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1998

Rubrik
Faschismus
Rassismus
Neue Rechte
aus: junge Welt Nr. 14, 17./18. Januar 1998. Wochenend-Beilage „faulheit & arbeit", S. 5.
Georg Fülberth
Feind im Wartestand
Ernst Noltes 75. Geburtstag am 11. Januar 1998 ist irgendwie ein bißchen sang- und klanglos vorübergegangen. Seit ein paar Jahren ist der Mann mega-out.

Das liegt nicht daran, daß ihn etwa die Linken erfolgreich bekämpft hätten, sondern ihn haben seine eigenen Kumpane fallengelassen. Allerdings nur die mit den Nadelstreifen, also bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland", deren Hausautor er lange war. Noch weiter rechtsaußen wird er wohl weiter wohlgelitten sein. Aber den reputierlichen bürgerlichen Meinungsmachern ist er zur Zeit unheimlich. Der Mann plaudert ideologische Staatsgeheimnisse aus, und das soll er nicht.

Einst begann er seine Laufbahn als ein kreuzbraver und fleißiger Studienrat. Abends, nachdem er die Schulhefte korrigiert hatte, schrieb er an seinem ersten Hauptwerk: „Der Faschismus in seiner Epoche". Es erschien 1963 und brachte ihm 1965 die Berufung auf eine Geschichtsprofessur in Marburg. Damals wurde er von den Linken geschätzt, denn er lag quer zur Totalitarismus-These. Faschismus und Bolschewismus waren für ihn nicht Brüder, sondern Feinde.

Nolte selbst bekannte sich zum „Liberalen System". Dieses sei durch den Kommunismus bedroht worden. Als letztes Mittel zu seiner Rettung habe sich der Faschismus angeboten, hierfür allerdings seinen Preis verlangt.

Das war gar nicht so dumm. Die Marxisten sahen das nicht so völlig anders. Wo Nolte vom „Liberalen System" erzählte, sahen sie den Kapitalismus. In dem einen Punkt, daß dieser in einer bestimmten historischen Situation den Faschismus brauchte, waren sich beide Seiten einig, in allen anderen allerdings nicht.

Zum Beispiel unterschied man sich in der Wertung. Für Nolte blieb der Kommunismus das größte Übel. Daraus folgte implizit, daß man für seinen faschistischen Feind zumindest Fairnis - wenn schon nicht Dankbarkeit - aufbringen müsse.

Ernst Nolte mag die Archivarbeit nicht, sondern versenkt sich lieber nachempfindend in Ideen. Das ist seine phänomenologische Methode. Sie läßt er allerdings lieber den rechten als den linken Gedanken angedeihen, er ist letztlich halt doch parteilich - und wie!

All dies war in den ersten idyllischen Marburger Jahren des Ernst Nolte schon in seinem Kopf versammelt, blieb aber zunächst latent. Es brach pünktlich mit der Studentenbewegung 1968 kämpferisch aus ihm heraus. 1970/71 versuchte er die Habilitation seines marxistischen Konkurrenten Reinhard Kühnl zu verhindern. 1972 wurde er Mitgründer und einer der Vorsitzenden des „Bundes Freiheit der Wissenschaft". 1973 ging er nach Westberlin, wohl in der Annahme, an dieser Front sei er besonders gefordert.

Gleichzeitig bearbeitete er in mehreren umfangreichen Werken seine Obsession vom permanenten, teils verdeckten, teils offenen Letzten Gefecht: „Deutschland und der Kalte Krieg" (1974), „Marxismus, Faschismus, Kalter Krieg"(1985), „Der europäische Bürgerkrieg"(1987). Er bekam 1985 den Hanns-Martin Schleyer-Preis. Frau Brigitte Seebacher-Brandt fand es schick, bei ihm über Erich Ollenhauer zu promovieren.

Noltes Werke lesen sich gut. Die Begriffe sind scharf, er kann eingängig formulieren. Auf seine borniert geistesgeschichtliche Weise ist es ihm immer wieder gelungen, ziemlich klare Definitionen von Rechts und Links zu treffen und innerhalb der zweiten Richtung säuberlich zu sortieren. Kurt Schumacher lobte er wegen dessen antikommunistischen Eiferns gegen die SED-Gründung. Seinen Nachfolgern verargt er, daß sie sich permissiv gegenüber der sogenannten „Extremen" oder „Ewigen Linken" verhielten. Deren exzessives Verständnis von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit werde allezeit, so lange es das Liberale System gebe, den Gegenschlag der Rechten, die unter der Parole „Ordnung, Differenz, Distanz" operieren, herausfordern. Hier steht auch er auf Posten. Ernst Nolte begreift sich als Feind der radikalen Linken. Immerhin fand er nach 1989 auch einmal das Urteil, man dürfe über den geschlagenen Gegner nicht herziehen. Dabei war klar, daß er zugleich meinte, diese Noblesse habe man vor allem 1945 vermissen lassen.

Den Höhe- und Wendepunkt seines Einflusses erreichte Ernst Nolte Mitte der achtziger Jahre. Seit der Raketen-Stationierung galt ja die „Deutsche Frage" wieder als offen, die Revision von Jalta stand auf der Tagesordnung. Zugleich bestand die Gefahr, daß die westlichen Verbündeten (im Gegensatz zu ihren offiziellen Beteuerungen) nicht mitspielen würden, weil sie entweder eine Wiederholung der faschistischen Verbrechen fürchteten oder doch der Ansicht waren, durch diese habe die Täternation das Recht auf staatliche Einheit verwirkt. In dieser Situation fiel Ernst Nolte die These ein, Stalins Gulag sei „ursprünglicher als Auschwitz", letzteres sei zumindest im nachvollziehbaren Selbstverständnis Hitlers eine Art Putativ-Notwehr gewesen.

Im „Historikerstreit", der nun ausbrach, hielt die konservative „Mitte", repräsentiert durch die FAZ, ihrem Mann durchaus die Stange. Habermas´ Gegenthese von der Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen hielt sie für gefährlich, da sie den Bedenken des Auslands gegen die aktualisierten gesamtdeutschen Ambitionen Argumente zu liefern schien.

Diese Kalkulation war nicht zwingend. Denkbar war ja auch, daß durch eine scharfe Absage an die Vergangenheit den Hoffnungen auf eine schönere Zukunft (Wiedervereinigung, die BRD als europäische Großmacht) besser gedient war.

So erzielte Nolte im Historikerstreit zwar große Resonanz, zugleich lief er gegen eine Wand. Habermas erhielt Unterstützung von einer sozialliberalen Richtung der westdeutschen Geschichtsschreibung, die innerhalb des Fachs zwar nach wie vor nur eine Minderheit ist, jetzt aber mit den aktuellen deutschen Interessen besser zu konvergieren schien. Auch Weizsäcker, Genscher sowie Herzog waren (und sind) der Ansicht, es sei diesmal ausnahmsweise nützlicher, bei der Wahrheit zu bleiben: die nationalen Wünsche erregten weniger Anstoß, wenn sie nicht mit einer Apologie der faschistischen Vergangenheit zusammengesehen werden.

Nach 1989 machte Nolte auch schon einmal einen chevaleresken Vorschlag an die Linke, wie auch sie es schaffen könne, im neuen Deutschland anzukommen. Doch ihm lief lediglich von rechtsaußen ein besonders peinlicher Doktorand zu: der ehemalige Porno-Herausgeber Röhl, der 1992 bei ihm promovierte.

Seinen bisherigen Paten aber fiel Nolte zunehmend auf die Nerven. Die von ihm vertretene Auffassung über das Verhältnis von Liberalem System und Faschismus hatte man schon immer für ziemlich indiskret gehalten, aber man hatte es früher lieber überhört, weil der Professor sonst ja ganz nützlich war. Als Nolte nun aber im Fernsehen darüber sinnierte, man müsse den Nazis zugute halten, daß sie subjektiv den Judenmord als eine Aktion innerhalb des Systemkampfs verstanden hätten, war Schluß. Seitdem darf er nicht mehr in der FAZ schreiben.

Dies geschieht vielleicht sozusagen zum Schutz der Sache, welche er vertritt: seine Überlegungen werden gebunkert. Damit bleibt das Pulver trocken, welches sonst, im Zeit der national bekömmlicheren Proklamation der Zivilgesellschaft, doch nur in eher schädlichen Scharmützeln verplempert würde.

Ernst Nolte aber kann warten. Er vertraut wohl darauf, daß das reaktionäre ideologische Potential, welches er in einem langen Gelehrtenleben angehäuft hat, seine Erdentage überdauern wird.