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1998

Rubrik
Faschismus
Rassismus
Neue Rechte

Nur wer sich nicht wehrt, wird nicht eingesperrt

Am 11.10.97 wurde in Saalfeld das Grundgesetz umgedeutet: »Nur wer sich nicht wehrt, wird nicht eingesperrt« scheint die Haltung des aktuellen Zeitgeistes zu sein. Mit dem Saalfelder Polizeieinsatz wurde noch schlimmeres praktiziert: Noch nicht einmal der, der sich nicht wehrte, konnte sicher sein, dem Sondergefängnis in Unterwellenborn zu entgehen. Gegen Nazis und rechten Konsens demonstrieren zu wollen, genügte, um eingesperrt zu werden.

Von Angelo Lucifero, Erfurt

Zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist am 11. Oktober im thüringischen Saalfeld eine antifaschistische Demonstration verboten worden, die von einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften, Parteien und antifaschistischen Gruppen initiiert und vorbereitet wurde. Das Verbot stand defacto am Tag der Anmeldung fest. Als formale Begründung diente eine 16seitige Verbotsverfügung, deren Inhalte aus der Klamottenkiste des Verfassungsschutzes stammen und an den Haaren herbeigezogen sind.

Damit demokratische Grundrechte nicht noch einmal gebeugt werden, hat der DGB-Kreisvorstand Ostthüringen beschlossen, daß im Frühjahr 1998 »gemeinsam mit allen interessierten Menschen, Initiativen und Organisationen« eine machtvolle und friedliche Demonstration in Saalfeld stattfinden soll.

Saalfelder Modell

Einerseits ist das Verbot und die Reaktionen der Honorationen sowie Teile der Medien Ausdruck einer allgemeinen und extremen Rechtsentwicklung in der der organisierte Neofaschismus, weil die bürgerlichen Parteien ihre Inhalte teilweise aufsaugen, auf die Rolle des Rechtsverstärkers reduziert wird und viele BürgerInnen rassistische Denkmuster verinnerlicht und die Achtung der Menschenrechte in ihrem Bewußtsein kaum eine Rolle spielt. Andererseits hat sich die Sozialdemokratie offensiv auf die Seite des rechten Konsens geschlagen und öffentlich dokumentiert, daß sie Garant für law and order sein kann und damit ihre Regierungsfähigkeit bewiesen. Die Deregulierer können sich gewiß sein, daß die SPD bereit ist, die Folgen sozialer und politischer Umwälzungen, die zu Lasten der »kleinen Leute« gehen, bereit ist mit polizeilichen Mittel einzudämmen.

Saalfeld kann auch zum Modell der Kräfte des law and order werden: Antifas melden eine Demo an, die Faschisten kündigen Gegenaktionen an, die Stadt und Medien reagieren mit Hetze gegen die AntifaschistInnen, der Verfassungsschutz liefert genügend, wenn auch an den Haaren herbeigezogenes, Material zur Kriminalisierung und prompt ist das Klima geschaffen um ein Verbot gesellschaftlich und juristisch durchzusetzen.

Wie weiter?

Am 8.12. führte das Bündnis in Saalfeld mit dem Journalisten Burkhard Schröder eine Veranstaltung zum Thema »Ostdeutsche Städte im Griff der Rechten« durch. Mehr als 100 Menschen nahmen an der Diskussion teil. Wer gänzlich fehlte waren die Honorationen der Stadt, die in den Wochen vorher den Dialog eingeklagt hatten. Ganz so ernst war es wohl mit dem Dialog nicht!?

Zur Zeit wird im Saalfelder Bündnis darüber diskutiert am 14.3.1998 den ersten »Saalfelder Antirassismus-Tag« mit einer Demonstration gegen den rechten Konsens und einer Abendveranstaltung zum Thema »Aus Nachbarn werden Fremde - das Fremde wird gemacht!« durchzuführen.

Auch wenn es absehbar ist, daß die Honorationen der Stadt, die Lokalpostille »Ostthüringer Tageszeitung« und die Ordnungskräfte wie am 11.10. reagieren werden, darf das Saalfelder Modell nicht Schule machen und daher muß die Demonstration stattfinden.

Wer ja sagt zu Rechtsentwicklung und Rassismus, sagt auch ja zu Arbeitslosigkeit, Armut und Gewalt!

CONTRASTE Nr. 160