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1998

Rubrik
Faschismus
Rassismus
Neue Rechte

Am 5.1.98 erhielten wir den folgenden Aufruf zur Veröffentlichung. Wir veröffentlichen ihn, obwohl die Aktion, zu der darin aufgerufen wird, nun bereits gelaufen ist. Der Text spricht für sich. Am 7.7. - kurz vor der Veröffentlichung - erhielten wir weiteres Material, daß wir nun veröffentlichen:

Presseerklaerung zur Kundgebung gegen die Übergriffe und den polizeilichen Rassismus in Tuebingen sowie Erlaeuterungen zu einem "psychischen Angriff" auf die Tuebinger Polizeiwache.

Am Montagabend vor dem Erscheinen der Heiligen Drei Koenige wollen wir den rassistischen Ungeist in der Tuebinger Polizeiwache austreiben.

Dazu werden wir sie in gemeinsamer spiritueller Anstrengung "in die Luft jagen"!

Treffpunkt vor der Kreissparkasse, Am Lustnauer Tor, Montag, 5. Januar, 17 Uhr

Tuebingen. Am Montag, 5.1. 1998, 17.00 Uhr, werden verschiedene Tuebinger Gruppen und Initiativen vor der Kreissparkasse am Lustnauer Tor eine Protestkundgebung gegen Rassismus und staatliche Gewalt durchfuehren. Anschliessend findet vor der Polizeiwache in der Pfleghofstrasse eine direkte exorzistische Aktion statt. Anlass ist die skandaloese Festnahme dreier Mitglieder des gambischen Kulturvereins durch die Tuebinger Polizei an 23.12. Die oeffentliche Vorfuehrung der Verhafteten in Handschellen zeigt einmal mehr: Wenn staatliche Gewaltorgane 'durchgreifen', um 'innere Sicherheit' zu inszenieren, spielen Menschenrechte und der Persoenlichkeitsschutz der Betroffenen keine Rolle mehr. Immer haeufiger werden Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Staatsangehoerigkeit in der Öffentlichkeit ausgegrenzt, schikaniert und drangsaliert. Die an der Kundgebung teilnehmenden Vereine, Gruppen und Einzelpersonen sehen im Verhalten der Tuebinger Polizeibeamten eine Verschaerfung des rassistischen Klimas in Tuebingen. Sie wollen nachdruecklich ihre Solidaritaet mit den nicht nur in Tuebingen durch bundesrepublikanische Staatsorgane drangsalierten Menschen ohne deutschen Pass ausdruecken.
Ein Skandal sind auch die auf die oeffentliche Empoerung folgenden Erklaerungen des Chefs der Tuebinger Polizeidirektion Paul-Rudolf Maisch vom 2. Januar. Nach dem Motto "Ein Schritt nach vorn, zwei Schritte zurueck" bedauert er die oeffentliche Inszenierung der Verhaftung, nur um in der Folge fast alle rassistischen Klischees der Debatte um die sogenannte Innere Sicherheit zu bedienen. Bemerkenswert ist auch, mit welcher Routiniertheit Maisch verbuergte Rechtsgrundsaetze ignoriert. Der Skandal besteht doch nicht in einem 'Ausrutscher' uebereifriger Polizeibeamter. Erschreckend ist vor allem, was in den Koepfen von Polizisten vorgehen muss, die Menschen allein aufgrund ihres Aussehens zu Kriminellen stempeln. Der Tuebinger Polizeichef rechtfertigt mit grosser Selbstverstaendlichkeit, wie die Polizei bestimmte koerperliche und kulturelle Merkmale zum Ausgangspunkt ihrer Übergriffe gegen Buerger dieser Stadt macht. Er bestaetigt ganz offiziell: 'Schwarz und Geld - das genuegt!'

Fuer sich selbst und die Tuebinger Polizei dagegen beruft sich Maisch auf ein 'Schutzbeduerfnis' und verwahrt sich gegen pauschale Verdaechtigungen. Es ist jedoch nicht nur individuelles Fehlverhalten, wenn sich Polizisten in einer Weise verhalten, die von unbefangenen Beobachtern nur als rassistisch wahrgenommen werden kann. Verhaftungen wie die vom 23.12 sind eine Auswirkung der in der bundesdeutschen Sicherheitspolitik gaengigen diskriminierenden Verdichtung koerperlicher und kultureller Merkmale zu 'Taeterprofilen'.

Gerade die Ausfuehrungen des Tuebinger Polizeichefs zeigen, dass die "Anfeindungen in der Öffentlichkeit" nur allzu berechtigt sind: Er selbst ist Teil des Problems. Aus der Autoritaet seines Amtes heraus legitimert Maisch die institutionelle Praxis der Polizei und laesst kaltlaechelnd drei Afrikaner ueber die (mediale) Klinge der Diskriminierung springen. Besonders schaebig sind die oeffentlich erhobenen Vorwuerfe gegen die Verhafteten in einer Erklaerung, die eigentlich der Entschuldigung dienen sollte. Offenbar kennt der PD-Chef keine Skrupel mehr, wenn die Polizei des Rassismus bezichtigt wird. Nunmehr kann sich die Öffentlichkeit aussuchen, wer der Verdaechtige ist.

Wir rufen alle, die mit solchen Praktiken nicht einverstanden sind, zu einer Kundgebung vor der Kreissparkasse mit anschliessender Prozession vor die Polizeistation in der Pfleghofstrasse auf. Wir sehen es als dringlich an, den in der Tuebinger Polizeiwache verbarrikardierten rassistischen Ungeist auszuraeuchern. Am Vorabend von Dreikoenig werden wir dieses harte Stueck Arbeit mit viel Myrrhe und Weihrauch beginnen. Hierzu werden zahlreiche Menschen erwartet, die trommelnd und psalmodierend das rassistische Fundament der Wache erschuettern helfen. Wir werden zusammen mit dem Gebaeude einen Ring bilden, um es in die Luft zu erheben. Wenn sich die Wache unter Anleitung eines Zermonienmeisters zu einer Hoehe von 20 Metern gehoben hat, wird das Gebaeude schwarz anlaufen und der rassistische Ungeist entweichen. Dann koennen die Heiligen Drei Koenige auch in Tuebingen Einzug halten, die derzeit ueberall im Land in Gefahr laufen, als Drogenhaendler und organisierte Kriminelle verhaftet zu werden. Anschliessend werden wir uns den naechsten Aufgaben gegen Rassismus und staatliche Ausgrenzung zuwenden.

Getragen wird die Kundgebung und Aktion von zahlreichen Tuebinger Gruppen und Organisationen. U.a. von: Afrikanische Studentenunion Tuebingen, Alternative Liste Tuebingen, Antifa-Komitee Tuebingen, Food not Bombs Tuebingen, Initiative gegen staatliche und deutsche Gewalt, Wagenburger 'Bambule' und 'Kuntabunt', Zentralamerika-Komitee (ZAK) und zahlreiche Einzelpersonen aus diversen Tuebinger Gruppen

Fuer die "Initiative gegen staatliche und deutsche Gewalt"

Claus Koestler

Zur inhaltlichen Erlaeuterung der Presseerklaerung der Tuebinger Initiative gegen staatliche und deutsche Gewalt vom 4.1.1998:

Unter der Ueberschrift "Schwarz und Geld - das genuegt. Tuebinger Polizei fuehrte drei Afrikaner aus der Kreissparkasse in Handschellen ab" berichtete das Schwaebische Tagblatt am 23.12. 1997 ueber die unglaubliche Geschichte der Verhaftung und Zurschaustellung von Lamin Komma, Safiong Touray und Abdou Sawaneh in der Kreissparkasse Tuebingen am Lustnauer Tor. Die oberstehende Darstellung folgt diesem Bericht: Die drei Maenner waren gerade im Begriff ein Vereinskonto des gambischen Vereins  Yiriwaa Kafoo" zu eroeffnen, als sie sich auf einmal von der Tuebinger Polizei umringt sahen. Sie mussten sich mit erhobenen Armen und dem Gesicht zur Wand stellen. Obwohl sie sich ausweisen konnten, wurden sie zu Fuss und auf offener Strasse zum Polizeiposten Pfleghofstrasse (die Haende auf dem Ruecken in Handschellen) abgefuehrt. Unterwegs wurde auch noch gleich Pierry Satak, der Vorsitzende der Tuebinger Afrikanischen Studenten-Union, der sich nach dem Grund des befremdlichen Aufzuges erkundigen wollte, mit den Worten  Da kommt ja noch ein Schwarzer!" kontrolliert. Ein  weisser" Passant, mit deutschem Pass, der sich ebenfalls hinzugesellte, wurde nicht kontrolliert. Auf der Polizeiwoche mussten sich zwei von ihnen nackt ausziehen. Ihnen wurde auch nicht gesagt, was sie eigentlich verbrochen haben sollen.

Sie hatten sich verdaechtig gemacht, als sie in der Schalterhalle der Sparkasse die Vereinsgelder nochmals durchzaehlten. Eine Polizistin in Zivil hatte inzwische ihre Kollegen benachrichtigt. Die Begruendung fuer das Vorgehen der bewaffneten Staatsgewalt lieferte der Tuebinger Polizeisprecher Klaus Goetze. Demnach sei es nun mal eine Tatsache, dass Schwarzafrikaner am Strassenhandel mit Drogen massgeblich beteiligt seien:  Die Beamten haben sich korrekt verhalten."

Absender : klaus.schoenberger@uni-tuebingen.de (Klaus Schoenberger)