubschraubern oder von Spitzeln innerhalb der Demonstration gemacht worden.
  3. Am Mittwoch, 16. 2., hat eine ähnliche Veranstaltung mit ca. 30 MAD-Offizieren aus dem gesamten Schleswig-Holsteiner Gebiet stattgefunden. Auch hier wurden die Filme gezeigt.
  4. Am Donnerstag, 17.2., hat eine Belehrung aller Soldaten des Heeresfliegerbataillons stattgefunden (staffelweise). Die Soldaten wurden darüber belehrt, daß sie sich an der Demonstration in Brokdorf nicht beteiligen dürfen, wohl aber an der in Itzehoe. Bei der Belehrung wurde den Soldaten gesagt, wenn sie im Verlauf der Auseinandersetzungen hören wrrdcn, es gäbe Tote, sollten sie sich dadurch nicht irritieren lassen. Unter den Linken seien einige, die Märtyrer wollten. Die Soldaten werden - allgemein - darüber informiert, daß die Bundeswehr nur mittelbar eingesetzt wird. Was das heißt, ergibt sich aus Beobachtungen und Gesprächen: Am Samstag und Sonntag (19. Und 20. 2.) sind 1/3 der Offiziere und Mannschaften des Bataillons in Bereitschaft. Die Soldaten sollen scharf bewaffnet werden. Sie sollen gefechtsmäßig ausgerüstet sein. Deswegen, weil "mit Terrorangriffen zu rechnen sei". Die Bereitschaft hat die Aufgaben: a) den Flugplatz zu sichern, b) BGS- und Polizeihubschrauber zu betanken, c) Hubschrauber zu warten, die BGS-Soldaten zu verpflegen.
  5. Am Freitagmorgen, 18. 2. 77, wurde von der Polizei am Tor der Kaserne eine Straßensperre errichtet (d.h., an der B 5). Hier wurde jedes Auto kontrolliert. Die Autonummern wurden mit Funk zu einem zentralen Computer durchgegeben, wo innerhalb von 45 Sekunden der Fahrzeughalter ermittelt werden kann. Falls bekannte Funktionäre von "K-Gruppen" durchkommen oder von Bürgerinitiativen, sollten sie festgehalten werden.
  6. Am Freitagmorgen wurden zwei Hundertschaften des BGS in die Kaserne eingeflogen. Sie haben die Aufgabe, die Soldaten bei der Wartung der Hubschrauber zu unterstützen und einzugreifen, wenn Demonstranten die Autosperre durchbrechen.
  7. Vom Heeresfliegerbataillon sollen folgende Hubschrauber eingesetzt werden: drei Bell U - H 1 D mit rotem Kreuz versehen zum Transport von Verwundeten. Drei Alouette zur Beobachtung.
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