Aus: Mosler, Peter, Was wir wollten, was wir wurden, Reinbek 1977, S.249ff

Notizen zu einer Chronologie der Studentenbewegung

Von Wolfgang Kraushaar

Teil 2 2.6.1967 - 17./18.2.1968    

1967

2. 6.
Nachdem schon-am 30.5.-in Münschen 1500 deutsche und persische Studenten gegen den Besuch des Schahs demonstriert und - am i. 6. - Bahman Nirumand auf einem Teach-in im Audimax der FU vor über 3000 Studenten das diktatorische Schah-Regime in seinem Heimatland Persien analysiert hatte, demonstrieren 2000 Studenten und Schüler vor dem Schöneberger Rathaus. Als beim Eintreffen des Schahs Rauchkerzen und Eier fliegen, prügeln schahfreundliche «Jubelperser» mit Stahlrohren auf die Demonstranten ein. Bei einer zweiten Manifestation am Abend vor der Deutschen Oper kommt es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mit zivilen Greiftrupps flüchtende Studenten einzufangen versucht. Dabei wird der 26jährige Student Benno Ohnesorg auf einem Parkhof von dem Kriminalobermeister Kurras von hinten erschossen. Obwohl die Polizei den «Todesfall» zunächst zu vertuschen versucht und ein generelles Demonstrationsverbot - auch auf dem Campus - vom Senat erlassen wird, treffen sich einen Tag später 6000 Studenten auf dem Gelände der FU und diskutieren über den Mord und den «nicht erklärten Notstand» in Berlin. Der Tod Benno Ohnesorgs hat inzwischen eine Welle der Empörung an allen bundesdeutschen Universitäten ausgelöst; fast überall werden Solidaritäts-Resolutionen verfaßt und Trauerkundgebungen veranstaltet. Am 8. 6. wird der Sarg nach einer Trauerrede des Theologieprofessors Helmut Gollwitzer vor 15000 Menschen in einem Fahrzeugkonvoi von Berlin nach Hannover überführt. Dort findet einen Tag später nach der Beerdigung Benno Ohnesorgs unter Beteiligung von 5000 Studenten und Dozenten aus allen Teilen der Bundesrepublik der Kongreß «Hochschule und Demokratie - Bedingungen und Organisation des Widerstands» statt, auf dem der Frankfurter Soziologieprofessor Jürgen Habermas erstmals seinen Linksfaschismusvorwurf gegenüber Rudi Dutschke und dem SDS erhebt.

5.-10. 6.
Der dritte israelisch-arabische Krieg endet mit der Okkupation der Sinai-Halbinsel und Teilen von Jordanien - unter anderem der Altstadt Jerusalems - durch die Israelis.

18. 6.
Nachdem es schon - am 26. 2. - in Frankfurt zu einer nationalen Schülerkonferenz gekommen war, gründen Vertreter von Schülergruppen aus 26 Städten der gesamten Bundesrepublik mit Unterstützung des SDS das Aktionszentrum unabhängiger und sozialistischer Schüler (AUSS).

22. 6.
Im Wohnheim der ESG Berlin treten 100 Studenten für ihren inhaftierten Kommilitonen Fritz Teufel in einen Hungerstreik. Erst nach einer Welle von Protesten wird der Kommunarde - am 10. 8. - aus der Untersuchungshaft entlassen.

23. 6.
In Los Angeles löst die Polizei ein peace-in auf, zu dem sich 15000 peaceniks in einem Park versammelt haben. 100 Jugendliche werden nach dem brutalen Einschreiten mit schweren, 1300 mit leichten Verletzungen in die Krankenhäuser der Umgebung eingeliefert.

12.-17. 7.
Nachdem es schon in den beiden vorhergehenden Sommern zu vereinzelten Negeraufständen in den Gettos von Los Angeles und Cleveland gekommen war, löst eine massenhafte Revolte in Newark, bei der es durch den Einsatz von 4000 Polizisten und Nationalgardisten zu 27 Todesopfern und 1100 Verletzten kommt, eine wahre Kettenreaktion in mehr als 100 amerikanischen Städten aus. Als sich daraufhin - vom 20. bis 24. 7. - über 1000 Delegierte zu einer Black Power-Konferenz in Newark treffen, um Boykott- und Widerstandsmaßnahmen zu beschließen, bricht am letzten Tag der Konferenz erneut eine schwere Revolte - diesmal in der Automobilstadt Detroit - aus. Unter dem Einsatz von Rauchbomben, Nervengas, Panzern und Hubschrauberstaffeln schlagen 16000 Uniformierte den mehrtägigen Aufstand nieder. 41 Farbige werden getötet, 2000 verletzt und über 4000 verhaftet; der Sachschaden wird über 2 Milliarden DM geschätzt. Trotz einer aussichtslosen militärischen Lage haben in Newark und Detroit zum erstenmal organisierte Stadtguerilla-Gruppen der Black Panther in den Kampf eingegriffen.

7. 7.
Als der Frankfurter Philosophieprofessor Theodor W. Adorno bei seinem Vortrag über Goethes Iphigenie trotz der Ermordung Benno Ohnesorgs nicht zu einer politischen Diskussion bereit ist, entrollen Kommunarden Spruchbänder mit der Aufschrift «Berlins linke Faschisten grüßen Teddy den Klassizisten». Am Ende des Vertrags scheitert der Versuch einer Studentin, Adorno einen aufgeblasenen roten Gummi-Teddy zu überreichen, weil er ihr von einem anderen Studenten aus der Hand geschlagen wird.

9. 7.
In der japanischen Stadt Sunagawa demonstrieren 6000 Studenten mit über 40000 Arbeitern gegen die Ausdehnung eines US-Luftstützpunktes, der als Nachschubbasis für den Vietnam-Krieg dienen soll.

2. 8.
Provos veranstalten im New Yorker Tompkins Square Park ein öffentliches smoke-in, bei dem unter den Augen der Polizei über 4000 Jugendliche drei Kilo Marihuana verbrauchen.

19. 8.
Während einer amerikanischen Militärparade in Berlin werden Studenten, die gegen den Vietnam-Krieg protestieren, von Zuschauern verprügelt.

8. 9.
Während der SDS -Delegiertenkonferenz in Frankfurt versucht eine Teilnehmergruppe eine gleichzeitig stattfindende Vietnam-Debatte im Amerikahaus zu sprengen.

6.10.
Um gegen das in den Massenmedien angekündigte, vermeintliche Ende der Hippie-Bewegung und ihre Vermarktung in den «Flower Power»-Kommerz zu protestieren, bilden Tausende San Franciscoer Hippies einen Trauerzug und verbrennen symbolisch einen mit Ketten, Drogen, Kleidern und Blumen gefüllten Sarg im Buena Vista Park.

8.10.
Die Tagung der Gruppe 47 in Pulvermühle beschließt nach einem go-in von Studenten den Boykott des Springer-Konzerns.

9.10.
Nachdem Che Guevara am Vortag in einem Partisanenlager im bolivianischen Dschungel verwundet gefangengenommen werden konnte, ermorden ihn von Amerikanern ausgebildete Rangers und stellen seinen Leichnam in Valle Grande zur Schau. Mit der baldigen Aufreibung der restlichen Guerillagruppe scheitert der Versuch, den revolutionären Aurstand von Kuba auf das lateinamerikanische Festland überspringen zulassen.

18.10.
Während der Frankfurter Buchmesse finden mehrere Demonstrationen gegen Stände des Springer-Konzerns und Griechenlands statt.

21.10.
In Washington belagern 250000 Demonstranten aus Protest gegen den Vietnam-Krieg das Pentagon. Die Regierung setzt gegen sie rund 10000 Polizisten, Nationalgardisten und Fallschirmjäger ein, die über 600 Demonstranten verhaften. Auch in London, Paris, Berlin, Rom, Oslo, Amsterdam und Tokio kommt es zu Massendemonstrationen gegen den Vietnam-Krieg.

l. 11.
Im Berliner Audimax findet die Gründungsversammlung der «Kritischen Universität» statt. In über 30 Kollektiven wird mit der Selbstorganisation des Studiums und seiner politischen Reflexion begonnen.

9. 11.
Bei der feierlichen Rektoratsübergabe in Hamburg kommt es zu Zwischenfällen, während denen ein Transparent mit der Aufschrift «Unter den Talaren - Muff von tausend Jahren» entrollt wird, um gegen die Ordinarienuniversität zu protestieren. Zu ähnlichen Zwischenfällen kommt es noch während des ganzen Monats Oktober in den Universitäten von Heidelberg, Tübingen, Marburg und an der Berliner TU.

12. 11.
Während eines Gastspiels des Rostocker Volkstheaters zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution in Frankfurt am Main erliegt der Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes Kurt Barthel einem Herzschlag, als Studenten versuchen, die Revolutionsrevue zu stören.

12.11. Anläßlich der Abreise des japanischen Ministerpräsidenten Sato in die Vereinigten Staaten, wo über die Rückgabe der Insel Okinawa an Japan verhandelt werden soll, organisiert die militante Studentenorganisation Zengakuren eine Blockade des Haneda Airports. Bei den stundenlangen Kämpfen zwischen 15000 Demonstranten und Tausenden von Polizisten werden etwa 500 Studenten verletzt und 333 verhaftet.

20. 11.
Vor Fernsehkameras unterbricht eine Frankfurter SDS-Gruppe die Vorlesung des SPD-Mitglieds Professor Carlo Schmid durch ein go-in und fordert eine Diskussion über die Notstandsgesetze.

23.11.
Der Mörder von Benno Ohnesorg, Kriminalobermeister Kurras, wird in Berlin von der Anklage der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

28.11.
Anläßlich der Prozeßeröffnung gegen den Kommunarden Fritz Teufel demonstrieren über 1000 Studenten vor dem Berliner Gerichtsgebäude. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Reiter gegen die protestierende Menge ein.

29.11.
In Gießen versucht der Verfassungsschutz Studenten anzuwerben, um sie als Spitzel im SDS einzusetzen.

19.12.
Nach einer tumultartigen Diskussion mit dem Regierenden Berliner Bürgermeister Schütz - «Brecht dem Schütz die Gräten; alle Macht den Räten» - demonstrieren die Studenten vor der griechischen Militärmission und dem Amerikahaus.

20.12.
Innerhalb von vier Wochen haben über 30000 Studenten und Dozenten das Hochschulmanifest gegen die Notstandsgesetzgebung unterzeichnet.

24.12.
In der Berliner Gedächtniskirche wird Rudi Dutschke beim Versuch, während des Weihnachtsgottesdienstes von der Kanzel eine Rede über den Vietnam-Krieg zu halten, von einem Gottesdienstbesucher niedergeschlagen. Bei einem go-in von Studenten ins Bonner Münster muß Bundeskanzler Kiesinger das Gotteshaus fluchtartig durch einen Seiteneingang verlassen.

1968

10. 1.
Zwei Münchener Studenten sprengen Universitätsvorlesungen mit Polizeiuniformen, die sie sich beim Kostümverleih geborgt haben. Am 18. 4. werden sie von einem Münchener Gericht zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt.

15 .-24. 1.
In Bremen bringen Schüler die vom Senat geplante Erhöhung der Verkehrstarife durch Demonstrationen und Blockaden, deren Teilnehmerzahl innerhalb einer Woche von 50 auf 4000 steigt, zu Fall. Der Widerstand der Bremer Schüler wird zum Modellfall für ähnliche Aktionen, die das ganze Frühjahr über noch in Bochum, Göttingen, Oberhausen und Kiel stattfinden.

17.-18. 1.
In der japanischen Hafenstadt Sasebo, wo der US-Flugzeugträger «Enterprise» aus dem Golf von Tonking vor Vietnam erwartet wird, greifen etwa 1000 mit Helmen und Stöcken ausgerüstete Zengakuren-Studenten eine Barrikade der Polizei an. Obwohl sie unablässig mit Tränengasbomben beschossen werden, gelingt es ihnen, die auf einer Brücke stehende Barrikade hinunterzuwerfen. Nun werden sie von mehreren Spezialtruppen der Polizei unter dem Einsatz von Panzerfahrzeugen eingezingelt und Schritt für Schritt bis zur Bewußtlosigkeit zusammengeschlagen. Daraufhin solidarisiert sich die anfänglich reservierte Bevölkerung von Sasebo mit den Studenten und bewirft bei der Ankunft der « Enterprise» - am 19. 1. - eigenhändig die Polizeisperren mit Steinen. Als im ARD-Fernsehen Aufnahmen von Sasebo gezeigt werden, kommt es in der Bundesrepublik durch Studenten zu massenhaften Käufen der charakteristischen Bauarbeiterhelme.

24. 1.
In Berlin wird das Romanische Seminar für eine Woche geschlossen, weil die Studenten auf Diskussionen in den Lehrveranstaltungen bestehen.

30. 1.
Durch die Tet-Offensive, in deren Verlauf der Vietcong bis in die amerikanische Botschaft in Saigon eindringen kann, findet sich die US-Regierung bereit, der Eröffnung von Vietnam-Friedensgesprächen in Paris-am 13.5.-zuzustimmen.

31.1.
Wegen der Weigerung der Philosophischen Fakultät der FU, mit den Studenten über die Studienreform zu diskutieren, wird ihnen zunächst der Strom abgestellt, so daß die Sitzung bei Kerzenschein fortgeführt werden muß. Danach wird schließlich die Tür aufgeschlagen, worauf die diskussionsun-willigen Professoren die Flucht antreten.

1. 2.
Nach einer Vorbereitungsveranstaltung für das «Springer-Hearing» in der TU Berlin, auf der ein Lehrfilm von Holger Meins über den Bau von Molotow-Cocktails gezeigt wurde, werfen Unbekannte nachts in sieben Morgenpost-Filialen des Springer-Konzerns die Scheiben ein.

4. 2.
Während eines go-in im Bonner Rektorat wird ins Goldene Buch der Universität der Unterschrift von Bundespräsident Heinrich Lübke die Bezeichnung «KZ-Baumeister» beigefügt. Lübke hatte im Dritten Reich als Architekt Pläne zum Bau von Konzentrationslagern ausgearbeitet.

7. 2.
1000 Freiburger Studenten stürmen das dortige Amtsgericht, um Festgenommene zu befreien.

9. 2.
In Baden-Württemberg erhalten Studenten, die wegen eines Entwurfs zum Hochschulgesetz in Vorlesungsstreik getreten sind, von einigen Betriebsräten Solidaritätserklärungen.

17.-18. 2.
An der Berliner TU findet unter Beteiligung von mehreren tausend Studenten der «Internationale Vietnam-Kongreß» statt. Ein vom Senat erlassenes Demonstrationsverbot wird noch während des Kongresses vom Verwaltungsgericht aufgehoben. So ziehen 12000 Demonstranten, unter ihnen eine Reihe von SPD-Mitgliedern, durch die Berliner Innenstadt. Auf der Abschlußkundgebung wird die von den Kongreßteilnehmern verabschiedete Schlußresolution verlesen, in der zu einer Desertionskampagne von GIs aufgerufen und die «Zerschlagung der NATO» gefordert wird.