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1998

Rubrik
Soziale
Bewegungen
BÜRGERINITIATIVE KERNENERGIE E.V. ZUR FÖRDERUNG ALTERNATIVER
ENERGIEKONZEPTE, c/o Dr. Rosmarie Poldrack, Fleischerstr. 22
17489 Greifswald, Tel./Fax: 03834-89 21 50


Presseerklärung vom 21.05.98

Öffnung der Archive gefordert
Bürgerinitiative Kernenergie und ehemalige Mitarbeiter der EWN fordern
Einblick in die Archive


Greifswald. In einer Veranstaltung der Bürgerinitiative Kernenergie e.V. zur
Förderung alternativer Energiekonzepte mit Herrn Per Högselius, Student der
Königlich-technischen Hochschule Stockholm, Bereich der Geschichte der Technik
und Naturwissenschaft, wurde die Diplomarbeit zum Thema "Geschichte des KKW
Greifswald/Lubmin um die Wendezeit" vorgestellt. Im Anschluß an den Vortrag
entbrannte eine heftige Diskussion um die Vorkommnisse im Kraftwerk vor und
in der Wendezeit.

Per Högselius verwies darauf, daß zu den umfangreichen Akten bisher keine
objektive Sekundärliteratur existiert. Er sei hauptsächlich durch noch nie
gesichtete Akten gestöbert. Die wenige Literatur zum Atomkraftwerk sei nach
seiner Auffassung in historischer und technisch-historischer Sicht unbrauchbar,
weil sie "von starken wirtschaftlichen oder politischen Absichten manipuliert
worden ist."

Besonders intensiv wurde über den Störfall in Block 5 im Herbst 1989 diskutiert.
Hier wurde von einigen Mitarbeitern behauptet, dieser Störfall wäre ein Märchen,
da sie davon nie etwas mitbekommen hätten. Inzwischen ausgeschiedene Ingenieure
bestätigten aber ein schweres Versagen der Technik, die auch nach heutiger
Rechtsauffassung als ernstzunehmender und meldepflichtiger Störfall eingestuft
werden müßte.

Allen Beteiligten der Veranstaltung wurde klar, daß für einen entspannten und
ehrlichen Dialog zwischen allen Seiten eine neutrale Aufarbeitung der
Geschichte des Kraftwerkes unbedingt notwendig ist. Dies scheint derzeit aber
noch unmöglich, da selbst ehemaligen Mitarbeitern der Zugang zu den Archiven
vehement verwehrt wird. Dies führte innerhalb der Bürgerinitiative Kernenergie
zu erheblichen Bedenken. Frau Dr. Rosmarie Poldrack: "Bisher wurde beteuert,
daß es keine schwerwiegenden Störfälle mit Radioaktivitätsfreisetzungen gab.
Nach wie vor werden die Unterlagen aber unter Verschluß gehalten. Diese alten
Akten haben aber keinen Einfluß mehr auf den wirtschaftlichen Ablauf im
Atomkraftwerk. Außerdem sind die EWN ein bundeseigenes Unternehmen und auch
die Akten der Atomaufsicht der DDR sind im Bundesbesitz. Wenn dieses Wissen
heute noch als Staatsgeheimnis behandelt wird, scheint es, daß erhebliche
Fakten verheimlicht werden müssen."
Dies ist die Bürgerinitiative nicht gewillt hinzunehmen. Im Interesse eines
offenen Umgangs mit der Vergangenheit Greifswalds ist eine umfassende
Untersuchung notwendig.

Markus Maaß: "Die Kraftwerksmitarbeiter haben fest daran geglaubt, Gutes zu
tun. Es ist ein weiter und steiniger Weg der Erkenntnis, das Wissen
anzunehmen, daß auch in den Atomanlagen der DDR vieles falsch lief und auch
der Betrieb des AKW Greifswald/Lubmin mit in den militärisch-nuklearen Bereich
eingebunden war. Die sogenannte friedliche Nutzung der Atomkraft ist immer mit
dem militärischen Mißbrauch verquickt und völkerrechtlich und moralisch
untragbar."
viSdP. Erna Müller, Schneeglöckchenweg 129 a, 110 10 Berlin- Dahlem