trend PARTISAN.net
online
archiv

1998

Rubrik
Faschismus
Rassismus
Neue Rechte
 

aus:  ak 414 vom 7.5.1998

Trau keinem unter 30!

12,9% für die DVU in Sachsen-Anhalt - bisheriger Rekord für
die Rechtsextremen bei einer deutschen Landtagswahl. Das Er-
gebnis wurde mit gebührender Aufregung wahrgenommen und kom-
mentiert. Parteichef Frey wird sich über die kostenlose Rekla-
me in allen Medien sehr gefreut haben, und wenn die DVU-Wähle-
rInnen gehofft hatten, wenigstens einmal im Leben als politi-
sche Stimme ernstgenommen zu werden, so sind sie zweifellos
reichlich auf ihre Kosten gekommen.
    Fast 13 Prozent für eine Partei, die bundesweit (nach Ver-
fassungsschutz-Schätzung) ganze 15.000 Mitglieder hat, von de-
nen wahrscheinlich nur eine winzig kleine Minderheit aktiv
ist, und die im Kern nicht mehr ist als das aufwendige Hobby
eines geltungssüchtigen Millionärs, das ist schon ein Phäno-
men. Vermutlich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Die DVU ist als Organisation nicht präsent, in der alten BRD
nicht, und schon gar nicht in Sachsen-Anhalt. Ihre Kandidaten
dort sind sprachlose Niemande, und man hätte wahrscheinlich
mit gleichem Erfolg auch einen Deutschen Schäferhund oder so-
gar einen Yorkshire-Terrier nominieren können, falls die Ge-
setze das zulassen würden.
    Wenn eine Protestwahl dadurch definiert wird, daß die Wäh-
lenden keineswegs den Wunsch verspüren, die Partei ihrer Wahl
an der Regierung zu sehen, dann ist das DVU-Ergebnis ganz si-
cher eine Protestwahl par excellence. Letzte Zweifel beseitigt
das Erststimmen-Ergebnis, das zustande kam, weil die DVU keine
Direktkandidaten aufgestellt hatte: Fast die Hälfte aller DVU-
Wähler vergab ihre Erststimme an PDS und SPD.
    Protestwahl ja, aber Protest wogegen? Die DVU bot nichts
weiter als die stupidesten Schuldzuweisungen an "die Auslän-
der", die für alle Probleme der ostdeutschen Bevölkerung ver-
antwortlich sein sollen. Und, das kennzeichnet die Wahl in
Sachsen-Anhalt als triste Kulturschande: Dieses Angebot
reichte 13% der WählerInnen! Reichte insbesondere Jugendlichen
und Menschen unter 30, von denen ungefähr jeder Dritte für die
DVU votiert hat. Dies als Protestwahl zu interpretieren, ist
höchstens die halbe Wahrheit. Vor allem sind die Stimmen für
die DVU Ausdruck gnadenloser, gefährlicher Dummheit, die zu
noch schlimmeren Befürchtungen für die Zukunft Anlaß gibt.
    Dennoch muß der weit verbreiteten Ansicht widersprochen
werden, als bestünde das Problem des Rechtsextremismus haupt-
sächlich in spektakulären Wahlergebnissen. Die rechtsextremen
Neigungen in erheblichen Teilen der Bevölkerung, manchmal ver-
bunden mit rassistischer Gewaltbereitschaft, sind unabhängig
von der individuellen Entscheidung am Wahltag ständig vorhan-
den. Wahlergebnisse wie das in Sachsen-Anhalt sind dafür ein
aussagekräftiger Indikator, aber nicht wesentlich mehr.
    Als politische Größe würde der Rechtsextremismus in
Deutschland erst wirklich bedrohlich werden, wenn er sich er-
stens organisatorisch ausbreiten und stabilisieren könnte und
wenn er zweitens die Verknüpfung von nationalistisch-rassisti-
scher Hetze einerseits und sozialer Demagogie andererseits in
den Griff kriegen würde.
    Ein wesentliches Defizit scheinen die Rechtsextremen nach
der Wahl in Sachsen-Anhalt überwinden zu können: ihre organi-
satorische Zersplitterung in diverse Parteien und Grüppchen
mit persönlich verfeindeten "Führern". Der frühere REP-Vorsit-
zende Schönhuber will Freys Angebot annehmen, als "Spitzenkan-
didat" der DVU in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Daraus
könnte eine gefährliche Sogwirkung auch auf Teile der REPs und
andere rechte Gruppierungen entstehen.

 ak - analyse und kritik
 Rombergstr. 10, 20255 Hamburg,
 Tel.: +49-40-4017 0174, Fax.: +49-40-4017 0175,
Email ak-redaktion@cl-hh.comlink.de