trend PARTISAN.net
online
archiv

1998

Rubrik
Dokumente
 

EUROPÄISCHER AUFRUF FÜR VOLLBESCHÄFTIGUNG

Berliner Thesen: Veränderung schafft Arbeitsplätze

Die Berliner Thesen des Europäischen Aufrufs für Vollbeschäftigung gehen von
einer einfachen Überzeugung aus: Die Probleme Europas dürfen und können
keinesfalls auf Kosten der übrigen Welt gelöst werden, etwa auf dem Rücken des
Südens oder durch verschärfte Konkurrenz zwischen den führenden
Industriemächten. Die in diesen Thesen erhobenen Forderungen gelten für alle
EinwohnerInnen Europas, ohne jede Ausgrenzung und Diskriminierung. Ein Europa
und eine Europäische Union die ihre internen Probleme lösen können, werden auch
einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der globalen Probleme leisten.

These 1: Die neoliberale Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist gemessen an
ihren selbst proklamierten Zielen gescheitert. Statt die Massenerwerbslosigkeit
abzubauen, wurde sie verschärft.

Das Jahr 1997 hat auf europäischer Ebene zu einer Bündelung der Bewegungen und
politischen Initiativen gegen die Massenerwerbslosigkeit geführt. Der
Europäische Aufruf für Vollbeschäftigung ist ein Ausdruck dieser Initiativen,
die sich auf gemeinsame europäische Reformen konzentrieren. Inzwischen drängen
auch einige Regierungen in der Europäischen Union auf vermehrte
beschäftigungspolitische Anstrengungen. Insbesondere die französische Regierung
setzte die EU-Institutionen unter Druck, um eine verbindliche und wirksame
europäische Beschäftigungspolitik einzuleiten. Dennoch brachte der EU-
Beschäftigungsgipfel in Luxemburg (21.11.1997) keine wesentlichen Fortschritte.
Insbesondere die Bundesregierung steht beim Thema "Beschäftigung" stets auf der
Bremse und verursacht politischen Stillstand in Europa.
Dabei fällt die Bilanz ihrer eigenen "Beschäftigungspolitik" vernichtend aus.
Die angebotstheoretischen Rezepte verbesserten zwar die Gewinnsituation der
Unternehmen, sie haben auch den Sozialstaat bis auf die Grundmauern
zurückgebaut, das Arbeits- und Sozialsystem dereguliert und die Masseneinkommen
gesenkt. Doch sie haben weder den Arbeitsplatzabbau gebremst noch neue Arbeit
geschaffen. Seit Jahren stellen die Erwerbslosenzahlen neue Rekorde ein und
wetteifern mit dem Höhenflug der Aktienkurse und dem Wachstum der großen
Geldvermögen. Nach sechzehn Jahren christliberaler Herrschaft und ein knapp
halbes Jahr vor den Neuwahlen zum Deutschen Bundestag läßt sich nicht mehr
verbergen, daß der Neoliberalismus die Arbeitsmarktprobleme nicht gelöst,
sondern verschärft hat. Die Strategie, die Arbeitsmarktprobleme durch
Lohnspreizung und Niedriglöhne zu lösen, beruht auf politischen und
theoretischen Irrtümern. Menschen mit niedrigen Einkommen werden dadurch
gezwungen, mehrere Jobs auszuüben. Das Arbeitsangebot wird dadurch erhöht und
die neoliberale Politik wird selbst immer mehr zum Hindernis für eine positive
Beschäftigungsentwicklung.
Die angeblich zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit eingesetzten Strategien
haben in Wahrheit hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet und Millionen
ArbeitnehmerInnen in ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse und
Scheinselbständigkeit abgedrängt. Hinter der offiziellen Erwerbslosigkeit
verbargen sich 1997 weitere zehn Millionen Menschen in ungeschützten, schlecht
bezahlten Arbeitsverhältnissen. Von 1992 bis 1997 hat die Zahl der
Beschäftigten
mit Sozialversicherungspflicht um über zwei Millionen abgenommen, während die
ungeschützten Beschäftigungsverhältnisse um 2,4 Millionen zunahmen.
Das sogenannte Arbeits-Förderungs-Reform-Gesetz (AFRG) hat die Projektstruktur
des zweiten Arbeitsmarktes zerstört, ohne neue Beschäftigung auf dem regulären
Arbeitsmarkt zu schaffen. Maßnahmen wie z. B. der Abschluß von
Eingliederungsverträgen erwiesen sich als blamabler Reinfall. In den neuen
Ländern wurden auf diesem Wege nur 146 Arbeitsplätze bereitgestellt. Dafür
waren
im Dezember 145.000 Menschen weniger in Arbeitsbeschaffungs- und
Weiterbildungsmaßnahmen untergebracht als noch vor Jahresfrist.
Die verbreitete Hoffnung auf das Beschäftigungspotential der sogenannten
Dienstleistungsgesellschaft hat sich als Trugschluß erwiesen. Untersuchungen
der
Universität Würzburg rechnen mit einer neuen Rationalisierungswelle bei Banken
und Versicherungen, der in den kommenden Jahren bis zu 40 Prozent der
Arbeitsplätze zum Opfer fallen sollen. Im Öffentlichen Dienst wurden in den
vergangenen sechs Jahren 600.000 Arbeitsplätze vernichtet. Auch die viel
beschworenen Multimedia-Dienste werden keine Entlastung bringen. Nach einer
Studie des Institut für Arbeit und Technik am Wissenschaftszentrum Nordrhein-
Westfalen wird der Multimedia-Einsatz mindestens bis zur Jahrtausendwende mehr
Arbeitsplätze vernichten, als er neue schafft.
Die Ergebnisse der neoliberalen Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik
und die finanzielle Überlastung der sozialen Sicherungssysteme hat die
Bundesregierung veranlaßt, sich jetzt definitiv vom Ziel der Halbierung der
Erwerbslosenzahlen zu verabschieden. Die Arbeitsmarktpolitik ist zur reinen
Entsorgungsstrategie verkümmert, mit der die Erwerbslosen endgültig vom
regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Vermehrt werden
Leistungskürzungen, verschärfte Zumutbarkeitsregelungen und subventionierte
Billiglöhne eingesetzt, um die Erwerbslosen aus der Statistik zu entfernen.
Obwohl die Zahl der Erwerbslosen im vergangenen Jahr um rund eine halbe Million
zunahm, wurden 38 Milliarden DM an Leistungen und aktiver Arbeitsmarktpolitik
eingespart.

These 2:  Der Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der
beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Union setzt die falschen
Schwerpunkte. Die Förderung eines Billiglohnsektors kann die Erwerbslosigkeit
nicht überwinden.

Obwohl ihre bisherige "Beschäftigungspolitik" erfolglos blieb, vertraut die
Bundesregierung weiter auf alte Beschwörungsformeln. Ihr "Aktionsplan" vom
22.4.1998 zur Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU
(Luxemburger EU-Gipfel vom 21.11.1997) erteilt erneut allen progressiven
Vorschlägen aus Brüssel (Ökosteuer, niedrigere Mehrwertsteuer für
arbeitsintensive Dienstleistungen) eine klare Absage. Wie bisher sollen eine
"neue Kultur der Selbständigkeit", die Weckung von Unternehmergeist, ein harter
Sparkurs bei öffentlichen Ausgaben, Steuersenkungen, eine Reform des
Sozialrechts und die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte eine Wende zu mehr
Beschäftigung bringen. Dies hat sich jedoch schon in den vergangenen 15 Jahren
als Illusion erwiesen.
Die Bundesregierung setzt darauf, daß eine stärkere Spreizung der Löhne die
Erwerbslosigkeit abbauen könne. Vor allem bei einfachen Dienstleistungen sollen
durch niedrige Löhne viele neue Jobs entstehen. Auch dieses Versprechen ist auf
Sand gebaut. Untersuchungen der OECD zur Lohnungleichheit kamen zu einem
anderen
Ergebnis: Es besteht kein statistischer Zusammenhang zwischen
Einkommensungleichheit und der Entwicklung von Beschäftigung und
Erwerbslosigkeit. Durch eine zunehmende Lohnspreizung wird weder die
Erwerbslosenquote deutlich gesenkt noch das Beschäftigungsniveau erhöht. Die
Niederlande erzielten bei im internationalen Vergleich geringer
Einkommensungleichheit zwischen 1980 und 1995 - im wesentlichen durch
Umverteilung der Arbeit - einen Beschäftigungszuwachs von 34 Prozent und lagen
damit noch über dem US-amerikanischen Zuwachs von 24 Prozent.
Es wird auch kaum bezahlbar sein, niedrig bezahlte Jobs durch
"Kombilohnmodelle"
oder die Einführung einer negativen Einkommensteuer attraktiver zu machen. Das
DIW hat berechnet, daß Mehrkosten von 109 Mrd. DM entstehen, wenn etwa ein
Jahreseinkommen bis 12 000 DM steuerfrei bleibt und das darüber hinausgehende
zusätzliche Einkommen mit 50 % angerechnet wird. Weil dies kaum finanzierbar
erscheint, wird die Einführung von Kombilohnmodellen deshalb mit einer
Absenkung
der Regelsätze der Sozialhilfe verbunden werden. Dies würde den endgültigen
Abschied vom Prinzip der Bedarfsdeckung in der Sozialhilfe beinhalten, der
schon
durch das Asylbewerberleistungsgesetz mit verminderten Sozialhilfesätzen für
AsylbewerberInnen eingeleitet wurde. Ein Kombilohn nach den in der
Bundesrepublik zur Zeit diskutierten Modellen würde außerdem zu einer
Schwächung
der Tarifautonomie führen, weil Beschäftigte in den unteren Einkommensgruppen
damit indirekt von erforderlichen Tariffortschritten abgekoppelt würden. Ihre
Solidarität wäre kaum noch zu erreichen. Sie gerieten aus dem Blick der
Tarifpolitik, der Druck auf die bestehenden Tarife würde verstärkt und die
gewerkschaftliche Durchsetzungskraft geschwächt. Armut trotz Arbeit und eine
immer größere gesellschaftliche Spaltung würde damit auf Dauer gestellt. Statt
einen Niedriglohnsektor staatlich zu subventionieren, sollte der Staat besser
hochwertige, innovative Dienstleistungen und Qualifizierung fördern.

Wir wenden uns ebenso gegen alle Versuche, Erwerbslosigkeit mit staatlich
verordneter Zwangsarbeit nach dem Muster der US-amerikanischen "Workfare"-
Programme zu bekämpfen. Die derzeitigen Regierungsparteien wollen erzwungene
Arbeit zur Regel machen unter dem Motto: "Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe
müssen öffentlicher Lohn für öffentlich angebotene Arbeit werden".
SozialhilfebezieherInnen und Langzeiterwerbslose sollen so zur Billigreserve
des
Staates werden, was unselige Erinnerungen an den "Reichsarbeitsdienst" weckt.
Die Konventionen der UNO und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die
Europäische Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz verbieten derartige
Zwangsdienste. Eine europäische Strategie für Vollbeschäftigung muß das
Europäische Sozialmodell bewahren und auf freiwillige und frei gewählte
Arbeitsverhältnisse zu tariflichen Bedingungen setzen.

These 3:  Wenn die Erwerbslosigkeit weiter wächst, gerät langfristig auch die
Demokratie in Gefahr - in Deutschland wie in Europa.

Durch die steigende Erwerbslosigkeit werden Arbeitsverhältnisse und
Arbeitsbedingungen in Deutschland und Europa individualisiert. Jede und jeder
Erwerbstätige sieht sich immer mehr in Konkurrenz zu anderen KollegInnen
außer-,
aber auch innerhalb des eigenen Betriebes. Das Interesse an der Gestaltung des
Lebens über die eigene Person hinaus, das die Grundbedingung von Gesellschaft
und Demokratie ist, nimmt dadurch beständig ab. Menschen, die selbst Erwerbslos
sind, werden durch ihre Erwerbslosigkeit häufig aus der Gesellschaft
ausgeschlossen. Denn die Teilnahme an der Gesellschaft ist vorrangig ökonomisch
definiert, also über Erwerbsarbeit und Konsum. Konkurrenzdruck und die
greifbare
Gefahr, ausgeschlossen zu werden, verursachen in wachsenden Teilen der
Bevölkerung eine Tendenz zur politischen Apathie, zur Akzeptanz des Gegebenen
und einen Hang zu "einfachen" Lösungen.
Zudem führt die neoliberale Logik zu einer "Zerstörung aller kollektiven
Instanzen, die den Auswirkungen der Höllenmaschine (gemeint ist die neoliberale
Utopie) entgegenwirken könnte." (Pierre Bourdieu) Gewerkschaften und
Interessenvertretungen der BürgerInnen werden geschwächt, Tarifverträge
ausgehebelt, die Möglichkeiten der Partizipation eingeschränkt. Schleichend
verschwinden damit unverzichtbare Elemente einer sozialen Demokratie.
Das herrschende "Klima der Angst" verengt auch den Blick für politische
Konzepte: Es wird nicht mehr gefragt, wie die Erwerbslosigkeit bekämpft werden
kann, sondern es wird die Forderung nach einem Arbeitszwang für Erwerbslose und
Sozialhilfeempfänger erhoben. Es wird keine Umverteilung gesellschaftlichen
Reichtums gefordert, sondern die Zurückdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen
aus den Innenstädten und wohlhabenderen Wohngebieten. Die räumliche Trennung
von
Wohlstands- und Armutsgebieten wiederum trägt zu einer Spaltung der
Gesellschaft
bei und verstärkt die Tendenz zur "Ausschließung" von Erwerbslosen und
ungeschützt Beschäftigten aus der Gesellschaft.
Es werden also autoritäre Lösungen angestrebt, da Autorität der einzige Ersatz
für die zerfallende gesellschaftliche Bindungskraft zu sein scheint.
Rechtspopulistische Äußerungen finden sich daher nicht nur bei der in
Deutschland noch stark fragmentierten extremen Rechten, sondern auch bei
VertreterInnen aus dem Spektrum anderer Parteien. Die wachsende
Perspektivlosigkeit, Verunsicherung und Ausgrenzung immer größerer Gruppen der
Gesellschaft werden so langfristig zu einer Gefahr für die Demokratie.
Die herrschende Politik in der Bundesrepublik propagiert Sündenböcke.
Insbesondere MigrantInnen werden systematisch an den Rand der Gesellschaft
gedrängt. Neonazis meinen, in gewalttätiger Weise umsetzen zu können, was in
der
"Mitte der Gesellschaft" teilweise gedacht und von Teilen der Eliten propagiert
wird. Wenn im Wahlkampf PolitikerInnen mit rechtsextremen Parteien in
Konkurrenz
um eine möglichst restriktive und autoritäre Innen- und Sozialpolitik
eintreten,
werden die Folgen für die konstruierten Sündenböcke und das
gesamtgesellschaftliche Klima verheerend sein.
Auch das europäische Projekt gerät durch die steigende Erwerbslosigkeit in
Gefahr. Soziale Differenzen in der EU werden durch eine falsche Ausrichtung der
Wirtschafts- und Währungsunion und die dadurch bedingte steigende
Erwerbslosigkeit weiter wachsen. Dies führt auch auf der europäischen Ebene zu
einem erhöhten Konkurrenzdruck. Eine in der Bekämpfung der Erwerbslosigkeit
erfolgreiche EU könnte dagegen die Attraktivität des europäischen Projektes
erhöhen und gleichzeitig durch soziale Kohäsion die Grundlage für die weitere
Integration legen.

These 4: Politik und Wirtschaft müssen das Ziel der Vollbeschäftigung neu
bestimmen und veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen dabei Rechnung
tragen.

Ein populärer Zweig der Wirtschaftstheorie hält Vollbeschäftigung schon für
erreicht, wenn die Erwerbslosenquote auf etwa 5 Prozent gesenkt werden kann.
Wir
halten diese Idee einer "natürlichen" Erwerbslosenrate für irreführend. Die
Formel von Lord Beveridge, dem Architekten des britischen Wohlfahrtsstaats,
bleibt gültig: Vollbeschäftigung ist erreicht, wenn die Zahl der Erwerbslosen
die Zahl der offenen Stellen nicht überschreitet. Vollbeschäftigung muß heute
allerdings anders bestimmt werden als in den 60er und 70er Jahren.
Damals war Vollbeschäftigung fast ausschließlich auf den männlichen
"Familienernährer" zugeschnitten. Vollgültiger sozialer Schutz war an starre
Standards gebunden: kontinuierliches Arbeiten über 40 Stunden in der Woche und
mindestens 40 Jahre ohne größere Unterbrechungen bis zur Rente. Frauen und
Menschen mit Bedürfnissen, die nicht in dieses Schema hineinpaßten (z. B.
Alleinerziehende), hatten deutliche Nachteile bei der sozialen Sicherheit.
Deshalb brauchen wir ein neues zukunftsfähiges und nachhaltiges Leitbild der
Vollbeschäftigung auf der Grundlage der Agenda 21.

Vollbeschäftigung neu bestimmen heißt:

  • jede arbeitswillige und arbeitsfähige Person muß Zugang zu existenzsichernder 

Erwerbsarbeit haben, in der sie oder er ihre oder seine produktiven Fähigkeiten
entwickeln kann;

  • Erwerbsarbeit und Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit sollen künftig gleichmäßig zwischen Frauen und Männern aufgeteilt werden;
  • drastisch verkürzte Wochenarbeitszeiten (z. B. die 30-Stunden-Woche) können große Potentiale für eine durchgreifende Umverteilung der Erwerbsarbeit erschließen;
  • eine flexible Lebensgestaltung, bei der sich Zeiten der Erwerbstätigkeit mit Phasen von Aus- und Weiterbildung, von Kindererziehung und Pflege, von Sabbatjahren, ehrenamtlichem Engagement oder zeitweiser Selbständigkeit abwechseln, muß durch vollen sozialen Schutz abgesichert werden;

Mit Blick auf wachsende ökologische Gefährdung kann mehr Beschäftigung nicht
einfach durch mehr Wirtschaftswachstum erreicht werden, sondern der Umbau des
Systems der Erwerbsarbeit muß den Umweltverbrauch zurückdrängen, von einer
ökologischen Steuerreform unterstützt werden und dauerhaft umweltverträgliches
Wirtschaften fördern.

Der soziale Schutz bei Erwerbslosigkeit muß lückenlos gewährleistet sein. Die
sozialen Sicherungssysteme müssen armutsfest gemacht werden.

These 5: Die Zeit ist reif für eine Wende in der Wirtschafts- und
Beschäftigungspolitik. Erfolgreiche Beschäftigungspolitik braucht das "soziale
Europa".

Obwohl der gesamtwirtschaftliche Arbeitsaufwand weiter abnimmt, wächst der
Reichtum in der Gesellschaft. Zwischen 1960 und 1996 hat sich allein das
westdeutsche Bruttoinlandsprodukt knapp verdreifacht. Der geschaffene Reichtum
wird jedoch immer ungleicher verteilt: immer weniger fließt den abhängig
Beschäftigten als Einkommen aufgrund ihrer Arbeitsleistung zu und immer mehr
den
stärker an der Wertschöpfung beteiligten Maschinen und ihren Besitzern, den
Unternehmen. Vollbeschäftigung erfordert deshalb auch eine neue
Verteilungspolitik, die für ein solidarische Lastenteilung sorgt. Dies
erfordert, den Faktor "Kapital" und den Faktor "Energie- und Umweltverbrauch"
im
Gleichklang mit seiner wachsenden Bedeutung im Wirtschaftsprozeß stärker an der
Finanzierung staatlicher und sozialer Aufgaben zu beteiligen.
Verschiedene Studien auf europäischer Ebene (z.B. der französischen
Wirtschaftsforschungsinstitute OFCE/CEPII 1994) und in Deutschland (WSI,
Berliner Memorandum zur Halbierung der Erwerbslosigkeit, IAB, Euro-Memorandum)
weisen darauf hin, daß Vollbeschäftigung und zumindest die Halbierung der
Erwerbslosigkeit in einem ersten Schritt realitätstüchtige Ziele sind. Wir
brauchen dafür eine Mehr-Ebenen-Strategie, die Geld-, Finanz- und
Steuerpolitik,
Arbeitszeitverkürzung und -umverteilung, ökologischen Umbau, öffentlich
geförderte Beschäftigung und alternative Arbeitsmarktpolitik wirksam
miteinander
verzahnt.
Das vereinte Europa muß zum Motor einer neuen Politik der Vollbeschäftigung
werden. Mit einer Außenabhängigkeit von nur rund 10 % hat die EU-Wirtschaft
einen großen Spielraum, um trotz allen Globalisierungsdrucks eigene,
solidarische Akzente zu setzen. Wir brauchen das "soziale Europa", um
Beschäftigungspolitik auf nationaler Ebene möglichst effektiv zu machen.

These 6: Die Ziele der Europäischen Währungsunion und der EZB müssen um das
Kriterium eines hohen Beschäftigungsstandes erweitert werden. Die europäischen
Verträge müssen durch eine Umwelt-, Beschäftigungs- und Sozialunion ergänzt
werden. Dies erfordert veränderte Schwerpunkte für die makroökonomische Politik.

Wir setzen auf eine Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik, in der
Beschäftigung und ökologische Nachhaltigkeit höchste Priorität haben. Statt auf
eine Spirale des Dumpings nach unten setzen wir auf eine Politik
wirtschaftlicher Regulierung und eine Begrenzung des Wildwuchses rein
spekulativer und durch das Steuersystem indirekt geförderter
arbeitsplatzvernichtender Finanzgeschäfte. Dies erfordert eine Koordinierung
der
Steuerpolitik (u.a. EU-einheitliche Quellensteuer, Korridore für Unternehmens-
und Vermögenssteuern), die Einführung einer europäischen Devisenumsatz- und
Transaktionssteuer und die Beendigung des "Standortkriegs" mit
Ansiedlungssubventionen.
Der Auftrag an die Europäische Zentralbank im Zusammenhang mit der Einführung
des Euro muß revidiert werden: Geldwertstabilität als ausschließliches
Kriterium
wirkt destabilisierend sowohl für Ökologie als auch für die Beschäftigung. Die
EZB muß vielmehr eine Geldpolitik betreiben, die Investitionen und
Beschäftigung
stützt und wenn nötig  etwas höhere Preissteigerungsraten toleriert.
Eine Wirtschaftspolitik, die allein die Interessen der Kapitalbesitzer bedient,
lehnen wir auch deshalb ab, weil ein Wildwuchskapitalismus mittel- und
langfristig nicht funktionieren wird. Ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem
kann nur dann Legitimität beanspruchen, wenn es nicht allein Profitzwecken
dient, sondern die Früchte des Wirtschaftens allen Mitgliedern der Gesellschaft
zugute kommen. Aus gutem Grund fordert das Grundgesetz eine soziale
Grundordnung
(Artikel 20 Abs. 1, Artikel 28 Abs. 1). Dieses Prinzip muß auch in den
Europäischen Verträgen verankert werden. Wirtschaftspolitik ist in Deutschland
nur dann verfassungskonform, wenn sie eine soziale, auch auf
Beschäftigungspolitik ausgerichtete Komponente enthält und nicht selbst zu
einer
immer stärkeren Ausgrenzung von immer größeren Bevölkerungsgruppen führt. Im
Zuge einer immer mehr zusammenwachsenden EU und der geplanten Einführung des
Euro ist eine Koordinierung der Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik auf
europäischer Ebene unerläßlich.
Der Abbau der Erwerbslosigkeit muß in Form einer koordinierten europäischen
Beschäftigungspolitik Priorität erhalten. Lohnsenkungen sind ebenso wie eine
Beschneidung der Staatsnachfrage die falsche Strategie. Sie führen in eine
Deflation. Grundverkehrt ist es, wenn der Staat in dieser Situation prozyklisch
wirkt und seine Neuverschuldung zurückfährt. Wir fordern eine Revision des
Stabilitätspakts von Dublin. Eine höhere Neuverschuldung als die im
Stabilitätspakt vorgesehene Obergrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
darf dann nicht ausgeschlossen werden, wenn sie der dauerhaften Senkung der
Erwerbslosigkeit dient und so die Staatsfinanzen mittelfristig auf eine
solidere
Grundlage stellt. Den kontraproduktiven Stabilitätsfundamentalismus der
Bundesregierung lehnen wir ab. Generell ist eine aktive staatliche Politik
nötig, für die die entsprechenden Finanzmittel von den Besitzern großer
Vermögen
und Beziehern hoher Einkommen beschafft werden müssen. Die Gewinner der
Umverteilung von unten nach oben der letzten 15 Jahre müssen zu einem
solidarischen Lastenausgleich herangezogen werden.
Staatliche beschäftigungswirksame Investitionen und eine aktive Struktur- und
Industriepolitik müssen gleichzeitig so gestaltet werden, daß ein ökologischer
Umbau der Gesellschaft vorangetrieben wird. Die Erhaltung und wo nötig die
Sanierung der öffentlichen Infrastruktur können wichtige Beschäftigungsimpulse
ermöglichen. Dafür müssen ausreichende Mittel zur Verfügung stehen. Wo es
möglich ist müssen derartige Investitionen und Erhaltungsmaßnahmen aus Steuern
und Abgaben finanziert werden. Daneben können kreditfinanzierte Instrumente wie
der Europäische Investitionsfonds und die Ausgabe von Euro-Anleihen eine
wichtige Anschubfinanzierung leisten. Die geförderten Projekte müssen dann so
ausgewählt werden, daß sie sich über hohe Multiplikatoreffekte langfristig
refinanzieren. Die heutige Schieflage in der öffentlichen Förderpolitik, die
wenig bechäftigungswirksame, aber extrem teure Projekte ungleich stärker
fördert, als beschäftigungswirksame und ökologisch zukunftsträchtige Maßnahmen,
muß beseitigt werden.

These 7:  Arbeitszeitverkürzung in großen Schritten und eine Politik der
Arbeitsumverteilung sind unverzichtbare Voraussetzungen, um Vollbeschäftigung
zu ermöglichen.

Die neoliberale Politik der letzten Jahre hat zu einer hohen Erwerbslosigkeit
bei zugleich verdeckter oder offener Arbeitszeitverlängerung für
Vollzeitbeschäftigte und andererseits der Ersetzung von Vollzeitbeschäftigung
durch nicht-sozialversicherungspflichtige Teilzeit und andere ungeschützte
Beschäftigungsformen geführt. Wir fordern stattdessen eine aktive Strategie zur
umfassenden Verkürzung der Arbeitszeit. Nur dadurch wird es gelingen, am ersten
Arbeitsmarkt eine ausreichende Zahl von Stellen zu schaffen und gleichzeitig
endlich die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsleben zu
verwirklichen.
Eine Strategie der umfassenden Arbeitszeitverkürzung muß auf die
verschiedensten Formen wie Verkürzungen der Wochen-, Jahres-; Lebensarbeitszeit,
Überstundenabbau, Vorzug für Zuschläge in Freizeit statt in Entgelt, bezahlte
Fortbildungszeiten, Sabbaticals, mehr existenzsichernde und
sozialversicherungspflichtige Teilzeitangebote setzen, um die notwendigen
Effekte erzielen zu können. Damit eine maximale Beschäftigungswirkung erzielt
wird, müssen bei allen Arbeitszeitverkürzungsformen gleichzeitig Regelungen
durchgesetzt werden, die eine Arbeitsintensivierung verhindern und einen
Personalausgleich gewährleisten. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit um 3
Stunden könnte in Kombination mit einer Halbierung der Überstunden und weiteren
Maßnahmen 2,9 bis 3,4 Millionen neuer Arbeitsplätze in der Bundesrepublik
schaffen. Die neuen gewerkschaftlichen Vorstöße für die 32- oder die 30-Stunden-
Woche gehen deshalb in die richtige Richtung.
Bei der konkreten Umsetzung aller Arbeitszeitverkürzungsformen müssen die
Interessen von Frauen besonders berücksichtigt werden, bis es gelungen ist, zu
einer neuen Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern bei Familien- und
Erziehungsarbeit zu kommen. Flankierende Maßnahmen wie Frauenförderpläne,
flächendeckende Ganztags-Kinderbetreuungsangebote und weiterer Ausbau der
Pflegedienste sind zusätzlich notwendig, um die Erwerbstätigkeit von Frauen zu
erhöhen. Sie schaffen auch neue Arbeitsplätze.
Um die Nachfrage nicht weiter zu schwächen und die Zahl der arbeitenden Armen
nicht weiter zu vergrößern, ist eine undifferenzierte Strategie der
Arbeitszeitverkürzung ohne Entgeltausgleich zumindest für BezieherInnen von im
gesamtgesellschaftlichen Maßstab unteren und mittleren Einkommen nicht
akzeptabel. Aufgrund der stattgefundenen Umverteilung zu Gunsten der
Unternehmereinkommen hat die Kapitalseite erheblichen Spielraum für die
Finanzierung eines Entgeltausgleichs bei Arbeitszeitverkürzung im
privatwirtschaftlichen Sektor und indirekt über verstärkte Besteuerung auch im
Öffentlichen Dienst.
Um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, muß die EU regulierend eingreifen und
Rahmenbedingungen im Bereich der Arbeitszeit setzen. Die Bundesregierung
fordern wir auf, eine beschäftigungswirksame Arbeitszeitverkürzung positiv zu
beeinflussen. Wir brauchen eine Arbeitszeitgesetzgebung, die die zulässige
Höchstarbeitszeit nahe an die geltenden tariflichen Arbeitszeiten heranführt
und so tarifliche Arbeitzeitverkürzung unterstützt.

These 8: Vollbeschäftigung ist ohne dauerhafte öffentliche
Beschäftigungsförderung nicht herstellbar. Sinnvolle neue Arbeit muß
insbesondere im Non-Profit-Sektor geschaffen werden.

Der Ausbau dauerhafter öffentlich geförderter Arbeitsplätze - sowohl im
öffentlichen Dienst als auch in einem neuen "Öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor" kann dazu beitragen, Infrastrukturen und das
Dienstleistungsangebot zu verbessern und damit Wertschöpfung und Nachfrage zu
stärken. Mit einem Anteil von 14,9 % an allen Berufstätigen liegt der
Öffentliche Dienst in der Bundesrepublik hinter Schweden, Frankreich,
Großbritannien und sogar den USA zurück. Ein Ausbau des Öffentlichen Dienstes
in Bereichen hochqualifizierter Dienstleistungen wie Kinder- und
SchülerInnenbetreuung, Bildung, Gesundheit und Kultur ist angesichts
bestehender Versorgungsdefizite in Deutschland geboten.
Wir stimmen einer Schlußfolgerung des neuen Berichts an den Club of Rome ("Wie
wir arbeiten werden") zu: Neue Arbeit muß gezielt im Non-Profit-Bereich
gefördert werden. Sie hilft, soziale, ökologische und kulturelle Bedürfnisse zu
befriedigen, die bisher von privaten Märkten nicht abgedeckt werden. Soziale
Betriebe und Kooperativen in lokalen Sozial- und Gesundheitsdiensten
(Altenarbeit und -betreuung, Jugendarbeit, Konfliktvorbeugung), in
Stadterneuerung und Umweltschutz (Renaturierung und Flächenreaktivierung,
Bodensanierung, Wohnungsmodernisierung, Waldsanierung, Wiederverwendung und
Wiederverwertung von Materialien) sowie Kultur-, Freizeit- und
Bildungseinrichtungen können dauerhafte Arbeitsplätze schaffen, die auch für
Langzeiterwerbslose, Ungelernte und ältere ArbeitnehmerInnen eine Perspektive
bieten. Öffentlich geförderte Beschäftigung darf keinen Niedriglohnsektor
schaffen, sondern muß zu normalen sozial- und tarifrechtlichen Konditionen
erfolgen. Bis zu 2 Millionen neuer Arbeitsplätze sollten in diesem Bereich
entstehen, um die Arbeitsplatzlücke im privatwirtschaftlichen Sektor zu
mindern.
Die Erfahrungen mit sozialen Betrieben in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen
zeigen, daß der finanzielle Mehraufwand für öffentlich geförderte Beschäftigung
sehr begrenzt ist.
Die Europäische Kommission schätzt das Arbeitsplatzpotential lokaler
Beschäftigungsinitiativen dieser Art (Sozialwirtschaft, Verbände,
Kleinstunternehmen etc.) auf jährlich 400 000 neue Stellen in der EU. Für
"Soziale Betriebe" als Rückgrat öffentlich geförderter Beschäftigung muß
EU-weit ein reduzierter Mehrwertsteuersatz vereinbart werden. Mittelfristig sollten
mindestens ein Drittel statt bisher 5-10 % der EU-Mittel für Strukturförderung
für lokale Entwicklung und lokale Beschäftigungsinitiativen reserviert werden.
Alle Strukturförderprogramme sollen künftig drei Prüfsteine erfüllen: das
Kriterium der Beschäftigungsintensität und der Umweltverträglichkeit des
Projekts sowie die Integration einer aktiven Gleichstellungs- und
Frauenförderpolitik. Insgesamt gilt es, durch die Förderpolitiken der EU
umweltverträgliche Beschäftigung und Chancengleichheit zu stärken und
öffentlich geförderte Beschäftigung in den Mitgliedstaaten zu flankieren.

These 9:  Wir brauchen eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik. Sie soll
verstärkt Arbeit statt Erwerbslosigkeit finanzieren, Dauererwerbslosigkeit
verhindern und Brücken zwischen Erwerbsarbeit, Bildung, Rente und
Kindererziehung bauen.

Arbeitsmarktpolitik hat die Aufgabe, Brücken zwischen temporärer
Erwerbslosigkeit und Beschäftigung zu bauen. Die Europäische Union muß in ihren
Leitlinien zur Beschäftigungspolitik einen verbindlichen Rahmen für eine aktive
Arbeitsmarktpolitik der Mitgliedstaaten setzen. Das Geld, welches die
Erwerbslosigkeit die öffentlichen Hände heute schon kostet, muß sinnvoller
eingesetzt werden. Innerhalb von 5 Jahren sollen alle Mitgliedstaaten den
Anteil der aktiven arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf mindestens 50 % der Ausgaben
ihrer Arbeitsverwaltungen erhöhen. Jeder und jedem erwerbslosen Erwachsenen
soll vor Ablauf eines Jahres (bei Jugendlichen nach 6 Monaten) eine neue Perspektive
in Form eines Arbeitsplatzes oder einer Umschulungs-, Aus- und
Weiterbildungsmaßnahme garantiert werden. Um das "lebenslange Lernen" zu
fördern, muß jede Person über 25 Jahren ein Recht auf mindestens zwei Jahre
bezahlter Weiterbildung erhalten. Die Beschäftigungsinitiative der EU im Rahmen
des Europäischen Sozialfonds muß ausgebaut werden.
In der Bundesrepublik ist eine grundlegende Reform des mehrmals veränderten
Arbeitsförderungsgesetzes nötig, die ein gemeinsames solidarisches,
integriertes Agieren der bisher getrennten Politikbereiche Wirtschafts- und
Strukturförderung, Arbeitsförderung und Sozialpolitik ermöglicht und alle
Handlungsebenen (EU, Bund, Bundesanstalt für Arbeit, Länder und Kommunen)
einbezieht. Im Zentrum der Reform steht die Wiederherstellung
existenzsichernder individueller Lohnersatzleistungen, ein Rechtsanspruch auf Arbeitsförderung
nach 6 Monaten und der Vorrang aktiver Förderung vor Lohnersatzleistungen, die
Aufstockung von Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, der Ausbau von ABM-
Beschäftigung, Projektförderung, Existenzgründungen und
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung erwerbsloser
SozialhilfebezieherInnen durch die Kommunen, die verstärkte Förderung
präventiver innerbetrieblicher Qualifizierung, die Quotierung der
Maßnahmeplätze für Frauen nach deren Anteil an den Zielgruppen der Erwerbslosen und Anreize
für frauengerechte Ausgestaltung der Arbeitsmarktprogramme.
Die Übergänge zwischen Erwerbsarbeit und Bildung, Rente, Kindererziehung und
zwischen Vollzeit- und Teilzeit müssen verflüssigt werden. Mit einem
entsprechenden Maßnahmenpaket (z.B. Ausschöpfung der bislang unerfüllten
Teilzeitwünsche von Beschäftigten im Öffentlichen Dienst; Kombination von
Teilzeiteinkommen mit Unterhaltsgeld für Qualifizierung; Teilzeitrente und
Altersübergangsgeld etc.) könnte nach Schätzung des Arbeitsmarktexperten Günter
Schmid (WZB) ein zusätzliches Beschäftigungspotential bis zu 1,7 Mio.
erschlossen werden.
Alternative Arbeitsmarktpolitik hat einen hohen Selbstfinanzierungsgrad - bei
vielen Maßnahmen erreicht er 80 - 90 % der Kosten. Den verbleibenden
finanziellen Mehraufwand kann die öffentliche Hand aus verschiedenen
Einnahmequellen (Ökosteuern, Umwidmung von Wirtschaftsfördermitteln,
Arbeitsmarktabgabe) decken.

These 10:  Veränderung braucht Engagement

Viele der Analysen und Vorschläge zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit
sind  nicht neu. Neu aber ist, daß es eine derart breite Kritik an der
Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gibt, daß der bisherige neoliberale Weg
als Sackgasse erkannt wird und Alternativen auf zunehmende politische
Unterstützung stoßen. Kritik und programmatische Alternativen reichen
allerdings nicht aus , um die Politik zu verändern. Vielmehr bedarf es breiter Aktionen
und des Drucks der Betroffenen - der Erwerbslosen und der durch
Massenerwerbslosigkeit unter Druck geratenen Beschäftigten, der Frauenbewegung,
der Erwerbsloseninitiativen, Gewerkschaften, Umweltverbände und Kirchen, der
Sozialverbände und Jugendorganisationen -, um das Klima für einen politischen
Wechsel und eine neue Politik in der Bundesrepublik zu schaffen.

Deshalb begrüßen wir Aktionen, wie z. B. die Euromarsch-Demonstration in
Amsterdam 1997 und die geplante europaweite Konferenz der Euromärsche im Januar
1999, die Initiativen der Erwerbslosenbewegung mit den monatlichen
Demonstrationen anläßlich der Bekanntgabe der Erwerbslosenzahlen, die geplanten
bundesweiten Demonstrationen am 20.6.98 und am 12.9.98, die Aktivitäten von
Bündnissen mit ähnlicher Schwerpunktsetzung (wie z.B. den Kongreß zur Sozial-
und Gesundheitspolitik am 15./16.5.98), die zweite Europäische Versammlung für
Vollbeschäftigung im November 1998 in Brüssel und Aktionen zum EU-Gipfel und
dem  G8-Treffen in Köln im Juni 1999 als weitere Mosaiksteine, um einen
Politikwechsel zu erreichen.

Von der Berliner Tagung am 10. Mai 1998 einstimmig bei einer Enthaltung
angenommen.

Nachfragen und weitere Informationen bei

Frank Schmidt
Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK)
Hauptvorstand
Telefon 0211-7703-207
Fax 0211-7703-201