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1998

Rubrik
Theorie & Debatte

Absender : RED@GREEN.DBN.DE (Kim Holland, Kritik und Diskussion, Hamburg)

Wofür der Hamburger DGB - Vorsitzende PUMM mobilisiert:
Keine französischen Zustände!
(Überarbeitetes Flugblatt mit anschließendem Kommentar)

1. Ein Experte für inneren Frieden

Der Mann ist wie geschaffen für seine Aufgabe. Der Chef des DGB Hamburg, Ehrhard PUMM hat seine Karriere als Ortsvorsitzender der GdP (Gewerkschaft der Polizei) begonnen und ist schon von daherExperte für innere Befriedung.

Der DGB-Chef sitzt inzwischen nicht nur im SPD-Fraktionsvorstand der Bürgerschaft, sondern ist sogar „Vorsitzender des Vereins zur Betreuung von Arbeitslosen und Arbeitslosenselbsthilfegruppen".

Wie man als Politiker mit einem solchen Verein Karriere machen kann, hat Herr PUMM in den letzten Tagen vorgeführt. Seine Idee: „Arbeitslose sollen Politik unter Druck setzen", hat ihm gleich eine Schlagzeile auf der Titelseite des „Abendblatt" eingebracht. Und er hat auch mit guter Unterstützung der einschlägigen Medien verbreitet, wie das gehen soll. Die PUMM-Gewerkschaft und sein Verein riefen zum 5. Februar vor dem Hamburger Arbeitsamt in der Kurt-Schumacher-Allee zu einer „Arbeitslosenzusammenkunft" auf, und die soll sich monatlich wiederholen, zumindest bis zur Wahl von VW-Schröder, der nichts gegen einen Sozialstaat hat, wenn er sich als Standortvorteil bewährt.

Anlaß ist die amtliche Bekanntgabe der neusten Arbeitslosenstatistik. PUMM-betreute Erwerbslose sollen nach Bekanntgabe der Zahlen ihre tiefe Betroffenheit zeigen, nicht darüber, in welch miese Lage sie selber von Staat und Unternehmertum gebracht wurden, sondern welche Probleme die entsetzlich vielen Arbeitslosen dem Land bereiten. Dann wird ein spontanes „Arbeit! Arbeit! Arbeit!" angestimmt, als ob sie nichts dringender bräuchten. Und dazu ruft Herr PUMM: „Die Politik muß endlich handeln!" - nicht etwa die beschäftigten oder erwerbslosen Lohnabhängigen.

Und weil man nichts daran zu meckern hat, daß im Standort Deutschland selbstverständlich die Unternehmer fürs Heuern und Feuern zuständig sind, findet die PUMM-Veranstaltung nicht dort statt, wo Lohnabhängige über Kampfmittel verfügen, in den Betrieben. Stattdessen hält PUMM sie dort ab, wo die Armut der Entlassenen verwaltet wird, beim Arbeitsamt.

Wie es in diesem Laden aussieht, weiß Herr PUMM übrigens ganz genau. Schließlich sitzt dieser Herr auch im Beirat des Arbeitsamtes Hamburg. Dieses läßt monatlich ca. 200 Leistungsempfänger - Tendenz stark ansteigend - unter Androhung der Sperre bei einer „Stiftung für berufliche Bildung" (SBB) zu „Trainingsmaßnahmen" antreten. Dafür kassiert diese famose Stiftung zig-Tausende von DM aus der Arbeitslosenkasse. Herr PUMM sitzt auch im Vorstand der SBB, quasi als Fachmann für Filz und Ämterhäufung.

2. Der Schlager im DGB-Winterschlußverkauf: Billige und willige Arbeitslose

Herr PUMM ist von den militanten Aktionen in Frankreich gewissermaßen inspiriert. Als Resultat der relativ ohnmächtig vorgetragenen Wut in Frankreich - in den Betrieben blieb es schließlich ruhig! - erhofft sich Herr PUMM, „daß Frankreich Beine bekommt" und dort ein „Dialog" nach dem Vorbild „Bündnis für Arbeit" beginnt. Für dieses Bündnis könnte PUMMs Gewerkschaft auch hier etwas frischen Wind gebrauchen. Denn der vorauseilende Gehorsam des DGB hat ihn zu einem Verhandlungspartner gemacht, dem man kaum noch etwas abhandeln braucht, weil er schon alles zur Disposition gestellt hat.

Jahrelang hat der DGB zur „Beschäftigungssicherung" Tarifabschlüsse getätigt, die man nur als Lohndumping bezeichnen kann. Gemessen an den Lohnstückkosten ist und bleibt Deutschland ein Billiglohnland. Die vom DGB geförderten Gewinne haben die Unternehmer - angesichts schrumpfender Märkte völlig logisch - zu Rationalisierungsinvestitionen benutzt. Der resultierende Personalabbau wurde vom DGB „sozialverträglich", also scheibchenweise mitbestimmt, immer mit dem Ziel Störungen des Arbeitsfriedens durch angekündigte Massenentlassungen zu verhindern. Nichts hatte PUMMs Gewerkschaft dagegen, daß die Sozialleistungen ständig - entsprechend ständig gesenkter Nettolöhne - gekürzt werden. Das „Lohnabstandsgebot", das bei Lohnsenkungen Sozialkürzungen „unvermeidlich" macht, halten PUMM und Genossen für selbstverständlich. Ansonsten liegt natürlich immer alles an den „leeren Kassen".

Diese „leeren Kassen" erfordern nach Beschluß von PUMMs SPD vor allem Repressionen gegen Arbeitslose. Immer neue Zumutungen müssen sich diese Leute über sich ergehen lassen: massenweise Bewerbungen für nicht vorhandene Jobs schreiben, ohne jeden Grund beim Arbeitsamt antanzen, stupide „Trainingsmaßnahmen" und überflüssige Zwangsarbeit, eben alle möglichen miesen Tricks um den Leistungsempfängern eine „Sperre" verpassen zu können. Das so eingesparte Geld, gibt ein Herr PUMM lieber anders aus, als für den Lebensunterhalt der Leute. Zum Beispiel für noch mehr „Trainigsmaßnahmen".

Wen wundert es, daß dieser Terror gegen Arbeitslose bevorzugt in SPD-regierten Städten veranstaltet wird. Die SPD sorgt dafür, daß die Leute ohne Arbeit ständige Geldsorgen und Probleme mit Arbeits- und Sozialämtern haben. Dann spielen sich Figuren wie PUMM als Retter der Leute durch Arbeitsbeschaffung auf.

Tatsächlich haben die ständigen Streichungen eins bewirkt. Ein großer Teil der Arbeitslosen kann inzwischen seine laufenden Lebenshaltungskosten von den erhaltenen Almosen nicht mehr bestreiten. Man ist gezwungen, die eigene Arbeitskraft für dünnes Geld schwarz zu verkaufen. Das hat die PUMM-Gewerkschaft dann richtig auf die Barrikaden gebracht. Endlich gab es wieder ein aktives Bündnis mit Unternehmern und Politikern. Gegen Schwarzarbeit!", „Schwarzarbeit gefährdet Arbeitsplätze!" usw. Gemeint war das von PUMM und Co allerdings nicht als Argument gegen die Kürzungen der Sozialleistungen, die Lohnabhängige in die Schwarzarbeit treiben. Vielmehr veranstaltete man eine Hetzkampagne für die Kriminalisierung der Schwarzarbeiter. Bei so viel „Mißbrauch" soll sich keiner wundern, wenn die Leistungen noch weiter gestrichen werden, da ist sich das „Bündnis für Arbeit" einig.

3. Die Manövriermasse der Trittbrettfahrer

Bleibt für Herrn PUMM und seine Sozialpartner nur noch der Verdacht, daß dieses Spiel nicht ewig so weiter geht. Schließlich war man ja auch in Frankreich von der Masse und Militanz der Proteste ziemlich überrascht. Und was garantiert auf einen Menschen wie Herrn PUMM einen besonders schlechten Eindruck gemacht hat: in Frankreich waren die Leute keineswegs so bescheuert, Arbeit zu fordern, sondern Geld.

Ein Gegenrezept gegen französische Zustände ist Herrn PUMM auch gleich eingefallen. Besonders kreativ brauchte der DGB-Chef dabei nicht zu sein. Schließlich ist es ja ein altes DGB-Rezept, überfälligen Widerstand so zu organisieren, daß er scheitert. So sichert man in Zusammenarbeit mit der SPD den sozialen Frieden. Wer nicht stillhält, dem hetzt der sozialdemokratische Polizeipräsident seine GdP-Truppen auf den Hals.

Der DGB-Apparat, der Arbeitslose als unbeschäftigte Arbeitsroboter begreift, verwaltet konkurrenzlos die noch beschäftigten Kollegen. Nichts können die Lohnabhängigen ohne ihn erreichen, dafür Staat und Kapital alles mit ihm. Mit Zwangsbeiträgen zur Sozialversicherung läßt er seine Basis den sozialstaatlich gebremsten Abstieg ihrer entlassenen Kollegen nach ganz unten finanzieren. Denn wo bliebe der Arbeitsfrieden, wenn die „Modernisierungsverlierer" direkt in die Obdachlosigkeit entlassen würden. Für dieses Prinzip soll man dankbar sein: „Sozialstaat verteidigen!", also genau jene Kassen, an denen sich PUMM und sein Gewerkschaftsgenosse BLÜM so gerne bedienen. Und jetzt fällt Herrn PUMM ein, sich als Schutzengel der Erwerbslosen aufzuspielen.

Wenn dieses Konzept aufgeht, stärkt es das Bündnis aus Staat, Kapital und „Arbeitnehmervertretung", mit dem man es in Deutschland zum Weltmeister in Sachen Rationalisierung Waren- und Kapitalexport und gebracht hat. Dann haben die Trittbrettfahrer der französischen Proteste eben aus jenen Protesten einen Vorteil für deutsches Kapital gemacht.

Bei den PUMM-Aktionen vor dem Arbeitsamt wird sich zeigen, inwiefern PUMMs „Verein zur Betreuung von Arbeitslosen und Arbeitslosenselbsthilfegruppen" das alles hinbekommt und sich Erwerbslose einfinden, die um Arbeit betteln.

4. Die gewerkschaftslinken Aktivisten

Für die Durchführung von PUMMs Programm muß allerdings kein DGB-Funktionär auf eine einzige Aufsichtsratssitzung verzichten. Schließlich gibt es eine Gewerkschaftslinke. Sie bilden den aktiven Mittelbau dieser Gewerkschaft, der stets daran träumt, die tatsächlich als Verwaltungsmasse vorgesehene „Basis" für Aktionen zu aktivieren. Zwar ist es für die Ziele dieser Gewerkschaft meist überflüssig bis schädlich, die verwalteten Mitglieder für Aktionen einzuspannen. Wenn es aber doch opportun erscheint, und die Gewerkschaftsführung der Öffentlichkeit vorführen will, welch riesiges „Potential" sie ruhig stellen kann, leistet die Gewerkschaftslinke nützliche Dienste. Dann werden „kämpferische" Aktionen organisiert, und die „Basis" zu Fähnchen schwingenden Demonstrationen in die Innenstädte zusammengekarrt, durchweg „für Arbeit!". Denn die ganze politische Strategie dieser Leute erschöpft sich darin, die Massen für diese Gewerkschaft zu mobilisieren, stets mit einer etwas radikaleren Version des oben beschlossenen Kompromißangebots.

Dazu hat die Gewerkschaftslinke zwei Gründe. Grund Nummer eins ist: der DGB ist "die Organisation der Arbeiterklasse". Gerade der Erfolg der DGB Politik, sich das Vertrauen mehrerer Hunderttausend Lohnabhängiger zu erschleichen, hat diese Leute davon überzeugt, dort als aktive Mitglieder zu fungieren. Dabei ist es durchaus nicht egal, wofür der DGB eintritt. Denn sonst würden sich diese Leute massenweise beim ADAC oder der Kirche engagieren, die ebenfalls nicht wenige "Proletarier" als Mitglieder zählen - oder stattdessen als Leute auftreten, die ihre eigene Lohnabhängigkeit bekämpfen, statt sie als akzeptable Existenzgrundlage zu betrachten.

Grund Nummer zwei für das Engagement der Gewerkschaftslinken ist also, was der DGB prinzipiell vertritt. Diese Gewerkschaften, treten eben dafür ein, daß sich ihre Kundschaft als Lohnabhängige nützlich machen kann. Damit dieser Nutzen nicht durch „kurzsichtige Profitinteressen" gefährdet wird, tritt man für eine Regierungspolitik ein, welche die Interessen der nützlichen Arbeitsleute mitberücksichtigt. Diese Orientierung der nationalen Einheitsgewerkschaft auf staatlich abgesegnete Kompromisse erzeugt nicht nur bei den Mitgliedern die Gewohnheit, ihre Interessen ohnmächtig der herrschenden Politik zu überantworten und auf die nächsten Bundestagswahlen zu hoffen. Diese Staatsfixierung wird prinzipiell von Linken geteilt, die sich eine Systemveränderung nur als Regierungstätigkeit vorstellen wollen. Daß die Massen als Subjekt von Veränderungen nicht in Frage kommen, „beweist" dabei gerade die Gewerkschaft, für die sie sich stark machen, durch die von ihr betriebenen Demobilisierung und nationale Ideologisierung der Proleten. Und so kommen aus den Reihen der Einheitsgewerkschaft immer wieder ganz „radikale" Töne. "Milliardäre zur Finanzierung von Arbeit besteuern", als würden die allseits beliebten "Investoren" nicht genug Geld für profitable Arbeit ausgeben, als wären kapitalistische Profite für menschheitsbeglückende Sozialpolitik zu verwenden, statt zur erneuten Investition, um die Konkurrenzvorteile zu sichern und auszubauen!

Daß sich ein derartiger Unsinn durchsetzen ließe, glaubt die Gewerkschaftslinke selber nicht. Diese Realos sind schon zufrieden, wenn der Staat einen angeschlagenen Betrieb subventioniert, damit dort die Jobvernichtung ohne „unnötige Härten" abgewickelt wird. Wenn der verschlankte Betrieb dann wieder konkurrenzfähig wird und seinen Beitrag für den Standort Deutschland leisten kann, dann hat die Gewerkschaftslinke wieder „sichere Arbeitsplätze" als einen grandiosen „Erfolg" „erkämpft". Die Arbeitsplatzvernichtung erwischt dann die Kollegen im Ausland.

5. Fazit

Französische Zustände sind in Deutschland undenkbar, solange erwerbslose Lohnabhängige nicht einmal protestieren, wenn Leute wie Herr PUMM beschließen, sie bräuchten nichts so nötig wie Arbeit. Massive Proteste sind also fällig, wenn der DGB Arbeitslose und ihre noch in Lohn und Brot stehenden Kollegen antreten läßt. Ohne „französische Zustände", ohne Aufkündigung des sozialen Friedens - in Arbeitsämtern und Betrieben! - haben weder die bisherigen und zukünftigen Rationalisierungsopfer eine Chance. Sie dürfen dann weiter hübsch vereinzelt darauf hoffen, daß die Kapitalisten und ihre Bündnispartner bessere „Rahmenbedingungen" für ihre Privatprobleme schaffen.

P.S.:

Herr PUMM hat gestern die erste ,,Arbeitslosenzusammenkunft" hinter sich gebracht. Eine lautstarke Bettelei von Erwerbslosen kam dabei zwar nicht heraus. Dennoch war überwiegend unerfreuliches zu beobachten.

Unter den ca. 1200 Anwesenden, unter denen obiges Flugblatt gut verbreitet wurde, waren viele vom DGB ausdrücklich begrüßte Mitarbeiter vom Arbeitsamt zu sehen, darunter sogar eine berüchtigte Figur, die bei der obengenannten SBB Arbeitslosen auf die Nerven geht. Man stand herum, und konsumierte eine DGB-Rede nach bewährtem Muster:
Arbeit solle man finanzieren, und die daraus resultierenden Erträge zur weiteren Arbeitsbeschaffung verwenden, war der Tenor. Für wie bescheuert hält man beim DGB eigentlich die Unternehmerschaft? Wenn es solche profitable Arbeit gäbe, aus der sich lauter neue Beschäftigungsverhältnisse finzanzieren ließen, wieso haben Deutschlands Kapitalisten dann nicht längst in diese Arbeit investiert und sahnen die Erträge dieser Arbeit ab?
Der Unsinn ,,Arbeit finanzieren" taugt eben nur zu einem: als billiges SPD-Wahlversprechen.

Dann gab es noch ein Happening, bei dem mit einer Motorsäge die Zahl der Arbeitslosen halbiert wurde und ein Kasper mit Zylinderhut ,,Arbeits-Lose" verteilte. An die Scheiben des Arbeitsamts wurden mit Tesa-Film ganz viele vorgedruckte ,,Bewerbungen" angeklebt unter denen ebenfalls fett gedruckt ,,abgelehnt" zu lesen war, eben ganz im Stil der studentischen Albernheiten des letzten Herbsts.

Das einzig erfreuliche: Die APPD (Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands), die ernsthaft zur nächsten Bundestagswahl kandidieren will, war mit einem Trupp abenteuerlicher Gestalten aufmarschiert. Sie begrüßten die Arbeitslosenzahlen mit Applaus - ,,Wir werden immer mehr!" und skandierten ,,Nie! Nie! Nie wieder Arbeit". Ihre Parole ,,Arbeit ist Scheiße!" wurde teils mit größter Verärgerung registriert. Ein Alt-DGB'ler konterte aber auch abgekärt: ,,Arbeit ist Scheiße? Das wissen wir schon lange!"


Veranstaltung in Hamburg


„Reformismus" - ein falscher Begriff für eine uraltes staatstragendes Prinzip

Geht es DGB-Funktionären, Sozialdemokraten und anderen, die Lohnabhängige auf Regierungspolitik festnageln und vertrösten um Reformen, oder worum sonst? Sollte man ihnen das Handwerk legen, und wenn ja, wie? Was nützen erwerbslosen und arbeitenden Lohnabhängigen die gewerkschaftliche Vertretung ihrer Privatinteressen und staatlich ermöglichte Privatsicherheiten? Wären bessere Gewerkschaften, „französiche Zustände" wünschenswert, oder was sonst?

Diskussion mit Einleitungsreferat. Am Donnerstag, dem 12. 02. 1998 um 19.00 im „Haus für Alle", Amandastraße 58 (Nähe U/S-Bahn Sternschanze), Hamburg