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Rede von Tobias Pflüger
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Tübingen
zum Ostermarsch in Nagold Ostermontag, 13. April 1998
Liebe Freundinnen und Freunde,
Die Nagolder Stadtverwaltung mit dem neuen Nagolder Oberbürgermeister
Dr. Rainer Prewo, seines Zeichens SPD-Mitglied, an der Spitze hat
behauptet, diese Kaserne, vor der der heutige Ostermarsch stattfindet,
sei leer. Man / frau ist ja geneigt, wenn eine Stadtverwaltung etwas
behauptet, dieser zu glauben. Pustekuchen!
Die Wehrbereichsverwaltung Stuttgart der Bundeswehr und das
Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg haben mir am Donnerstag noch
einmal alles bestätigt, was wir von Informationsstelle Militarisierung
(IMI) e.V. bezüglich der Nagolder Kaserne recherchiert hatten, was
uns u.a. Soldaten des KSK mitgeteilt hatten:
Die Elitekampftruppe Kommando Spezialkräfte (KSK) führt
weiterhin Kampfübungen in der Eisbergkaserne in Nagold durch, hier
befindet sich das Ausbildungszentrum der Elitekampftruppe Kommando
Spezialkräfte. Diese Nutzung wird erst in der zweiten Jahreshälfte
1998 beendet, wenn die Bauarbeiten in der Calwer Kaserne vollständig
abgeschlossen sind. Zusätzlich wird vom KSK das Wirtschaftsgebäude
der Eisbergkaserne Nagold voraussichtlich bis Ende 1999 "militärisch
genutzt". Von einem Abzug kann also nicht die Rede sein!
Offen Falschinformationen in die Landschaft zu setzen, ist für eine
Stadtverwaltung doch etwas ungewöhnlich. Ich freue mich, daß
Ihr, die Ihr gekommen seid, Euch nicht habt irritieren lassen! Da kann ich
zu den Behauptungen der Stadtverwaltung Nagold und des Oberbürgermeisters
und Reserveoffiziers Dr. Rainer Prewo nur sagen: Alles Lüge! Ein
Oberbürgermeister, der offen die Unwahrheit sagt, ist nicht tragbar!
Da ist mir sein Vorgänger schon lieber gewesen: Oberbürgermeister
Prof. Dr. Hans-Joachim Schultis, seines Zeichens CDU-Mitglied, verstand
sich als Teil der Friedensbewegung. Er hat mit uns hier in Nagold gegen
Manöver der Pershing-Raketen im Wald zwischen Nagold und Herrenberg
demonstriert und eine Rede gehalten. Er hat sich im Friedensbereich
immer wieder zuerst gegen die SPD-FDP-regierung und dann gegen die CDU-
FDP-Regierung gestellt. Schultis hat damals kommunale Friedenspolitik
konkret gemacht!
Hier in Nagold bin ich politisch groß geworden. Von hier aus bin ich
mit einem Sonderbus zu den großen Friedensdemonstrationen 1981 und
1983 mitgefahren. Meine politische Heimat war hier in Nagold von Anfang
bis Mitte der 80er Jahre die starke Nagolder Friedensinitiative.
Am 27.09.1985 veranstaltete die Bundeswehr einen Tag der offenen Tür
hier in der Eisbergkaserne. Wir waren mit ca. 20 Leuten hier vor der
Kaserne u.a. mit einem Transparent: "Waffen sind kein Grund zum Feiern!"
Dieser Tag vor 13 Jahren sollte für mich zu einem einschneidenden
Erlebnis werden: Ich wurde von Polizei und Feldjägern festgenommen
und auf dem Nagolder Polizeipräsidium zusammengeschlagen.
Ich hatte ein Verfahren wegen Sachbeschädigung, Widerstand gegen die
Staatsgewalt und Körperverletzung am Hals, außerdem hatte ich -
was mir nicht so sehr leid tat - Hausverbot in der Nagolder Kaserne. Mein
Glauben an den Rechtsstaat war grundlegend erschüttert. Daran änderte
sich auch nichts, als ich 2 Jahre später mit Hilfe meines Anwaltes
Rainer Schmid von allen Vorwürfen quasi freigesprochen wurde (wegen
Geringfügigkeit auf Kosten der Staatskasse eingestellt).
Hier in Nagold wurde von Bundeswehr-Seite schon immer alles "probiert",
um gegen Friedensdemonstrant/inn/nen vorzugehen. Aber hier gibt es auch
eine lange Friedenstradition. Ich erinnere nur an die Kehrhau-
Initaitive, die erreicht hat, daß das Militärgelände Kehrhau,
linker Seite an unserer späteren Deomonstrationsroute, inzwischen ein
ungestörtes ziviles Biotop ist. Es wird Zeit, daß die
Bundeswehr endlich ganz aus Nagold verschwindet!
Die Auseinandersetzung um die Bundeswehr war im letzten Jahr geprägt
von sogenannten rechtsextremen Einzelfällen bei der Bundeswehr. Es
gibt bei der Bundeswehr meiner Ansicht nach eine "militärische
Braunzone". Rechte und rechtsextreme Positionen, rechte und
rechtskonservative Offiziere, die einander nicht weh tun werden. Es gibt
rechte Generäle bei der Bundeswehr, ich nenne Namen: Schulze-Rhonhof,
Kießling, Uhle -Wettler. Ich habe nicht gesagt, daß die
Bundeswehr als gesamtes rechtsextrem ist, aber es gibt diese militärische
Braunzone. Dieser braune Sumpf, diese "militärische Braunzone"
ist mit schuld an den rechtsextremen Vorfällen bei der Bundeswehr,
sie muß ausgetrocknet werden.
Die Bundeswehr wird kriegsfähig gemacht, dazu knüpft sie an
Traditionen der Wehrmacht an. Die jüngsten Fälle von
Rechtsextremismus in der Bundeswehr sind nach Ansicht katholischer Militärseelsorger
auch eine Folge der Auslandseinsätze der Truppe. Der Ernstfall ändere
das
Selbstverständnis der Soldaten, sagte der Chef des Grundsatzreferats
im Katholischen Militärbischofsamt, Harald Oberhem. Im
Auslandseinsatz frage ein Soldat nicht, wie sein Vater in der Bundeswehr
diente, sondern was sein Großvater in der Wehrmacht des Dritten
Reichs gemacht habe. "Da geht es dann um deutsche Soldaten im Krieg
bis zum Nachsingen von
Wehrmachtsliedern, die in der Bundeswehr bisher keine Rolle spielten.
Ja, der Mann hat es erkannt, es geht um Krieg. BUNDES - WEHR - MACHT -
KRIEG. Diese Vorfälle sind Indizien für eine strukturelle
Rechtslastigkeit der Bundeswehr. Ein Ende der rechtsextremen Vorfälle
bei der Bundeswehr ist nur durch ein Ende der Bundeswehr zu erreichen!
Wir demonstrieren heute vor dem Ausbildungszentrum des Kommando
Spezialkräfte (KSK).
Das Kommando Spezialkräfte (KSK) ist die Elitekampftruppe der neuen
Bundeswehr. Die alte Bundeswehr, die (offiziell) zur Landesverteidigung
da war, gibt es in dieser Form nicht mehr, inzwischen gibt es eine neue
Bundeswehr, deren Kernteile, die Krisenreaktionskräfte insbesondere für
weltweite Kampfeinsätze vorgesehen sind. Das KSK ist die Speerspitze
der Krisenreaktionskräfte. Beim KSK geht es um "militärische
Infiltration", "verdeckte Operationen", "Kampf unter
arktischen Bedingungen", "Tropentauglichkeit" "Einzelkämpferausbildung",
etc.. Das hat mit Landesverteidigung offensichtlich nichts mehr zu tun.
Diese Elitekampftruppe KSK muß als erster Schritt einer qualitativen
Abrüstung aufgelöst werden!
Ich habe immer wieder in Artikeln und Veranstaltungen davon gesprochen,
daß die Aufgabe "Retten und Befreien von gefangenen Deutschen
im Ausland" nur eine Nebenaufgabe des KSK ist. Jetzt hat dies fast
wortwörtlich die Zeitschrift Information für die Truppe (IFDT)
auch geschrieben:
Dort heißt es: "Darüberhinaus sind die Soldaten gleichsam
in "Nebenfunktion" - für Rettungs und
Evakuierungsoperationen, auch Geiselbefreiungen, ausgebildet." und
weiter: "Das Kommando Spezialkräfte, nur in Ausnahmefällen
zur Geiselbefreiung eingesetzt, rekrutiert sich als Teil der
Krisenreaktionskräfte vor allem aus
Fallschirmjägern und Fernspähern."
Die Bundeswehrführung mit Volker Rühe an der Spitze hat der
bundesdeutschen Bevölkerung das KSK als Rettungstruppe mit einem
Show- Manöver am 11.09.1997 "verkauft". Das, weil diese "Rettungsaufgabe"
eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung haben. Sie haben die
(vor allem filmende) Presse und die Bevölkerung an der Nase herumgeführt.
Beim KSK geht es um das Üben von Kriegseinsätzen, um weltweite
Interventionen oder wie die Bundeswehr sagt "Infiltrationen".
Aber: Wir lassen uns nicht verarschen, wir werden diese Kriegstruppe
weiter beobachten und weiter gegen sie demonstrieren! Die Elitekampftruppe
KSK muß als erster Schritt einer qualitativen Abrüstung aufgelöst
werden!
Diese Forderung findet ihr auch in dem von IMI gestarteten Tübinger
Appell, von dem heute noch die Rede sein wird. Dort heißt es:
Bundeswehr in alle Welt ? - Wir sagen NEIN! Ich protestiere gegen jeden
Kriegseinsatz der Bundeswehr Für die sofortige Auflösung des
Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw! - Das 960 Mann starke Kommando
Spezialkräfte in Calw ist die Speerspitze der Krisenreaktionskräfte
(KRK) der neuen Bundeswehr. - Die Einführung und der Einsatz des
Kommando Spezialkräfte (KSK) als Eingreiftruppe hat mit
Landesverteidigung nichts zu tun und stellt eine Aufrüstung völlig
neuer Qualität dar. - Das Kommando Spezialkräfte (KSK) ist eine
Kampf- und Kriegstruppe! Wir fordern deshalb die sofortige Auflösung
des Kommando Spezialkräfte als ersten Schritt einer qualitativen Abrüstung!
Was meinen wir mit "erste Schritte qualitativer Abrüstung?"
Ich zitiere aus dem IMI-Spezial 8, Schritte qualitativer Abrüstung: "Wir
meinen, daß es spätestens jetzt an der Zeit ist, qualitative
Abrüstung einzuleiten. "Qualitative" Abrüstung meint, die
Abrüstung der Komponenten, die die neue "Qualität" der
Bundeswehr ausmachen; Dies sind die "Verteidigungspolitischen
Richtlinien" als Grundlagendokument für die neue Strategie der
Bundeswehr. Dies sind die sogenannten Krisenreaktionskräfte (KRK) der
Bundeswehr mit denen die weltweiten Einsätze durchgeführt werden
sollen. Und dies sind die derzeit laufenden mindestens 215 neuen
Beschaffungsprojekte in einer Höhe von mindestens 170 Milliarden DM,
mit denen die Bundeswehr auch umgerüstet wird zu einer weltweiten
Interventionsarmee."
Näheres dazu könnt ihr in den bekannten IMI-Infoblättern
und IMI- Spezials nachlesen. Die Materialien gibt es auch beim Infostand
von IMI bei der Abschlußkundgebung.
Es wäre also viel möglich an Veränderungen im Bereich militärische
Komponente der Außenpolitik. Kerstin Müller, die
Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag
hat nun gegenüber der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erklärt: Natürlich gebe
es bei Rot-Grün eine (Zitat) "Kontinuität in der Außenpolitik".
Sprüche wie wir sie schon lange von anderen Grünen und
insbesondere der SPD schon lange hören. Die SPD, aber auch Grüne,
haben immer wieder wichtige Hilfsdienste für den Militarisierungskurs
der Bundesregierung geleistet. Ist die SPD da noch Friedenspartei, wie
Oskar Lafontaine sagt? Sind Bündnis 90 / Die Grünen da noch d e
r Träger friedenspolitischer Inhalte? Ich meine Nein!
Die Hauptlinien beider Parteien, insbesondere der SPD, ist so, daß
akzeptiert wird, mit der Bundeswehr deutsche Interessen durchzusetzen.
Die neue Bundeswehr und damit auch die Krisenreaktionskräfte werden
weitestgehend akzeptiert. Die NATO-Osterweiterung wird weitestgehend
akzeptiert. Natürlich gibt es insbesondere an der Basis der parteien
Friedenskräfte, mit denen eine Zusammenarbeit für eine tatsächliche
Friedenspolitik möglich ist. Die Berliner Zeitung schreibt: Schröder
verspricht vor allem ein anderes Gesicht, nicht eine andere Politik.
Ich warne vor Illusionen, was eine andere Regierung verändern könnte
und wollte. Ich habe den Eindruck, daß ohne ziemlich starken Druck
der Friedensbewegung eine mögliche rot-grüne Bundesregierung im
Bereich militärische Komponente der Außenpolitik tatsächlich
gerade so
weitermachen würde. Wenn wir uns nur auf die Parteien verlassen, sind
wir verlassen! Wir müssen als Friedensbewegung klare eigenständige
Positionen vertreten, wie etwa im IMI-Papier qualitative Abrüstung.
Wir müssen wissen, was wir wollen! Jetzt und gerade nach einem möglichen
Regierungswechsel müssen wir den Druck von Seiten der
Friedensbewegung auf alle gesellschaftlichen Kräfte, auch die
Parteien weiter erhöhen!
Denn wir brauchen nicht nur eine andere Regierung, sondern wir brauchen
eine grundlegend andere Politik, wir brauchen ein tatsächliche
Friedenspolitik, die diesen Namen auch verdient!
Ich will die Rede mit einer persönlichen Bemerkung beenden, so wie
ich sie mit einer persönlichen Bemerkung zu Nagold begonnen habe: Ich
will meine Rede beenden mit einem Aktionsaufruf!
- Ich rufe dazu auf, den friedenspolitischen Druck gegenüber dieser
und einer anderen Regierung zu verschärfen. - Ich rufe dazu auf,
alle Truppen der Krisenreaktionskräfte und insbesondere das Kommando
Spezialkräfte (KSK) genau zu beobachten, wo und wie sie eingesetzt
werden sollen. Denn mit diesen Truppen wird es die ersten Kriegseinsätze
geben. Eine Liste der KRK-Truppen ist in meinem Buch nachzulesen. Es
bieten sich Aktionen bei den Krisenreaktionskräften an. - Ich
rufe dazu auf, 1999 wieder eine einzige zentrale Aktion an Ostern durchzuführen,
eine Aktion, die sich gegen die Speerspitze der Krisenreaktionskräfte,
das KSK in Calw richtet! - Wir müssen versuchen, Friedenskräfte
auch außerhalb Baden-Württembergs
zu der Aktion an Ostern in Calw zu bekommen, und das ist möglich!
- Ich rufe dazu auf, vom reinen "Laufen" und "Reden anhören"
beim Ostermarsch wegzukommen, ich bin dafür eine phantasievolle
Aktion an Ostern 1998 in Calw bei der Kaserne durchzuführen! -
Ich rufe dazu auf, mit direkten - natürlich gewaltfreien - Aktionen
die Kriegsvorbereitung des Kommando Spezialkräfte in Calw zu behindern.
- Wir müssen den nächsten Schritt machen vom Demonstrieren an
einzelnen Tagen zu Aktionen an vielen Tagen!
Liebe Freundinnen und Freunde, Wie sagte ich letzes Jahr mit
Paulchen Panther: Heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder keine Frage,
Wir brauchen nicht nur eine andere Regierung, sondern wir brauchen eine
grundlegend andere Politik, wir brauchen ein tatsächliche
Friedenspolitik, die diesen Namen auch verdient!
Es gibt viel zu tun, packen wir's an!
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Burgholzweg
116/2, 72070 Tuebingen, Germany Tel. + Fax +49(0)7071-49154 und
+49(0)7071-49159 mailto: IMI@GAIA.de
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