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1998

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Stichwort: "Nein zu Maastricht!"

Abs.: ulli@tmb.in-berlin.de

Europaeischer Aufruf fuer die Konferenz in Berlin, Januar 1998

Wir veroeffentlichen hiermit den Vorschlag fuer einen Aufruf fuer die Europakonferenz, Ende Januar 1998 in Berlin. Dieser Aufruf wird gemeinsam von Vertretern des franzoesischen Komitees fuer die Aufhebung des Maastrichter Vertrags und des deutschen Ausschusses zur Vorbereitung der Europakonferenz vorgeschlagen.

Auf einem grossen Meeting am 1.Februar 1997 in London, auf dessen Podium Delegierte der ArbeitnehmerInnen und ihrer Organisationen aus 18 europaeischen Laendern gemeinsam mit Abgeordneten der britischen Labour Party und Kollegen der britischen Gewerkschaftsbewegung versammelt waren, wurde einstimmig ein Aufruf an die ArbeitnehmerInnen in ganz Europa verabschiedet: "Wir, die Voelker Europas, wollen bekraeftigen, dass wir Vollbeschaeftigung fordern, sowie das Recht auf Gesundheit und Bildung fuer alle. Wir fordern unsere sozialen Rechte und Renten ein, damit die, die Europas Reichtum schaffen, auch ihren vollen Anteil daran haben. (..) Wir verteidigen die Selbstbestimmung und die demokratische Kontrolle unserer Zukunft und lehnen deshalb entschieden die vom Maastrichter Vertrag vorgeschribenen Konvergenzkriterien ab; denn diese wuerden dazu fuehren, dass eine Handvoll Bankiers und die Aktionaere, die wir weder gewaehlt haben noch absetzen koennen, ueber unser Leben entscheiden."

Am 31. Mai 1997 haben 25.000 Jugendliche und ArbeitnehmerInnen in Paris auf der Grundlage eines Aufrufs des nationalen franzoesischen Komitees fuer die Aufhebung des Maastrichter Vertrages demonstriert. Zur gleichen Zeit fanden in Deutschland Versammlungen in 15 Staedten auf Initiative der "SozialdemokratInnen gegen Maastricht" statt, ebenso in Spanien, Belgien und Grossbritannien.

Sie alle bekunden den gleichen Willen: sich zu organisieren, um die sozialen Errungenschaften, Arbeitnehmerrechte, Tarifvertraege und die Gewerkschaftsunabhaengigkeit zu verteidigen, die durch das Europa von Maastricht infragegestellt werden; und damit sind die Grundlagen der Demokratie bedroht.

Auf Initiative der Offenen Weltkonferenz gegen die Privatisierung und Deregulierung im Oktober 1996, die Delegierte aus 70 Laendern versammelte, fanden an diesem gleichen 31. Mai Demonstrationen gegen den arbeitsplatzvernichtenden Strukturwandel und die weltweite Zerstoerungspolitik satt, von Mexiko bis Bombay, von Dakka bis Sao Paulo.

Diejenigen, die im Namen des Profits und der "Rendite" die Errungenschaften und Rechte der ArbeitnehmerInnen beseitigen, die Jugend ihre Zukunft verweigern und die Grundlagen der Zivilisation zerstoeren wollen, lassen in ihrem Bemuehen nicht nach.

Das zeigen die Entscheidungen, die am 15./16. Juni auf dem Gipfel der EU-Laender in Amsterdam getroffen wurden. Sie bedrohen in ihrer Konsequenz die historisch erkaempften Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens, die Zivilisation, die Existenz selbst der europaeischen Voelker und Nationen.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Laender haben das Datum fuer die Einfuehrung des Euro bestaetigt: Januar 1999. Und sie haben mit dem sog. Stabilitaetspakt ein Diktat unterzeichnet, dem sich alle Laender, alle gewaehlten Parlamente, einschliesslich der Bundeslaender und Kommunen, unterwerfen sollen. Im Namen der Anwendung der durch den Maastrichter Vertrag vorgegebenen Konvergenzkriterien "um jeden Preis" bedeutet das neue harte Einschnitte in den oeffentlichen Haushalten, Kuerzungen der Sozialausgaben, und die beschleunigte Privatisierung oeffentlicher Versorgungsaufgaben zum Nachteil der Buerger.Diese Entscheidungen koennen nur in den katastrophalen Niedergang fuehren. Aber die ArbeitnehmerInnen und Voelker suchen trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten den Weg des Widerstandes, den des gemeinsamen Handelns auf dem gesamten Kontinent.

In dieser Situation machen wir den Vorschlag fuer eine Europaeische Arbeitnehmerkonferenz, fuer die Aufhebung des Maastrichter Vertrags, fuer das "NEIN" zum Vertrag von Amsterdamm. Die Konferenz soll in Berlin stattfinden, mitten in Europa, um die Solidaritaet und Einheit der ArbeitnehmerInnen und Voelker Europas zur Verteidigung ihrer rechte und Demokratie zu betonen.

Der Vorschlag fuer diese Konferenz ging von der nationalen Versammlung am 12. April in Halle (Deutschland) aus, zu der die Initiative "SozialdemokratInnen gegen Maastricht" eingeladen hatte. Er wurde von den Delegierten aus 14 europaeischen Laendern auf einem Treffen auf Initiative der Vereinigung der europaeischen Arbeitnehmer (VEA) am 19./20.4. in Paris aufgegriffen.

Zustimmende Antworten aus folgenden europaeischen Laendern liegen schon vor: Deutschland, Belgien, Grossbritannien, Schweiz, Italien, Ungarn, Rumaenien, Jugoslawien, Griechenland, Litauen, Spanien, Frankreich, Russland, Portugal.

Diese Konferenz erscheint uns heute um so wichtiger zu sein, als die EU-Kommission und die Regierungen alle Register der Propaganda ziehen, um das, was sie wirklich gegen die ArbeitnehmerInnen und Voelker vorbereiten, hinter truegerischem Nebel verschwinden zu lassen.

Der neue Vertrag von Amsterdamm (auch Maastricht II genannt), uebernimmt vollstaendig den bisherigen Vertrag von Maastricht, der von der Bevoelkerungsmehrheit Europas schon abgelehnt wurde und zunehmend Widerstand produzierte. Er fuegt diesem Vertrag ein "Beschaeftigungs"- und ein "Sozial"kapitel an. darueber wird viel geredet, wenig aber daraus zitiert. Die ArbeitnehmerInnen und Voelker Europas haben ein Recht darauf zu erfahren, dass das "Beschaeftigungs"kapitel fuer die "Foerderung der Flexibilisierung der Arbeitnehmer sowie der Anpassung der Arbeitsmaerkte an die Erfordernisse des wirtschaftlichen Wandels" eintritt. Alle Erfahrung aber lehrt uns: das heisst weitere Deregulierung, Zersetzung von Tarifvertraegen, arbeitsplatzvernichtenden Strukturwandel.

Die ArbeitnehmerInnen und Voelker Europas haben ein Recht darauf zu erfahren, dass dieses "Sozial"kapitel dafuer eintritt, "Mindestvorschriften" zu erstellen, die allerdings die Notwendigkeit beruecksichtigen sollen, die "wirtschaftliche Wettbewerbsfaehigkeit der Gemeinschaft" zu wahren.

Die "Mindestvorschriften" sind Waffen in den Haenden aller Regierungen, um in jedem Land die sozialen und Arbeitnehmererungenschaften anzugreifen, die in Gesetzen, Flaechentarifvertraegen und Arbeits- und Dienstrecht verankert sind.

Im Namen von derartigen "Mindestvorschriften" wurde die EU-Richtlinie von Juni 1994 zum Schutz der arbeitenden Kinder erstellt. Die EU legalisierte damit auf dem gesamten Kontinent die Tatsache der Kinderarbeit.

Nach drei Jahren hat diese Richtlinie nirgendwo die Verbesserung bestehender Gesetze ermoeglicht, sondern im Gegenteil in meheren Laendern erlaubt, dass die Gesetze zur Schulpflicht, zum Verbot der Kinderarbeit und zum Jugendschutz angegriffen wurden.

Die arbeitende Bevoelkerung in ganz Europa hat am eigenen Leibe erfahren koennen, was die Politik de Maastrichter Vertrages wirklich bedeutet. Diese Erfahrung widerspricht jeglicher Propagander, die es z.B. wagt, die Massnahmen, die im Namen des Vertrags getroffen werden, als Instrumente des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit zu rechtfertigen.

In Wirklichkeit aber hat die Arbeitslosigkeit nur unaufhoerlich zugenommen. Selbst entsprechend der offiziellen Statistik sind allein in den Mitgliedslaendern der EU heute ca. 20 Millionen arbeitslos. Vor sieben Jahren waren es noch 13 Millionen.

Auf der Grundlage des Maastrichter Vertrages wird Europa nicht aufgebaut, sondern zerstoert. Welcher politischen Richtung auch immer die Regierungen angehoeren moegen, sie alle greifen im Namen dieses Vertrages die demokratischen und Arbeitnehmererungenschaften an.

In Umsetzung des Maastrichter Vertrags wird der oeffentliche Dienst privatisiert, werden Zehntausende entlassen, Betriebe stillgelegt, die Bauern ruiniert und die Aecker brachgelegt.

Wir haben es mit einem umfassenden Zerstoerungswerk zu tun. Und diejenigen, die das organisieren, sprechen nur voll Zynismus darueber. So fand vor einigen Wochen in Kiel eine "Experten"konferenz auf Initiative des Kieler Instituts fuer Weltwirtschaft und des Institute of technology of massachusetts statt. Das Thema: Die neuen Absteigerlaender. Symptome und Therapien. Da war z.B. von Deutschland die Rede. Deutschland von den internationalen und vor allem US-finanzanlegern zum "Abstieg" verurteilt: wegen zu hoeher Loehne, starrer Flaechentarifvertraege und Arbeitnehmerrechte, wegen zu starker Gewerkschaften; wegen zu umfassender oeffentlicher und sozialer Dienstleistungen; wegen des Sozialstaats, der gesamten Grundlagen fuer die soziale Einheit Deutschlands; als foederaler Bundesstaat und wegen seiner kommunalen Demokratie sowie schlechtweg als demokratische und soziale Republik und vereinte souveraene Nation.

Aber, wenn deutschland zum "Abstieg" gezwungen ist, d.h. in den Ruin getrieben wird, so trifft das fuer alle Voelker und Nationen Europas zu. Auf dem Wirtschaftsgipfel der sieben fuehrenden Industrielaender der Welt in denver erklaerte Bill Clinton: "Eine staerkere integrierte Europaeische Union, die offener fuer den internationalen Wettbewerb ist, liegt im Interesse der USA". Damit enthuellt der US-Praesident den wahren Inhalt des Amsterdamer Vetrags im Interesse des international beherrschenden US-Kapitals. Die grossen US-Anleger und Konzerne verschaerfen gemeinsam mit ihrer Regierung und ueber die internationalen Finanzsituationen den Druck fuer radikale Reformen der Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung zur Oeffnung der Maerkte.

Dieser Politik und diesen Interessen entspricht der Vertrag von Amsterdam. Alles andere, als einen Rahmenplan fuer den Aufbau des freien Bundes der europaeischen Voelker und Nationen zu bieten, bedroht er die Existenz Europas und der europaeischen Nationen.

Wir meinen, die von uns vorgeschlagene Berliner Konferenz erlaubt es, die Vertreter und Kraefte der verschiedenen Tendenzen der Arbeiterbewegung, Gewerkschaften, Mandatstraeger, zu versammeln, um gemeinsam zu sagen:

Ja, alle Voelker Europas wollen ein freies und bruederliches Europa, ein Europa frei von Krieg, Arbeitslosigkeit und Elend.

Eine solche Konferenz kann zum Stuetzpunkt fuer alle werden, die sich dem Versuch widersetzen, unsere Gewerkschaftsorganisation in Instrumente der Umsetzung des Amsterdamer Vertrags zu verwandeln, wie das "Sozial"-kapitel vorsieht.

Wir schlagen Euch vor, uns auf dieser Konferenz Ende Januar in Berlin, im Herzen Europas, zu versammeln, um wie mit einer Stimme zu sagen: Wir nehmen die Vertraege von Amsterdam und Maastricht nicht hin, durch die Flexibilisierung und Senkung der Kosten der Arbeit sowie die Angriffe auf die sozialen Sicherungssysteme organisiert werden.

Und wir wollen gemeinsam bekraeftigen: Die in Washington und Denver ausgearbeiteten politischen Leitlinien, die entsprechend der Vertraege von Amsterdam und Maastricht umgesetzt werden sollen, bedeuten die Deregulierung der Arbeitnehmerrechte und Sozialgesetzgebung, die in jahrzentelangen Kaempfen von der demokratischen Arbeiterbewegung erobert wurden. Sie werden durch die Einheit der ArbeitnehmerInnen und ihrer Organisationen, in jedem Land und auf europaeische Ebene, zu Fall gebracht.

Der Aufruf zu einer solchen Konferenz wendet sich an alle Teile unseres Kontinents, an alle Voelker Europas. Denn die Folgen des Maastrichter Vertrags treffen alle europaeischen Laender und der Schweiz im Namen der Maastrichter Kriterien. Die gleiche Politik, welche Laender der EU in "absteigende Laender" verwandeln will, treibt die Laender Osteuropas in den Ruin.

So laden wir Euch nach Berlin ein, um die Anstrengungen all derer in ganz Europa zu vereinen, die die Ansicht vertreten, das die Verteidigung der Errungenschaften und der Demokratie unvereinbar ist mit dem Vertrag von Maastricht/amsterdam. Wir wollen uns zu einem Zeitpunkt versammeln, zu dem in allen Laendern ueber die Frage der Unterzeichnung oder Zustimmung zum Amsterdamer Vertrag entschieden werden soll.

Eine solche Konferenz wuerde auch helfen, dem Willen der Voelker Europas Gehoer zu verschaffenund in allen Laendern in der je nach Situation geeigneten nationalen Form eine internationale Kampagne zu fuehren.

Der Vertrag von Maastricht/Amsterdam konzentriert fuer Europa die weltweite Offensive gegen die Rechte und Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeitnehmerInnen. Unser Handeln dagegen wird nicht von dem der ArbeitnehmerInnen der anderen Kontinente getrennt sein. Nach Informationen der "Internationalen Arbeitnehmerverbindungen" (IAV), wird im November 1997 auf Initiative des kalifornischen Gewerkschaftsbundes AFL-CIO eine gesamtamerikanische Arbeitnehmerkonferenz gegen den NAFTA-Vertrag und die Privatisierung stattfinden. Aehnliche Konferenzen werden 1998 in Afrika und Asien stattfinden.

Deshalb laden wir die ArbeitnehmerInnen und Kraefte der verschiedenen politischen Richtungen und Herkunft aus ganz Europa ein, unserem Vorschlag und Aufruf zu folgen, gemeinsam die Europaeische Konferenz in Berlin im Januar 1998 vorzubereiten und breite Delegationen zu schicken, damit die vereinte Aktion der ArbeitnehmerInnen und Voelker unseres Kontinents gestaerkt wird.

Unser Zukunft, das demokratische und solidarische Europa der Voelker und ArbeitnehmerInnen, beginnt dort, wo Maastricht gestoppt wird. Fuer die Verteidigung der Arbeitnehmerrechte und der Unabhaengigkeit der Gewerkschaften.

Fuer die Aufhebung des Maastrichter Vertrags

Gegen die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags

Fuer den Bund der freien und unabhaengigen Voelker Europas

Lasst uns vereint dafuer handeln !