trend PARTISAN.net
online
archiv

1998

Rubrik
Repression & Widerstand
Frankfurter Rundschau 08.06.1998

Seit drei Generationen in Deutschland verfolgt

Die Gingolds: Biographie über ein mutiges Ehepaar*

Von Claudia Michels

Das Buch zum Leben: Die Biographie des widersetzlichen
jüdisch-kommunistischen Ehepaars Ettie (85) und Peter Gingold (82)
ist erschienen. Sie hält fest, was besonders Peter Gingold nicht müde
wird, zu erzählen: Daß es möglich war, in der Nazizeit Widerstand zu
leisten. Und daß es auch in der Bundesrepublik Anlaß genug gibt,
gegen den Staat zu opponieren.

Die Gingolds: seit 52 Jahren in der Niederräder Reichsforststraße zu
Hause. An dieser Familie läßt sich deutsche Geschichte erzählen.
"Seit drei Generationen in Deutschland verfolgt und abgelehnt",
titelte das Fernsehmagazin Panorama 1975, als Tochter Silvia unter
den "Radikalenerlaß" fiel und nicht Beamtin im hessischen Schuldienst
werden durfte.

Drei Generationen Verfolgung: Schon die Eltern von Peter Gingold, die
1912 aus Polen nach Frankfurt gezogen waren, wurden aus dieser Stadt
ausgewiesen. Man sah sie als Feinde an, weil ihre Heimat inzwischen
zu Rußland gehörte. Erst 1929 durfte die Familie zurück. 1933, als
mit dem Slogan "Deutsche, kauft nicht bei Juden" die jüdischen
Geschäftsleute boykottiert wurden, gingen Eltern und sechs Kinder
nach Frankreich ins Exil.

In Paris wuchs Peter Gingold in eine Gruppe junger Hitlergegner
hinein, die sich "Freie Deutsche Jugend" nannte. "In diesem Milieu",
so steht es in der Biographie, lernte er 1936 Ettie kennen. Nun ging
die Exil-Arbeit gemeinsam weiter. Als die Deutschen in Frankreich
einmarschierten, hatte Ettie Gingold gerade eine Tochter zur Welt
gebracht - ein "unschuldiges Würmchen", wie sie aufschrieb, das wegen
seiner jüdischen Herkunft "von vornherein zum Tode verurteilt war".

1942 wurden zwei von Peter Gingolds Geschwistern nach Auschwitz
deportiert; niemand hat sie je wiedergesehen. Seine Eltern tauchten
unter; auch Peters kleine Tochter wurde versteckt. Doch der Wille zum
Widerstand war ungebrochen: Ettie schleuste, zusammengerollt in
Spaghettischachteln, Flugblätter zu den deutschen Soldaten. Ihr Mann
arbeitete als Beauftragter der Widerstandsbewegung "Travail Allemand
(TA)" in Dijon, wurde 1943 zum Gestapo-Gefangenen und wochenlang,
"Arme und Beine langgestreckt, mit Händen und Füßen am eisernen
Bettgestell festgekettet". Eine Täuschung der Bewacher half ihm, zu
entkommen.

Als das alles vorbei war, drängte die Familie im Mai 1945 zurück,
doch "in Deutschland wieder Fuß zu fassen", schreibt ihr Biograph
Karl Heinz Jahnke, "war für die Gingolds schwierig. Die Aufnahme für
Juden, die den Holocaust überlebt hatten, war nicht besonders
freundlich". Auch "als Kommunisten wurden sie ausgegrenzt und erlebten
viele Nachteile". Mit dem KPD-Verbot 1956 ging Peter Gingold wieder
in die Illegalität.

Die 70er Jahre dann brachten diesen Frankfurtern einen langen Kampf
um das Recht, Deutsche zu sein: Dies, teilte man ihnen mit, setze
"ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung voraus".
Im Mai 1974 wurde die Familie endlich in die Staatsgemeinschaft
aufgenommen - und schon wieder ausgestoßen: Tochter Silvia bekam
Berufsverbot als Lehrerin. Die Proteste kamen aus aller Welt;
beispielsweise François Mitterrand intervenierte, "weil ich nicht
akzeptieren kann, daß die Bundesrepublik fortfährt, jeden vom
öffentlichen Dienst auszuschalten, der nicht als Diener der
derzeitigen Ideologie angesehen wird".

Silvia, die längst als Lehrerin arbeitet, konnte nie Beamtin werden.
Mit diesem Kapitel endeten Ende 1970 die schweren Jahre für die
Gingolds. Doch ihr Einsatz dauert an: "Wir haben uns geschworen,
sollten wir überleben, dann werden wir alles tun, damit nie wieder
Faschismus, nie wieder Krieg von Deutschen ausgeht."

*) "Sie haben nie aufgegeben", von Karl Heinz Jahnke, Pahl-Rugenstein-Verlag