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1998

Rubrik
Globales & Internationales
1998 by World Socialist Web Site

Geschichtliche und soziale Hintergründe des eritreisch-äthiopischen Grenzkriegs

Von Editorial Board
19 June 1998

Im monatelangen Grenzkonflikt zwischen Eritrea und Äthiopien ist es am 9. Juni im Gebiet der Grenzstadt Zalambessa zu schweren Kämpfen gekommen. In diesem Konflikt am Horn von Afrika stoßen zwei der ärmsten Nationen des Kontinents aufeinander. In beiden herrschen Führer von Bewegungen, die sich einst auf den nationalen Befreiungskampf und manchmal sogar auf den Sozialismus beriefen. Die Kämpfe haben deutlich, wenn auch nicht zum erstenmal gezeigt, daß auf Nationalismus gegründete Bewegungen völlig unfähig sind, den unterdrückten afrikanischen Massen einen Weg vorwärts zu zeigen.

Hunderte von Soldaten auf beiden Seiten sind gestorben, Städte und Dörfer bombardiert worden. Bei einem der blutigsten Zwischenfälle warf ein eritreisches Kampfflugzeug über einem Schulhof in der Grenzstadt Mekele eine Streubombe (eine Bombe, die eine Vielzahl kleinerer Sprengköpfe ausstößt) ab. Ein dutzend Kinder wurden getötet. Als Eltern und andere Dorfbewohner herbeieilten, kehrte das Flugzeug zurück, warf eine weitere Bombe ab und tötete noch mehr. Äthiopien gibt außerdem an, eritreische Truppen hätten tausende Bauern aus der Region vertrieben und ihr Land enteignet.

Eritreas größter Flughafen in Asmara ist mittlerweile von äthiopischen MiG-Jets bombardiert worden. Eritreas Außenministerium hat die äthiopischen Streitkräfte dafür verantwortlich gemacht und erklärt, der Kampf finde auf ihrem Staatsgebiet statt.

Der angebliche Grund des Krieges ist ein Streit um ein 490 Quadratkilometer umfassendes bergiges Gebiet, das von beiden Ländern beansprucht wird. In Wirklichkeit kommt in diesem Konflikt jedoch vor allem zum Ausdruck, wie schwer die historische Erblast des Kolonialismus immer noch auf Afrika lastet und daß die afrikanische Bourgeoisie völlig unfähig ist, sie abzuschütteln.

Das eritreische Regime von Präsident Issaias Afwerki begründet seinen Anspruch auf das umstrittene Gebiet mit einem Vertrag, der zwischen dem italienischen Kolonialismus und der äthiopischen Monarchie geschlossen worden war, bevor Italien das ganze Land überrannt hatte. Bevor Mussolini 1936 sein „Italienisch-Äthiopisches Reich" errichtete, hatte Eritrea Italien als Operationsbasis in Nordostafrika gedient. Es war eine von italienischen Truppen besetzte Kolonie. Seine Grenzen zu Äthiopien waren ein Produkt ständiger aggressiver Akte Italiens und verzweifelter Versuche Äthiopiens, sich der Übergriffe des italienischen Kolonialismus zu erwehren.

Daß eine Bewegung, die sich als die Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF) bezeichnet, ihre Gebietsansprüche auf Verträge stützt, die zu Beginn des Jahrhunderts von Italien erpreßt worden waren, ist ein Ausdruck des Bankrotts nicht nur dieses Regimes, sondern des bürgerlichen Nationalismus auf dem gesamten Kontinent.

Alle Bewegungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Entkolonialisierung an die Macht kamen, hatten eines gemeinsam. Sie hielten die vom europäischen Kolonialismus ererbten Grenzen für unantastbar. In Wirklichkeit machten diese - bei der Aufteilung Afrikas durch rivalisierende europäische Mächte gezogenen - Grenzen den Kontinent zu einem irrationalen Flickenteppich. Sie folgten weder wirtschaftlich, noch geographisch, noch sprachlich irgendeiner Logik. Sie herauszufordern hätte aber bedeutet, die Herrschaft der aufstrebenden nationalen Bourgeoisie herauszufordern, die sich unter dem Kolonialismus herausgebildet hatte. Dieser Widerspruch war der eigentliche Grund für das letztendliche Scheitern aller Bewegungen, die sich auf den Panafrikanismus beriefen.

Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), die seit jeher darauf besteht, daß diese Grenzen unverletzlich seien, hat sich angesichts des eskalierenden Konflikts am Horn von Afrika wieder einmal als ohnmächtig erwiesen. Obwohl die OAU ihre Zentrale in Addis Abeba hat und mitten während der Krise ihre Jahresversammlung in Burkina Faso abhielt, sind ihre Beratungen weitgehend von den Vermittlungsversuchen Washingtons in den Schatten gestellt worden. Die USA hatten beide Regime zu Führern einer „Renaissance Afrikas" erklärt.

Das eritreische Regime ist nach einem 30jährigen Guerillakrieg, dem längsten in Afrika an die Macht gekommen. Er endete 1991 mit der Abspaltung der Region von Äthiopien und dem Zusammenbruch der von der Sowjetunion unterstützten Militärdiktatur Mengistu Haile Mariams. Die Aufstandsbewegung hatte in den frühen 60er Jahren begonnen, als das Regime von Kaiser Haile Sellassie die begrenzte Autonomie aufhob, die dem nach dem Zweiten Weltkrieg mit Äthiopien vereinten Eritrea bis dahin gewährt worden war. Insbesondere wehrten sich die dortigen Eliten gegen die Einführung von Amhari, der Sprache des Südens, als offizielle Staatssprache. Denn dies hatte zur Folge, daß der Tigrinya und Arabisch sprechenden eritreischen Mittelschicht höhere Bildung und Zugang zu Regierungsämtern erschwert wurde.

Ursprünglich wurde der Aufstand von der Eritreischen Befreiungsfront (ELF) geführt, einer von den arabischen Ländern unterstützten Gruppierung, die eine pan-islamische Ideologie vertrat. Anfang der 80er Jahre begann dann der Aufstieg der EPLF. Obwohl sie sich anfangs auf den „wissenschaftlichen Sozialismus" berief, wurde sie Ende des Jahrzehnts stillschweigend von der Reagan-Regierung unterstützt. Damit brach diese mit der 45 Jahre langen Politik der USA, die bis dahin immer die Souveränität Äthiopiens über dieses Gebiet anerkannt hatten.

Während im Norden die EPLF militärische Erfolge erzielte, rückte gleichzeitig die Tigreische Volksbefreiungsfront vor, eine Bewegung, die zunächst ebenfalls für regionale Autonomie oder Unabhängigkeit kämpfte, dann aber ein äthiopienweites Bündnis gegen die Diktatur zusammenzimmerte. Dieses brachte im Mai 1991 seinen Führer Meles Zenawi an die Macht, der bis heute in Äthiopien herrscht.

Keines der beiden Länder hat sich von den Auswirkungen des 30 Jahre dauernden Krieges und den Verwüstungen - erst durch das Regimes von Haile Sellassie und dann der Mengistu-Diktatur - bis jetzt wieder erholt. Das 58 Millionen Einwohner zählende Äthiopien hat ein jährliches pro-Kopf-Einkommen von 100 Dollar. Es ist immer noch ein bitterarmes Agrarland, das fast völlig von Kaffee-Exporten abhängig ist und 10 Milliarden Dollar an Auslandsschulden abtragen muß, die seine früheren Diktatoren aufgenommen haben.

Eritrea, das im Mai 1993 in einem von der UNO unterstützten Referendum formell die Unabhängigkeit erlangt hat, hat eine Bevölkerung von 3,5 Millionen. Trotz der vielen Wirtschaftsverträge, die es in den ersten Jahren der Unabhängigkeit mit ausländischen Kapitalisten abgeschlossen hat, war es bis jetzt nicht in der Lage, das jährliche pro-Kopf-Einkommen auf über 200 Dollar anzuheben.

Die Wurzeln des Konflikts liegen jedoch nicht bloß in der historischen Erblast des Kolonialismus, sondern auch in den heutigen Machenschaften des Imperialismus in der Region. Das Horn von Afrika wird von den USA aufgrund seiner Nähe zu den Seewegen, die die Ölfelder des Persischen Golfs mit dem Roten Meer, dem Golf von Aden und dem Indischen Ozean verbinden, seit langem als strategisch wichtige Region in der Welt eingeschätzt.

Zunächst versuchte Washington sich die dortige Vorherrschaft durch die Unterstützung von Haile Sellassie zu sichern. Nach seinem Sturz stützten die USA dann die Diktatur Siad Barres in Somalia. 1992 schickten sie unter dem Vorwand humanitärer Hilfe Zehntausende von US-Kampftruppen nach Somalia.

Nach dem dortigen Debakel des amerikanischen Militärs hat sich Washington entschieden, enge Beziehungen zu den früheren Guerillaführern anzuknüpfen, die heute in Äthiopien und Eritrea regieren. Beide haben ihre sozialistische Rhetorik seit langem aufgegeben und treten für freie Marktwirtschaft und ausländische Investitionen ein. Besonders in Eritrea hat der ausländische Kapitalismus die Vorstellung begünstigt, das kleine Land mit seiner Küste, den dort vermuteten Ölvorkommen und seiner relativ geringen Bevölkerung biete die idealen Bedingungen für Auslandsinvestitionen und hohes Wirtschaftswachstum.

Die wirtschaftliche Entwicklung Eritreas hat zu wachsenden Spannungen mit seinem Nachbarn Äthiopien geführt. Letztes Jahr hat das Regime in Asmara einseitig entschieden, mit dem Nakfa eine eigene Währung zu schaffen, und verzichtete fortan auf den Gebrauch der äthiopischen Währung Birr. Addis Abeba reagierte mit der Forderung, daß zukünftig aller Handel zwischen den beiden Ländern in Dollar abgewickelt werden solle. Der Wirtschaftskonflikt verschärfte sich, als das eritreische Regime forderte, Äthiopien solle höhere Gebühren für die Nutzung seiner Häfen bezahlen, von denen ein Großteil des äthiopischen Handels abhängig ist.

Der Ausbruch des Grenzkrieges folgt den völkermörderischen Konflikten im ostafrikanischen Seenhochland, wo rivalisierende Eliten über nationale Grenzen hinweg ethnische Kriege ausgekämpft haben. Er beschwört die Gefahr von noch größeren Konflikten am unruhigen Horn von Afrika herauf. Zwischen Äthiopien und Somalia gibt es immer noch keine anerkannten Grenzen. Somalia hat bereits früher den Konflikt mit Eritrea ausgenutzt, um seinen Ansprüchen auf die Ogaden militärisch Nachdruck zu verleihen. Derweil beansprucht Jemen die vor Eritrea im Roten Meer gelegenen Dahlak-Inseln, wo die dort vermuteten beträchtlichen Ölvorkommen bereits zu wachsenden Spannungen geführt haben.

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