online archiv 1998
Rubrik Theorie & Debatte |
Aus: Neues Deutschland 28.11.97
Robert Kurz
DAS SCHWARZE LOCH DER WELTWIRTSCHAFT
Die Astrophysik kennt das Phaenomen der "schwarzen Loecher", die
Materie ansaugen und "verschwinden" lassen. Eine analoge
Erscheinung finden wir in der gegenwaertigen Weltwirtschaft: mangels
reeller Kaufkraft, die durch Massenarbeitslosigkeit und Druck auf die
Loehne stranguliert wird, simuliert die Expansion des Kreditsystems das
kapitalistische Wachstum; die zusaetzliche Produktion wird in das "schwarze
Loch" eines irrealen Vorgriffs auf zukuenftige Einkommen
hineingeschuettet.Dieser strukturelle Zusammenhang erscheint auch auf der
Ebene des Weltmarkts in der politisch-oekonomischen Beziehung zwischen den
Nationalstaaten. Im Zentrum steht dabei die Oekonomie der USA, die
gewoehnlich als Hochburg des "monetaristischen" Neoliberalismus
gelten. Die Doktrin besagt, dass an die Stelle des keynesianischen
staatlichen "deficit spending" wegen dessen inflationstreibender
Wirkung auch auf dem Finanzsektor wieder die freie Marktwirtschaft treten
soll. Ironischerweise wurde jedoch die reine Lehre durch die
Wirtschaftspolitik der USA in der Form ihres Gegenteils verwirklicht. Denn
als Praesident Reagan in den achtziger Jahren die konkurrierende
Sowjetunion zu Tode ruestete, war dies nur moeglich durch eine Steigerung
der staatlichen Schulden ueber jede bis dahin bekannte Dimension hinaus. De
facto betreibt die letzte Weltmacht seitdem einen gigantischen Militaer-
Keynesianismus, der wegen der extrem niedrigen Sparquote der USA nur durch
eine permanent aufakkumulierte Aussenverschuldung finanziert werden kann.
Waehrend jedes andere Land dafuer durch gesteigerte Exporte Devisen
verdienen muesste, verschulden sich die USA im Ausland einfach durch
Anleihen in ihrer eigenen Waehrung: der Dollar hat immer noch die Funktion
eines "Weltgeldes". Diese Funktion beruht im Unterschied zur
ersten Nachkriegszeit jedoch nicht mehr auf einer Ueberlegenheit der USA im
weltweiten Kapital- und Warenexport. Statt dessen gilt die Militaermaschine
der USA als des "Gold" des Dollars, dessen reale
Goldkonvertibilitaet bekanntlich 1973 aufgehoben wrude. Stattdessen ist die
militaerische Schlagkraft an die Stelle der oekonomischen Substanz
getreten.
Die paradoxe Aussenverschuldung der USA in ihrer eigenen Waehrung
dient gleichzeitig als Treibsatz der Weltwirtschaft, denn die USA geben das
vom Ausland geliehene Geldkapital gleich doppelt aus: Erstens bezahlen sie
damit ihren omnipraesenten Militaerapparat, und zweitens geben sie dasselbe
Geld noch einmal dafuer aus, Jahr fuer Jahr eine viel groessere Masse von
Waren importieren als exportieren zu koennen. Mit anderen Worten: der
Gegenwert fuer die Schuldscheine, mit denen die USA ihren riesigen
Importueberschuss bezahlen, ist schon laengst verbraucht und schwimmt in
Gestalt von Flugzeugtraegern auf den Ozeanen herum oder wurde in den
Weltraum geschossen.
Auf diese Weise sind die USA zum groessten "schwarzen Loch" der
Weltwirtschaft geworden. Sie saugen Geldkapital und Warenstroeme der ganzen
Welt an, bezahlen jedoch faktisch weder das eine noch das andere. Insofern
ist die Weltkonjunktur eine Scheinbluete dieser "Voodoo-Oekonomie".
Waehrend der Mammut-Konsum in den USA einen Grossteil der Ressourcen dieser
Welt verschleudert, sammelt sich spiegelbildlich dazu bei den
Ueberschusslaendern (besonders in Japan und den Tigerstaaten, aber auch in
Deutschland) ein Gebirge von wertlosen Papieren an.
Damit reift eine Situation heran, in der es irgendwann zum grossen "Payday"
(Zahltag) zwischen den Schluesseloekonomien Japan und USA kommt. Entweder
laesst Japan sein Finanzsystem in einer Art "Harakiri"
zusammenbrechen, wie es soeben die schluchzenden Manager von Yamaichi vor
den Fersehkameras der Welt demonstriert haben. Oder die Japaner ziehen ihre
Anlagevermoegen aus den USA ab. In beiden Faellen wird die globale
Scheinkonjunktur abgewuergt, und es droht eine grosse Weltdepression.
Eigentlich gibt es nur noch ein Mittel, um die abgehende Lawine
voruebergehend aufzuhalten: Die Staaten und Notenbanken der OECD muessen
eine Wende um 180 Grad vollziehen und vom neoliberalen Monetarismus zu
einem neuen finanzpolitischen Hyper- Keyenesianismus uebergehen. Erste
Schritte in diese Richtung deuten sich bereits an. Der aus Staatsgeldern
finanzierte Internationale Waehrungsfonds hat die Aufstockung seiner Quoten
um 45 Prozent auf 490 Milliarden Mark beschlossen. Und die japanische
Regierung hat zugesichert, sie werde den Zusammenbruch des Finanzsystems
mit Hilfe oeffentlicher Mittel verhindern. Im Klartext: Die vielbeschworene
"Autonomie der Marktkraefte" ist keinen Pfifferling mehr wert.
Aber schon jetzt uebersteigt die Summe der noetigen Hilfen alles, was
den Krisenfonds zur Verfuegung steht. Den hoch verschuldeten
OECD-Regierungen wird nichts anderes uebrigbleiben, als die Geldschoepfung
ihrer Notenbanken anzukurbeln. Das waere freilich nur das Eingestaendnis,
dass die Logik des "deficit spending" nie ueberwunden wurde,
sondern hinter der monetaristischen Fassade weiter die Weltwirtschaft
bestimmt. Wenn dann das Gespenst der Inflation zurueckkehrt, wird sich die
Menschheit endlich fragen muessen, ob sie mit den Produktivkraeften der
dritten industriellen Revolution nichts Besseres anzufangen weiss, als sie
dem Selbstzweck der Kapitalakkumulation zu opfern. |