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1998

Rubrik
1.Mai


1. Mai in Leipzig

QUEERulantinnen-Adventure-Tours präsentiert:

LEIPZIG QUEER

Die rechtsextreme NPD/JN ruft am 1. Mai 98 zu einer Wahlkampfveranstaltung am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig auf. Es werden 6.000 ~ 8.000 Rechtsextremisten erwartet. Dies wäre nach den Kundgebungen in München und Dresden gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht" die größte Demonstration von Rechtsextremisten in der Bundesrepublik Deutschland.

Vor zehn Jahren war der 1. Mai im Osten der Tag realsozialistischer Selbstinszenierung und im Westen gewerkschaftlicher Nabelschau oder linksradikaler Mythenbildung. Soweit schien die Welt in Ordnung. Spätestens seit dem Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus wird auch in diesem Land eine heftige Umverfeilung des Reichtums von unten nach oben spürbar, auch wenn nicht alle davon gleich betroffen sind.

Das gesellschaftliche Klima hat sich verändert. Vergrößerung der BRD und Standortdebatte haben nationale und nationalisfische Propaganda hochgespült. Mit der Angst vor sozialem Abstieg wie auch mit der Hoffnung auf eigene Vorteile läßt sich von rechts prima Politik machen. "Arbeit für Deutsche" brüllt die NPD, und so ähnlich (etwas leiser) war das auch von gewissen demokratischen Politikerlnnen, selbst von einigen Gewerkschaftsfunktionären schon zu hören. (Übrigens nicht nur zu hören, das geht bis zu handfesten rassistischen Gesetzesänderungen...)

Rechte Parteien und Banden haben Zulauf, wie Statistiken und vor allem die praktische Erfahrung von Übergriffen zeigen. Und wenn dies - auch z.B. von vielen Schwulen in Berlin nicht unmittelbar erlebt wird ~ an manchen anderen Orten ist es gefährlich, offen homo zu sein. Neben Attacken gegen alles, was nicht weiß, deutsch und rechts ist, gehört homophobe Gewalf zum rechtsextremen Männerbund ebenso wie uralte Geschlechterstereotypen, sittsames Familienidyll und dröge Langeweile.

Diese Ödnis und diese Brutalität sollen hier nicht die Landschaft bestimmen. Wir haben keine Lust darauf, uns vorschreiben zu lassen, wie wir uns anziehen und benehmen sollen; wir haben keine Lust darauf, eins auf die Nase zu kriegen oder schlimmeres; und wir wollen auch nicht, daß andere verprügelt oder ermordet werden.

Wenn für andere Menschen, die nicht deutsch aussehen oder keinen deutschen Paß haben, ist das Leben in einigen Regionen dieses Landes längst lebensbedrohlich geworden. In einem Klima, in dem Flüchflingen auch staatlicherseits die Existenzberechtigung abgesprochen wird (Arbeitsverbot, Streichung von Sozialhilfe, Abschiebung), können sich ausgrenzende Parolen wie "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" und faschistische Angriffe gesellschaftlich breit zu einem rassistischen Konsens verankern.

Als einzelneR läßt sich dagegen relativ wenig erreichen, aber viele einzelne können schon etwas verändern und zwar vor allem, was die Stimmung im Land angeht. Leider sind Demonstrationen gegen Naziaktivitäten öfters nicht ungefährlich. Und meist auch nicht schön! Haben sie doch eine recht unangenehme, ja oft sogar abstoßende Atmosphäre. Militaristisches Mackergehabe einiger bzw vieler Antifa-Männer unterscheidet sich oft nur noch durch Kleidung und ein 'korrektes' Feindbild. Das prägt sowohl Kundgebungen und Aktionen, als auch schon inhaltliche Planung und Vorbereitung. Daran stört uns fast alles: die Flugblattsprache und der Verbalradikalismus, das Gegröle und der Männlichkeitskult, der hohe Berg, von dem aus die reine Lehre verkündet wird. Wer anders mit seiner Angst umgeht, sie nicht versteckt, hat dort einen schweren Stand. Erst recht, wer es vor allem wichtig findet, auf der Basis von Zivilcourage und mit möglichst vielen, unterschiedlichen Menschen den Nazis etwas entgegenzusetzen.

Das Leipziger "Bündnis gegen Rechts" - ein Zusammenschluß verschiedener lokaler Antifa-Gruppen - hat es schon vor Monaten geschafft, einen Initiativkreis 1.Mai mit ins Leben zu rufen, der von Ökolinx bis IG Metall reicht, und klare Ziele benennt: Den Nazi-Aufmarsch zu be- oder verhindern und möglichst auch die Wahlveranstaltung der NPD/JN in den Messehallen unmöglich zu machen. Dadurch ist in der Stadt eine gute Stimmung entstanden; viele Leute werden sich nicht in ihren Wohnzimmern vorm Fernseher verstecken,.sondern gemeinsam mit vielen anderen auf die Straße gehen, um die faschistischen Hetzer aus der Stadt zu jagen.

Sich auf diese Weise gegen Nazis zu wehren, finden wir großartig. Queerulanten Adventure Tours bietet nun die einmalige Chance, an diesem gesellschaftlichen Ereignis im weltweit ersten antifaschistischen, offenen Homoblock teilzunehmen. Trotz des ernsten und evtl. nicht ganz ungefährlichen Anlasses haben wir uns entschieden, soviel Spaß miteinander zu haben, wie die Situation zuläßt, und möchten gerade auch unsere Ängste gemeinsam überwinden. Am 1.Mai wird ein Konvoi mit mindestens acht Reisebussen, von denen wir ein bis zwei reserviert haben (natürlich die schicksten) von Berlin nach Leipzig fahren. Presse, Funk und Fernsehen werden uns begleiten. Sowohl Erinnerungsfotos als auch Schnittchen sind von seiten der Reiseleitung natürlich eine Selbstverständlichkeit, respektive inklusive (im Aktionspreis von 15 + 5 DM inbegriffen) .

ABFAHRT: Fr. 1.Mai, 3.30 Uhr morgens Rosa-Luxemburg-Platz (Volksbühne)

Rückfahrt voraussichtlich zwischen 16 und 18 Uhr.

Busfahrkarten gibt es nur im Vorverkauf bei: M99 (Manteuffelstr. 96), Schwarze Risse und EX (im Mehringhof, Gneisenaustr. 2a), BAOBAB (Christburger Str. 3)