Monika Haas PROZESSERKLÄRUNG 30. März 1998
Der vom 5. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt geführte
Prozeß gegen mich währt nunmehr seit fast zwei Jahren. Der Vorwurf
der Anklage, ich hätte im Oktober 1977 die Waffen für die Entführung
der Lufthansamaschine Landshut nach Palma de Mallorca gebracht, datiert bereits
aus dem Herbst 1980. Laut Akten hat eine anonyme Quelle - geführt vom
Bundeskriminalamt - diese Behauptung damals in die Welt gesetzt. Welche
Interessen - und verbunden damit - welcher Personenkreis hinter diesem Vorwurf
steckt, ist für mich die Frage, die ich seit 1992 versuche zu klären.
Die Tatsache, daß im Bereich des sogenannten Terrorismus" Täter
in der Regel ausgeguckt und nicht etwa ermittelt werden, ist so alt wie der
bewaffnete Kampf selbst. Dies kann mit mehr als nur einem Beispiel belegt
werden. Jeder, der mit dieser Materie einigermaßen vertraut ist, weiß
das. Erinnert sei hier nur kurz an das spektakuläre Beispiel, das Fritz
Teufel in seinem Prozeß aufzeigen konnte. Nach dem Plädoyer der
Staatsanwaltschaft, die als eindeutigen Beleg für seine Schuld mit ihren üblichen
Indizienketten aufwartete, präsentierte Fritz Teufel dem Gericht für
den genannten Tatzeitraum sein über jeden Zweifel erhabenes Alibi. Um
diesen Beweis, wie einfach es ist, vor Staatsschutzsenaten solche Indizienketten
zu basteln, öffentlich führen zu können, nahm Fritz Teufel fünf
Jahre Untersuchungshaft in Kauf. Er hat mit dieser Demonstration warnend belegt,
wie fehlerhaft solche Urteile oft zustande kommen.
Ursprung des Vorwurfs gegen mich ist, wie gesagt, angeblich eine anonyme
Quelle. Bereits in meiner letzten Prozeßerklärung im Oktober 1996
habe ich auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß der Verdacht parallel
bei westlichen und östlichen Diensten auftauchte, und zwar im Herbst 1980,
also genau zu dem Zeitpunkt meiner Rückkehr nach Europa. Ein Zusammenhang
ist nicht zu übersehen, aber was war der Hintergrund?
Während meiner Inhaftierung bin ich diesen Fragen intensiv anhand der
Akten nachgegangen. Ich wußte, daß es um ein Konstrukt gegen mich
ging. Es war nicht das erste, allerdings das für mich folgenschwerste. Nach
meiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im März 1997 konnte ich meine
Recherchen über die Akten hinaus ausweiten. Ich habe seitdem viele Gespräche
mit - ich nenne sie mal Zeitzeugen - geführt und dabei mehr über die
Hintergründe erfahren, als ich zu hoffen gewagt habe. Allerdings hat mich
das Ausmaß der gegen mich gerichteten Machen-schaften des
Bundeskriminalamtes und der Bundesanwaltschaft noch im Nachhinein zutiefst
erschreckt.
Die erste Frage für mich war: Gab es die Quelle überhaupt und wenn
ja, wer verbirgt sich dahinter?
Kurz nach meiner Entlassung aus der Untersuchungshaft am 19. März 1997
bekam ich un-erwartet einen vertraulichen Hinweis, dem ich dann intensiv
nachgegangen bin.
Mir wurde gesagt, daß Khaled Jihad - ein Palästinenser und
Mitglied der PFLP-SC - mit der Anklage gegen mich im Zusammenhang stehen würde
und daß er für Drogen, die er vom BKA erhält, alles macht, was
von ihm verlangt wird.
Den ersten konkreten Hinweis auf Khaled Jihad gab es bereits 1992 in dem
Buch Die RAF-Stasi-Connection". Diese Veröffentlichung
beinhaltet im wesentlichen eine Zusammenfassung der Aussageprotokolle der
sogenannten DDR-RAF-Aussteiger. Auf Seite 147 wird von den Autoren Müller
und Kanonenberg das Szenario beschrieben, wie es ihrer Meinung nach zum
Fahndungserfolg in Paris gegen die RAF kam. Dort wurden in der Rue Flatters im
Mai 1980 fünf Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni verhaftet.
Bis heute machen die bundesdeutschen Ermittler ein großes
Geheimnis aus der Frage, wie sie auf diese konspirative Wohnung gestoßen
sind. Top-secret. Doch vom Himmel fällt ihr Wissen nicht. Eher weht es aus
der Wüste herüber: Der entscheidende Tip kommt aus palästinensischen
Zusammenhängen". Im Klartext: Jemand hat die Wohnung verpfiffen. Inge
Viett hat eine gute Freundin im Nahen Osten: die Schöne Frau".
Doch das Leben ist hart dort, denn die Tage in der Wüste sind lang und vor
allen Dingen langweilig. Da freut sich jeder über eine Bekannte, mit der
man mal das eine oder andere Wort wechseln kann, um sich ein wenig Kurzweil zu
verschaffen. Wenn diese Person dann auch noch der eigenen Muttersprache mächtig
ist, vereinfacht dies die Sache ungemein: Weil der Informationsaustausch sehr
schnell und vor allen Dingen ohne Mißverständnisse vonstatten geht.
Die Schöne Frau" hat eine solche Bekannte und diese wiederum ist
ebenfalls mit einem Palästinenser liiert. Und dieser ist als Quelle für
einen bundesdeutschen Geheimdienst tätig. So ein Zufall."
Soweit das Zitat aus dem vorgenannten Buch. Palästinenser aus den
Reihen der PFLP, die mit einer deutschen Frau liiert waren, gab es nicht viele.
Deshalb war es nicht schwer zu erraten, auf wen diese Anspielung zutreffen
sollte.
Die Beziehungen, die Müller und Kanonenberg herstellen, sind eine
Fiktion. Ich kannte weder Inge Viett, noch hatte ich in Aden die von den Autoren
erwähnte deutsche Freundin. Von daher hielt ich zuerst die gesamte Passage
für völlig aus der Luft gegriffen. Außerdem war die im Buch erwähnte
Bekannte" vom Mai 1978 bis August 1980 in einem deutschen Gefängnis
inhaftiert, was die Autoren in ihrer Hektik, möglichst vor Stefan Aust mit
ihrer Publikation auf den Markt zu kommen, wohl vergessen hatten zu
recherchieren.
Allerdings gab es bereits 1980 in verschiedenen deutschen Zeitungen und auch
im SPIEGEL konkrete Aussagen darüber, daß die Wohnung in der Rue
Flatters aus Palästinenserkreisen verraten worden war. Und noch ein
weiterer Fahndungserfolg hatte den Verdacht erregt, daß es im Nahen Osten
eine Person gäbe, die Informationen an westliche Behörden liefert. So
wurden zwei getrennt reisende Gruppen von Mitgliedern der spanischen ETA bei
ihrer Ankunft in Europa an den Zielflughäfen bereits erwartet und
festgenommen, als sie von einer Reise aus dem Jemen eintrafen. Solche Erfolge
machen mißtrauisch und haben die betroffenen Gruppen zu intensiven
Nachforschungen nach dem Verräter veranlaßt. Grund genug für das
BKA - denn nicht beim BND, sondern beim BKA wurde die Quelle geführt - eine
falsche Spur zu legen, damit ihr Mann nicht vorzeitig enttarnt wird. Er war der
große Hoffnungsträger für das Bundeskriminalamt, der ihnen auch
weiterhin zu Fahndungserfolgen verhelfen sollte.
Das BKA lenkte den Verdacht gezielt auf mich. Ich wurde faktisch als Schutzschild"
für ihren Agenten mißbraucht. Ein skrupelloses Unternehmen, denn
dieser Verdacht hat mich mehr als nur einmal in Lebensgefahr gebracht. Es war
denkbar einfach: Nach den Vorgängen in Nairobi war das Mißtrauen
gegen mich in Palästinenserkreisen bereits vorhanden, darauf ließ
sich hervor-ragend aufbauen. Es konnte immer unterstellt werden, ich hätte
mein Wissen von meinem Mann und würde es weitergeben. Diese Rechnung ging -
bis in die jüngste Vergangenheit - voll auf.
Um den Verdacht auf mich zu lenken, wurden u.a. die Kontakte zur Abteilung
XXII des MfS genutzt. Zwischen den Ermittlern im Bereich Terrorismus"
in West und Ost gab es zahlreiche Verknüpfungen. So verfügte die Stasi
stets über die neuesten Fahndungsunterlagen der Abteilung TE des
Bundeskriminalamtes. Das haben inzwischen mehrere Aussagen, sowohl von
ehemaligen Mitarbeitern des MfS als auch Aussagen von früheren
RAF-Mitgliedern, bestätigt. Ein weiteres Indiz für den regen Austausch
von Informationen ist, daß die exakten Hinweise, die die bundes-deutschen
Ermittler in Bezug auf die in der DDR lebenden RAF-Aussteiger bekamen, der Stasi
ebenfalls rasch bekannt wurden. Die sofortige Umsiedlung war dann die Folge.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof erhebt am 15. März 1991
Anklage gegen vier mutmaßliche MfS-Agenten, die in der
Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes tätig ge-wesen waren. Die
Beamten waren nach dem Zusammenbruch der Stasi enttarnt worden. Nachzulesen ist
dies in dem Buch von Anne Worst Das Ende eines Geheimdienstes", 1991
erschienen im Links-Druck Verlag.
Auch ehemalige hochrangige Mitarbeiter des Kölner Verfassungsschutzes
hatte die Staats-sicherheit, wie wir heute alle wissen, unter Vertrag.
Die Lektüre des Magazins DER SPIEGEL aus dem Jahre 1980 offenbart einen
weiteren Weg, wie das BKA seinerzeit über entsprechende Kontakte den
Verdacht des Verrats gezielt auf mich lenkte. Seit 1979/80 gab es Treffen
zwischen BKA-Beamten und dem von Arafat beauftragten Abu Roal. Diese
Arbeitskontakte zwischen dem BKA und der PLO-Sicherheit waren ein Geschäft
auf Gegenseitigkeit. Die PLO war hauptsächlich daran interessiert, den
Aufenthaltsort einer ge-wissen Erika Chambers zu erfahren, die sie in Düsseldorf
wähnten. Frau Chambers wurde ver-dächtigt, dem israelischen
Geheimdienst Mossad beim tödlichen Attentat auf Ali Hassan Salameh (ein
enger Freund von Arafat) in Beirut geholfen zu haben.
Auch über diese Verbindung lancierte das BKA verdeckte Andeutungen, ich
sei die Verräterin aus den Reihen der PFLP.
Inwieweit auch der österreichische Botschafter Dr. Amry in diese
gezielte Desinformation eingespannt war ist wohl nicht mehr zu klären, er
informierte angeblich Abu Ayad (ebenfalls PLO-Sicherheit) darüber, daß
ein Verräter innerhalb der PFLP Informationen an die französische
Botschaft in Aden gegen finanzielle Gegenleistungen weiterleitet. Auf Grundlage
dieser Infor-mation wären, laut Amry, die fünf BRD-Terroristen in
Paris verhaftet worden.
Das gesamte Konglomerat findet sich im Operativvorgang Wolf"
wieder: ein Desinformationsaustausch, wo jeder seinen Interessen gemäß
sein eigenes Süppchen köchelt.
Gerade weil die Hinweise aus verschiedenen Richtungen auf mich fokussiert
wurden, war sich die PLO so sicher, in mir die Verräterin sehen zu können.
Das ergibt sich auch aus einem mir zu-gegangenen Gesprächsvermerk des MfS
vom 7. November 1981 über ein 4-Augengespräch" zwischen
Oberst Harry Dahl und Abu Ayad, dem Sicherheitschef der PLO. Geführt wurde
dieses Gespräch am Rande eines Palästina-Kongresses, der am 5.
November 1981 in Ost-Berlin stattfand. Ich zitiere:
Mit Abu Ayad wurde dann über den Verratsfall Haas, Monika
gesprochen.
Genosse Abu Ayad ist dafür, die Haas zu liquidieren. Einer sofortigen
Realisierung eines solchen Vorhabens stehen jedoch Absichten der PLO in bezug
auf die Einbeziehung der Gruppe Abu Mohamed entgegen.
Durch Gen. Ayad persönlich wird seit ca. 7 Monaten versucht, diese
Gruppe an die PLO zu binden. Trotz großer anfänglicher
Schwierigkeiten ist es jetzt gelungen, zum Leiter der Gruppe Abu Mohamed ein
gewisses Vertrauensverhältnis herzustellen. Da aber Abu Mohamed und der
Ehemann der Haas, Saki Helou eng befreundet sind, möchte die PLO-
Sicherheit derzeitig nichts unternehmen, was dieses sich entwickelnde
Vertrauens- verhältnis zu Abu Mohamed stören könnte.
Es ist daher vorgesehen, daß Abu Ayad mit Abu Mohamed spricht und ihn
bewegt, Einfluß auf Saki Helou zu nehmen, sich von der..." (Anm.: das
Folgende ist geschwärzt. Wahrscheinlich heißt es an dieser Stelle Haas
zu trennen" - es gab mehrere Versuche von Abu Mohamed meinen Mann zu einer
Trennung zu bewegen).
Bleiben diese Bestrebungen ergebnislos, wird Abu Ayad veranlassen, daß
die Haas im März 82 durch einen Autounfall liquidiert wird".
Im März 1982 habe ich endgültig meinen Mann verlassen und verdanke
möglicherweise dieser Entscheidung mein Leben.
Es ist keine neue Erkenntnis, daß hiesige Behörden nach der Prämisse
verfahren, der Zweck heiligt die Mittel. Trotzdem war es für mich ein
Schock zu erfahren, wie grenzenlos hier agiert wurde. Es war also keine
gespielte Aufregung - wie ich es damals fälschlicherweise interpretiert
hatte - als 1984 Staatsschutzbeamte fast meine Wohnung stürmten, um mich in
Sicherheit zu bringen. Die PLO hatte nach dem Attentat auf meinen Mann öffentlich
die Drohung ausgesprochen: wenn er stirbt, stirbt sie auch!" Sie
waren fest davon überzeugt, daß ich meinen Mann an den Mossad
verraten hatte und das BKA wußte nur zu gut, warum sie diese Drohung so
ernst nehmen mußten. Schließlich hatten sie doch selbst nachhaltig für
diese Bewertung gesorgt.
Meine Einschätzung in der Prozeßerklärung vom 31. Oktober
1996, die im wesentlichen auf meinem intensiven Aktenstudium basierte, war zwar
nicht falsch, jedoch verkürzt. Damals hatte ich noch ausschließlich
das MfS für die gezielt gestreuten Gerüchte verantwortlich gemacht.
Wie eng verwoben und verflochten diese ganzen geheimdienstlich operierenden
Institutionen waren und sind, hat sich für mich erst im Laufe meiner
Recherchen des vergangenen Jahres herauskristallisiert. Ein Zusammenspiel,
welches längst noch nicht in seinem ganzen Ausmaß offen geworden ist.
Zudem konnte die Rolle des Bundeskriminalamtes in diesem schmutzigen Geschäft
von der Bundesanwaltschaft weitgehend durch Aktenmanipulation verschleiert
werden.
Hier in der Hauptverhandlung wurde ein BKA-Beamter als Zeuge geladen, der
den Auftrag hatte, den Inhalt von gezielt ausgesuchten Aktenteilen, die er dazu
lesen durfte, hier als Beweis ein-zuführen. Er selbst hatte nie etwas mit
diesem Fall zu tun und konnte nur referieren, was ihm von vorgesetzter Stelle
erlaubt wurde.
Zurück zu Khaled Jihad. Ich kenne ihn seit 1976. Er war oft in Aden und
hat während dieser Aufenthalte viel mit meinem Sohn unternommen. Bereits
nach der Lektüre des Buches RAF-Stasi-Connection habe ich darüber
nachgedacht, ob er wirklich so weit gegangen ist, Leute zu verkaufen. Damals
habe ich mich aber nicht weiter um diesen Passus im Buch gekümmert, wohl
auch, weil ich es zuerst nicht glauben wollte.
Im Oktober/November 1982 habe ich Khaled Jihad das letzte Mal gesehen. Ich
fuhr damals mit meinen beiden jüngsten Kindern nach Sofia, um mich dort mit
meinem Mann zu treffen. Khaled Jihad wohnte mit seiner Frau zum damaligen
Zeitpunkt ebenfalls in Sofia und war in irgendwelche Geschäfte involviert -
in enger Zusammenarbeit mit dem bulgarischen Geheimdienst, soviel weiß ich
sicher.
Nach den mir im Frühjahr 97 bekannt gewordenen Informationen habe ich
mich bemüht heraus-zufinden, ob es für Khaled Jihad die Möglichkeit
gab, die Wohnung in der Rue Flatters zu verraten. Meine Recherchen ergaben: Er
war in Aden zu dem Zeitpunkt, als die Mitglieder der ETA nach Europa zurückkehrten
und er war in Paris zum Zeitpunkt der Verhaftungen. Er hat sich dort mehrmals
mit später festgenommenen Frauen getroffen. Das letzte Treffen fand zwei
Tage vor den Verhaftungen in der Rue Flatters statt. Offensichtlich wurden diese
Treffen so lange arrangiert, bis man zur Wohnung in der Rue Flatters folgen
konnte.
Zu meiner eigenen Überraschung bekam ich diese Informationen noch
einmal von ganz anderer Seite bestätigt. Bei einem Besuch beim SPIEGEL in
Hamburg hatte ich u.a. ein längeres Gespräch mit Herrn Latsch. Im
Laufe dieses Gesprächs fragte er mich, ob ich denn wisse, wer die anonyme
Quelle sei, die 1980 behauptet habe, ich hätte die Waffen nach Mallorca
transportiert. Auf meine Antwort, daß vieles auf die Stasi deute,
korrigierte er mich und eröffnete mir: Ein Palästinenser namens Khaled
Jihad hätte seit 1979 eine Menge hochgehen lassen, u.a. die Rue Flatters
sowie ETA-Mitglieder, also all das, was man mir danach in die Schuhe geschoben
hatte.
Zweifel darüber, ob Khaled Jihad mit dem BKA zusammengearbeitet hat,
waren damit für mich völlig ausgeräumt. Ob er auch die anonyme
Quelle ist - was naheliegend ist, falls es überhaupt eine solche gab -
und wenn ja, wieso er mir einen Waffentransport anhängt, war und ist
damit aber noch nicht beantwortet. Wenn er die Quelle ist, stellt sich als
erstes die Frage: war das eine Idee von ihm oder wurde ihm vom BKA diese
Belastung souffliert? Fest steht jedenfalls die weitere Entwicklung, und die
spricht für die zweite Variante.
Noch bevor ich im November 1980 meine Rückkehr offiziell machte, indem
ich mich in Hamburg polizeilich anmeldete, wurden die Aktivitäten der
Staatsschutzbehörden gegen mich in gang gesetzt. Herr Pfaff - er war damals
zuständiger Staatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft - kann über diese
Hintergründe umfassend Auskunft geben. Meine Reise nach Europa war
ersichtlich vor meiner Ankunft in der BRD durchgesickert. Der Informationsfluß
lief über das Ministerium für Staatssicherheit. Die Stasi kannte seit
Mai/Juni 1980 meine Reisepläne, da ich in der DDR- Botschaft in Aden
vergeblich versucht hatte, ein Visum für eine Reise nach Ost-Berlin zu
bekommen. Auch die Tatsache, daß ich danach ein Visum von der Botschaft
der CSSR in Aden erhielt, dürfte der Stasi nicht verborgen geblieben sein.
Die Folgen habe ich bereits in meiner Erklärung am 31. Oktober 1996 auf
Seite 27 ausführlich dargelegt.
Die Hoffnungen auf weitere Fahndungserfolge, die Khaled Jihad geweckt hatte,
konnten bereits Ende 1980 nicht mehr so richtig erfüllt werden. Er geriet
zu diesem Zeitpunkt unter starken Druck, da die PFLP seinen exzessiven Alkohol-
und Drogenkonsum nicht länger tolerierte. Zum Bruch mit der PFLP kam es,
weil sie ihm die Ehe mit seiner deutschen Freundin, die nach ihrer Entlassung
aus der Haft im Oktober 1980 nach Beirut gezogen war, verbieten wollte.
Inwieweit Khaled Jihad auch zu einer Zusammenarbeit erpreßt wurde, kann
ich nicht sagen. Ich weiß allerdings, daß er vom BKA für den
Mann gehalten wird, den Hans-Joachim Klein in seinem Buch Rückkehr in
die Menschlichkeit" erwähnte. Demnach war er der zweite Mann beim
Anschlag 1975 auf die OPEC in Wien, der das Kommando führen sollte, falls
Carlos bei der Operation" etwas zustieße.
Bei Mitarbeitern des Bundeskriminalamtes greift das Legalitätsprinzip
wohl etwas weniger als es greifen müßte. Was für eine
Doppelmoral, die da immer wieder zum Vorschein kommt.
Fahndungserfolge, wie die der Rue Flatters, waren also wieder in weite Ferne
gerückt. Nun sollte ich dem BKA dazu verhelfen. Was dann kam, ist hier
schon weitgehend erörtert worden. Der Brief, den ich am 27. Juni 1981 vor
meiner Tür in Hamburg vorfand, offenbart den Plan der Behörden:
Uns interessieren weniger das Camp und SC, vielmehr der 'Opiumschädel'
(Brigitte!)".
Ich sollte ihnen also Brigitte Mohnhaupt in eine Falle locken. In meiner
Angst habe ich damals nicht viel begriffen, aber ich wußte, ich hatte ein
Problem und es gab mehrere Möglichkeiten, wer dahinterstecken konnte. Ich
sollte ja schon einmal eine Frau ans Messer liefern - 1976 in Nairobi wurde das
ebenfalls von mir verlangt - und die Anspielung auf Nairobi in dem Brief war
auch das, was ich sofort erkennen konnte. Der Kölner Verfassungsschutz
jedoch, der mir diesen Brief vor die Tür gelegt hatte, war damals für
mich weder der erste noch der zweite Gedanke hinsichtlich der Frage, wer sich
hinter dem Drohbrief verbergen könnte.
Der Plan, mich zu einer Mitarbeit zu zwingen, war gut durchdacht. Ich war
verantwortlich für drei Kinder, daß jüngste gerade mal drei
Monate alt. Außerdem war bekannt, daß es für mich eine
politische Distanz zu bewaffnet kämpfenden Gruppen gab, ich mich mit dieser
Form der politischen Auseinandersetzung schon lange nicht mehr identifizierte.
Trotzdem wurde Nairobi allein als Druckmittel wohl nicht für ausreichend
befunden, denn in dem besagten Brief gab es schon damals eine Anspielung auf den
Waffentransport. Ich konnte erkennen, daß es um mehr als nur Nairobi ging,
das war's aber auch schon. Alles weitere ist bekannt. Nachdem mir der
polizeiliche Schutz verweigert wurde, zog ich es vor, die BRD etwas schneller
als geplant zu verlassen.
Hätte ich eine Vorstellung davon gehabt, um welche Anspielung es da
ging, wäre ich mit Sicherheit nicht zehn Monate später - diesmal endgültig
- in die BRD zurückgekehrt, sondern hätte erst einmal von Beirut aus
versucht, die Vorwürfe zu klären. Damals gab es die ärztlichen
Unterlagen über die Krankheit meiner Tochter ja noch. Wie gesagt, wenn ich
eine Vorstellung gehabt hätte.
Das BKA hat nach meiner Rückkehr 1982 weiter versucht, mich zu einer
Mitarbeit zu bewegen. Diesmal jedoch etwas vorsichtiger in Gestalt eines
Nachrichtenhändlers namens Peter Lieven. Nach mehreren erfolglosen
Interventionen ließen die Versuche allerdings nach. Besonders nach dem
Attentat auf meinen Mann war dann erst mal einige Jahre Ruhe.
Die wurde erst wieder 1989 unterbrochen, als es plötzlich in der
BILD-Zeitung hieß, ich hätte den Sprengstoff für das Herrhausen
Attentat" von Syrien aus in die BRD gebracht. Irgend etwas war also wieder
einmal in Vorbereitung. Ähnlich wie manche Firmen sich ihre
MitarbeiterInnen auf Abruf halten, wurde ich zu einer Art Verdächtigen
auf Abruf"für die Bundesanwaltschaft.
Was immer auch geplant war, es wurde wegen den Verhaftungen der sogenannten
DDR-RAF- Aussteiger offenbar zurückgestellt. Erst nachdem ersichtlich war,
daß die Aussagen dieser neu-gewonnenen Kronzeugen nichts für einen
von der Bundesanwaltschaft geplanten Prozeß gegen Brigitte Mohnhaupt
hergaben, wurde sich meiner wieder erinnert. Wieder wurde die Konstruktion des
Waffentransports gegen mich als Druckmittel eingesetzt.
Mein Pech in diesem Drama ist, daß es auf Mallorca real eine Frau im
Zusammenhang mit der Entführung der Lufthansamaschine gab, deren Rolle und
Identität unklar ist. Die Tatsache, daß die PFLP in der damaligen
Zeit Verbündete in allen westeuropäischen Ländern hatte - übrigens
auch in Holland - ermöglichte es den Staatsschutzbehörden, die
Anwesenheit dieser Frau relativ leicht auf mich zu übertragen.
Die Reise des Pärchens Vermaesen und Servati von Algier nach Palma de
Mallorca war bereits im November 1977 bekannt, diese Feststellung hat die
Beweisaufnahme ergeben. Eine Passagierliste - erstellt von spanischen Behörden
- über den Flug von Algier nach Palma ging dem Verfassungsschutz am
25.11.1977 zu. Namen und Paßdaten waren ermittelt. Dann sollen sich
angeblich die Ermittlungen erschöpft haben. Mir kann niemand erzählen,
daß der Aufenthalt dieses Pärchens im Hotel Java erst bei den
Nachermittlungen im Dezember 1980 entdeckt worden sei, obwohl die Reise nach
Palma im Zusammenhang mit der Entführung aktenkundig geworden war. Dagegen
spricht schon allein die Tatsache, daß das BKA 1977/78 ca. 80.000
Hotelmeldekarten aus Palma de Mallorca in Wiesbaden durch den Computer jagte und
u.a. mit PIOS und anderen Fahndungsdaten abgeglichen hatte. Die Paßdaten
von Cornelia Vermaesen waren zu diesem Zeitpunkt bereits in PIOS gespeichert, da
der Paß am 08. Januar 1977 als gestohlen gemeldet worden war. Am 30.11.77
wurde eine Kopie des PIOS-Datei-Erfassungsbogens aus den Akten der Abteilung ST
2411 entnommen. Außerdem muß auch der Paß von Servati bei
diesem Computercheck aufgefallen sein, hatte er doch die gleichen Fälschungsmerkmale
wie die Pässe des Kommandos der PFLP.
Das soll alles übersehen worden sein?
Während seiner Zeugenaussage hat der Leitende Kriminaldirektor a. D.
vom Bundeskriminalamt, Herr Gerdes, am 27.6.1996 hier bekundet, der Name
Trubendorffer sowie die Paßnummer sei im Hinweis der Quelle enthalten
gewesen. Wie aber sollte Khaled Jihad im Herbst 1980 - drei Jahre nach der Entführung
der Landshut - in der Lage gewesen sein, solche detaillierten Angaben zu machen?
Die Daten, die von dem Pärchen Vermaesen/Servati bekannt wurden, beschränken
sich außerdem auf genau die Daten, die jeder Hotelgast auf den
Hotelmeldezetteln in Palma angeben muß.
Der Diebstahlsvorgang des Passes Vermaesen soll gemäß BKA-Vermerk
vom 25. Januar 1995 bereits 1982 vernichtet worden sein. 1982 bin ich in die BRD
zurückgekommen, seit wann werden Unterlagen in so einem brisanten
Zusammenhang vernichtet, wenn die Hauptverdächtige doch wieder greifbar
ist?
Überhaupt gibt es einiges an Merkwürdigkeiten, die sich um diesen
Paß ranken.
Nachdem im April 1992 ein Rechtshilfeersuchen an die niederländischen
Behörden gestellt worden war, ist Frau Vermaesen zum Verlust ihres Passes
befragt worden. Eine der Fragen lautete: Hat Frau Vermaesen eine Tochter,
die im Oktober 1977 drei bis vier Monate alt war?"
Diese Frage fand ich so gezielt gestellt, daß bei mir die Vermutung
aufkam, daß damit uner-wünschte Antworten vermieden werden sollten.
Es wäre ja nicht ganz unerheblich zu wissen, ob Frau Vermaesen überhaupt
Kinder hat und wenn ja, wann sie geboren sind und wie sie heißen.
Als dann auch noch die Nachforschungen bei der Zentrale
Ermittlungsexekutive" in Amsterdam von dem niederländischen
Ermittlungsbeamten nicht korrekt durchgeführt wurden, verstärkte sich
mein Eindruck, hier wird manipuliert. Der Beamte hatte die Aufgabe, die
Ermittlungsakten der Polizei oder der Staatsanwaltschaft in Amsterdam, welche
die Diebstahlsanzeige der Frau Vermaesen enthalte, beizuziehen." Also die
Unterlagen, die laut BKA bereits 1982 vernichtet wurden. Jetzt hieß es plötzlich:
Nachforschungen bei der Centrale Executieve Recherche" haben
ergeben, daß die Zeugin Trubendorffer den Diebstahl eines Passes nicht
angezeigt hat. Somit können auch solche Unterlagen nicht überreicht
werden" (Zitat aus dem Rechtshilfeersuchen).
Das ist eine falsche und richtige Auskunft zugleich, die mit einem einfachen
Trick erreicht wurde. Es gab eine Diebstahlsanzeige von Frau Vermaesen,
nicht von Frau Trubendorffer (ihrem Mädchennamen). Hier soll also
nicht aufgeklärt, sondern im Gegenteil etwas verschleiert werden.
Aus diesem Grund habe ich mich bemüht herauszufinden, ob Frau Vermaesen
Kinder hat. Der erste Versuch war eine Fehlanzeige. Frau Vermaesen hat diese
Fragen mit der seltsamen Ausrede beantwortet, es sei alles so lange her, sie könne
sich nicht mehr erinnern und war darüber hinaus sehr abweisend.
Im Juli 1997 versuchte meine Verteidigung noch einmal, diese Fragen zu klären.
Rechtsanwalt Bendler schrieb einen Brief an Frau Vermaesen mit der Bitte, uns
mitzuteilen, wann ihre Tochter geboren wurde und wie ihr Vorname lautet. Daß
Frau Vermaesen eine Tochter hat, konnten wir bei der ersten Anfrage in Erfahrung
bringen.
Am Vormittag des 14. August 1997 rief ein Herr Drent bei meinem Verteidiger
an. Er sagte, er sei ein Freund von Herrn Trubendorffer und habe den Auftrag, für
Frau Trubendorffer auf das Schreiben zu reagieren. Er nahm abermals Bezug auf
die lange Zeit, deshalb könne Frau Trubendorffer sich nicht mehr konkret an
die damaligen Ereignisse erinnern. Sie sei eine alte Dame von 70 Jahren und
wolle nicht mehr mit dieser Sache weiter befaßt werden.
Als ich den Aktenvermerk über das Telefonat mit Rechtsanwalt Bendler
gelesen hatte, wußte ich sofort, hier wird kräftig gelogen. Die
Fragen waren wieder erfolgreich umschifft. Ich hatte in Erinnerung, daß
Frau Vermaesen 1942 geboren war. Dann ist sie jetzt fast 56 Jahre alt, aber
nicht 70 Jahre alt, schon ein Unterschied. Um mich zu vergewissern, habe ich
noch einmal in den Akten nachgesehen. 1942 war als Geburtsdatum korrekt.
Der Blick in das Rechtshilfeersuchen offenbarte aber noch eine zweite Überraschung.
Herr Drent, der erklärte Freund von Herrn Trubendorffer, war niemand
anderes als der staatliche Ermittlungsbeamte, tätig bei der Zentralen
Ermittlung - Informationsdienst, Abteilung Sonderermittlung." Also der
Beamte, der Frau Vermaesen im Rahmen des Rechtshilfeersuchens vernommen hatte
und der die fehlerhaften Nachforschungen bei der Polizei in Amsterdam betrieben
hatte.
Jetzt habe ich nicht nur die unbeantworteten Fragen, wann die Tochter von
Frau Vermaesen geboren wurde und wie sie mit Vornamen heißt, sondern auch
noch die Frage, warum wird hier mit soviel Aufwand und Energie die Nichtbeantwortung
dieser Fragen betrieben und von wem?
Im Grunde brauchte das BKA eine anonyme Quelle nur als Vorwand, um behaupten
zu können, ich sei die Person gewesen, die mit dem Paß von Frau
Vermaesen reiste.
Die Bewegungen des Pärchens auf Palma hatten sie weitgehend ermittelt,
jetzt mußte nur noch jemand für die Zuordnung ausgeguckt werden.
Die erfolgte dann aber angeblich nur sicher in Bezug auf mich, und zwar
genau zum Zeitpunkt meiner Rückkehr, als nach einem Druckmittel gesucht
wurde. Dazu paßt auch, daß die vermeintliche Identität von
Kamal Servati über Jahre hinweg vage blieb. Mal war als männlicher
Begleiter Monzer Al Kassar im Gespräch, dann soll es Abu Mohammed gewesen
sein. Zwischendurch wurde eine Zeugin auch schon mal gefragt, ob sich Khaled
Jihad unter dem Namen Servati verborgen hätte usw.
Said Ali Slim, der aktuelle Kronzeuge, ist nur das bislang letzte Glied in
der Kette mutmaßlicher Servati's.
Ermittlungskriterium für das BKA war auch hier die Überlegung, wen
können wir erfolgreich zur Mitarbeit zwingen. Symptomatisch für diese
spezifische Form kriminalistischer Kompetenz" sind die Erlebnisse mit
Fahndern des Bundeskriminalamtes, die mir Monzer Al Kassar, ein Freund meines
Mannes, schilderte.
1993 wurde Monzer Al Kassar in Spanien wegen des Verdachts, Waffenlieferant
für die Entführung des Passagierschiffes Achille Lauro"
gewesen zu sein, in Untersuchungshaft genommen. Ein Kronzeuge, der wegen
Drogendelikte angeklagt war, hatte diesen Vorwurf erhoben.
(1995 erfolgte der Freispruch - der Kronzeuge hatte gelogen).
Die Beamten der Abteilung TE reisten nach Spanien, um Monzer Al Kassar in
der U-Haft mit der Tatsache" zu konfrontieren, sie hätten
absolut zweifelsfreie Erkenntnisse darüber, daß er gemeinsam mit mir
im Oktober 1977 von Algier nach Palma gereist sei, um dort die Waffen für
die Entführung der Landshut" zu übergeben. Sie - die
Ermittler - seien nicht an einer Strafverfolgung gegen ihn interessiert, sondern
ausschließlich an einer Zeugenaussage, um ihre Erkenntnisse zu
verifizieren. Außerdem seien sie in der Lage, ihm bei seinen derzeitigen
Problemen mit den spanischen Behörden behilflich zu sein. Anschließend
wurde Monzer Al Kassar detailliert über die dem BKA bekannten Tatsachen",
unterrichtet, mußte er doch in die Lage versetzt werden, entsprechendes zu
Protokoll zu geben, was er zunächst auch tat. Nach Aufnahme des
Protokolls ließ Monzer Al Kassar die Beamten zu ihrer Bestürzung
wissen, daß er es unmöglich fände, ihn zu einer Falschaussage
verleiten zu wollen, er sei nämlich im Oktober 1977 nicht mit mir auf
Mallorca gewesen, sondern hätte vielmehr in London in Untersuchungshaft
gesessen. Ein Sachverhalt, den sie ohne Schwierigkeiten in London überprüfen
könnten. Die Beamten des BKA vernichteten daraufhin eigenhändig ihr
erstelltes Protokoll.
Monzer Al Kassar ist jederzeit bereit, hier vor Gericht unter Eid diesen
Versuch, ihn zu einer Falschaussage zu erpressen, zu bezeugen.
Die Anklage gegen mich beinhaltet - verbunden mit dem Waffentransport - außerdem
den Vorwurf der Beihilfe zur Entführung und Ermordung von Hanns Martin
Schleyer.
Trotz dieses Anklagepunktes haben meine Verteidiger bis heute keine
Akteneinsicht zum gesamten Komplex Schleyer-Entführung"
erhalten. Der Vorsitzende Richter Schieferstein begründete diese außergewöhnliche
Verfahrensweise mit dem Hinweis, ein besseres Beweismittel als den Zeugen Peter
Jürgen Boock gäbe es dazu nicht.
Eine bessere Möglichkeit, die Stichhaltigkeit der Aussagen von Peter Jürgen
Boock nicht über- prüfen zu können, wohl auch nicht.
Zu der Entführung von Hanns Martin Schleyer gibt es außer den
Einlassungen von Boock die Zeugenaussagen der sogenannten DDR-RAF-Aussteiger.
Sie waren Kronzeugen in den Ver-fahren zur Schleyer-Entführung, zuletzt
1995 gegen Sieglinde Hofmann. In unseren Akten fehlen diese Vernehmungen.
Es sei dahingestellt, ob jene Kronzeugen bei ihren Angaben immer bei der
Wahrheit geblieben sind. Zumindest Silke Maier-Witt hat im September 1995 vor
dem Oberlandesgericht Stuttgart - vor dem sie im Prozeß gegen Sieglinde
Hofmann geladen war - zugegeben, in ihren staatsanwalt-schaftlichen Vernehmungen
bewußt die Unwahrheit gesagt zu haben. Kronzeugen werden seitens der Ankläger
regelmäßig dazu benutzt, ihre Ermittlungsergebnisse - seien sie
nun richtig oder falsch - zu verifizieren.
Besonders schwierig wird es für Staatsanwälte immer dann, wenn es
- wie beispielsweise im Fall Schleyer - mehrere Kronzeugen gibt. Dann existieren
mit ihnen auch gleichzeitig mehrere Wahrheiten". So ist es auch hier
und deshalb gibt es in meinem Verfahren nur das Beweis-mittel" Boock.
Die wenigen Auszüge, die ich von den Aussagen der RAF-Aussteiger bekommen
konnte, belegen, daß es zu ein und demselben Lebenssachverhalt"
völlig unterschiedliche Sichtweisen und Darstellungen gibt.
Diese Widersprüche sollen hier in der Hauptverhandlung außen vor
bleiben. Statt dessen wurden über Monate hinweg inhaltlich überholte
Urteile aus den verschiedenen Schleyer-Verfahren der achtziger Jahre verlesen
und damit als gerichtsbekannte Tatsache" eingeführt.
Auch große Teile der Angaben von Boock selbst sind in sich widersprüchlich
und nicht miteinander in Einklang zu bringen. Der 24-seitige Beweisantrag meiner
Verteidigung vom 2. März 1998 belegt dies Punkt für Punkt.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen,
daß ich mich weder auf der Terrasse noch sonstwo im Flughafen aufgehalten
habe, als 1976 Peter Jürgen Boock in Aden eintraf. Ich bin mit Boock auch
nicht zum gemeinsamen Einkauf im Dollar-Shop gewesen, noch hatte ich sonst
irgend etwas mit ihm während seines Aufenthaltes 1976 in Aden zu tun.
Ich habe mich auch nicht Ende September / Anfang Oktober 1977 in Bagdad
aufgehalten, sondern frühestens Ende November / Anfang Dezember 1977. Das
war, nebenbei bemerkt, meine erste Reise nach Bagdad, bis dahin war ich
noch nie in Bagdad gewesen.
Die Gespräche, die Boock 1978/79 mit mir geführt haben will, gab
es nicht. Ich habe mich mit ihm noch nie über Nairobi oder über
sonst ein Thema, das von Relevanz wäre, unterhalten. Dafür gab es für
mich auch keine Veranlassung. Während seines längeren Aufenthaltes in
Aden hatte ich nur die Aufgabe übernommen, ihn mit Essen und den sonstigen
Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen. Darauf beschränkte sich
auch unsere Kommunikation.
Brigitte Mohnhaupt habe ich allein aus diesem Anlaß 1978
kennengelernt, denn sie war es, die mit dieser Bitte an mich herangetreten ist.
Von ihr wußte ich auch über die Hintergründe des
Zwangsaufenthaltes von Boock Bescheid. Schon allein aus diesem Grund habe ich
mich ihm gegenüber mit der entsprechenden Zurückhaltung verhalten.
An dieser Stelle möchte ich noch auf eine grundlegende Schwierigkeit
hinweisen, die mir bei all meinen Nachforschungen enge Grenzen setzte. Zwar
wurde mir meistens über die damaligen Ereignisse sehr offen berichtet,
allerdings sind die Personen, die über dieses Wissen verfügen, nicht
bereit, hier vor einem Staatsschutzsenat auszusagen. Zu groß ist die
Angst, daß sie mit ihrer Vergangenheit wieder an die Öffentlichkeit
gezerrt werden, oder seitens der Bundesanwaltschaft mit Fragen nach dem Motto -
was ich schon immer mal von Ihnen wissen wollte - belästigt werden. Es ist
nicht meine Art, mich über solche Ängste einfach hinwegzusetzen und
gerade das Verfahren gegen mich zeigt sehr deutlich, daß sie auch nicht
unbegründet sind.
Am 18. Januar 1996, zu Prozeßbeginn, habe ich gesagt, die Anklage der
Bundesanwaltschaft sei das Ergebnis einer sechzehnjährigen Kette
geheimdienstlicher Verfolgungen. Jetzt sind noch zwei Jahre dazu gekommen.
Inzwischen geht es hier nur noch um die Legitimation des ganzen Aufwandes, der
nunmehr seit 1992 verstärkt betrieben wird. Der skandalöse Hintergrund
soll möglichst mit meiner Verurteilung aus der Welt geschaffen werden. Dazu
ist jedes Mittel recht.
Doch Pläne verlaufen selten planmäßig, infolgedessen ist
hier vieles deutlich sichtbar aus dem Ruder gelaufen. Eine Belastung"
nach der anderen mußte hektisch produziert und nachge-schoben werden,
inzwischen paßt so gut wie nichts mehr zusammen.
Frankfurt am Main, den 30. März 1998
Monika Haas
E-mail: mailto:landgraf.ffm@t-online.de
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