online
archiv
1998
Rubrik
Theorie & Debatte |
Krisis 10 (1991) PRETTY
WOMAN
von Johanna W. Stahlmann
Reflexionen ueber einen Kinobesuch oder warum dem Ueberdruss des Raffens
keine Renaissance des Schaffens folgt
Fuer Theoretiker und Theoretikerinnen haelt das Leben, neben der ihnen seit der
Romantik zugerechneten Einsamkeit, die von der Psychoszene um eine selbstverstaendliche
Sexualneurose ergaenzt wurde, auch einige Genuesse bereit, die fuer den Alltagsverstand
unerreichbar sind. Zentrales Gluecksmoment ist hierbei moeglicherweise die Aufhebung der
Trennung von Arbeit und Vergnuegen, dahingehend, dass fuer die Theoretikerin und ihren
Kollegen auch der Besuch eines Fussballspiels, das Durchblaettern der "Neuen
Revue" oder der Besuch eines Landgasthofs, durchaus nicht nur Unterhaltung und
Bauchbepinselung beinhalten, sondern im Sinne einer der Totalitaet und des Durchgehens
durch alle "Ebenen" verpflichteten Gesellschaftstheorie auch Anregungen,
empirisches Material fuer weitergehende theoretische Reflexionen zu liefern imstande sind.
Fuer Otto oder Ottilie Normalverbraucher dagegen ist seine/ihre Arbeitzeit bis zur
Absurditaet getrennt von seiner/ihrer Freizeit, erscheint ihm/ihr seine/ihre Arbeit als
Beruf und Geldquelle, alles ausserhalb ihrer als Vergnuegen (oder auch nicht) in Reinheit
- steht komplementaer zur Arbeit abstrakt die Freiheit abstrakt.
Selbstverstaendlich gibt es auch alltagsverstaendige Charaktermasken, wie etwa den
Feulletonisten oder Kulturkritiker (Diese Spezies als Theoretiker zu bezeichnen waere
angesichts ihrer inhaltlichen Verkommenheit ein allzu greulicher Euphemismus), die fuer
die Beschreibung "privater" Freuden und Leiden mit Geld entlohnt werden; gerade
dieser letztere Aspekt, die Entlohnung des kritischen Erfassens als beruflich beschraenkte
Selbstverstaendlichkeit, fuehrt aber zu psychischen wie inhaltlichen Verkarstungen, die
sich sowohl in der zum Satirestandard verkommenen Phrasenhaftigkeit der Kritiken, als auch
im aeusserlichen Zustand ihrer Subjekte plastisch darstellen.
Schaut man sich neuere Entwicklungen an, so nehmen die Berufssparten sogar zu, die
freizeitlich-vergnuegliches Interesse mit Arbeit verbinden, von der Mode-und
Geschmacksberaterin bis zum Werbefachmann mit kuenstlerischem Hintergrund. Doch faellt
schon auf den ersten Blick die inhaltliche Beschraenktheit auf das als Klientel zwanghafte
Konkurrenz - und Konsumsubjekt auf, so auf den zweiten das ungleich zwingendere
Hindurchmuessen durch das Nadeloehr des Geldes. Die Absolutheit dieses Zwanges setzt
sowohl dem Vergnuegen als auch der Arbeit enge Grenzen, laesst zudem beide in ihrer
Abstraktheit einander gegenueberstehen.
Das Glueck, sein Vergnuegen als Arbeit betrachten zu koennen und sich bei seiner Arbeit zu
vergnuegen, steht somit nur dem Theoretiker frei, in seiner Freiheit vom Zwang des Geldes.
In gewisser Weise ist es der Vorschein eines Absolutwerdens des Vergnuegens jenseits der
Arbeitsgesellschaft, wenngleich nicht abzustreiten ist, dass die Isolation dieses
Vorscheins im denkenden Subjekt jene zu Beginn geschilderte Verlassenheit gleichzeitig
beinhaltet. Auf die fundamentale Absurditaet, welche in der Tatsache liegt, dass sich die
Theorie gegenueber der Restgesellschaft in einem speziellen, berufsmaessigen Personenkreis
verselbstaendigt, wollen wir hier nicht eingehen.
Wenn im Folgenden also ein wenig vom Anekdotischen in die Sphaeren der Theorie geschwebt
wird, so ist dies der Sehnsucht nach Oeffentlichkeit geschuldet, in der sich das Leiden
der Theoretikerin ausdrueckt, ihr Glueck nicht mit Anderen teilen zu koennen.
Vom Theoretiker im Allgemeinen zu sprechen, erweist sich allerdings schon beim Einstieg
als fragwuerdig, da die Liebe zum Kino, speziell zur amerikanischen Schnulze, wie sie
dieses Essay voraussetzt, so gar nicht der gaengigen Typisierung entspricht. Doch wie es
schon Hegel ausdrueckt: "Es ist die Ohnmacht der Natur, die Begriffsbestimmungen nur
abstrakt zu erhalten und die Ausfuehrung des Besonderen aeusserer Bestimmbarkeit
auszusetzen". Hinzu kommt, dass zwischen jenen Archetypen, wie Hegel oder Marx, und
dem was heute zu potentiellen Theoretikern und Theoretikerinnen heranwaechst, eine
gesellschaftliche Entwicklung liegt, die an die Stelle einer Ausbildung mit Platon und
Euripides, eine mit dem Universalmedium des Fernsehens setzt. Serie und Spielfilm sind
Ersatz fuer Gedicht und Roman geworden, was nicht nur den Sprung in die theoretische
Auseinandersetzung vergroessert, sondern auch der Anstrengung der Phantasie Abbruch tut.
Zwingt jeder Roman, noch mehr die Poesie, zum Einsatz der Vorstellungskraft, sei er auch
noch so "realistisch", so suggeriert auch der phantastischste Film die
unmittelbare Realitaet des Dargebotenen, zeigt direkt was passiert. Bei regelmaessigen
Konsumenten geht dies soweit, dass, vor allem bei Alltagsserien, der Unterschied zwischen
Realitaet und Illusion verschwimmt, Ich und Nicht-Ich mit den jeweiligen Protagonisten
identifiziert werden. Das auf Zelluloid gebannte Drama vermittelt nicht mehr die
Distanziertheit des Subjekts von sich selbst, die dem Theater selbstverstaendlich ist. Dem
Medium Film gebricht es so ganz prinzipiell an Kuenstlichkeit. Es mag aber gerade jene
suggerierte Unmittelbarkeit sein, welche die Theoretikerin als "berufsmaessige"
Vermittlerin, durch ihr Anderssein so unsaeglich reizt.
Was nun in jenem Film, von dem hier die Rede sein soll, vorging war folgendes: verpackt in
schmelzende 50er Jahre- Musik, und mit der bei US-Schauspielern ueblichen Perfektion
praesentiert, wird uns ein gefuehlskalter, aber in seinem Inneren grundanstaendiger Raider
vorgestellt, der genauso, wie er Unternehmen nur uebernimmt, um sie auszuschlachten, also
Einzelteile profitabel zu verkaufen, und ihnen dabei die hierfuer notwendige
Kreditaufnahme zu ueberschreiben und so mit Null Eigeninvestition den groesstmoeglichen
Reibach zu machen, auch mit seinen Gefuehlen verfaehrt und Frauen nur vernutzt ohne
"wirkliche" Gefuehle zu investieren. Doch eine wunderschoene und zartfuehlende
Prostituierte, die er eben aus dem Grund aufgabelt, weil er meint, hier keine Gefuehle
investieren zu muessen, weckt schliesslich den schlummernden guten Menschen in ihm und
bringt ihn dazu, von seinem schmaehlichen Tun abzulassen Es ist eine nachgerade
wagnerische Erloesung des ungluecklichen Raffers durch Pretty Kundry, die sich hier
anbahnt, jedoch zum Schluss in greulicher Biedernis versinkt. In der Schlusssequenz bietet
er einem zur Uebernahme anstehenden, in Ehren ergrauten Ben-Cartwright-Kapitalisten die
Hand zum gemeinsamen Aufbau eines wirklich produktiven und sinnvollen Unternehmens (Onkel
Ben produziert unter anderem Schiffe fuer die Regierung, was einen grausamen Verdacht
aufkeimen laesst) und verspricht seiner "Pretty woman" die Ehe. Aus dem
raffenden Profitgeier mit verkorkstem Gefuehlshaushalt ist ein schaffender Tatmensch
geworden, der sogar noch seine Herzdame dazu erzieht, sich anstaendig anzuziehen.
Aschenputtel dagegen hat nun genuegend Kohle, sich soviel Klammotten zu kaufen, wie es
will. Traenen gab es ob dieser ruehrenden Story im Kino nur wenige, wohnt doch in des
Buergers Brust meist eine Seele zu viel - und empfindet die gute Seele auch problemlos die
Glueckseeligkeit von Schaffen und Lieben nach, so wird die boese Seele sich wohl doch
fragen, ob der Kerl nicht eine geniale Methode des Geldmachens hatte, und ob dem Grauen
einer anstaendigen amerikanischen Vorstadtkleinfamilie nicht doch die Rolle der
ungebundenen Monade vorzuziehen sei. Einige werden es wohl auch als Anachronismus
empfunden haben, wie ungebrochen hier industrielle Produktion als gute Tat betrachtet
wird, wo doch gerade in den letzten Jahrzehnten deren In-Frage-Stellen zur ideologischen
Mode geworden ist, und dies angesichts der oekologischen und sozialen Folgen nicht zu
Unrecht. Wir werden noch darauf zurueckkommen, dass jenes suggerierte Glueck heute das
Schmunzeln der Beliebigkeit zeigt, wobei es gleichgueltig ist, ob bewusst oder unbewusst;
doch stellen wir jenen Topos des raffenden und schaffenden Kapitals, der uns hier am guten
Prinzen vorgefuehrt wird, zunaechst einmal in eine andere Zeit, wo er eine andere
Attituede traegt.
1.
Wenn so ganz ungezwungen schaffendes gegen raffendes Kapital ausgespielt wird, so bietet
sich als erste und bekannteste Assoziation natuerlich die faschistische Ideologie an, die
diesen Widerspruch als ideologische Waffe mit nicht geringem Erfolg benutzte und sich
damit sogar als, wenn auch rechter Kritiker von Geld und Kapital, im Bewusstsein sowohl
der Alltagsmenschen als auch der Ideologen etablieren konnte. Die Kritik des Geldes als
Spekulationsobjekt ist jedoch weit aelter.
Mit seiner Entstehung produziert der Kapitalismus auch seine immanenten Kritiker, die im
Laufe seiner Entwicklung alle seine Widersprueche und Absurditaeten aufdroeseln und
anprangern, ohne jedoch in der Lage zu sein, die Vermittlung und Aufhebung der einzelnen
Momente zu vollziehen. Die Schmaehung des raffenden Kapitals ist dabei weder die neueste,
noch die originellste Variante. Als Kritik der Spekulation kann sie allerdings erst
entstehen, wenn diese bereits einen gewissen Entfaltungsgrad erreicht hat und zur
Verherrlichung der Industrie bedarf es gruenderzeitlichen Pioniergeistes. Noch die
Romantik ist in ihrer Kritik viel allgemeiner und diffuser, indem sie die Abstraktion als
solches angreift und eine ebenso diffuse Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur,
nach Unmittelbarkeit gegenueber den Vermittlungszwaengen von Geld und Rationalismus
geltend macht. Sie sucht deshalb ihre Ideale in einer imaginaeren Vergangenheit, in der
der Mensch dem Menschen und der Natur angeblich naeher stand, ohne Dazwischenkunft von
Geld, Recht, Abstraktion. Mit dem "Schaffen um des Schaffens willen" kann sich
der Romantiker so gar nicht anfreunden:
"Wie unvermoegend ist doch der gutwilligste Fleiss der Menschen gegen die Allmacht
der Begeisterung."
Hoelderlin/Hyperion
Die Hilflosigkeit dieser diffusen Sehnsucht als Kritik liegt in ihrer Projektion auf die
Vergangenheit und ihrem Apell an die blosse Freisetzung von Gefuehlen. Sie kann damit zwar
leicht Sympathien gewinnen, aber schwerlich Konsequenzen zeitigen.
Unser Thema kam erst einige Jahrzehnte spaeter auf, in der Zeit der Eisenbahnen und
Bankenkraeche, in der auch die Spezialisierung der Kritik weiter fortgeschritten war - die
Kritiker waren nun nicht mehr Universalisten, sondern Empiriker, von der
"Weltentruecktheit" zur Kritik bestimmter Missstaende fortgeschritten. War eines
der Lieblingsthemen der romantischen Malerei die Ruine, als Inbegriff der schmerzlichen
Sehnsucht nach vergangenen Zeiten gewesen, so wurde nun "Auferstanden aus
Ruinen". Die in jener dem Aufstreben so zugewandten und fortschrittsglaeubigen Zeit
sich geltend machende Kritik musste nun zur Funktion werden, Missstaende anprangern und
damit selbst dem Fortschritt zutragen. Sie konnte nicht mehr fern der Welt stehen.
Allgemeiner wird die Kritik lediglich da, wo auch die Missstaende ein weites Ausmass
annehmen, wie eben in jenen Boersen- und Bankenkrisen der 60er Jahre.
Die Menschen als Geldmonaden waren Thema Balzacs, die Spezialisierung und Zuspitzung der
Analyse lieferte Zola, der in der Untersuchung des Widerspruchs von raffendem und
schaffendem Kapital als erstes Beispiel herhalten soll. Wir muessen ihn jedoch gleich zu
Beginn in Schutz nehmen gegen Ideologen wie Ernest Mandel, der Zolas Boersenroman
"Das Geld" ausschlachtet als Agit-Prop-Geschreibsel gegen betruegerische
Spekulanten und damit die Dimension von Literatur ueberhaupt wegsprengt. Denn Zola geht es
natuerlich in seinem Roman nicht um die Verdammung seines Hauptprotagonisten Saccard als
zynischem Boesewicht; Literatur ist ueberhaupt niemals Kritik in diesem ideologischen
Sinne. Im Roman geht es darum, den Zeitgeist eben dieser Industrialisierungsepoche auf den
Punkt zu bringen; die Leistung eines Schriftstellers besteht eben darin, sowohl von der
Person seiner Protagonisten abstrahieren zu koennen, sie quasi-objektiv darzustellen, als
auch sich gleichzeitig in sie hineinzuversetzen. So werden Saccards Motive so weit als
moeglich und vor allem in ihrer Ambivalenz analysiert, bis hin zur Ursache seines
Scheiterns, dass er sich auf Dauer als zu phantasievoll und implusiv fuer die Kaelte und
Trockenheit des Geldgeschaefts erweist. In ihm spitzt sich aber auch der analysierte
Zeitgeistwiderspruch von raffendem und schaffendem Kapital bis ins Extrem zu, indem er
einerseits derjenige ist, der die Spekulation als Selbstzweck bis zum Irrationalen
anheizt, zudem aber seine letzte Sehnsucht darein legt, die guten Werke der Fuerstin
d'Orviedo zu unterstuetzen, ihre Sozialinstitution "Werk der Arbeit"(auch das
fuer moderne Ohren eher ein makaberer Witz), was ihm verwehrt bleibt.
Um nun naeher zu dem uns interessierenden Teil des Inhalts zu kommen, sei folgende kurze
Einfuehrung gegeben. Die Spekulationswelle um die es sich im Roman, sowie in der Realitaet
des Jahres 1866 handelt, hatte einen durchaus stofflichen Hintergrund; sie war notwendig,
um die Kapitalmassen zur industriellen Erschliessung, des Aufbaus der Infrastruktur, sowie
vor allem des Eisenbahnbaus zur Verfuegung zu stellen. Ziel der Protagonisten von Zolas
Roman ist die Gruendung einer riesigen Handelsgesellschaft zur Erschliessung des Nahen
Ostens, eine Aufgabe, die durch die Brille der eigentlich positiven Helden, des Ingeneurs
Hamelin und seiner Schwester Caroline in fuer heutige Augen laecherlich romantisierenden
Farben geschildert wird:
"Aber vor allem entwarf er ein sehr farbiges Bild von der abgelegenen Schlucht im
Karmel, wo der Abbau der Silbererzvorkommen im vollen Gange war. Der wilde Ort wurde
menschlich, in der Naehe des Bergwerks war schon ein ganzes Dorf erbaut worden, der Beginn
einer Stadt die wachsen sollte, solange die Erzgaenge fuendig blieben... Von frueh bis
spaet brummten die Foerdermaschinen, rumpelten Karren unter schallendem Peitschenknall
ueber die Wege, sangen Frauen, spielten und schrien Kinder in dieser Einoede, in dieser
Todesstille, wo frueher nur der langsame Fluegelschlag der Adler zu hoeren gewesen
war"(Zola 1977, S. 326f).
Eine derartige Romantisierung von Dingen wie Bergwerken, brummenden Foerdermaschinen, und
schallendem Peitschenknall kann nur in dieser Epoche einer beginnenden Industrialisierung
gelingen, bei den Romantikern haette sie Entsetzen ausgeloest, bei den aufgeklaerten
Konsummonaden Ende des 20sten Jahrhunderts wuerde sie bestenfalls als interessante
Absurditaet durchgehen, Anklang hoechstens bei Freunden des Realsozialismus finden (dass
Zola nicht subjektiv Bergwerksromantisierer ist, sondern wieder nur den Zeitgeist
einfaengt, zeigt sein Roman Germinal). Der Raider aus unserem Film haette eine solche
Schilderung jedoch kaum zum Einsatz bringen duerfen. Die Ideologie des
"Etwas-Schaffens" hat dennoch ueberlebt als Vorstellung vom Tatmenschen, der
scheinbar Konkretes, Praktisches tut, nicht nur mit Abstraktionen hantiert, wenn diese
Illusion in der modernen Gesellschaft, in der das eigentliche Schaffen mehr und mehr
Maschinentaetigkeit ist, auch bis zur Laecherlichkeit surreal wird. So etwa, wenn
Versicherungsmakler einen Vertragsabschluss als Produktion bezeichnen, womoeglich um ihm
den Heiligenschein des lebendigen Schaffens zu verleihen.
Erst hier zeigt sich natuerlich mit Notwendigkeit, dass der scheinbare Widerspruch von
raffendem und schaffendem Kapital voellig falsch angelegt ist, indem in ihm die
Oberflaechenabstraktion Geld um des Geldes willen kritisiert, ihre soziale Grundlage aber,
Arbeiten um des Arbeitens willen, zur positiven Konkretheit erhoben wird. Weiter als bis
zu dem Punkt, an dem nun das stoffliche Abstraktwerden (als Enteignung von Faehigkeiten)
dieser fetischistischen Arbeit kritisiert wird, kann diese Kritik nicht kommen. Aber auch
in diesem weitestgehenden Fall ergibt sich daraus nur die Forderung nach dem Erhalt des
schaffenden Arbeiters. Dieser und sein lebendiger Arbeitsprozess werden der Verdinglichung
im Geld gegenuebergestellt, dabei gaenzlich vergessend, dass es eben jenes Verhaeltnis
abstrakter Wertproduktion ist, welches die lebendige Arbeit in tote Arbeit verwandelt und
dadurch notwendig das Geld als Darstellungsform eines verdinglichten Verhaeltnisses
hervorbringt. Dieses verdinglichte Verhaeltnis abstrakter Produzenten nicht erkannt, wird
so entweder das Geld als dingliche Inkarnation kritisiert oder das empirische
Abstraktwerden der lebendigen Arbeit. Im letzteren Fall geht die Konsequenz in Richtung
Produktivkraftkritik oder dem Versuch die verbliebenen Qualifikationen des abstrakten
Arbeiters zu erhalten; im ersteren Fall geht die Stossrichtung, wie wir noch zeigen
werden, auf Personifikation aus, da das Ding Geld an sich neutral, nicht schuldfaehig ist,
es sei denn es wird zum mystischen Gegenstand erklaert. Etwas von diesem Mythos haftet dem
vertrakten Geld auch bei Zola an, einfach weil alle persoenlichen Schuldzuweisungen nicht
funktionieren, im allgemeinen Gaerungsprozess der tragisch verstrickten abstrakten
Individuen ihre Rechtfertigung finden. Die Kritik der Produktivkraft kann aber in seiner
Zeit noch ueberhaupt nicht auf der Tagesordnung stehen und auch vom Schriftsteller nicht
antizipiert werden. Wie wir gesehen haben, scheint das Bewusstsein vom geraden Gegenteil
dominiert zu sein.
In Zolas Zeit hat die Verherrlichung der Industrie ihre einfache und durchaus rationelle
Ursache in der im grossen Umfang beginnenden Industrialisierung, in der Notwendigkeit
sowohl der Affirmation des abstrakten Produktivismus, als auch der abstrakten Arbeit. Das
Geld darf dazu nur Mittel sein, das spekulative Geld oder fiktive Aktienkapital nur Mittel
im erweiterten Sinne zur Ausdehnung der Groessenverhaeltnisse im Allgemeinen, und der dazu
notwendigen Infrastruktur im Besonderen. Geld als Selbstzweck waere nur als Betrug
denkbar:
"Da gewann Frau Caroline ploetzlich die Ueberzeugung, dass das Geld der Misthaufen
war, auf dem diese Menschheit von Morgen wuchs... das Vergiftende zerstoererische Geld
wurde zum Gaerstoff jeglichen sozialen Wachstums"(Zola 1977, S. 328f).
Jede darueber hinausgehende Spekulation aber faellt dem Verdikt der guten, der
buergerlichen Seelen anheim. So kaempfen Hamelin und Caroline (die Frau wird in der dummen
Arroganz des Literaten immer nur mit Vornahmen erwaehnt, wie bei Liebknecht und Rosa)
bestaendig, und von staendigen moralischen Skrupeln gequaelt, gegen die Spekulationswut
Saccards an. Denn letztlich ist ihnen das Geld ein Greuel, eine obskure Macht, welche sich
nicht einfach auf ein Mittel reduzieren laesst, sondern schliesslich auch die
"gute" stoffliche Entwicklung mit in den Abgrund ziehen muss, vor allem aber
fuer eine Modernisierung steht, die nicht nur stoffliche Entfaltung und damit menschliche
Erleichterung beinhaltet, sondern die Zersetzung der ueberkommenen Strukturen mit sich
bringt.
"In diesen lautlosen, feigen Geldschlachten, wo man die Schwachen geraeuschlos
niedermetzelt, gibt es keine Bindungen, keine Verwandschaft und keine Freundschaft mehr:
es herrscht das graessliche Gesetz der Starken, die fressen um nicht gefressen zu
werden"(Zola 1977 S.467).
Diese Kritik des Geldes oder hier spezieller, des raffenden Kapitals, also des Geldes als
Selbstzweck, fuehrt prinzipiell eine Zuspitzung mit sich, die schlaglichtartig die
Bedeutung scheinbar theoretischer Spitzfindigkeiten anzeigt: indem die Analyse nicht bis
auf den Funktionsmechanismus des Geldes und den Wert als automatisches Subjekt, als
verdinglichtes soziales Verhaeltnis zurueckgefuehrt wird, sondern die Protagonisten einer
sozialen Situation fuer sich selbst, als letzthinniger Grund angenommen werden, kann die
Konsequenz nur Personifikation von Schuld sein. Ohne es theoretisch zu wissen kann dies
Zola an seinem Hauptprotagonisten bildhaft zeigen. Wie der Marxist Mandel in Saccard oder
allen Spekulanten und Kapitalisten die Inkarnation des Boesen sieht, so hat auch Saccard
selbst sein personifiziertes Boeses - die juedischen Bankiers:
"Aber das Sonderbare war, dass er, Saccard, dieser schreckliche Geschaeftemacher,
dieser Henker des Geldes mit den schmutzigen Haenden, jede Selbstbesinnung verlor, sobald
es sich um einen Juden handelte; er sprach dann von Seinesgleichen mit einer Schaerfe, mit
der racheduerstigen Empoerung eines ehrlichen Menschen, der von seiner Haende Arbeit lebt
und an jeglicher Art von Wuchergeschaeften nicht teilhat"(Zola 1977 S.128f).
Das Reizvolle an dieser Stelle ist, dass Saccard hier seine eigene boese Seele in eine
andere Person, in den Juden, inkarniert, die Absurditaet jeglicher Personifikation von
Funktionsmechanismen wird genial aufgezeigt. Ueber Zola hinaus sollten wir aber
festhalten, dass die eigentliche Schizophrenie darin liegt, die Wertabstraktion im Begriff
des schaffenden Kapitals zu affirmieren und zugleich Auswuechse des Geldraffens
kritisieren zu wollen, was die Ideologie letzlich in den Ausweg der Personifikation
treibt. Dass letztlich "die Juden" dafuer herhalten muessen, hat historische
Ursachen; jedenfalls werden sie zum festen Bestandteil der Ideologie des raffenden
Kapitals.
Zolas kleiner Kosmos des buergerliche Bewusstseins wird abgeschlossen, mit der tragischen
Figur des Sigismond, der in einer abstrusen Mischung aus Romantik und Positivismus die
Abschaffung des Geldes vertritt:
"Der Wert des Geldes nimmt also ab, warum sollte das Geld nicht ganz verschwinden,
warum sollte nicht eine neue Vermoegensform die gesellschaftlichen Beziehungen
regeln"(Zola 1977 S.420).
Dass schliesslich er selbst an Schwindsucht stirbt, und nicht das Geld, ist nur
konsequent, da die Potenzen des Geldes zu seiner Zeit noch lange nicht ausgereizt sind.
Dass sein Bruder der uebelste Wucherer ist und alle seine Liebe auf ihn projiziert, weist
wiederum auf die gute und die boese buergerliche Seele hin. Der Raffer rafft und ernaehrt
dabei seinen schaerfsten Kritiker, weil dieser seine Sehnsucht nach dem
"Nichtmehrraffenmuessen" verkoerpert. Der Geldkritiker gilt als edlster
Charakter unter allen Charaktermasken, von all den Raffern mit Ehrfurcht betrachtet.
2.
Vom kleinen Kosmos den uns Zola bietet, muessen wir nun fortschreiten in flachere und
schmalere Sphaeren, in die Epoche der entfalteten Industrialisierung, die auch die
Fordistische genannt wird, nach ihrem beruehmtesten Unternehmer und Ideologen - Henry
Ford. Dieser hat sein Credo fuer die ihm nachfolgende Epoche hinterlassen, rhetorisch dick
aufgetragen, stilistisch duerr, mit dem Pathos eines evangelischen Geistlichen, aber im
Zuspitzen des Zeitgeistes Zola kaum nachstehend, nur dass er sich selbst Protagonist ist,
zudem die primitive Ideologie vom raffenden und schaffenden Kapital in Reinkultur
vertritt. Viel deutlicher und einseitiger kristallisiert sich bei ihm die Affirmation der
abstrakten Arbeit heraus, der Arbeit als Naturprinzip, die Inbegriff allen menschlichen
Handelns ist:
"Es ist natuerlich zu arbeiten und anzuerkennen, dass Glueck und Wohlstand sich nur
durch ehrliche Arbeit gewinnen lassen... Ich habe nichts zu bieten, was ueber die
rueckhaltlose Anerkennung dieses Naturprinzips hinausgeht"(Ford 1923 S.3).
"Freiheit ist das Recht eine angemessene Zeit zu arbeiten"(S.5).
"Dagegen vermag die Arbeit, Arbeit ganz allein, Gueter zu schaffen"(S.9).
"Das wirtschaftliche Grundprinzip ist die Arbeit. Die Arbeit ist das menschliche
Element, das sich die fruchttragenden Gezeiten der Erde zu Nutze macht"(S.10).
"die Zivilisation hat keinen Platz fuer die Muessiggaenger"(S.15).
Das schaffende Prinzip wird hier in all seiner Abstraktheit als Arbeiten um des Arbeitens
willen hervorgepredigt in wahrhaft rosenkranzbetender Wiederholung und wird zur Grundlage
einer Epoche in der Arbeiten per se etwas Positives ist, ohne Ansicht ihrer Zwecke und
Zusammenhaenge. Was sich also zunaechst wie seniles Gefasel eines Pfaffen anhoert,
schlaegt durch bis in die heutige Zeit, in der das Erhalten von Arbeitsplaetzen immer noch
als Rechtfertigung fuer den groessten Schwachsinn herhaelt. Henry Ford hat dies in der dem
Arbeitsidiotismus entsprechenden Einfachheit ausgedrueckt.
Arbeit, Produktion - das waren Henrys Goetter und die nach ihm benannte Epoche tat es. Und
auch das Geld, das mit Arbeit und Produktion verdient wird kritisierte er nicht, denn wer
die Werte schafft darf auch den Rahm abschoepfen - ganz anders dagegen die Spekulanten,
die abschoepfen, was andere schufen:
"Die Spekulation in bereits produzierten Dingen hat dagegen nichts mit Geschaeften zu
tun - sie bedeutet nicht mehr und nicht weniger als eine angesehenere Form von
Diebstahl"(Ford 1923 S.8).
Wie selbstverstaendlich trifft Henry hier den Punkt, dass es der geschaffene Wert ist der
zaehlt, die Verdopplung der Werte durch Spekulation mit bereits produzierten Dingen,
Werten, unproduktiv, und damit vom Standpunkt des Kapitals aus verwerflich ist. Doch hat
die Ideologie des raffenden und schaffenden Kapitals mehrere Implikationen. Da ist
natuerlich zunaechst der eben genannte rationale Kern, dass es das schaffende Kapital ist,
welches den kapitalistischen, also wertmaessigen Reichtum schafft, waehrend die sich
darueber erhebende Ebene des fiktiven Kapitals nur eine scheinbare Verdopplung darstellt,
nicht real die Reichtumspotenzen erweitert.
Die Betonung des schaffenden Prinzips, der Arbeit um der Arbeit willen, hat aber noch den
weiteren Sinn als Ideologie einer expansiven Ausdehnung der kapitalistischen Produktion
und der damit verbundenen Notwendigkeit, Arbeitskraft in Massen einzusaugen, ohne dass
damit ein selbstverstaendliches Prestige verbunden waere, etwa vergleichbar dem eines
Kunsthandwerkers oder eines Arztes etc. Dem von vorneherein auf nicht sehr qualitativen
Niveau taetigen Fabrikarbeiter, musste das Arbeiten als solches als Wert an sich verkauft
werden, indem ihm die vereinzelte "Depperlestaetigkeit" des Drehers oder
Schlossers als besondere Qualifikation verkauft wurde. Zudem musste klar sein, dass dem
Wert an sich, Arbeit, auch der entsprechende Wert an Gegenleistung geliefert wurde.
"Wer schwer arbeitet dem gebuehrt ein bequemer Stuhl, ein behagliches Heim und eine
angenehme Umgebung. Sie sind sein gutes Recht. Aber niemandem gebuehrt die Musse, der
nicht zuvor seine Arbeit verrichtet hat"(Ford 1923 S.324).
Dem Abstraktum Arbeit steht das Abstraktum Genuss als Gegenleistung gegenueber, ihm wird
geboten was dem Wert seiner Leistung entspricht - abgesehen vielleicht von ein bisschen
Mehrwert fuer Henry. Dass der prinzipiell qualitaetslosen Arbeit sich entsprechend krude
Genuesse gegenueberstellen, naemlich Fressen, Ficken, Fernsehen, wobei zweiteres im Laufe
der Geschichte von Henry's Produkt, dem Massenauto abgeloest wird, duerfte klar sein.
Jeder kriegt was er gibt! Aber was kriegt der, der nichts leistet?
"Hat er nichts an die Allgemeinheit entrichtet, so hat er von ihr auch nichts zu
fordern. Die Freiheit zu verhungern bleibe ihm unbenommen"(Ford 1923 S.12).
Fuer einen Zola und auch die Industrieromantiker in seinem Roman waere eine derartige
Brutalitaet, noch undenkbar gewesen. Es ist tatsaechlich erst der Fordismus, der das
Zwangsarbeitsprinzip bei Geldentzugsstrafe durchsetzt und so ins Alltagsbewusstsein
versteinert, dass es schliesslich zur Schande wird nicht zu arbeiten, sei man nun Bettler
oder Spekulant; jegliches nichtarbeitende Einkommen erscheint als Betrug, Betrug an der
Wertschoepfung. Die Verinnerlichung dieses Denkprinzips ist allerdings nicht als
Indoktrination durch Ideologen zu verstehen, sondern entsteht in erster Linie als
Selbstschutz der abstrakten Arbeitsmonade, die ihre eigene dequalifizierte Taetigkeit vor
sich rechtfertigen muss. Dieser psychologische Mechanismus geht oft bis zur Absurditaet,
wenn auch der letzte Maschinenhandlanger noch mit proletenstolz geschwellter Brust von
seinem Fleiss und seinen Faehigkeiten schwadroniert. Die Ideologie des schaffenden
Kapitals trifft so in ihrer Epoche auf einen vorgefurchten Boden und kann reiche Fruechte
tragen.
Gleichzeitig geht aber noch eine weitergehende Faszination von der Verteufelung des
raffenden Spekulanten aus, da sich in ihm die Abstraktion der Wertvergesellschaftung in
ihrer ausgepraegten Oberflaechenform, dem Geld, personifizieren laesst. Waehrend die
Arbeit als konkrete Taetigkeit betrachtet wird, durch welche eben nicht nur Wert, Geld,
Profit, sondern auch reale fassbare Dinge geschaffen werden (wie fragwuerdig deren Nutzen
in der Realitaet als totaler auch immer sein mag), erscheint das Geld als Aeusserliches,
Fremdes, Abstraktes, das sich zwischen die Menschen schiebt, so wie es auch schon Romantik
und Lebensphilosophie betrachtet hatten. Doch ist die Ideologie des raffenden Kapitals,
wie wir bereits gefunden haben, ungleich moderner als die abstrakt-romantische Geldkritik;
sie kann naemlich durchaus unterscheiden zwischen dem wohlverdienten Salaer, der guten
Abstraktion fuer gute Arbeit, und dem spekulativen Geld, welches zum Selbstzweck wird und
dadurch schon an der Oberflaeche als Abstraktion sichtbar ist. Der Hass gegen die
Abstraktion, der sich eigentlich gegen die eigenen abstrakten Arbeits- und
Lebensverhaeltnisse richten sollte, also selbstkritisch gegen die eigene Existenz als
abstrakte Indivivualitaet, kann sich, auch im Sinne des oben genannten Selbstschutzes, nur
gegen Andere oder Anderes richten, wobei die abstrakte Geldkritik der Romantik sich hier
als weniger durchschlagskraefitg erweist, als die Personifikation des raffenden Prinzips
im raffenden Spekulanten, "genauer" bestimmt - im Juden. Man braucht schon fast
nicht mehr dazuzusagen, dass auch unser lieber Henry sich nicht gewisser Tiraden gegen
jene Religion und ihre Bank- und Pressemaechtigen enthalten kann. Sein Herausgeber Kurt
Thesing bringt dies 1923 treffend auf den Punkt:
"Sein Kampf gilt nicht dem einzelnen Juden, noch der juedischen Rasse, sondern nur
gewissen sozialen und politischen Erscheinungen. Er haelt es fuer eine Gefahr, dass die
Banken und die Presse Amerikas zum groessten Teil in juedischen Haenden sind"(Ford
1923 Vorwort S.VII).
Sein Kampf richtet sich nicht gegen Juden als Menschen, aber gegen Juden als Inbegriff des
raffenden Kapitals, des Verbrechens mit geschaffenen Werten zu spekulieren, als
Personifikation jener Oberflaechenabstraktion des Geldes als Selbstzweck und nicht als
adaequater Entlohnung fuer abstrakte Arbeit.
3.
Die Affirmation des werteschaffenden Arbeiters gegen das Geldraffen als Selbstzweck wurde
zur radikalen Ideologie allerdings nur in jenen Laendern, die ihr auf Grund gewisser
Rueckstaendigkeiten in ihrer kapitalistischen Entwicklung, groesseren Nachdruck verleihen
mussten. In der Sowjetunion wurde das Prinzip des Schaffens zum Kampfschrei fuer die
Treibjagd in die Fabriken, fuer die treibhausmaessige Entwicklung eines
Industrieproletariats als Grundlage fuer eine entfaltete Wertvergesellschaftung. In dieser
ideologischen Abart wurden allerdings auch die Fords als Nicht-Werteschaffer entlarvt und
demgemaess den Raffern zugeschlagen, aus der Notwendigkeit einer geplanten Nachholung
heraus. In reinerer Form sollte Henry's Ideale der deutsche Faschismus verwirklichen, der
zwar nicht unbedingt das Recht zu Verhungern durchsetzen konnte, sich vielmehr sogar zur
Einfuehrung gewisser Sozialnetze gezwungen sah, aber die Entlohnung abstrakter Arbeit mit
gerechtem Konsum auf ihre eigentliche fordistische Spitze trieb, mit dem Slogan:
"Jedem Deutschen ein Auto." Der fordistische Nachholungsmotor Faschismus,
schaffte so auf Grund des Zwangs zur ideologischen und praktischen Aggressivitaet, durch
einen mangelhaft vorgefurchten Boden, eine viel konsequentere Verwirklichung der Ideologie
des raffenden und schaffenden Kapitals, als sie die fordistische Arbeitsgesellschaft unter
normalen Bedingungen schaffen kann.
Das schaffende Prinzip als Mittelpunkt nationalsozialistischer Ideologie braucht nicht
erst lange nachgewiesen zu werden; nur zwecks der Anschaulichkeit und des Bezugspunkts
hier ein paar Zitate:
"Der Nationalsozialismus stellt den Arbeiter und den Bauern, den Handwerker und den
Angestellten, mit einem Wort, alle schaffenden Deutschen in den Mittelpunkt seines Denkens
und Handelns und damit in den Mittelpunkt seines Staates, und den Raffenden und den Bonzen
macht er unschaedlich"(Robert Ley 1933 Zit.n. Hofer 1957 S.60).
oder
"Erste Pflicht jedes Staatsbuergers muss es sein, geistig oder koerperlich zu
schaffen... darum fordern wir. Abschaffung des Arbeits- und muehelosen Einkommens,
Brechung der Zinsknechtschaft..... Die Partei bekaempft den juedisch-materialistischen
Geist"(Programm der NSDAP 1920 Zit.n. Hofer 1957 p 29).
Die Weihe der Arbeit als hoeherer Wert und als wertschaffend, die Arbeit als a priori des
Menschseins, als Abstraktum, welches jeder qualitativen Bestimmung vorausgesetzt wird, das
ist der gleiche Inhalt den wir bei Ford fanden, nur dass die Zuspitzungen noch deutlicher
sind, noch mehr im Alltagsbewusstsein Boden finden koennen, weil sie die politischen
Konsequenzen beinhalten. Die Ausstrahlungskraft dieser Ideologie ist einleuchtend: sie
greift die Abstraktion des Geldes als Selbstzweck, des arbeitslosen Einkommens, der
Zinsknechschaft an, fordert ganz praktisch deren Abschaffung, geht aber nicht wie die
Lebensphilosophie fort zur Kritik der Abstraktion als solcher, was fuer das
Alltagsbewusstsein nicht nachvollziehbar waere, nicht unmittelbar und praktisch bleibt.
Was sie den abstrakten Individuen aber laesst, ist ihre abstrakte Arbeit, deren Schalheit
nicht auch noch unter ihren Fuessen weggezogen wird, sondern eine hoehere ideologische
Weihe erhaelt. Hier leuchtet die Gemeinsamkeit mit der Lebensphilosophie auf, die
zumindest ideologisch den Boden bereitete: Geld, Recht und Rationalismus als
menschenferne, aeusserliche Abstrakta, die unmittelbare Arbeit, das Alltagsleben, das
Gefuehl als Konkretionen, die der Abstraktheit entgegenstehen und affirmiert werden.
Die faschistische Ideologie, ebenso wie die marxistische oder auch die Lebensphilosophie,
laesst als buergerliche die Kritik der abstrakten Arbeit aussen vor, kann nicht das
Fundament ihrer eigenen Existenz einreissen; sie ist aber durchaus in der Lage an die
Leiden der Monaden unter der Abstraktion des Werts, an die romantische Sehnsucht nach
unmittelbaren Beziehungen, grossen Gefuehlen, Naturzusammenhang, anzuknuepfen. Hier liegt
eine der Schwaechen des Marxismus gegenueber dem Faschismus: waehrend die
"Kommunisten" sich bloss auf die Arbeiterfaust, das werteschaffende Prinzip als
Inbegriff des Konkreten, Wirklichen beziehen koennen, damit ganz den Notwendigkeiten der
sowjetischen Entwicklung angedienert, kann die Rechte all die scheinkonkreten Emotionen,
vaterlandischen Gefuehle, Naturmystik, scheinbar feste, unmittelbare Bindungen gegen die
Zumutung der Abstraktionen der Wertvergesellschaftung, ins Feld fuehren. Zudem ist der
Faschismus in der Lage all diese Zumutungen im "geldraffenden, materialistischen,
arbeitsscheuen" Juden zu personifizieren und damit die adaequate Form fuer das
Alltagsbewusstsein zu finden, wobei er auf uralte Vorurteile zurueckgreifen kann.
Falsch waere es nun aber zu behaupten, der Faschismus sei damit in seiner Kritik etwa
konsequenter gewesen als die Arbeiterbewegung, habe sie durch seine "Geldkritik"
und seine Kritik am Abstraktwerden der Welt links ueberholt. Ueberhaupt arbeiten all die
hier behandelten Ideologien in ihrer Kritik der Geldabstraktion mit puren
Scheinkonkretionen und koennen damit kaum als mehr oder weniger revolutionaer eingestuft
werden. Die gemeinsame und in ihrer Zeit durchaus angemessene Grundlage ist die
Affirmation der abstrakten Arbeit, die Anbetung des werteschaffenden Arbeiters als
scheinbar Konkretem gegenueber all dem Ueberbau - seien es Spekulanten oder
Intellektuelle, seien es auch die Kapitalisten. Die eigentliche Basis des Ganzen, dass die
abstrakte Vernutzung menschlicher Arbeitskraft der Prozess der Wertschoepfung ist, dass in
dieser Produktion um der Produktion willen mit dem einzigen Ziele der Realisation von Wert
im schlussfolgenden Austausch die Verwandlung von lebendiger in tote Arbeit stattfindet,
konkrete Arbeit sich also als abstrakte darstellen muss, ist die crux all der
Arbeitsideologien. Sie beinhaltet, dass, was der Abstraktion als Konkretes und Lebendiges
entgegengeschleudert wird, selbst nur ein Totes und Abstraktes ist. Der Marxismus erweist
sich hier sogar am Konsequentesten indem er die Anhimmelung des werteschaffenden Arbeiters
am weitesten treibt, vor allem auch rein auf den Arbeiter zuspitzt, die wertmaessig
unproduktiven Funktionen als minderwertige bezeichnet, in systematischer Abstufung bis hin
zum raffenden Spekulanten.
Wie die Arbeit, so erweisen sich bei naeherer Betrachtung auch all die anderen
Konkretionen als pure Abstrakta, sei es das Naturgefuehl der Romantik, der einheitliche
Lebensstrom der Lebensphilosophie oder Blut und Boden des Faschismus. Dennoch gewinnen sie
eine ungeahnte Ausstrahlung einfach dadurch, dass sie die kokrete Lebensunmittelbarkeit
suggerieren und damit eine Sehnsucht des abstrakten Individuums ansprechen, ohne ihm seine
Lebensgrundlage, seine Taetigkeit als Arbeitsmonade streitig zu machen und den
Selbstschutzwall abzubrechen. Der Erfolg des Faschismus lag darin, dass er nicht wie der
Marxismus nur den werteschaffenden produktiven Arbeiter selbst affirmierte, sondern auch
alle abgeleiteten Lebensformen, ausser eben jener des Spekulanten um des reinen Geldes
willen. Nicht der geringste Vorteil war dabei, dass auch der proletarische Alltagsverstand
merkte, dass produktiver Arbeiter sein kein Glueck ist, sondern ein Pech, dass der
Ausstieg aus dem Wertschoepferdasein vielleicht angenehmer sein koennte, als der Stolz auf
den Status quo.
4.
Die Ideologie des raffenden und schaffenden Kapitals kann natuerlich nur in einer Zeit
massenhafte Ausstrahlungskraft beweisen, in welcher der produktive Sektor, die Masse der
werteschaffenden Arbeiter in Expansion befindlich ist, die spekulative Sphaere selbst in
ihrer Ausdehnung noch auf diese ihre Basis bezogen ist. Hier stellt der produktive
Arbeiter noch die Masse dar, der eigentliche Spekulant laesst sich noch als bestimmte
Schicht definieren, die zudem personell eng begrenzt ist. In einer Zeit, in der Arbeiter,
Studenten, Hausfrauen statt zu sparen lieber spekulieren, in der so nebenbei 4000
Spekulanten von einer Grossbank auf die Strasse geworfen werden, ist sie ein
Anachronismus, weil "raffen" im allgemeinen Bewusstsein zur Normalitaet, der
"Raffer" selbst moeglicherweise Gewerkschaftsmitglied, geworden ist. Noch 1929
galt es als Grund auszusteigen, "wenn die Dienstmaedchen an die Boerse gehen"
und dies geschah nur in den USA; der gaengige Symboltypus eines Kapitalisten war eben der
asketisch-evangelische Henry Ford, dem beim Anblick der Symbolgestalten der 80er Jahre,
Campeau, Trump, Bond etc das Feuerzeug in der Hosentasche aufgegangen waere. Wie
aufteigend produktiv und romantisch pionierhaft ein Kapitalist in jener Zeit war, zeigt
eine Anekdote aus Henry's Jugend:
"Das wichtigste Ereignis jener Knabenjahre war mein Zusammentreffen mit einer
Lokomobile etwa acht Meilen von Detroit, als wir eines Tages zur Stadt fuhren. Ich war
damals 12 Jahre alt. Das zweitwichtigste Ereignis, das noch in das gleiche Jahr fiel, war
das Geschenk einer Uhr. Ich kann mich an die Machine erinnern als waere es gestern; war
sie doch das erste nicht von Pferden gezogene Fahrzeug, das ich in meinem Leben zu Gesicht
bekam. ...Jene Lokomobile war daran Schuld, das ich in die Automobiltechnik hineingeriet.
Ich versuchte Modelle herzustellen und brachte einige Jahre spaeter auch ein recht
brauchbares zusammen. Von jener Zeit an, bis auf den heutigen Tag hat mein staerkstes
Interesse dem Problem der Herstellung einer selbsttaetig fahrenden Maschine
gegolten"(Ford 1923 S.26f).
Welch ein grandioser Weg, von technisch interessierten Bauernbuben zum epochemachenden
Automobilfabrikanten, american dream und Inbegriff von Fleiss und Ehre in einem. Ein
Protagonist der 80er Jahre beschreibt seinen Anreiz, ein grosser Mann zu werden,
vollkommen anders:
"Eines Tages spielten wir in unserem Kinderzimmer mit Baukloetzen. Ich wollte einen
hohen Turm bauen, stellte aber fest, dass ich nicht genuegend Steine hatte. Ich fragte
Robert, ob er mir seine geben koenne, und er antwortete: "In Ordnung aber ich will
sie zurueckhaben, wenn du fertig bist." Ich verbaute also zuerst meine eigenen
Kloetze, danach seine. Als der Turm stand, gefiel er mir so gut, das ich die Baukloetze
kurzerhand zusammmenleimte. Robert hatte wie so oft das Nachsehen"(Trump 1989 S. 67).
Trump koennte nun als die Idealgestalt von Fords Spekulanten dastehen, doch ist dem
mitnichten so. Zum einen haette sich wohl Ford einen fiktiven Spekulationsueberbau von
heutigen Ausmassen und Geschaefte im Umfange eines Trump kaum vorstellen koennen, zum
anderen ist einfach das Schwergewicht verschoben: die Dinosaurier a la Ford sind einfach
ausgestorben, waehrend die Spezies der Trumps in kleinerer oder groesserer Form die Erde
uebervoelkert. Doch ist dies nicht allein eine subjektive Frage, so als haetten sich die
Gene der Menschen veraendert, es ist eine Frage gesellschaftlicher Entwicklung ueberhaupt,
subjektiv-objektiv. Der zu Ende gehende Fordismus zeigt ein wirtschaftliches Wachstum,
welches in erster Linie ein fiktiv-spekulatives ist, nicht reale Wertschoepfung, als
massenhafte Einsaugung abstrakter Arbeit, zur Grundlage hat, sondern durch eine
kuenstliche Aufblaehung der Geldmenge gepusht wird. Selbst die produktiven Sektoren werden
nicht selten durch immense Verschuldung und Subventionen am Leben erhalten. Nicht zuletzt
Henry's ganzer Stolz, der einstige Fels Automobilindustrie, erweist sich als maroder
Pudding, dessen Gewinne mit der Banken und Boersenkrise einbrechen, weil sie nicht zuletzt
auf dem Wege der Spekulation kreditfinanziert waren. Als blosses Schlaglicht hier das
Statement eines eher optimistischen US-Analysten ueber das Untenehmen eines im
oeffentlichen Ansehen durchaus wuerdigen Ford-Nachfolgers namens Iacocca:
"Von den sich um Chrysler rankenden Uebernahmengeruechten (Fiat) haelt Glantz nichts.
Chrysler sei ein schwieriger Fall. Von den oftmals beschworenen 33 Dollar Substanz je
Aktie entfielen nicht weniger als 22 Dollar auf Goodwill. Es verbleiben an wirklicher
Substanz nur 10,83 Dollar, und ein Aufkaeufer saehe sich mit Milliarden von Dollar nicht
ordentlich finanzierter Sozialverpflichtungen konfrontiert. Letztere haetten 1989 nicht
weniger als 340 Dollar je Aktie ausgemacht.... Bei moeglichen Kurssteigerungen, aufgrund
von Uebernahmespekulationen, sollte man die Aktie verkaufen." SZ 17.8.90
Natuerlich kann Glantz nur den aeussersten Schein der Medaille treffen, die fundamentalen
Grundlagen und Konsequenzen der Krise sind nicht sein Thema (siehe dazu: Flugschrift Nr. 2
zur Krise des Geldes), dennoch reichen selbst diese schmalen Fakten bereits hin, die
Tatsache zu beleuchten, dass die wertproduktive Aufstiegsphase, in welcher die Ideologie
des raffenden und schaffenden Kapitals zuenden konnte, laengst vorbei ist, dass der Phase
der arbeitseinsaugenden Innovationen eine Periode spekulativen Kampfes um die letzten
Stueckchen Kuchen gefolgt ist. Wie stark die kapitalistische Produktionsweise spekulativ
geworden ist, laesst sich auch an einem anderen ihrer Produkte, vielleicht dem
grossartigsten, verfolgen - dem Teddybaer. Seine wechselhafte Geschichte ist zugleich die
Entwicklung der Wertvergesellschaftung von ihrer aufsteigenden produktiven Phase in ihre
mehr und mehr spekulative Krisenperiode.
Als Margarete Steiff (ein Gretchen aus Schwaben) 1880 ihre ersten acht Elefaentles naehte,
tat sie dies nur fuer ein paar Bekannte, doch bald gesellten sich Esel, Baer, Kamel und
Loewe hinzu und bereits 1893 wurde eine kleine Spielwarenfabrik gegruendet, in der 4
Mitarbeiterinnen und 10 Heimarbeiterinnen gemeldet waren. Der Gesamtumsatz betrug 40000
Mark. Die Stofftiere wurden schnell erfolgreich und das Unternehmen zum Inbegriff
deutschen Fleisses und handwerklicher Qualitaet. Den entscheidenden Kick aber brachte ein
Ereignis des Jahres 1902, als der amerikanische Praesident Theodor Roosevelt sich auf
einer Jagd entruestet weigerte, einen hilflosen Jungbaeren zu erschiessen. Zeichnungen
davon gingen um die Welt und eben auch nach Giengen - eines der bedeutendsten Produkte des
20sten Jahrhunderts war geboren - der Teddybaer. Von vorneherein mit den hoeheren Weihen
einer Praesidententat geehrt, wurde er in den USA zum Inbegriff der Liebe des
amerikanischen Volkes zu seinem Praesidenten, weltweit aber als Symbol moralischer Werte
wie Mildtaetigkeit, Naturverbundenheit und Ehrbarkeit zu einem grandiosen Erfolgsschlager.
Bereits im Jahre 1907 verkaufte Steiff 975ooo Stueck.
Der Teddybaer stand fuer die gute Seele in der Brust des buergerlichen Individuums, seiner
Sehnsucht nach Einheit mit der Natur, nach Liebe und Verstaendnis, er galt zugleich als
Symbol deutschen Fleisses und deutscher Qualitaet, als stoffliches Konkretum schlechthin.
Die Kritik des Teddybaeren, die hier natuerlich nicht erschoepfend zu leisten ist, muesste
dagegen zeigen, dass es nur der verdrehten Phantasie abstrakter Individuen und deren
versteinerter Verhaeltnisse entspringen kann, an die Stelle der direkten Beziehungen zu
anderen Menschen und eines offenen Verhaeltnisses zur Natur, die Liebe zu einem
weichgestopften Stofftier zu stellen. Diese absurde Vorstellung gipfelt in den perversen
Lobeshymnen der Spiessbuerger ueber ein achgottsobraves Kind, welches statt mit anderen
Kindern in der Gegend herumzutoben, lieber in seinem Zimmer mit seinen Teddybaeren spielt.
Doch wuerde es zu weit gehen dem Teddybaer dafuer die Schuld in die Schuhe zu schieben,
denn auch er ist nur Opfer der Verhaeltnisse in die er hineingenaeht wurde. Zudem wissen
wir aus eigener Erfahrung, dass der Umgang mit Teddybaeren nicht nur zu einem zwanghaften
Zuneigungsverhaeltnis zu Dingen (Stoffbaeren, Bildern, Autos, Buechern) fuehren, sondern
ebenso auch Phantasie und Kreativitaet anspornen kann. Wer liebte nicht jene Geschichten
von mit Leben begabten Teddybaeren und Schaukelpferden etc.? Doch sind auch sie natuerlich
nur Erlebnisersatz, basieren eben auf einer Gesellschaft in der sinnvolle und direkte
Beziehungen zwischen Menschen noch nicht hergestellt sind. Die Negation dieses
Verhaeltnisses waere in der Zukunft zu suchen, nicht in naturhaft-sinnlichen Zustaenden
der Vergangenheit, in der die Menschen noch zwischen echten Baeren lebten - demgegenueber
ist der Teddybaer tatsaechlich ein Fortschritt.
Auch Gretchens Qualitaetsprodukt wurde allerdings, ebenso wie Henry's Auto, Objekt der
Spekulationswelle der 80er Jahre und kann dabei mit der Boerse und dem Kunstmarkt durchaus
mithalten. So wurde juengst ein Teddybaer aus dem Jahre 1926 fuer 168000 DM versteigert,
noch krasser aber: ein limitierter Teddy, der 1989 fuer 250 DM in den Handel kam, ist
heute nicht mehr unter tausend Mark zu haben (Welt 28.10.90) - ein knallhartes Beispiel
wie durch den Versuch, Spekulationen durch stoffliche Grundlagen abzusichern - Immobilien,
Kunstwerke, Teddybaeren - diese Grundlagen selbst spekulativ werden.
5.
Die gesellschaftlichen Verhaeltnisse haben sich also geaendert, was nichts anderes heisst,
als dass sich ihre menschlichen Protagonisten veraendert haben, ihr Bewusstsein einer
veraenderten Wirklichkeit angehoert. In diesem Zustand nun gehen sie ins Kino, nicht
wissend, dass ihnen nun die Moral vergangener Zeiten vorgebetet wird, verpackt in die
Gewaender der neuesten Entwicklungen, sei es der Mode, sei es der Finanzmaerkte. Dass die
Folge nicht Hass gegen die im Film personifizierte Spekulation sein kann, Raiderpogrome
nicht die soziale Folge, duerfte schon aus der einfachen Tatsache klar sein, dass
vielleicht ein nicht unbetraechtlicher Teil der zumeist jungen Kinobesucher selbst
spekuliert oder zumindest mit Geld und Aktien konfrontiert wird. In der BRD sind 60% der
Berufstaetigen im Dienstleistungsbereich taetig, was nichts andereres bedeutet, als dass
sie Unschuldigen Versicherungen aufschwatzen, Aktienportefeuilles verwalten, verduennten
Alkohol oder schlechtes Essen verkaufen und zu horrenden Preisen Haare schneiden. Sie
haben schon als Kinder ihre Oma nur besucht, um Kohle abzuzocken und haben seit ihrem
15ten Lebensjahr einen Ueberziehungkredit auf ihrem Girokonto. Sie sind auch jederzeit
bereit, dieses letzte bisschen Berfufsethos noch aufzugeben, zu studieren und dabei BaFoeG
oder Sozialhilfe zu kassieren, um anschliessend Broker oder Werbefachmann zu werde. Diese
Moeglichkeit ins Studium auszuweichen, verbreitert sich uebrigens stetig, im Rahmen einer
statistisch nachgewiesenen Tendenz zum Abitur als normalem Schulabschluss, eine Tatsache,
welche die Distanz zur halbgebildeten und selbsternannten Theoretikerin objektiv
verkleinert, auch diesen Sprung wieder etwas erleichtert.
Nun geht es nicht darum, dass alle Kinoinsassen oder gar die empirische Bevoelkerung,
geradeso denken und handeln, sondern nur darum, dass in jedem der von der Filmmoral
angesprochenen Alltagsbewusstseine ein Teil dieser Lebensverhaeltnisse und Vorstellungen
eingenistet ist, woraus sich eine moderne Reaktionsebene ergibt, die des immanenten
Unverstaendnisses: Jetzt hat dieser Kerl eine derart perfekte Methode des Geldschoepfens
gefunden, ist ebenso perfekt in ihrer Ausfuehrung, ist ein "Master of the
Universe" (Tom Wolfe) geworden, um schliesslich sang und klanglos im Spiessermuff
einer Kleinfamilie zu versinken und einen stinkenden Industriebetrieb zu organisieren,
statt sein Leben zu geniessen. Dies waere vielleicht die Reaktion von Seele Nummer eins
(wir gehen inzwischen von der "Multiseeligkeit " des buergerlichen Busens aus)
im Busen des modernen Jungbuergers, die ihr rationales Moment in der veraenderten
gesellschaftlichen Realitaet und des damit veraenderten Selbstschutzmechanismus hat: das
neue Alltagsbewusstsein muss eher seine Existenz als spekulierendes und spekulativ
(beliebig) werdendes Individuum rechtfertigen, als seine Existenz als werteschaffender
Arbeiter. Freilich erweist sich dies als einiges schwieriger als die Selbstverehrung des
Proletariers, was zu jener seltsamen Erscheinung fuehrt, dass es jenen Jungmonaden oft
eher peinlich ist Bankangestellter, Sozialpaedagogikstudent, Friseurlehrling oder
Bekleidungsfachverkaeufer zu sein, der Sprung ins angebotene Beliebigkeitsjobberdasein
leicht faellt.
Diese Beliebigkeit und Flexibilitaet der modernen Existenz macht uebrigens auch die
Ausstrahlung und den Erfolg von "Pretty woman" aus, weil die Protagonisten in
scheinbar voelliger Freiheit und Beliebigkeit ueber ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Gefuehle,
ihren Konsum verfuegen koennen, auch wenn man ihre "Entscheidung" am Schluss
vielleicht schwachsinnig findet (Man koennte hier fast von einer Popularisierung
existentialistischen Theaters sprechen).
Unsere Zuschauer werden also auf Grund ihrer Flexibilitaet auch durchaus nicht gewillt
sein, das grosse Leben des Spekulanten gegen den Muff des schaffenden Familienoberhaupts
zu verteidigen. Seele Nummer 1 ist eine gespaltene, was dazu fuehrt dass auch der flippige
Jobber im naechsten Moment auf seinen Job in einer richtigen Fabrik furchtbar stolz ist,
weil fuer die Restexistenz als Betriebswirtschaftsstudent nicht mit Stolz bezahlt wird.
Dass allerdings die abstrakte Arbeit in diesen Verhaeltnissen kein Wert an sich mehr ist,
sondern eine hoechst scheel beaeugte Notwendigkeit, duerfte klar sein. Objektiv wie
subjektiv ist die Zeit des produktiven Arbeiters vorbei; wo er noch existiert, ist er eine
peinliche Existenz neben anderen, hat er weder als marxistisches Wertschoepfungsvehikel
noch als schaffender Arbeitsmensch irgendeine Ausstrahlung, nicht einmal auf sich selbst.
Den produktiven Arbeiter zu Grabe zu tragen heisst allerdings die Basis kapitalistischer
Produktion anzunagen, was unsere Seele Nummer eins bereits unbewusst tut, indem sie nicht
nur nicht mehr produktiv schafft, sondern dies auch nicht mehr erstrebenswert findet. Sie
deutet damit rein negativ ein Anderes an (um es adornoesk auszudruecken), eine
Gesellschaft jenseits der Arbeitsgesellschaft, allerdings eben nur unbewusst und negativ,
als noch zu aktivierende Potenz (das ist allerdings die Tragik der Theoretikerin, dass sie
zwischen ihrer Potenz sitzt und sie nicht aktivieren kann).
Noch mehr in Frage gestellt wird allerdings vom modernen Bewusstsein, die unkritische
Haltung gegenueber industrieller Produktion, wie sie bei Zola's Protagonisten, bei Ford
und auch im Film vorausgesetzt wird. Die zweite Seele in des modernen Buergers Brust
wuerde sofort nachfragen, was denn da produziert wird, welche Umweltschaeden die Folge
sind, welche Gifte das Produkt enthaelt, welche Folgen sich aus dem Abbau der Rohstoffe
ergeben, wieviel Tiere bei der Erforschung verkabelt werden; ein Kosmos von Zweifeln,
geschuert von einem mit diffuser Empirie gestopften Halbwissen, wuerde sich ueber den
Unternehmer ergiessen. Als ungebrochen positiver Wert jedenfalls wuerde das Schaffen kaum
durchgehen. Natuerlich steckt hierhinter noch kein Durchschauen der notwendigen Effekte
betriebswirtschaftlicher Vernutzung von menschlicher Arbeitskraft und natuerlicher
Ressourcen, aber immerhin die grauenvollen Erfahrungen mit seiner Anhaeufung von
Umweltkatastrophen und stiller wirkenden "Zivilisationskrankheiten". Wer wuerde
wohl noch die Erschliessung eines einsamen Tals im Karmel durch Bergwerke als positiv
empfinden, wer hat noch ein so voellig romantische Verhaeltnis zu Maschinen wie Henry?
Selbst unser lieber Teddybaer wuerde befragt, ob sein Fuellmaterial krebserregend ist,
seine Knopfaugen aus Kunststoff oder Naturhorn sind. Der Fortschritt hierin gegenueber dem
platten Verherrlichen der schaffenden Kraft ist klar - es wird ploetzlich nach den
Inhalten der Produktion und ihren stofflichen Folgen gefragt, die abstrakte Produktion um
der Produktion willen hinterfragt, und damit die Suche nach Konkretion, nach Herstellen
der Zusammenhaenge ein Stueck weitergetrieben. Klar duerfte natuerlich sein, dass dieses
Hinterfragen der abstrakten Arbeit durch die abstrakten Individuen, selbst kaum
unmittelbar auf gesellschaftlichen Zusammenhang und Totalitaet zielt, somit selbst
abstrakt bleibt und nicht selten Absurditaeten erzeugt. Auf grausame Weise laecherlich ist
etwa der Fall einer jungen Waffenverkaeuferin, die Verpackungsmaterialien an die
Lieferanten zurueckschickt, um etwas gegen das Ozonloch zu unternehmen, gleichzeitig aber
Schnappmesser, Wurfsterne und Gaspistolen an die Jugendlichen im Stadtviertel verkauft.
Die Beispiele fuer Aehnliches sind Legion. Und dennoch liegt auch hier eine Potenz brach,
die weit ueber das hinausgehen koennte, was der Verwertungslogik entspricht, die immerhin
Ansatzpunkte fuer eine bewusste gesellschaftliche Organisation, jenseits der organisierten
Bewusstlosigkeit, bietet.
Klarzustellen ist allerdings, dass hier nicht eine eingleisige Entwicklung in Richtung
Glueckseeligkeit stattfindet, sich im Gegenteil erst einmal eine Zuspitzung der
Widersprueche ergibt. Der erste Aufschein etwa der Kritik des Autos und der Perversitaet
des Individualverkehrs, faellt zusammen mit dem Hoehepunkt von dessen Ausbreitung, sowie
dem nahen Zusammenbruch dieses Systems. Der Hoehepunkt der Entwicklung und der Hoehepunkt
der Krise sind identisch.
Auch Seele Nummer zwei lebt zudem im permanenten Widerspruch, ist doch das Subjekt der
Kritik gleichzeitig Subjekt des kritisierten Prozesses, in irgendeiner Form daran
beteiligt. Die Konsequenzen aus diesem verzwickten Problem koennen sowohl in Resignation,
als auch in Verzweiflung, aber genausogut in der Selbstsuggerierung des Aussenstehens
liegen, sie koennen in der Opferpose ebenso muenden, wie im bemuehten Zynismus; eins
allerdings koennen diese Subjekt-Objekte keinesfalls: ihren Frieden schliessen mit der
Wertvergesellschaftung, indem sie irgendeine Perspektive in ihr finden, sie werden auch
beim besten Willen keine schaffenden Helden mehr werden, hoechstens selbst die
Personifikation des raffenden Geldhechts. Letztere Perspektive ist allerdings ein schale,
kurzatmige, deren Ende sich bereits aktuell in den kleinen und grossen Farcen der
Finanzmaerkte abspielt.
Aus diesem Blickwinkel heraus erklaert sich auch, warum jener unterhaltsame Film nichts
weiter als das Laecheln der Beliebigkeit zeigen konnte. Er ist gemacht von und fuer
Menschen, die sich selbst peinlich sind.
LITERATUR:
Ford Henry/ Mein Leben und Werk, Leipzig 1923
Hofer Walter (Hrsg.)/ Der Nationalsozialismus,
Frankfurt 1957
Trump Donald/ Die Kunst des Erfolgs, Muenchen 1990
Zola Emile/ Das Geld, Muenchen 1977 |