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1998

Rubrik
Globales & Internationales
 

1998 by World Socialist Web Site

Das Vorgehen des Sonderermittlers Starr gegen Clinton

Ein schleichender Staatsstreich

Von Editorial Board
20 June 1998

Der Rechtsanwalt und Unabhängige Ermittler Kenneth Starr, der seit mittlerweile vier Jahren versucht, dem US-Präsidenten Clinton mit juristisch auswertbaren Skandalen zu Leibe zu rücken, hat Anfang Juni deutlicher denn je zuvor seine politische Zielsetzung zu erkennen gegeben. In einem Schreiben an den Obersten Gerichtshof der USA erklärte er: "Die Nation hat ein zwingendes Interesse an einer möglichst raschen Klärung der Frage, ob der Präsident der Vereinigten Staaten in kriminelle Machenschaften verwickelt ist - Urteile müssen gefällt, Unterlagen für eine mögliche Amtsenthebung zusammengestellt, oder Entscheidungen über eine Einstellung von Verfahren bekannt gegeben werden."

Diese Äußerung Starrs begleitete seinen Versuch, das geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant aufzubrechen. Er reichte einen Antrag beim Obersten Gerichtshof ein, daß Notizen von Gesprächen eines Anwalts mit einem ehemaligen Mitarbeiter Clintons, der später Selbstmord beging, an ihn, Starr, ausgehändigt werden. Das Weiße Haus hat Widerspruch angekündigt.

Die Medien wiederholen zum größten Teil Starrs Behauptungen, daß seine Ermittlungen gerechtfertigt seien, weil sie schwere Vorwürfe krimineller Vergehen untersuchten. Die defensive Taktik des Weißen Hauses vor Gericht, sagen sie, komme einem Eingeständnis von Clintons Schuld gleich. Seit der frühere Rechtsanwalt Monica Lewinskys, deren angeblichen sexuellen Beziehungen zu Clinton im Mittelpunkt der gegenwärtigen Ermittlungen stehen, William Ginsburg, den Fall niedergelegt hat, erwarten die Kommentatoren allgemein, daß deren neues Juristenteam nun rasch ein Abkommen mit Starr aushandeln werde. Danach soll Lewinsky als Gegenleistung für die Zusicherung eigener Straffreiheit ihrerseits vor der Großen Jury Clintons Aussage widersprechen, daß zwischen ihr und dem Präsidenten keine sexuelle Beziehung bestanden habe.

Ginsburg hielt am 3. Juni in Los Angeles eine Rede, in der er einige treffende Bemerkungen über den Unabhängigen Ermittler und über die Medien äußerte. Er nannte den Apparat Starrs eine "verfassungswidrige Ungeheuerlichkeit" und fuhr fort: "Mr. Starr befindet sich in einer politischen Mission, die sowohl von seinen Unterstützern als auch, was die Sache nicht besser macht, von ihm selbst ausgeht. Er wird das Präsidentenamt eindeutig so lange schlechtmachen und es so lange als ständiger Rachegott heimsuchen, wie dieses Amt mit Präsident William Jefferson Clinton besetzt bleibt." Ginsburg wies darauf hin, daß, wollte man sexuelle Treue zur Bedingung für die amerikanische Präsidentschaft machen, "mindestens sieben der letzten zehn Präsidenten zu diesem Job nicht zugelassen und nach ihrer Wahl zur Amtsenthebung freigegeben worden wären."

In beißenden Worten faßte er die Erfahrungen zusammen, die er in den letzten fünf Jahren mit der Presse gemacht hatte:

"Ich kann mit Sicherheit feststellen, daß sich die Nachrichten aus einem Instrument der freien Meinungsäußerung zu einem Instrument der Kommerzäußerung gemausert haben, bei dem oftmals nur Geld und Aufmachung entscheiden. Es geht viel mehr um die Wirtschaftlichkeit des Nachrichtengeschäfts, als um genaue und faire Berichterstattung."

Ginsburgs Rede wurde in einer Sondersendung zur Krise im Weißen Haus live übertragen. Im Anschluß daran überschütteten Moderator und Gäste Ginsburg mit Angriffen und persönlichen Beleidigungen.

Doch ganz unabhängig von der einseitigen und oberflächlichen Berichterstattung schält sich eines deutlich heraus: Unter dem Deckmantel von Starrs vierjährigen Ermittlungen - die von einer Frage zur nächsten sprangen, angefangen mit einer Bodenspekulation aus den siebziger Jahren bis hin zu einer angeblichen sexuellen Beziehung - verbirgt sich nichts geringeres, als ein politischer Staatsstreich.

Es handelt sich um einen abgekarteten Versuch, einen gewählten Präsidenten mittels an den Haaren herbeigezogener Vorwürfe zu diskreditieren, zu demütigen und wenn möglich aus dem Amt zu jagen. Letzteres geschieht nicht etwa durch eine Bombardierung des Weißen Hauses oder einen Truppenaufmarsch vor seiner Zufahrt. Nein, man bedient sich der traditionellen Methoden amerikanischer Politik und kleidet den Staatsstreich in das Gewand strikter Legalität.

Doch die politische Kampagne gegen die Clinton-Regierung, an deren Spitze Starr steht, ist zutiefst undemokratisch. Im wesentlichen wird die Einrichtung des Unabhängigen Ermittlers, d.h. eines nicht gewählten Amtes mit weitreichenden Vollmachten, benutzt, um tiefgreifende Veränderungen in der amerikanischen Regierung durchzusetzen.

Ein Netzwerk der Rechten

Starr selbst unterhält sehr enge persönliche und politische Beziehungen zu Kräften auf der extremen Rechten. Hinter ihm steht ein undurchsichtiges Netz von Multimillionären, rechtsstehenden Kongreßabgeordneten, Anwälten, Richtern und korrupten Journalisten. Sie verfolgen ihre eigenen, nicht offen genannten Ziele und benutzen die Medien, um in der Öffentlichkeit so viel Verwirrung wie möglich zu stiften.

Starrs Verbindungen auf der Rechten sind gut bekannt und reichhaltig dokumentiert, werden aber dennoch von den Medien, die in der ganzen Verschwörung eine Schlüsselrolle spielen, weitgehend unterschlagen. Die meisten Fernsehsender und Zeitungen unterdrückten beispielsweise Berichte über die Rolle des Milliardärs Richard Mellon Scaife - der Starr den Vorsitz eines von ihm gesponserten Instituts an der Universität Pepperdine anbot - bei der Kampagne gegen Clinton.

Ebenso übergingen sie die Aktivitäten einer der zahlreichen rechten Gruppen, die sich an der Attacke auf das Weiße Haus beteiligen, nämlich des Council for National Policy (CNP, Rat für nationale Politik). Wie das Magazin In These Times berichtete, gehören dieser streng geheimen Organisation die Republikanischen Senatoren Jesse Helms, Lauch Faircloth und Trent Lott (Führer der Republikanischen Senatsmehrheit) an, sowie Dan Burton, der ehemalige (unter Reagan) Justizminister Edwin Meese, die christlichen Fundamentalisten Jerry Falwell und Pat Robertson, Oliver North, der rechte Politstratege Paul Weyrich sowie John Whitehead vom Rutherford Institute, welches das juristische Vorgehen von Paula Jones finanziert.

In These Times berichtete, daß der politische Aktionsausschuß des CNP im Juni letzten Jahres beschloß, die Offensive gegen Clinton fortzusetzen. Zu diesem Zweck sollte ein (im folgenden vom Republikaner Bob Barr im Repräsentantenhaus eingebrachter) Gesetzentwurf unterstützt werden, mit dessen Hilfe die ersten einleitenden Maßnahmen für eine Amtsenthebung getroffen werden könnten. Die Zeitschrift zitiert Weyrich, einen der CNP-Gründer, mit den Worten: "Wir arbeiten nicht länger für die Aufrechterhaltung des Status quo. Wir sind Radikale, die einen Umsturz der gegenwärtigen Machtstrukturen in diesem Lande anstreben."

Typisch für die Reaktion der Presse auf die Starr-Ermittlungen ist das Editorial der New York Times vom 2. Juni, eben dem Tag, an dem der Unabhängige Ermittler seinen eingangs genannten Antrag beim Obersten Gerichtshof stellte. Die Times verurteilte Clintons "Weigerung, der einleuchtenden Forderung nach Informationen in einer berechtigten Verbrechensermittlung nachzukommen", und drängte den Gerichtshof, Starrs Antrag stattzugeben, den niedrigeren Gerichten den Fall zu "entreißen" und das Weiße Haus daran zu hindern, die Arbeit des Unabhängigen Ermittlers weiter zu "blockieren".

Die Times wörtlich: "Hier haben wir einen Fall, in dem das Gericht seiner verfassungsmäßigen Rolle entsprechend die Notwendigkeit erkennen sollte, im Interesse einer ordnungsgemäßen Regierung und der Herrschaft des Gesetzes einzugreifen."

Welche kriminellen Vergehen nun eigentlich die "Herrschaft des Gesetzes" gefährden, darüber weiß die Times - wie auch der Chor der übrigen Medien, die Starr unterstützen - auffallend wenig zu berichten. Das verwundert nicht, denn letzten Endes ist das angebliche Verbrechen, auf das Starr sein Ziel - ein Amtsenthebungsverfahren - begründet, nichts weiter als eine private Beziehung zwischen Herrn Clinton und einem anderen erwachsenen Menschen.

Die empfindliche Reaktion auf die Gefährdung der "Herrschaft des Gesetzes" ist bei der Times überdies höchst selektiv. Die Tatsache, daß das wichtigste Beweismaterial für eine sexuelle Verbindung zwischen Clinton und Lewinsky aus illegal erstellten Tonbandaufnahmen besteht, stört die Zeitungsmacher nicht im geringsten.

In Wirklichkeit ist der ganze Fall, der um die Lewinsky-Affäre konstruiert wurde, eine durchsichtige Operation zur politischen Destabilisierung. Alle Beteiligten, von Starr über die Paula-Jones-Leute bis hin zu den Geldgebern wie Mellon Scaife versuchen, eine in juristischer Hinsicht unbedeutende Leugnung einer sexuellen Beziehung zu den "Kapitalverbrechen" Meineid und Behinderung der Justiz hochzustilisieren. Dabei versuchen sie der amerikanischen Bevölkerung einen riesigen Bären aufzubinden.

Der Vergleich mit Watergate

Ein wichtiger Aspekt der Desinformationskampagne, die Starrs Ermittlungen begleitet, ist der Versuch des Unabhängigen Ermittlers, seinen Fall gegen Clinton mit den Watergate-Enthüllungen auf eine Stufe zu stellen, die zum Sturz der Nixon-Regierung führten. Die Medien geben Starr dabei freie Hand, indem sie jeden Hinweis auf die gewaltigen Unterschiede verschweigen.

Erinnern wir daran, daß sich die Watergate-Krise an einem tatsächlichen Verbrechen entzündete. Vom Weißen Haus bezahlte Akteure, darunter zahlreiche ehemalige CIA-Agenten, organisierten einen Einbruch im Hauptsitz der wichtigsten bürgerlichen Oppositionspartei, um illegal Abhörvorrichtungen zu installieren.

Der Skandal brachte nach und nach ein regelrechtes Muster kriminellen Vorgehens an den Tag: Geheimfonds des Weißen Hauses zur Bestechung von Zeugen und zur Beseitigung von Beweismaterial, das illegale Abhören politischer Gegner und sogar von Regierungsvertretern, die abweichender Meinungen verdächtigt wurden, sowie den Einsatz von Regierungsagenturen zur Einschüchterung von Gegnern.

Die Nixon-Regierung hatte gegen die Verfassung verstoßen, indem sie in Kambodscha einen illegalen, nicht erklären Krieg führte - und einen ebenso illegalen Krieg gegen die politische Opposition im eigenen Land. In diesem Rahmen hatte sie sogar das Büro des Psychiaters von Daniel Ellsberg ausrauben lassen und den Huston-Plan verfaßt, der Massenverhaftungen von Gegnern des Vietnamkriegs vorsah. Die Atmosphäre in Washington war so gespannt, daß Nixons eigener Verteidigungsminister in den letzten Tagen vor dessen Rücktritt die Anweisungen des Weißen Hauses an die Militärkommandeure gegenlas, weil er einen Putschversuch zur Verhinderung der Amtsenthebung befürchtete.

Die Iran-Contra-Affäre von 1986-87 drehte sich um nicht weniger schwerwiegende und direkt kriminelle Vorgänge unter der Reagan-Regierung. In ihrem Zentrum standen bewußte, systematische Verstöße gegen ein wenige Jahre zuvor verabschiedetes Gesetz, das Boland Amendment, das Geldzuwendungen der USA an die sogenannten Contras explizit verboten hatte. (Die Contras waren ein konterrevolutionärer Verband, der Massenterror und Morde verübte, um die Sandinista-Regierung zu stürzen.)

Um dieses Gesetz zu umgehen, hatte die Reagan-Regierung eine Geheimoperation autorisiert, die vom Keller des Weißen Hauses aus unter der Leitung Oliver Norths betrieben wurde. Der Präsident sanktionierte einen nicht erklärten Krieg in Mittelamerika, bei dem private Söldnertruppen zum Einsatz kamen, die teilweise durch geheime Waffenlieferungen an den Iran finanziert wurden.

Hochrangige Mitglieder der Reagan-Regierung belogen den Kongreß, was North nicht nur zugab, sondern womit er sich während einer späteren Anhörung noch brüstete. Obwohl einige der höchsten Figuren gefeuert wurden, bestanden die offiziellen Untersuchungen über die Iran-Contra-Affäre in einer Serie von Beschwichtigungen und Vertuschungen. Weder Reagan noch ein einziger seiner wichtigsten Gehilfen wurden irgend eines Verbrechens schuldig gesprochen.

Nixon und Reagan hatten also in ihrer offiziellen Funktion und als Bestandteil ihrer Politik das Gesetz umgangen, gegen die Verfassung verstoßen und hinter dem Rücken der amerikanischen Bevölkerung illegale Kriege geführt. Clinton hingegen wirft man vor, er habe in einem zivilen Rechtsstreit - dem von Paula Jones angestrengten Verfahren -, der überdies gar nicht zur Verhandlung zugelassen wurde, eine Lüge über sein Privatleben geäußert.

Die Rolle Clintons

Die Ermittlungen Starrs und die damit einhergehende Medienkampagne werfen einige wichtige Fragen auf. An erster Stelle ist das auffallende, erstaunliche Schweigen Clintons zu nennen.

Man sollte meinen, daß jemand in Clintons Lage, der derart haarsträubenden Angriffen ausgesetzt ist, sich vehement zu Wehr setzen würde. Um so mehr angesichts der unübersehbaren Beweise für die in der Öffentlichkeit weit verbreitete Mißbilligung, ja sogar Abscheu gegen die Methoden und das Thema von Starrs Ermittlungen. Vor vier Monaten erklärte Hillary Clinton in einem bundesweit ausgestrahlten Fernsehinterview, die Ermittlungen seien Bestandteil einer "groß angelegten rechten Verschwörung" gegen das Weiße Haus. Ihre entsprechenden Bemerkungen stießen, wie Meinungsumfragen ergaben, in der Öffentlichkeit auf ein großes Echo. Doch weder sie noch irgend ein Vertreter der Regierung haben sich seither eingehender zu dieser bemerkenswerten Warnung geäußert.

Woher rührt die politische Feigheit und Lähmung auf Seiten Clintons? Weshalb haben sich aus der Demokratischen Partei keine Verteidiger seiner Person hervorgetan, um die Verschwörung gegen demokratische Rechte zu entlarven, die hinter der Kampagne des Unabhängigen Ermittlers steckt?

Ganz unabhängig von Clintons Charaktereigenschaften liegt die Antwort nicht auf persönlichem, sondern auf politischem Gebiet. Clinton kann diese Kräfte nicht bekämpfen, weil sie denselben Schichten der Gesellschaft entstammen, die seine eigene Basis darstellen. Unter seiner Regierung hat sich die Demokratische Partei endgültig von der sozialen Reformpolitik der Vergangenheit losgesagt. Und je weiter er nach rechts rückt, um den reaktionären Forderungen des Big Business nachzukommen, desto mehr untergraben er und die Demokraten jegliche wirkliche Massenunterstützung unter der arbeitenden Bevölkerung.

Welche Alternative stünde Clinton eigentlich offen? Wenn er sich zur Wehr setzen wollte, dann müßte er ungeschminkt in aller Öffentlichkeit die gesellschaftlichen Interessen beim Namen nennen, denen die Kampagne gegen ihn dient. Doch das brächte eine gewaltige Gefahr mit sich - es könnte eine Bewegung der Bevölkerung gegen die ökonomische Elite entfachen, die das politische System kontrolliert und die Sozialpolitik diktiert. Für einen bürgerlichen Politiker kommt das von vornherein nicht in Frage. Clinton ist die Geisel eben jener Kräfte, die seine Vernichtung anstreben.

Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft

Der gesellschaftliche Hintergrund der Krise der Clinton-Regierung und der zunehmenden Angriffe auf demokratische Rechte ist eine beispiellose Anhäufung von Reichtum an der obersten Spitze der amerikanischen Gesellschaft und eine wachsende Kluft zwischen dieser immer besser gestellten Schicht und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung.

Die Politik, die das amerikanische Großkapital und die Regierungen - demokratisch wie republikanisch - in den vergangenen zwei Jahrzehnten betrieben haben, führten einen durchgreifenden Wandel in der sozialen Struktur des Landes herbei. Die atemberaubende Zunahme des Reichtums bei den obersten fünf Prozent des Landes basierte auf zwei zusammenhängenden Prozessen: einem unablässigen Sperrfeuer auf die Arbeiterklasse und einer gigantischen Aufblähung der Aktienwerte.

Der florierende Aktienmarkt der neunziger Jahre stützte sich in hohem Maße auf den Niedergang von Lebensstandard und gesellschaftlicher Stellung der arbeitenden Bevölkerungsmasse. Die Lohndrückerei, die Vernichtung von Arbeitsplätzen, die Ausbreitung von Teilzeit- und Zeitarbeit, die Zerschlagung von Gewerkschaften, die Streichung von Sozialprogrammen, die Verlagerung der Steuerlast von den Reichen auf die Arbeitermassen, und der Abbau staatlicher Vorschriften für Unternehmen waren Bestandteile dieser Strategie der herrschenden Klasse.

Die so geschaffene Polarisierung der Gesellschaft ist nicht nur in quantitativer Hinsicht - in dem Sinne, daß die Kluft zwischen den Reichen und der Masse größer ist, als je zuvor - bislang einmalig, sondern hat die Klassenstruktur der amerikanischen Gesellschaft auch in qualitativer Hinsicht verändert.

An der Spitze haben die fest angelegten und frei verfügbaren Einkommen solche Ausmaße erreicht, daß eine Art moderne Aristokratie des Reichtums entstanden ist. Zahlen der britischen Finanzzeitschrift Economist zufolge gibt es in den Vereinigten Staaten heute 170 Milliardäre gegenüber 13 im Jahre 1982. Noch bezeichnender ist, daß es 250.000 Menschen gibt, die über zweistellige Millioneneinkommen verfügen, und 4,8 Millionen Millionäre.

Der Economist stellte in seinem Kommentar fest, in welchem Ausmaß sich dieser Bereicherungsfeldzug der obersten Schichten auf den Anstieg der Aktienwerte stützte: "In vielen Fällen sind die Reichen reich geworden, ohne viel dafür zu tun. Ein Amerikaner, der vor fünfzehn Jahren 500.000 Dollar in Aktien angelegt hatte und ein New Yorker Apartment im Wert von einer weiteren halben Million sein eigen nannte, besitzt heute fünf Millionen mehr, wenn er beides einfach nur behalten hat."

Die Millionäre und Multimillionäre stellen nur einen kleinen Anteil der amerikanischen Bevölkerung dar, weniger als zwei Prozent. Doch was die praktische Politik angeht, so machen sie die ganze Welt des Landes aus. Wer außerhalb dieser neuen Aristokratie steht, dem wurde jeder politische Einfluß in den beiden Parteien des Big Business geraubt, und der hat keine Vertretung im Kongreß oder irgend einer anderen Institution des kapitalistischen Staates. Gleichzeitig hat der Einfluß kleiner Gruppen von Multimillionären auf die Politik und das Personal des Staates ein Ausmaß angenommen, das die Räuberbarone der Jahrhundertwende erblassen lassen würde.

Unterdessen stagniert das Einkommen von 90 Prozent der amerikanischen Bevölkerung oder geht sogar zurück. Außerdem, und das steht im Zentrum der gegenwärtigen politischen Krise, führte die soziale Polarisierung zum Zerfall der gesellschaftlichen Mittelschichten - der gehobenen Berufsklassen, des mittleren Managements, der Techniker und Ingenieure, der Familienfarmer, der Kleinunternehmer. Weite Teile dieser Gesellschaftsschichten wurden proletarisiert und auf den Status von Lohnempfängern zurückgeworfen, denen jede wirkliche Einkommenssicherheit abgeht. Eine kleine Minderheit ist durch den explosiven Anstieg der Aktienwerte in die Reihen der Reichen aufgestiegen.

Fäulnis der bürgerlichen Demokratie

Aber eben diese Mittelschichten bilden traditionell die wichtigste gesellschaftliche Basis für die bürgerliche Demokratie. Ihr Zerfall muß sich seinerseits im Zerfall der demokratischen Formen und Institutionen niederschlagen, die der kapitalistischen Herrschaft in Amerika lange Zeit als Grundlage gedient haben. Parallel dazu geht die politische Aktivität der arbeitenden Bevölkerungsmassen allgemein zurück, was vor allem auf das ausweglose Bündnis der Gewerkschaften mit den Demokraten zurückzuführen ist.

Diese gesellschaftlichen Prozesse bestimmen die Fäulnis der demokratischen Formen, die in der Krise der Clinton-Regierung so deutlich zutage tritt. Die Finanzelite, die völlig abgehoben von den breiten Massen der Bevölkerung lebt, betrachtet politische Fragen beinahe ausschließlich unter dem Blickwinkel ihrer privaten Finanzinteressen. Die Ausbreitung transnationaler Konzerne und die Ausstattung globaler Investoren mit Mitteln, die den Haushalt zahlreicher Nationalstaaten übersteigen, wirkt zusätzlich der Herausbildung eines nationalen Konsens innerhalb der herrschenden Klasse entgegen.

Der rücksichtslose Kampf jedes Moguls gegen jeden erzeugt enorme Spaltungen und erbitterte Auseinandersetzungen in den obersten Etagen der Konzernmacht. Dieser Faktor trägt nicht wenig zu jener Art ungezügelter politischer Kriegsführung bei, wie man sie gegenwärtig in Washington beobachtet.

Die Aristokratie des Reichtums reagiert überaus empfindlich auf jede - tatsächliche oder eingebildete - noch so geringe Abwendung von den unaufhörlichen Angriffen auf die Arbeiterklasse, die den Wall-Street-Boom am Leben erhalten. Obwohl sich Clinton redlich bemüht, den Ansprüchen dieser Elite gerecht zu werden, sieht diese eine Bedrohung in den liberalen Neigungen, die ihm nachgesagt werden. Nicht wenige aus diesen Kreisen möchten ihn so schnell wie möglich loswerden. Ob mit oder ohne Wahl, spielt für sie keine Rolle, das ist nur eine Formalität.

Der aus dieser Gesamtlage entspringende politische Konflikt innerhalb der herrschenden Klasse und die regelrechte Lähmung der Bundesregierung sind Ausdruck einer immensen Krise der bürgerlichen Herrschaft. Keine geringe Rolle spielt dabei die Skrupellosigkeit, mit der bestimmte Teile der herrschenden Klasse ihre eigenen, traditionellen politischen Institutionen angreifen.

Doch in dem Maße, wie die Massen der arbeitenden Bevölkerung nicht in der Lage sind, als unabhängige Kraft ihre eigenen demokratischen Rechte und gesellschaftlichen Interessen zu verteidigen, behält die herrschende Klasse freie Hand, die Krise in ihrem Sinne zu lösen. Diese Lösung wird unweigerlich die Form einer Regierung annehmen, die noch weiter rechts steht und demokratische Rechte noch rücksichtsloser angreift, als die bisherige.

Schließlich hatte auch Watergate und der Zusammenbruch der Nixon-Regierung zu einem solchen Ergebnis geführt. Weil die Arbeiterklasse aufgrund der reaktionären Politik des AFL-CIO nicht auf der Grundlage ihrer eigenen Klasseninteressen in die Krise eingriff und sich nicht von beiden kapitalistischen Parteien lossagte, konnte die herrschende Klasse eine neue politische Strategie entwerfen, die wenige Jahre später die Gestalt der Reagan-Regierung annahm.

Die gegenwärtige Krise macht eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse noch dringender. Aus diesem Grund bemüht sich die Socialist Equality Party, die Grundlagen für eine politische Alternative zu den bestehenden kapitalistischen Parteien zu schaffen. Sie stützt sich dabei auf ein sozialistisches Programm zur Verteidigung der Arbeitsplätze, des Lebensstandards, der sozialen Dienste und aller demokratischen Rechte.

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