Auf der Redaktionssitzung am 23.2.1998 brachte Karl Müller den
folgenden Antrag ein:
Dieser Antrag wurde sodann ausführlich beraten. In der Aussprache
kristallierte sich heraus, daß die Einschätzung der Rolle der
Provider im deutschsprachigen Internet, die dem Antrag von Karl Müller
zugrundelag, noch einer breiteren Erörterung - auch und gerade mit anderen
Onlinemagazinen - bedarf. Dies schon deshalb, weil die Selbstorganisation der
eigenen Webpräsenz die Lehren aus dem Konflikt mit IMU/BerliNet berücksichtigen
muß. Karl Müller zog daraufhin seinen Antrag zurück.
Im folgenden veröffentlichen wir Auszüge aus seiner Antragsbegründung,
weil wir auf dieser Grundlage die Diskussion in Sachen Gründung einer
Soliorganisation (Arbeitstitel "Webring") voarantreiben wollen.
"Nachdem der bundesdeutsche Staatsapparat in der Vergangenheit mit
Kriminalisierungsdruck Internetprovider zur Zensur gegen Newsgruppen oder
Websites veranlassen konnte, schuf er sich dafür den entsprechenden
Rechtsrahmen (TKGs). Dadurch verlagerte sich die Zensur sozusagen weg vom Staat
nach vorn in die allgemeinen Betriebsbedingungen der Internetdiensteanbieter und
Mailboxen. In den Konflikten, die dann folgten, zeigte sich, daß es dem
Staat gelungen war, den Widerspruch zwischen dem Recht auf
Meinungs-/Pressefreiheit und staatlicher Zensur in einen Widerspruch zwischen
Meinungs-/Pressefreiheit und Gewerbefreiheit zu transformieren.
Die Folgen waren fatal: Die Internetdiensteanbieter praktizierten
vorauseilenden Gehorsam mit der Begründung, ihr eingesetztes Kapital (in
der stofflichen Gestalt des Internet-Equipments) vor staatlicher Beschlagnahmung
zu bewahren, d.h. seine ungestörte Verwertung zu sichern. Dieser Gehorsam
reichte von der Versorgung der Ermittlungbehörden mit gewünschten
Nutzerdaten bis zur datentechnischen Zugangssperrung einzelner Provider
(XS4ALL), die nicht bereit waren, Gehorsam vorauseilend zu praktizieren.
Löschungen von Websites durch Provider stehen seitdem auf der
Tagesordnung. Um den Eindruck von Providerwillkür zu mildern bzw. diese zu
legitimieren, zettelt der Staatsapparat seinerseits mitunter exemplarische
Strafverfahren (wie im Fall Angela Marquardt) an. Zensur und Willkürakte
erscheinen formaljuristisch nicht mehr als solche, weil sich die Provider immer
auf die sogenannte Einhaltung eines zuvor mit dem betroffenen User geschlossenen
Vertrages berufen können, für dessen Rechtsrahmen sie ja nicht zuständig
sind, sondern der Staat.
Dieser rasante Abbau von Meinungs- und Pressefreiheit im deutschsprachigen
Internet macht einen dauerhaften Zusammenschluß (Webring) von linken&radikalen
Internetprojekten für eine auf Gegenseitigkeit beruhende Solidarität
bei Zensur und Providerwillkür dringend notwendig. Mitglieder dieses "Webrings"
sollen Personen und Gruppen sein, die in das Internet Informationen und/oder
Meinungen hineinveröffentlichen. Entlang dieser politisch-publizistischen
Interessen wird der praktische Zweck dieses Zusammenschlusses darin bestehen,
FREE SPEECH & FREE VISIT im Internet zu verteidigen. Zu den weiteren
politischen Aufgaben gehören vor allem auch Öffentlichkeitarbeit, der
Aufbau einer datentechnischen Logistik, mit der man in der Lage ist, "just
in time" jeden Zensurversuch auszuhebeln, die Einrichtung eines Solifonds
und die Gewinnung von Anwälten.
Mögen einzelne Provider eine kritische Haltung zu den restriktiven
Entwicklungen des Internets einnehmen, strukturell stehen sie im Konfliktfall,
d.h. wenn sie unter ökonomischen oder/und politisch-juristischen Druck
geraten, auf der Seite der Zensur. D.h. Provider können solche Zusammenschlüsse
zwar fördern und sogar unter bestimmten Bedingungen unterstützen,
Mitglied können sie darin jedoch nicht sein.
Die Zensur des "trend" bei IMU/Berlinet und die seit Wochen
anhaltende Providerwillkür gegen die Redaktion stehen emplarisch für
die restriktiven Entwicklungen im deutschsprachigen Internet und die dort
herrschenden Interessengegensätze und Machtverhältnisse. Ausgestattet
mit der ökonomisch-technischen Macht eines Internet-Equipments diktierten
die Inhaber der Firma IMU/Berlinet autokratisch, wie ihr Kunde "trend"
den öffentlichen Raum des Internets zu nutzen habe oder eben nicht. Zur
Durchsetzung ihrer vom Verwertunginteresse ihres Kapitals bestimmten Ansichten
gehörten nicht nur die wochenlange Beschränkung des Zugangs zum
Internet, den Newsgruppen und der Email, sondern infolge der dann einsetzenden
Proteste sowohl Löschung des Webspace als auch Post- wie
Datenunterschlagungen, schließlich noch Fälschung der "trend"-Website.
Daß die Firma IMU/Berlinet bisher im Ansehen stand, ein linkes Projekt
für die "private Datenkommunikation" zu sein, ist kein
Treppenwitz, sondern - das sei hier selbstkritisch hervorgehoben - leider (auch)
ein Verdienst der "trend"-Redaktion."