ÜBER DIE GEBRAUCHSSCHWIERIGKEIT EINER CHRONOLOGIE
«Womit kann man besser lügen, als mit Tatsachen?»
Robert Havemann
Chronologien sind im allgemeinen mit Vorsicht zu genießen, diese besonders. Schon
allein deswegen, weil sie von einem einzelnen zusammengestellt wurde, obwohl eine solche
Arbeit nur von einem Institut zu leisten wäre. Deshalb sollte sie auch lediglich als
Versuch betrachtet und auf nichts mehr, als ihren Widerruf hin gelesen werden.
Der strenge Rahmen der Chronographie wird zudem an manchen Stellen vorsätzlich
durchbrochen; deren Prinzipien zwar nicht einfach übergangen, jedoch dort mit Hilfe von
Erläuterungen und Kommentaren ergänzt, wo es mit diesen Mitteln möglich war, etwas mehr
Licht in das Dunkel der Fakten zu bringen. Dies ist also kein Datenfriedhof, auf dem die
Ereignisse mit glatten Grabplatten zugedeckt sind.
Zudem ist die Annahme, daß die chronologische Fixierung von Daten unmittelbar dem
Wesen eines historischen Prozesses oder was immer man auch dafür halten mag, zur
Darstellung verhelfen können fiktiv. Nur durch die bewußte Verstärkung bestimmter
Phänomene mit Hilfe eher latenter Bedeutungsebenen, die datenmäßig nicht in
politologischen Kalendern rubriziert werden, können Sinnzusammenhänge transparenter
werden. Weglassungen und Kürzungen können durchaus denselben Zweck erfüllen.
Dies soll allerdings keineswegs heißen, daß die Auswahlkriterien einem
eindimensional, unmittelbar kausal verfahrenden Begründungszusammenhang verpflichtet
wären. Vielmehr wurde auf die Sammlung disparater Phänomene, die sich einem allzu
umstandslosen Interpretationsansatz entziehen, besonderer Wert gelegt.
Um Skeptikern also vorzubeugen: Keines dieser Daten ist völlig objektiv und damit
«realistisch» zu nennen. Jede Information ist bewußt selektiert und entweder mikro-oder
makroskopisch - je nach Intention - in der Darstellung vergrößert oder verkleinert
worden.
So stellt zum Beispiel die Teilnehmerzahl an Demonstrationen oder
Protestveranstaltungen kein eindeutiges Indiz für einen entsprechenden Bedeutungsgrad
dar. Jene einzelne Ost-Berlinerin, die nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in
die CSSR mit der Aufschrift DUBCEK auf ihrem Kinderwagen protestiert hat, läßt sich
unmöglich quantifizierend zu den Protesten von Zehntausenden vor den sowjetischen
Botschaften in Westeuropa in Relation setzen. Entscheidend ist der jeweils
gesamtpolitische Zusammenhang und der entsprechende Grad an Freiräumen, in dem sich
solche Protestaktionen abspielen.
Wenngleich der Ansatz, die Studentenrebellionen nicht auf die Bundesrepublik oder
Westeuropa beschränkt zu betrachten, leicht Verwirrung auslösen kann, so muß dennoch an
ihm festgehalten werden, weil sich im «Internationalismus der Studenten» ein
entscheidendes Charakteristikum dieser historischen Konstellation ausdrückt. Von Berkeley
nach Berlin, von Berlin nach Paris, von Paris nach Dakar und von Dakar nach Frankfurt
reicht zum Beispiel eine der vielen Linien im Netz des globalen Protests. Zwar schloß
dieser sich nur selten zu direkten, weltumfassenden Aktionsbündnissen zusammen, wie den
«Weltkampftagen gegen den Vietnam-Krieg», und wies vorwiegend eine ungleichzeitige
Verlaufsstruktur auf, damit aber wurden wechselseitige Impulse und Beeinflussungen
möglich, die eine historische Novität markieren. Aus diesem Grunde wäre eine
Beschränkung auf den bundesrepublikanischen Zusammenhang für entscheidende Phasen
inadäquat und würde einige der bedeutsamsten Phänomene ausblenden.
Eine andere Schwierigkeit ist der unerhört hohe Komplexitätsgrad von
unterschiedlichsten, sich dennoch aber gegenseitig beeinflussenden Wirkungszusammenhängen
im «Jahrzehnt der Studenten». So war die APO in ihrer Blütezeit zwischen dem Juni 1967
und dem Herbst 1969 ein einzigartiger Schmelztiegel zum Teil völlig verschiedener
Phänomene. Große Koalition, Vietnam-Krieg, Springer-Kampagne, Rockmusik, Kommunen . . .
signalisieren nur einige Assoziationssplitter im Bedeutungsumkreis am Ende der sechziger
Jahre.
Literarische und musikalische, wissenschaftliche und subkulturelle, institutionelle und
außerinstitutionelle, innen- und außenpolitische, lokale und überregionale Ereignisse
bilden insofern ein nur schwer zu differenzierendes Konglomerat eines scheinbar
einheitlichen Bildes der Protestbewegung. Darum wurde, um unzutreffende Selektionen zu
vermeiden, der Rahmen dieser Chronologie möglichst weit gespannt. Verhindert werden soll
dadurch eine zu umstandslose Interpretation des Geschehens nach Maßgabe «bloß
politischer» Kriterien, bei der entscheidende Dimensionen unberücksichtigt blieben und
damit zu einem ideologisch gefilterten Bild beitragen könnten.
Erst wenn durch diesem chronologischen Versuch ein Impuls zur andersweitigen Erhärtung
oder Kritik geweckt würde, wäre der Sinn eines derart vorläufigen Unterfangens nicht
vollends verfehlt.
Frankfurt, Februar 1977 W. Kraushaar
1955
12. 10.
In der «Galery Six» am Embarcadero-Platz in San Francisco lesen die Schriftsteller Allen
Ginsberg, Jack Kerouac und Gary Snyder einige ihrer Texte vor. Das 112Strophige Gedicht «Howl»
(Gebrüll) und der Roman «0n the road» «Unterwegs» markieren den
literarischen Beginn der «Beat-Generation». Ein Freund Kerouacs hatte 1952 in einem
Aufsatz die aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrten GIs als «the beaten generation»,
die geschlagene Generation bezeichnet.
1957
28. 7.
In Cosio d'Arroscia gründen mehrere Intellektuellen- und Künstlergruppen die
Situationistische Internationale, deren Zentrum sich in Paris befindet und die sich aus
Sektionen in Italien, der Bundesrepublik, den Niederlanden, Belgiens und Skandinaviens
zusammensetzt. In der ersten Nummer ihrer gleichnamigen Zeitschrift fordern sie, «endlich
mit der Verwirklichung des Kommunismus in der Revolutionierung des Alltagslebens
anzufangen».
1958
15. 4.
In Berlin demonstrieren 5000 Studenten und Jungsozialisten mit einem Schweigemarsch gegen
die geplante Atombewaffnung der Bundeswehr. Gegen das gleiche Vorhaben protestieren am
17.4.100.000 Hamburger; von mehreren Großbetrieben ziehen Demonstrationszüge mit
Gewerkschaftsfahnen zum Kundgebungsplatz in der Innenstadt.
25. 6.
Der Beschluß des Konvents der Freien Universität Berlin (FU), eine Befragung der
Studentenschaft über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr durchzuführen, wird auf Druck
des Ältestenrates am 4. 7. wieder zurückgenommen.
1959
4.1.
Nach mehr als zweijährigem Partisanenkampf in der Sierra Maestra ziehen Fidel Castro und
Che Guevara mit der «Bewegung des 26. Juli» als Sieger in der kubanischen Hauptstadt
Havanna ein. Nach dem militärischen Zusammenbruch der vom US-Kapital abhängigen
Batista-Diktatur kann die kubanische Revolution beginnen.
3.1.-4.1.
An der Freien Universität Berlin findet ein «Studentenkongreß gegen Atomrüstung»
unter Beteiligung von Bundestagsabgeordneten, Professoren, Schriftstellern und Gruppen von
Atomwaffengegnern aus der gesamten Bundesrepublik statt. Bei der Verabschiedung eines
Antrags zu Friedensverhandlungen mit der DDR verläßt der SPD-Wehrexperte Helmut Schmidt
unter Protest den Saal.
23.-24. 5.
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) veranstaltet in Frankfurt einen «Kongreß
für Demokratie - gegen Restauration und Militarismus», auf dem ein sofortiger
Rüstungsstopp in der Bundesrepublik und die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht
gefordert wird.
13.-15. 11.
Auf einem außerordentlichen Parteitag der SPD in Bad Godesberg wird ein neues
Grundsatzprogramm verabschiedet, in dem endgültig die sozialistische Arbeiterpartei durch
eine marktwirtschaftlich orientierte «Volkspartei» ersetzt wird.
1960
8. 1.
Der Landesjugendring Berlin veranstaltet eine Protestdemonstration gegen antisemitische
Synagogenschmierereien, an der sich über 10000 Jugendliche beteiligen.
1. 2.
In der amerikanischen Stadt Greensboro halten erstmals farbige Studenten ein Sit-in ab, um
gegen die Rassentrennung in Kaufhausrestaurants zu protestieren. Bald darauf werden sie in
fast allen Woolworth-Kaufhäusern der USA nachgeahmt und zu regelrechten Besetzungen
weitergeführt.
26. 4.
Gegen die Wiederwahl des südkoreanischen Diktators Syng-man Rhee, die weithin als
manipuliert angesehen wird, finden Massendemonstrationen statt, die erst durch schießende
Polizeitruppen zum Stoppen gebracht werden können. Daraufhin durchbrechen 2000 Studenten
der am Stadtrand Seouls gelegenen Korea-Universität die Bannmeile des Parlaments, indem
sie die kilometerlange Strecke zur völligen Überraschung der Polizei in einem
dreiviertelstündigem Dauerlauf zurücklegen. Als sie jedoch auf dem Rückweg von zivilen
Beamten zusammengeschlagen werden, findet am folgenden Tag eine Demonstration von 20000
Studenten statt, die von sympathisierenden Passanten angefeuert werden. Nun eröffnet die
Polizei sofort das Feuer, tötet über 100 Studenten und verletzt 750 von ihnen schwer.
Die Folge ist eine ungeahnte Solidarisierungswelle im ganzen Land, in deren Verlauf das
Haus des Vizepräsidenten angezündet wird. Am 26. 4. muß Diktator Rhee schließlich auf
Rat seiner Militärs und der Amerikaner zurücktreten. Der Rest des Tages gehört den
Studenten, die überall in Volksfesten als «Befreier» gefeiert werden.
4. 5.
In den USA wird ein Büro für die Verfolgung von Bürgern, die «unamerikanischer
Umtriebe» bezichtigt werden, von 8000 Demonstranten besetzt. Als starke Polizeikräfte
das Gebäude räumen und 68 Studenten dabei verhaften, bilden sich an zahlreichen
Universitäten Unterstützungskomitees für die Ziele der Demonstranten.
9.5.
Eine gegenüber der Mutterpartei SPD loyale Fraktion spaltet sich vom SDS als angeblichem
«trojanischen Pferd Pankows» ab und gibt in Bonn die Gründung eines
Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB) bekannt. Der Parteivorstand der SPD begrüßt
daraufhin - am 23. 5. - die positive Haltung des SHB zum Godesberger Programm und die
Ablehnung des Kommunismus. Am 19. 7. bricht die SPD alle Beziehungen zum SDS ab und
verkündet schließlich - am 8.11.1961 - den Unvereinbarkeitsbeschluß einer
Doppelmitgliedschaft in SDS und SPD.
15. 6.
Der japanische Studentenverband Zengakuren organisiert den Kampf gegen die Erneuerung
eines Sicherheitsvertrages mit den Vereinigten Staaten. Am 15. i. verhindern 700 Studenten
durch die Besetzung des Flughafens Tokio-Haneda den Abflug von Ministerpräsident Kishi in
die USA. Nachdem es Kishi am darauffolgenden Tag dennoch gelingt abzufliegen um am 19. l.
den Vertrag zu ratifizieren, demonstrieren 4 Millionen Arbeiter in ihren Betrieben und
erklären sich mit den Forderungen der Studenten solidarisch. Als dann am 26. 4. über
3000 Studenten versuchen, in den Reichstag einzudringen, um dort die Ablehnung des
Vertrages zu fordern, werden sie von starken Polizeikräften zurückgedrängt und
organisieren statt dessen einen Demonstrationszug mit 35000 Teilnehmern durch das Zentrum
von Tokio. Nach einer weiteren großen Manifestation am 10. 6., in deren Verlauf der Wagen
des US-Botschafters am Flughafen von Studenten eingekesselt wird und seine Insassen erst
nach einem einstündigen Kampf von Polizisten herausgeholt und in einem Hubschrauber
entfliehen können, versuchen 8000 Studenten am 15. 6. eine Kundgebung auf dem
Reichstagsgelände durchzuführen. Im Gegenzug von mehreren tausend zur Räumung
herbeigerufenen Polizisten kommt dabei die Studentin Michiko Kamba ums Leben. Daraufhin
stürmen noch am selben Abend 4000 Demonstranten das Reichstagsgebäude. Bei dem erneuten
Gegenangriff der Polizei, die mit Gummiknüppeln und Tränengasgranaten ausgerüstet ist,
werden mehr als 1000 Studenten verletzt und 182 verhaftet. Obwohl Eisenhower schließlich
seinen Japan-Besuch absagt und es Zengakuren gelingt, am Tag der Oberhausdebatte über den
Sicherheitsvertrag 300000 Demonstranten zur Belagerung des Reichstagsgebäudes zu
mobilisieren, tritt der Vertrag dennoch in Kraft; allerdings um den Preis des Rücktritts
von Ministerpräsident Kishi.
30. 6.
Die Republik Kongo erklärt ihre Unabhängigkeit von der belgischen Kolonialmacht. Doch
schon am 6. 7. brechen kriegerische Auseinandersetzungen um die Machtverteilung des
Landes aus. Am 11. 7. wird in Katanga die Gründung einer Separatistenregierung unter
Tschombe bekanntgegeben, die vor allem eine Wirtschaftsunion dieses Industriegebietes mit
Konzernen der alten Kolonialmacht anstrebt. Daraufhin bricht der kongolesische
Ministerpräsident Lumumba - am 14. 7. - die diplomatischen Beziehungen zu Belgien ab.
Trotz der Intervention von UNO-Truppen kann Lumumba verschleppt und - am 17. 7. 1961 -
unter ungeklärten Umständen ermordet werden.
5.11.
Arabische und deutsche Studenten demonstrieren in Marburg gemeinsam gegen den
französischen Kolonialkrieg in Algerien.
1961
Die Auswertung einer 1957 und 1958 durchgeführten empirischen Untersuchung zum
politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten, die von den Soziologen Habermas, Friedeburg
u. a. unter dem Titel «Student und Politik» veröffentlicht wird, ergibt, daß 66
Prozent der Befragten apolitisch sind, 16 Prozent sogar autoritätsgebunden und nur 9
Prozent einem «definitiv demokratischen Potential» zuzurechnen sind.
3.-4. 4.
Zu vier Großstädten der Bundesrepublik werden Sternmärsche von rund 10000
Atomwaffengegnern durchgeführt. Die Vorstände von SPD und DGB hatten zuvor ihren
Mitgliedern die Teilnahme untersagt.
5. 4.
SDS-Mitglieder protestieren vor dem «Maison de France» in Berlin gegen den
französischen Kolonialkrieg in Algerien. Dabei werden fünf Flugblattverteiler
vorübergehend festgenommen.
8.4.-2.5.
Der SDS veranstaltet in Berlin ein Hochschulseminar, aus dem die im darauffolgenden Herbst
erscheinende Denkschrift (Hochschule in der Demokratie) hervorgeht. In ihr wird
programmatisch ein Selbstverständnis formuliert, das die Emanzipationsgehalte
bürgerlicher Bildung gegen die autoritärtechnokratische Hochschulreform zu beleben
versucht.
8. 7.
Etwa 150 Mitglieder des SDS und Argument-Clubs demonstrieren gegen einen Empfang, den der
spanische Generalkonsul in Berlin zum 25. Jahrestag des faschistischen Putsches gegen die
gewählte Regierung der Republik Spaniens gibt. Nach einem Gummiknüppeleinsatz der
Polizei werden dreißig Demonstranten auf Einsatzwagen verladen und in eine entlegene
Gegend im Grunewald gefahren.
13. 8.
Um den immer stärker anschwellenden Flüchtlingsstrom vom Ost- in den Westsektor Berlins
abzustoppen, läßt die DDR-Regierung eine Mauer errichten, die West-Berlin fortan
hermetisch abriegelt. Aus Anlaß eines bei der Flucht tödlich verunglückten
DDR-Studenten formieren sich - am 20. 11. - etwa 40000 Jugendliche zu einem Schweigemarsch
gegen die Errichtung der Mauer. 1000 werden beim Versuch, nach der Abschlußkundgebung die
Mauer zu stürmen, von der West-Berliner Polizei daran gehindert. Nach dem Einsatz von
Gummiknüppeln und Tränengas besetzen 300 Demonstranten den Hardenbergplatz, um mit einem
Sitzstreik gegen das brutale Vorgehen der Polizei zu protestieren.
18. 9.
In London haben sich Tausende von Atomwaffengegnern unter der Leitung eines von dem
Philosophen Bertrand Russell gegründeten Komitees zu einem Sitzstreik vor dem britischen
Verteidigungsministerium niedergelassen. Die Polizei deportiert sie daraufhin in ein
nahegelegenes Amtsgericht, wo sie in einem Massenprozeß abgeurteilt werden.
28. 10.
Als Dieter Kunzelmann, Mitglied der Münchener Künstlergruppe Spur, in einem Schwabinger
Cafe eine Zeitung mit dem Text «Der Kardinal, der Film und die Orgie» verkauft, wird er
von einer jungen Frau angezeigt. Daraufhin verurteilt ihn das Münchener Amtsgericht
zusammen mit drei anderen Künstlern wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften,
Religionsbeschimpfung und Gotteslästerung zunächst zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen,
die dann in der Berufungsverhandlung auf fünf Wochen mit Bewährung herabgesetzt werden.
1962
14. 2.
Die Durchführung einer vom Konvent der FU beschlossenen Solidaritätssammlung für
algerische Flüchtlinge wird vom Rektor untersagt, da die Studentenschaft kein politisches
Mandat besitze. Eine Sammlung für «die Kommilitonen in der sowjetischen Besatzungszone»
wird hingegen am 8. 6. erlaubt.
21.-23. 4.
Am Ostermarsch der Atomwaffengegner beteiligen sich mehr als 50000 am Protest gegen die
geplante nukleare Bewaffnung der Bundeswehr. Mehrere FU-Professoren hatten unter anderem
ihre Studenten in einem Flugblatt zu einer Beteiligung aufgefordert.
22.-26. 6.
Anläßlich der Musik zweier Schwabinger Gitarristen, nach der ein barfüßiges Paar
twistet, kommt es, nachdem es schon zwei Wochen zuvor nach einem Jazzkonzert zu schweren
Zwischenfällen gekommen war, erneut zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Münchener
Polizei. Nach dem Versuch der «Ordnungskräfte», die Gitarrenspieler wegen
ruhestörenden Lärms festzunehmen, entwickeln sich an mehreren Tagen stundenlange
Straßenschlachten, in deren Verlauf die erbitterten Jugendlichen systematisch von der
Polizei zusammengeschlagen werden. Von den rund 200 festgenommenen Studenten, Schülern
und Jungarbeitern werden acht in Haft behalten.
6. 8.
Als kurz vor Beginn eines Kongresses des Internationalen Studentenbundes in Leningrad
bekannt wird, daß die Sowjetunion eine Atombombe gezündet hat, entrollen
Zengakuren-Delegierte während ihrer Zwischen Station in Moskau auf dem Roten Platz ein
riesiges Transparent mit der Aufschrift: «Nieder mit der Atombombe!» Schon nach wenigen
Augenblicken werden sie von sowjetischen Sicherheitsbeamten unter dem Vorwand verhaftet,
sie seien «betrunken wie Polen». Als «Beweis» flößt die Moskauer Polizei gewaltsam
Wodka ein und läßt auf dem Kongreß von Mitgliedern der sowjetischen Jugendorganisation
Komsomol Fotos verteilen, auf denen die japanischen Studenten nackt und gefesselt in den
Betten einer Trinkerheilanstalt liegen. «Die amerikanischen Atomversuche dienen dem
Imperialismus, während die sowjetischen dem Frieden dienen», lautet das Motto der
sowjetischen Delegierten.
2. 10.-1.11.
Die sogenannte «Kuba-Krise»: Nach dem Scheitern eines von den USA lancierten und
Exilkubanern begonnenen Putschversuchs, der schon bei der Landung in der Schweinebucht -
am 17. 4. 1961 - vereitelt werden konnte und den daraufhin als Schutzvorrichtung
installierten sowjetischen Raketenbasen, gibt der amerikanische Präsident John F. Kennedy
den Befehl zu einer Seeblockade Kubas durch die US-Marine. Nach mehreren Tagen kehren alle
sowjetischen Schiffe um und die schon errichteten Basen werden nach Verhandlungen wieder
abgebaut.
27.10.
Die sogenannte «Spiegel-Affäre»: Wegen des Verdachts, in einem Artikel über das
NATO-Manöver «Fallex 2» Staatsgeheimnisse verraten zu haben, läßt die
Bundesanwaltschaft in einer nächtlichen Aktion den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein
verhaften. Als schließlich bekannt wird, daß ein Redakteur nur auf Betreiben des
Bundesverteidigungsministers Strauß in Spanien verhaftet wurde, drohen die FDP-Minister
mit Rücktritt aus der Bundesregierung, woraufhin es zu einer Kabinettsumbildung kommt, in
der Strauß nicht mehr berücksichtigt wird. Nachdem es schon - am 31.10. - in Berlin zu
einer Solidaritätsdemonstration mit dem Spiegel gekommen war, folgen ihr - am 12.
11. - weitere Manifestationen in nahezu allen bundesrepublikanischen
Universitätsstädten. Obwohl gegen Augstein ein Hauptverfahren wegen Beweismangels
niemals eingeleitet worden ist, wird er dennoch bis zum 7. 2.1963 in Haft behalten.
1963
13.-15. 2.
In einer Urabstimmung an der Berliner FU stimmt die überwältigende Mehrheit für die
Abwahl eines korporierten AStA-Vorsitzenden, der Studenten den Plan des Innensenators
Albertz schmackhaft machen wollte, in eine freiwillige Polizeireserve «zur Garantie des
normalen Lebens in Krisenzeiten» einzutreten.
12. 4.
An elf Ostermärschen nehmen mehr als 30000 Demonstranten teil. 52 britische
Atomwaffengegner, die in Düsseldorf auf Anweisung des Bundesinnenministeriums am Betreten
deutschen Bodens gehindert werden, verbarrikadieren sich in ihrem Flugzeug.
13. 10.
Aus dem Londoner Paladium überträgt die englische Fernsehanstalt BBC eine Musikshow, die
über Nacht eine Liverpooler Band mit dem Namen The Beatles auf der ganzen Insel bekannt
macht. Ein Jahr später, nachdem die langhaarige Gruppe zum weltweiten Symbol des
Jugendprotests gegen Elternhaus, Schule und Gesellschaft geworden ist, wird das Konzert
unter dem Titel «A hard days night» verfilmt.
22. 11.
Nach der Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in der texanischen
Stadt Dallas ziehen 20000 Stu-dertten und Schüler zum Schöneberger Rathaus, wo ein
AStA-Mitglied der FU und der Regierende Berliner Bürgermeister Willy Brandt eine
Trauerrede halten.
1. 12.
Nach einem von den USA lancierten Militärputsch, in dessen Verlauf Diktator Diem - am 2.
n. - ermordet wurde, erhöht das Pentagon die Zahl der «militärischen Berater» in
Vietnam auf 16000. Amerikanische Piloten beginnen damit, sogenannte «Vietcongdörfer» zu
bombardieren.
20.12. In Frankfurt wird die Hauptverhandlung gegen 21 ehemalige Angehörige des
SS-Bewachungspersonals im Konzentrationslager Auschwitz eröffnet.
1964
28. 4.-7. 5.
Während eines Bundesseminars zur «Koexistenz zwischen beiden deutschen Staaten» in
Berlin nehmen SDS-Vertreter Verbindung mit dem Zentralrat der FDJ auf. Beim nachfolgenden
Deutschlandtreffen der DDR-Jugendorganisation -vom 16. bis 18. 5. - nimmt als einziger
offizieller westdeutscher Referent der 2. Bundesvorsitzende des SDS teil, der
nachdrücklich die Freilassung des vom Staatssicherheitsdienst der DDR - am 16. 6.1961 -
aus West-Berlin entführten IG Metall-Redakteurs Heinz Brandt fordert. Am 22. 5. wird der
ursprünglich zu dreizehn Jahren Zuchthaus Verurteilte vorzeitig entlassen. Auf einer
Landesvollversammlung beschließt der SDS - am 28.7. - in Frankfurt, die
Oder-Neiße-Grenze und die Existenz zweier deutscher Staaten anzuerkennen.
5. 5.
Die in der Stuttgarter Liederhalle stattfindende Jahrestagung des Bundes deutscher
Werbeleiter wird von den beiden Mitgliedern der Gruppe Subversive Aktion, Dieter
Kunzelmann und Frank Böckelmann, durch das lautstarke Abspielen der Matthäus-Passion und
des Schlagers «Surfing Bird» unterbrochen. Als gleichzeitig Flugblätter mit
einem «Aufruf an die Seelenmassage» von der Empore geworfen werden, verhaftet man sie.
Vor Gericht werden sie später mit der Begründung freigesprochen, daß Werbeleiter «ja
auch ihrerseits die Opfer ihrer Werbung nicht mit Samthandschuhen anfassen».
1. 6.
Die US-Luftwaffe geht in Vietnam zu systematischen Flächenbombardements über und
verwüstet über dreißig Kilometer lange Landstreifen. Ein offizielles Friedensangebot
der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams vom Jahresbeginn, «das weiteres Leid und
weitere Verluste vermeidet und gleichzeitig die Ehre der Vereinigten Staaten von Amerika
wahrt», war von der US-Regierung nicht beachtet worden.
11. 6.
Bei einer Demonstration gegen die Wiederkandidatur des KZ-Baumeisters Lübke zum Amt des
Bundespräsidenten werden in Berlin sechs Studenten verhaftet. Nachdem der FU-Konvent das
Verhalten der Polizei gerügt hat, beteiligen sich annähernd 2000 Studenten - am 29. 6. -
an einer weiteren Demonstration gegen die Wiederwahl Lübkes.
24. 7.
Anläßlich der Premiere des Beatles-Films «A hard days night» geraten auf
dem Londoner Picadilly-Circus 12000 Teenager in Ekstase. Als die Beatles kurze Zeit
später nach Liverpool zurückkehren, kommt es dort zum größten Menschenauflauf nach dem
Zweiten Weltkrieg.
2. 8.
Im Golf von Tonking ist der US-Zerstörer «Maddox» - amerikanischen Berichten zufolge -
in internationalen Gewässern von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen worden.
Daraufhin ordnet der Kennedy-Nachfolger Lyndon B. Johnson als amerikanischer Präsident
Luftangriffe auf das Gebiet Nordvietnams an, die als «Vergeltungsschläge» durch den
Kongreß genehmigt und praktisch mit der Operation «Rollender Donner» - im Feburar 1965
- umgesetzt werden. Die begründeten Zweifel an der amerikanischen Darstellung der
«Tonking-Affäre» können erst 1971 mit der Veröffentlichung der «Pentagon-Papiere»
erhärtet werden. Aus ihnen geht unmißverständlich das Kalkül hervor, daß nur eine
«Strategie der Provokation» die USA vor einem Zusammenbruch ihrer militärischen
Positionen bewahre, die eine «sorgfältig abgestimmte und geplante Bombardierung
Nordvietnams» zur Folge habe.
14. 9.-8.12.
Als der radikale Negerführer MalcolmX auf dem Campus der kalifornischen
Universitätsstadt Berkeley Redeverbot erhält und sämtlichen Studentengruppen ein
Versammlungsverbot erteilt wird, organisieren sich die betroffenen Studenten zu einer
«Free Speech Movement». Als - am 2.10. - ein Student aus Protest das Verbot übertritt,
wird er von der Campus-Polizei verhaftet. Beim Versuch ihn abzutransportieren wird jedoch
der Einsatzwagen von 3000 Studenten eingekesselt und - das Dach als Rednertribüne
benutzend - über 36 Stunden auf dem Campus festgehalten. Als dann - am 2.12. - ein
Disziplinarverfahren gegen vier Studenten eröffnet werden soll, besetzen 6000 Studenten
unter Anführung des Philosophiestudenten Mario Savio und der Folksängerin Joan Baez das
Verwaltungsgebäude der Universität und funktionieren es in eine «Free University of
California» um. Als daraufhin die Staatspolizei das Gebäude in einer nächtlichen Aktion
räumt und annähernd tausend Besetzer verhaftet, wird am Morgen des 3. 12. auf dem Campus
der Generalstreik ausgerufen, der - am 8. 12. - schließlich mit der Erfüllung aller
studentischen Forderungen und einer Generalamnestie aller Beschuldigten endet.
9. 9.
Anläßlich des in Stuttgart stattfindenden 80. Deutschen Katholikentages kleben mehrere
Mitglieder der Subversiven Aktion das Plakat «Botschaft an die Lämmer des Herrn» an die
Türen aller katholischen Kirchen. Wegen des «Verdachts der Gotteslästerung» werden
vier von ihnen festgenommen.
27. 11.
Die beiden polnischen Studenten J. Kuron und K. Modzelewski werden aus der Partei und dem
nationalen Jugendverband ausgeschlossen, weil sie in einem 90 Seiten umfassenden «Offenen
Brief an die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei» das eigene System als einen
undemokratischen, bürokratisierten «Monopolsozialismus» darstellen. Nach ihrer
Verhaftung - am 19. 3. 1965 - werden sie trotz zahlreicher Proteste - am 19. ~j. -
zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.
7. 12.
Im Liverpooler Cavern-Club, von dem die Beatwelle ihren Ausgang nahm, findet unter dem
Titel «Bomb» ein von Pop-Artisten und Beatgruppen aufgeführtes Happening statt, das
sich gegen die Atombewaffnung wendet.
18.12.
Nachdem der kongolesische Ministerpräsident Tschombe schon beim Antritt seines
Deutschland-Besuches in München während einer Audienz bei Erzbischof Kardinal Döpfner
von Studenten mit Rauch- und Stinkbomben beworfen worden war, führt der SDS zusammen mit
anderen Studentengruppen bei Tschombes Zwischenstation in Berlin eine Protestdemonstration
gegen den «Lumumba-Mörder» durch. Dabei gelingt es den Demonstranten, die Polizeikette
am Flughafen zu durchbrechen und innerhalb der Bannmeile des Schöneberger Rathauses
Tschombe bei seiner Abfahrt mit Tomaten zu bewerfen.
1965
7. 2.
Wegen eines Vietcong-Angriffs auf Pleiku fordert US-Präsident Johnson «Vergeltung» und
läßt Nordvietnam bombardieren. Daraufhin protestieren - am 9. 2. - Tausende von
Studenten der Moskauer Lumumba-Universität gegen die Luftangriffe und demolieren mit
Tintenfässern und Steinen die Hausfront der amerikanischen Botschaft. Am 1.3. dringen
Hunderte indonesischer Studenten in Djakarta in die Wohnung des amerikanischen
Botschafters ein und bekleben die Wände mit Plakaten gegen die US-Intervention. Am 4.3.
schließlich greifen 2000 Studenten der Lumumba-Universität nochmals das amerikanische
Botschaftsgebäude an. Dabei durchbrechen sie mehrmals die Absperrungen der sowjetischen
Volksmiliz. Mehrere Polizisten und Demonstranten werden dabei verletzt, sieben Studenten
verhaftet.
28. 2.
Während Unterwanderungsabsichten der Subversiven Aktion im Münchener SDS scheitern,
glückt das Vorhaben in der Berliner Gruppe: Rudi Dutschke wird in den politischen Beirat
des SDS gewählt und begründet zusammen mit Bernd Rabehl eine antiautoritäre Keimzelle
der Studentenbewegung.
6. 3.
Anläßlich der Ausstellung «Südafrika gestern und heute» führt der Berliner SDS u. a.
eine Demonstration gegen die Rassenpolitik der Südafrikanischen Republik durch. Bei einem
anschließenden Go-in während einer Folkloreveranstaltung werden zwei Flugblattverteiler
vorübergehend festgenommen.
24. 3.
Zur Vorbereitung des ersten Marsches auf Washington nehmen an der Universität von
Michigan 3000 Studenten und Professoren an einer Veranstaltung gegen den Vietnamkrieg
teil, die erstmals als Teach-in bezeichnet wird. Die Diskussion über die einzelnen
Informationsbeiträge dauert bei Kaffee und Kuchen bis in die frühen Morgenstunden des
nächsten Tages.
17.4.
Beim ersten «Marsch auf Washington» protestieren 25000 Demonstranten gegen die
Vietnam-Politik der Johnson-Regierung.
1. 5.
Während der Maikundgebung am Berliner Reichstag, zu der über 300000 Zuhörer erschienen
sind, greifen DGB-Ordner SDS-Mitglieder an und zerstören ihre Transparente, auf denen die
Verhinderung der Notstandsgesetze gefordert wird.
7.5.
Eine für das Auditorium maximum geplante Podiumsdiskussion mit dem Titel «Restauration
oder Neubeginn - die Bundesrepublik 20 Jahre danach» muß in ein Studentenhaus verlegt
werden, weil gegen den als Redner auftretenden Journalisten Erich Kuby ein vom Rektor
verhängtes Hausverbot nicht aufgehoben wird. Kuby hatte in einer Rede auf die
antithetische Bindung des Namens Freie Universität an die Humboldt-Universität in
Ost-Berlin aufmerksam gemacht und war deshalb schon 1960 mit dieser Sanktion belegt
worden. Als Folge dieses universitären Redeverbots wird - vom 10. bis 15. 5. - eine
«Picketing line» mit Protestplakaten um das FU-Gebäude gebildet und am 18. 5. im
Otto-Suhr-Institut der Politologen ein befristeter Streik durchgeführt, mit dem für
einen Tag alle Vorlesungen und Seminare boykottiert werden.
30.5.
In Bonn veranstaltet der SDS zusammen mit anderen Hochschulgruppen den Kongreß
«Demokratie vordem Notstand». Unter den 2000 Teilnehmern befinden sich auch
Gewerkschafter und Professoren als Referenten. In Frankfurt erscheint die erste Nummer der
einflußreichsten und auflagenstärksten Intellektuellenzeitschrift, das von H. M.
Enzensberger und K. M. Michel herausgegebene Kursbuch.
12.6.
Mit der Entgegennahme des «Britischen Empire-Ordens» aus der Hand der englischen
Königin demonstrieren die Beatles in London ihre gesellschaftliche Integration. Pete
Townshend, der Gitarrist der englischen Rockgruppe «The Who», die ihre aggressiven
Bühnenauftritte mit einem qualmenden Trümmerhaufen aus Verstärkern, Schlagzeug und
Gitarren beendet, erklärt in der Fachzeitschrift «Melody Maker» auf ihr Stück
«My Generation» hin, daß der Konflikt zwischen den Generationen «der Beginn
einer großen gesellschaftlichen Revolution» sei.
1.7.
In Berlin führt der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) einen Protestmarsch gegen
den Bildungsnotstand durch, an dem sich über 10000 Studenten beteiligen. Auf einer
Vollversammlung mit mehr als tausend FU-Stu-denten wird der Rücktritt des amtierenden
Rektors gefordert, weil er den Assistenten Erich Krippendorf wegen kritischer Äußerungen
entlassen hatte.
15.9.
Der Schauspieler Dick Gregory wird zusammen mit anderen Mitgliedern des Berkeley
Vietnam-Day-Committee beim Versuch verhaftet, einen Truppenzug für den Vietnam-Krieg
durch einen Sitzstreik zum Stoppen zu bringen.
15.9.
Nach einem Konzert der englischen Rockgruppe «The Rolling Stones» auf der Berliner
Waldbühne - I can't get no satisfaction - kommt es zu mehrstündigen
Straßenschlachten mit der Polizei, in deren Verlauf 85 Jugendliche festgenommen und 87
verletzt werden. Der Sachschaden - 17 S-Bahn-Züge sind demoliert, zum Teil umgestürzt -
beträgt fast eine halbe Million DM.
16. 9.
Bei der Bundestagswahl-Abschlußkundgebung der CDU auf dem Frankfurter Römerberg kommt es
während der Rede von Bundeskanzler Erhard, in der dem SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt
die «moralische Qualifikation» abgesprochen wird, zu Tumulten. Mehreren hundert
Studenten, die lauthals protestieren, werden Transparente mit der Aufschrift «Formierte
Gesellschaft + Notstandsgesetze = CDU-Ständestaat» von Ordnern entrissen; drei Studenten
werden schließlich von der Polizei verhaftet.
23. 6.
Die Berliner Schutzpolizei verhaftet fünf Gammler, weil sie mit Kreide an die
Gedächtniskirche den Slogan «Jesus war der erste Gammler» geschrieben haben. 150 meist
jugendliche Passanten fordern anschließend beim betreffenden Polizeirevier die
Freilassung der Verhafteten.
15.10. Als der amerikanische Außenminister Dean Rusk während eines offiziellen
Staatsbesuchs in Uruguay einen Kranz niederlegen will, drängt sich der Student Rolan
Rojas durch die Reihen der Ehrengarde und spuckt ihm ins Gesicht, wobei er ruft: «Im
Namen des Volkes!» Daraufhin wird Rojas so brutal von der Sicherheitspolizei
zusammengeschlagen, daß er eine unheilbare Gehirnverletzung davonträgt.
15.-16. 10.
In über dreißig amerikanischen Universitäten und Colleges beteiligen sich über 100000
Studenten am Vietnam Day. In Berkeley gehen dabei 1000 Polizisten und 700
Nationalgardisten mit aufgepflanzten Bajonetten gegen 10000 Studenten vor, die am
Militärstützpunkt Oakland die weitere Verschickung von amerikanischen Truppen nach
Südvietnam zu verhindern versuchen.
27.11.
Am zweiten «Marsch auf Washington» nehmen über 40000 Gegner des Vietnam-Krieges aus
allen Teilen der Vereinigten Staaten teil.
13.-17.12.
Der Berliner SDS veranstaltet eine Vietnam-Ausstellung, in deren Anschluß eine
Geldsammlung für das Rote Kreuz in Nordvietnam und das des Vietcong gesammelt wird.
16.12.
Der Versuch von Berkeley-Studenten, Rocker in politische Auseinandersetzungen
miteinzubeziehen, scheitert: Als 10000 Studenten zusammen mit den Hell's Angels eine
Demonstration gegen den Vietnam-Krieg durchführen wollen, stürzen sich die Rocker mit
Rufen wie «Verräter, Kommunisten, Beatniks!» auf die Redner und versuchen die
Lautsprecheranlage zu zertrümmern, bis sie schließlich von der Polizei überwältigt
werden. Der von Allen Ginsberg daraufhin ver faßte 210zeilige Gedichtappell «An die
Engel» erntet nur Hohn und Spott.
1966
5.2.
Nach der Plakataktion «Amis raus aus Vietnam» in der Nacht vom 3. auf den 4. 2.,
bei der vier SDS-Mitglieder verhaftet wurden, führen 2500 Studenten eine
Vietnam-Demonstration durch, in deren Verlauf mit einem Sitzstreik vorübergehend der
Verkehr lahmgelegt wird. Nach der Abschlußkundgebung ziehen dann 500 Demonstranten zum
Amerikahaus weiter, bewerfen die Fassade mit Eiern und setzen das Sternenbanner auf
halbmast. Daraufhin beschließt - am 16. 2. -der Senat der FU, den Studenten keine Räume
mehr für politische Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen.
10.3.
Bei der Hochzeit der niederländischen Kronprinzessin Beatrix mit dem deutschen
Legationsrat von Amsberg in Amsterdam bewerfen Provos die Staatskarosse mit Rauchbomben.
26.3.
100000 Demonstranten marschieren am «Internationalen Tag des Protests» gegen den
Vietnam-Krieg in New York durch die Fifth Avenue zu einer Abschlußkundgebung im Central
Park. Zur gleichen Zeit finden in zahlreichen anderen nordamerikanischen und kanadischen
Städten weitere Demonstrationen statt. Auch in Rom kommt es zu einer Manifestation von
über 20000.
1.4.
Trotz zahlreicher Proteste aus beiden Teilen Deutschlands wird der Direktor des
Physikalisch-Chemischen Instituts der Ost-Berliner Humboldt-Universität, Professor Robert
Have-mann, wegen «prinzipieller Anarchie» und «DDR schädigenden Verhaltens» aus der
Deutschen Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen.
28.4.
Nachdem die spanische Regierung die Universitäten in Barcelona geschlossen hat, treten 15
ooo Studenten mit der Unterstützung von über 200 Professoren in einen politischen
Streik.
22.5.
An der Frankfurter Universität veranstaltet der SDS den Kongreß «Vietnam - Analyse
eines Exempels», an dem über 2000 Studenten, Professoren und Gewerkschafter teilnehmen.
25.5.
Im Speisesaal der Pekinger Universität wird von einer siebenköpfigen Gruppe von
Studenten und Professoren gegen ein bestehendes Verbot des Rektors eine rote Wandzeitung
angebracht, die von Mao Tse-tung-am 1.6. - offiziell unterstützt und - am 6. 6. - in der
Zeitung der chinesischen Volksbefreiungsarmee als Ende des Revisionismus und Beginn der
«Großen proletarischen Kulturrevolution» gefeiert wird. Am 16. 7. durchschwimmt dann
Mao Tse-tung inmitten von Rotgardisten, «wie ein Fisch im Wasser», innerhalb von 65
Minuten den Yangtsekiang.
1. 6.
Bei den Gemeinderatswahlen von Amsterdam entfallen auf den Provo-Kandidaten de Vries 13000
Stimmen, mit denen er einen Sitz im Stadtparlament erhält.
3. 6.
Als James Meredith, der erste Neger-Absolvent der staatlichen Universität von
Mississippi, bei seinem Allein-«Marsch gegen die Furcht» angeschossen wird, setzen
Organisationen der Bürgerrechtsbewegung seinen Marsch fort. Dabei werden durch Stockely
Carmichael erstmals Forderungen nach Black Power laut.
14.-15. 6.
In Amsterdam schlagen gewerkschaftsinterne Auseinandersetzungen von Bauarbeitern durch das
Eingreifen von Reichspolizisten in schwere Straßenschlachten zwischen Bauarbeitern,
Studenten und Provos einerseits und Polizeikräften andererseits um, in deren Verlauf ein
Arbeiter tödlich verletzt wird.
19.6.
Nachdem schon am Vortag 17000 Gewerkschafter gegen den in Karlsruhe stattfindenden 2.
Bundesparteitag der NPD protestiert hatten, formieren sich 2000 Schüler und Studenten zu
einem Sitzstreik «gegen Neofaschismus und Neonazis».
22.-23. 6.
Über 3000 Studenten protestieren an der FU mit einem zehnstündigen Sit-in gegen das
Raumverbot für politische Veranstaltungen und diskutieren in einem improvisierten
Teach-in mit mehreren Professoren über eine demokratische Hochschulreform, an dessen Ende
eine Resolution verabschiedet wird, in der zum erstenmal der gesellschaftliche Bezug der
Universität zu definieren versucht wird. Kurz darauf hebt der Akademische Senat seinen
Beschluß über das Raumverbot - vom 16. 2. - wieder auf.
6. 7.
Rund 15000 Studenten demonstrieren in München gegen die Regierungsvorlage für ein
Bayrisches Hochschulgesetz, in dem die «Freiheit von Forschung und Lehre in
unerträglichem Maße beeinträchtigt» wird.
8. 7.
Bei einer Vietnam-Demonstration von 2000 FU-Studenten vor dem Henry-Ford-Bau in Berlin
kommt es zu Schlägereien mit Mitgliedern des CDU-nahen RCDS.
Sommer '66
Zehntausende beginnen in San Franciscos Haight-Ashbury und- New Yorks East-Village das
literarische Erbe der Beatnik-Generation von Allen Ginsberg und Jack Kerouac praktisch
anzutreten, indem sie eine eigene Subkultur entwickeln. Diese Protestbewegung gegen den
American Way of Life greift mit ihren be-ins und love-ins innerhalb kurzer
Zeit auf die meisten amerikanischen Großstädte über. Der demokratische Senator Ribicoff
fordert die Schaffung einer eigenen Bundesfahndungsbehörde für Hippies, da die
Statistiken einen neuen Rekord an entlaufenen Jugendlichen verzeichnen.
2. 8.
Während einer Protestaktion gegen den rassistischen Film Africa Addio, in deren
Verlauf der Abbruch der Vorführung im Berliner Astor-Kino erzwungen wird, nimmt die
Polizei acht FU-Studenten fest. Eine vom SDS daraufhin für den 4. 8. angemeldete
Demonstration wird verboten. Als sich dennoch 1000 Studenten vor dem Kino versammeln,
versucht die Polizei sie abzudrängen und verhaftet dabei 43 afrikanische und deutsche
Studenten. Einen Tag später setzt der Filmverleih Africa Addio schließlich vom
Programm ab.
18. 8.
Nachdem das ZK der KP Chinas - am 12. 8. - beschlossen hatte, daß «man, wenn man gegen
den Imperialismus kämpfen will, auch gegen den modernen Revisionismus kämpfen muß»,
ziehen eine Million Rotgardisten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking an Mao
Tse-tung und Lin Piao vorüber. Auf demselben Platz versammeln sich zum 17. Jahrestag der
Gründung der Volksrepublik China anderthalb Millionen Menschen - am 1.10. - und feiern
die «Große proletarische Kulturrevolution».
1.9.
Frank Zappa und seine Mothers of Invention prägen mit ihrer LP Freak Out zugleich
den Slangausdruck für den jugendlichen Ausbrecher aus der Gesellschaft: freak. Als
er in den Bürgern des American Way of Life auch noch plastic people erkennt und
weitere «Geschmacklosigkeiten» verkündet, wird er von den US-Sendern systematisch
boykottiert. Das wertet andererseits sein Image als Underground-Sänger und Antistar so
beträchtlich auf, daß er sich desto besser vermarkten läßt: Auf seinem millionenfach
verbreiteten Klosettposter und LPs, von denen eine aus dem Jahre 1968 die selbstironische
Wahrheit auf dem Cover trägt: «We're only in it for the money.»
1.10.
In Frankfurt erscheint in der edition suhrkamp der 1965 in den USA herausgegebene Essay
Herbert Marcuses Repressive Toleranz zum erstenmal in deutscher Sprache. Die darin
enthaltene Sentenz, daß es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein
«Naturrecht auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die
gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben», beeinflußt das
Selbstverständnis des SDS nachdrücklich.
6. 10.
In der kalifornischen Stadt Oakland gründen Huey Newton und Bobby Seale die Black Panther
Party. Diese militante Organisation der Farbigen betrachtet die Großstadtgettos als
innere Kolonien der USA und will deren Einwohner mit Waffengewalt gegen Übergriffe
schützen, um dadurch das Selbstbewußtsein der Farbigen zu wecken.
7. 10.
Unerkannt kauft ein kahlgeschorener und bebrillter Herr auf seiner Durchreise in der
Frankfurter Kaiserstraße ein Tagebuch. Nach einer Zwischenlandung in Sao Paulo landet er
- am 3.11. - in der bolivianischen Hauptstadt La Paz. Im Dschungel stößt er zu einer
Partisanengruppe und kommentiert die folgenden Kämpfe als Che Guevara im Bolivianischen
Tagebuch.
21.10.
Der polnische Philosophieprofessor Leszek Kolakowski übt in Warschau scharfe Kritik an
der Bürokratie des Jugendverbandes und fordert die Freilassung von Kuron und Modzelewski.
Daraufhin wird er trotz zahlreicher Proteste von Kollegen, Studenten und Schriftstellern
aus der Partei ausgeschlossen.
26. 10.
Situationistische Studenten lösen den «Skandal von Straßburg» aus, als sie die
akademische Eröffnungsfeier mit einer Schrift «Über die Misere der Studenten»
entweihen, in der sie das Pseudorevolutionäre Treiben der Studentengewerkschaft UNEF als
bürokratisch und sektiererisch bloßstellen. Zuvor hatten sie schon das UNEF-Büro
vollständig mit schwarzer Farbe überzogen und die ganze Stadt mit marxistischen
Comicstrips überschwemmt.
30.10.
In Frankfurt findet der Kongreß «Notstand der Demokratie» statt, an dem über 5000
Studenten, Gewerkschafter, SPD-Mitglieder und Professoren teilnehmen. Nach zahlreichen
Diskussionen in sechs großen Foren sagt der Tübinger Philosoph Ernst Bloch auf der
Abschlußkundgebung: «Wir kommen zusammen, um den Anfängen zu wehren.»
1.11.
Der ungarische Philosophiestudent Miklos Haraszti wird wegen «maoistischer Umtriebe»
für ein Jahr von der Budapester Universität relegiert: Er hat in einem
Vietnam-Solidaritätskomitee neben Demonstrationen vor der amerikanischen Botschaft auch
kollektive Arbeitstage, sogenannte Vietnam-Subotniks organisiert, deren Erlöse nach Hanoi
geschickt wurden.
18.11.
Über 5000 Studenten und Schüler demonstrieren in München gegen eine Wahlversammlung der
NPD. Gegen die gleiche Partei demonstrieren - am 25.11. - in Köln 3000 Gewerkschafter,
Studenten und Schüler mit Transparenten wie «Tausend Jahre waren genug».
21.11.
Im Zentrum von Stockholm inszenieren Provos eine Schlacht zwischen «Kommunisten» und
«Kapitalisten», die jeweils an ihren roten und blauen Armbinden zu unterscheiden sind.
Als sich am Ende des Kampfes beide Gruppen mit je einer großen Bombe «umgebracht»
haben, stimmen die Umstehenden ein Lied von Bob Dylan an und legen einen Kranz «für die
Opfer des Atomkrieges» nieder. Die dadurch unter Passanten provozierte Diskussion wird
erst unterbrochen, als Polizisten die Provos abführen.
26.11.
In Berlin sprengt ein «Provisorisches Komitee zur Vorbereitung einer studentischen
Selbstorganisation» mit Mao-Abzeichen am Revers eine Diskussion zwischen FU-Studenten und
ihrem Rektor. Sie verlesen ein Flugblatt, in dem die Dozenten als «professorale
Fachidioten» und AStA-Vertreter der «Kollaboration mit den Autoritäten» bezichtigt
werden.
1.12.
Als es nach dem Rücktritt Bundeskanzler Erhards in Bonn zur Bildung einer «Großen
Koalition» zwischen CDU und SPD kommt, demonstrieren in mehreren Großstädten
SPD-Mitglieder, Gewerkschafter und Studenten gegen die Beteiligung der SPD an der
Koalition.
3.-10.12.
Im Verlauf einer von mehreren Hochschulgruppen durchgeführten Vietnam-Woche in Berlin
kommt es- am 6.12. - bei einer Parallelveranstaltung des RCDS mit dem südvietnamesischen
Botschafter zu Tumulten, in deren Verlauf der Botschafter schließlich den Saal
fluchtartig verlassen muß. Auf der Abschlußkundgebung der Vietnam-Woche - am 10.12. -
fordert das SDS-Mitglied Rudi Dutschke die 2000 Demonstranten zur Bildung einer
«Außerparlamentarischen Opposition» auf. Als Kommunarden im Anschluß daran ein
weihnachtspolitisches Happening veranstalten, auf dem unter den Klängen deutscher
Weihnachtslieder die Pappmache-Köpfe von Lyndon B. Johnson und Walter Ulbricht verbrannt
werden, greift die Polizei ein und verhaftet mehrere Demonstranten.
18.12.
Gegen die Taktik des Innensenators Heinrich Albertz, Demonstrationen in menschenleere
Stadtteile zu verlegen, führen mehrere hundert Studenten eine
«Spaziergänger-Demonstration» auf den Bürgersteigen des Berliner Kurfürstendamms
durch. Daraufhin verhaftet die Polizei insgesamt 90 von den Passanten, unter denen sich
auch Hausfrauen, Journalisten und Rudi Dutschke, mit einem Weihnachtspaket unter dem Arm,
befinden.
22.12.
In der CSSR wird der Student Jiri Müller aus dem staatlichen Jugendverband und vom
Studium ausgeschlossen, weil er zusammen mit anderen Kommilitonen versucht hat, die
bürokratische und zentristische Organisationsstruktur des Verbandes umzuändern.
1967
1.1.
Jane Adams, Mitglied des amerikanischen SDS, prägt in einem Aufsatz der Zeitschrift New
Left Notes mit dem Titel Für die Gleichberechtigung der Frau das Schlagwort
vom male chauvinism, dem männlich-sexistischen Chauvinismus.
1.1.
Nach einer längeren Vorbereitungsphase, der nach dem Anarchistenfilm von Louis Malle
benannten «Viva Marias-Phase, gründen Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel, Rainer Langhans
u. a. die Kommune I in Berlin-Charlottenburg. Schon am 3. 5. werden sie wegen «falscher
Unmittelbarkeit», «Überschätzung» und «Realitätsflucht» aus dem Berliner SDS
ausgeschlossen. Anlaß war unter anderen! die Aussage Kunzelmanns: «Was geht mich denn
Vietnam an - ich habe Orgasmusschwierigkeiten.»
13. l.
In Barcelona rufen Studentenvertreter den «Jahrestag des Protests gegen politische
Unterdrückung» aus. 1000 Studenten stürmen nach dem Teach-in das Gebäude der
korrupten, offiziellen Studentengewerkschaft, zertrümmern die Büroräume und werfen das
Mobiliar zum Fenster hinaus.
14. l.
Im Golden Gate Park von San Francisco veranstalten mehrere Rockgruppen der Westküste das
erste «Free Concert», bei dem kein Eintrittsgeld mehr verlangt wird.
26. l.
Vier Demonstranten werden auf dem Berliner Kurfürstendamm verhaftet, als sie gegen eine
Kranzniederlegung Bundeskanzler Kiesingers in der nationalsozialistischen
Hinrichtungsstätte Plötzensee demonstrieren. Kiesinger war im Dritten Reich Mitarbeiter
von Goebbels im Propagandaministerium.
26. l.
Bei einer Hausdurchsuchung des Berliner SDS-Büros beschlagnahmt die Politische Polizei
die Mitgliederkartei des SDS. Daraufhin finden - am 28. l. - vor- und nachmittags jeweils
zwei Demonstrationen mit 1200 und 2000 Teilnehmern gegen das Vorgehen der Polizei statt.
Der Schriftsteller Günter Grass trägt dabei ein Plakat mit der Aufschrift «Tausche
Grundgesetz gegen Bibel».
27.1.-3. 2.
Illegale spanische Studentenorganisationen führen einen Demonstrationszug durch, in
dessen Verlauf 700 Madrider Studenten vom Campus geprügelt werden. Als daraufhin sich am
Abend 100000 Arbeiter mit den Studenten solidarisieren, werden 200 Demonstranten bei den
anschließenden Kämpfen mit der Polizei verhaftet. Auch im übrigen Spanien bricht eine
Verhaftungswelle aus, bei der über 500 weitere politische Aktivisten inhaftiert werden.
Die Studenten reagieren mit Vorlesungsstreiks, Demonstrationen und illegalen Versammlungen
an nahezu allen spanischen Universitäten. In Valencia legen aus Solidarität 60000
Industriearbeiter und 2300 Eisenbahner ihre Arbeit nieder.
l. 2.-11. 2.
In Italien wird an allen Universitäten ein Generalstreik zur Durchführung einer
umfassenden Studienreform durchgeführt. Die 10000 Dozenten streiken - bis zum 4. 2. -,
die 400000 Studenten jedoch bleiben mit ihren Assistenten zusammen - bis zum 11. 2. - dem
Vorlesungsbetrieb fern.
11. 2.
In Frankfurt demonstrieren 800 Studenten gegen den Vietnam-Krieg. Als berittene Polizei
gegen einen Sitzstreik vor dem amerikanischen Generalkonsulat eingesetzt wird, ziehen die
Demonstranten ins Stadtzentrum und blockieren den Verkehr.
22. 2.
Münchener Studenten demonstrieren gegen die Erhöhung der Straßenbahntarife.
26. 3.
Beim erstmals in Berlin veranstalteten Ostermarsch der Kampagne für Abrüstung ziehen
3000 Demonstranten durch die Stadt. Als 150 von ihnen nach der Schlußkundgebung mit einer
Vietcong-Fahne zum Amerikahaus ziehen und die Fassade mit roten Farbbeuteln bewerfen,
werden drei Studenten festgenommen.
5. 4.
Berliner Polizei verhaftet elf Kommunarden, um ein «Puddingattentat» auf den
amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey zu verhindern. Bei dessen Empfang- am 6.4.
- in Schloß Charlottenburg demonstrieren daraufhin 2000 Studenten gegen den Vietnam-Krieg
der Amerikaner. Bei seiner Weiterfahrt zum Springer-Hochhaus werden die Cadillacs des
Fahrzeugkonvois mit Steinen und Flaschen bewor-fen; 24 Studenten werden dabei verhaftet.
12. 4.
Der amtierende Boxweltmeister im Schwergewicht, Muhammad Ali, weigert sich aus religiösen
und politischen Gründen, seiner Einberufung zum Militär Folge zu leisten. Die
Boxkommission erkennt ihm daraufhin den Titel ab und entzieht ihm die Boxlizenz; später
verurteilt ihn ein nur aus Weißen bestehendes Gericht zur Höchststrafe von fünf Jahren
Gefängnis, die er allerdings nicht antreten muß.
19. 4.
Gegen die Einleitung von Sanktionsmaßnahmen durch den Senat der FU protestieren 2000
Studenten mit einem nächtlichen Sit-in. Um Mitternacht läßt der Rektor die passiv
Sitzenbleibenden durch Polizei hinaustragen. Als daraufhin den beiden AStA-Vorsitzenden
wegen ihrer Teilnahme das Dienstverhältnis fristlos gekündigt wird, beschließt der
Konvent eine Urabstimmung, in der - am 9. 5. - den beiden Studentenschaftsvertretern mit
knapper Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen wird.
21.4.
In Griechenland findet unter Anführung des Obersten Papadopoulos ein Militärputsch
statt, der binnen kurzer Zeit die Form einer faschistischen Diktatur annimmt: Die
parlamentarischen Institutionen werden außer Kraft gesetzt, die Massenmedien unter
Kontrolle genommen und mehrere Tausend politischer Gefangener auf Inseln in
Konzentrationslagern festgehalten.
30. 4.
In Berlin findet die Gründungsversammlung des «Republikanischen Clubs» statt.
18.5.
Der Ministerrat der DDR lehnt eine Ausreisegenehmigung des Ost-Berliner Liedermachers Wolf
Biermann, der von den «Falken» zu einer Vietnam-Demonstration eingeladen worden war, ab.
22. 5.
Um gegen die bevorstehende Kürzung der Universitätsmittel zu protestieren, treten die
Studenten der Marburger Universität in einen zweitägigen Generalstreik.
24.5.
Nach einer Brandkatastrophe in einem Brüsseler Kaufhaus, bei der 300 Menschen ums Leben
kommen, verteilen Kommunarden an der Berliner FU ein Flugblatt mit der Aufschrift: «Wann
brennen die Berliner Kaufhäuser?» |