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1998

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Dies & das
 

Das wollte die TAZ nicht drucken:

Günter Langer

Vorwärts Genossen, wir schauen zurück:

Selbstdarstellung des Berliner SDS nach 30 Jahren

Kaum rundet sich eine Jahrestag eines mehr oder weniger wichtigen Ereignisses wird die Geschichte bemüht, wird aufgearbeitet, wird Rechenschaft abgelegt. 1998 jährt sich die Revolte der 68iger. Von den einen verteufelt, von anderen negiert oder verklärt, ist kein Datum der deutschen Nachkriegsgeschichte so umstritten, wie gerade dieses. Einige Berliner Protagonisten dieser Bewegung wollten die Debatte um die Relevanz der damaligen Ereignisse nicht mehr nur "den anderen" überlassen, sondern sie selbst in Angriff nehmen. Während jedoch noch in der Studentenzeitschrift "Kalaschnikow" ein 3-tägiger SDS-Kongreß annonciert wurde, luden die drei ehemaligen Mitglieder des Berliner SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) Ines Lehmann, Bernd Rabehl und Siegward Lönnendonker nur für den Freitagnachmittag zu einer Art akademischem Teach-In in das Audi-Max der Freien Universität Berlin, also zu jenem Ort, an dem zu Hochzeiten der Studentenproteste die heißesten Debatten geführt wurden.

Ohne jede Plakatierung, ohne Vorankündigung in den einschlägigen Medien fanden sich ca. 250 Menschen verloren in dem weiten Rund ein, um "die andere Universität" und "die andere Gesellschaft", die zu jener Zeit angestrebt wurden, dargestellt und diskutiert zu bekommen. Schon bevor ein einziges Wort gefallen war, wußten zwei Flugblattverteiler aus dem Dunstkreis der autonom/öko-linken Szene: "Ihr stinkt zum Himmel". Sie vermuteten eine Wahlveranstaltung zugunsten Joschka Fischers. Als Indiz hierfür sahen sie ausgerechnet die Anwesenheit des "aus der RAF ausgeschlossenen ... Autors der rechtskonservativen Zeitschrift Junge Freiheit" Horst Mahler. Ihre großspurig im autonomen Szeneblatt "Interim" annoncierten "Interventionen" entpuppten sich schließlich als zwei klägliche Redebeiträge, deren Quintessenz sie selbst in der Aussage "Ihr seid alle rechts" zusammenfaßten.

Die Professoren Ekkehard Krippendorf und Wolfgang Nitsch straften derlei Ignoranten schon zu Beginn Lügen. Sie begründeten, warum die damaligen kritischen Wissenschaftler und Studierenden sich erst die universitäre Öffentlichkeit erschließen mußten. Der Widerstand der ehemals freiheitlich gesonnenen FU-Gründer gegen neue, nonkonformistisch-linke Ideen führte schließlich zur Gegengründung der "Kritischen Universität", in der die bis dahin "Ausgegrenzten" in eigener Verantwortung ihre Themen erarbeiten konnten. Nach wenigen Semestern reagierte die FU äußerst geschickt, indem sie die KU absorbierte, d.h. in den ordentlichen Lehrbetrieb integrierte, sie damit bürokratisierte und nach einigen weiteren Semestern schließlich erstickte.

Ines Lehmanns (ehemals Professorin in Lissabon, heute Taxifahrerin in Berlin) "schonungslose Aufarbeitung" gipfelte in dem Hinweis auf die "große Zahl" von SDS-Mitgliedern, deren Väter zu den "Spitzenmördern des NS-Regimes" gehörten. Gemäß ihrer Vererbungslehre resultierte daraus der Hang zur Gewalt innerhalb der Neuen Linken besonders in Deutschland. Quasi als Wiedergutmachung an den Opfern der eigenen Väter hätten sich die Söhne und Töchter mit den Opfern der neueren Geschichte, den Vietcong, also den kommunistischen Befreiungskämpfern Südvietnams identifiziert.

Bernd Rabehl (FU-Dozent) und Horst Mahler (RAF-Gründer und Rechtsanwalt) beschäftigten sich mit dem Freund-Feind-Prinzip, das bei der RAF zur Unterscheidung "Mensch-Schwein" mutierte. Rabehl sah in dieser vereinfachenden Weltsicht das Bemühen, den eigenen Zweifel zu bekämpfen. Er behauptete, "der Bürgerkrieg fand auch unter uns statt". Das militärische Prinzip habe sogar bei den Haschrebellen Einzug gefunden. Ferner kritisierte er "archaische Bezüge", die Verehrung der Führer, offensichtlich Rudi Dutschke meinend. Höhepunkt des Tages wurde die Rede Horst Mahlers. Er knüpfte an Rabehls These des inneren Bürgerkriegs an und beschrieb diesen Mechanismus innerhalb der RAF. Mucksmäuschenstill lauschten die Anwesenden, als Mahler auf die geplante Ermordung Peter Homanns, des vormaligen Lebensgefährten Ulrike Meinhofs, zu sprechen kam. Die Gruppe befand sich zur Ausbildung in einem Palästinenserlager im Libanon. Homann wurde als "labil" gesehen und er sollte deshalb die Gruppe verlassen. Nach einem solchen Ausstieg würde er aber vermutlich alles ausplaudern, was er über die Gruppe wußte. Er hatte bis dahin keinerlei Verrat begangen und dennoch wurde sein Todesurteil "einstimmig" gefällt. Diese präzise Beschreibung Mahlers ist neu. Neu ist auch: Die RAFler hätten sich sogar darum gestritten, wer das Todesurteil vollziehen durfte. Dem späteren Mörder der israelischen Sportler, die an der Münchener Olympiade teilnehmen wollten, Abu Hassan, habe es Homann zu verdanken, daß er noch lebt. Selbst dieser skrupellose Fedayin hielt diesen Plan für unrevolutionär und hinderte sie daran, ihn durchzuführen. Er ließ die Gruppe entwaffnen. Heute kritisiert Mahler den versuchten Mord als selbstzerstörerisch für die Gruppe: "Jeder hätte doch heimlich darüber nachgedacht, wer der nächste sein könnte", und plädiert deshalb für den Rechtsstaat.

Aus diesen ihn bedrängenden Erfahrungen sieht er die Gefahr der Bildung einer neuen, einer Nazi-RAF und in deren Folge die Bildung einer neuen linken RAF. Daraus resultiere Bürgerkrieg. Diesem Szenario gelte es mit allen Mitteln vorzubeugen. Er wolle die Rechten erreichen, deshalb auch sein Artikel in der Jungen Freiheit. Er sagt: "Besser reden als schießen". Für diese Vorgehensweise erntete er Widerspruch. Eberhard Schulz (Kommune II, jetzt Rechtsanwalt in Bremen) hält ihm entgegen, mit den rechten Führern rede man nicht und in ihren Organen publiziere man nicht. Hajo Funke (FU-Dozent) ergänzt aus seinem "Forschungsfundus", die Junge Freiheit dürfe "nicht verharmlost werden". Der Macher der Online-Zeitung "Trend", K.H. Schubert, wirft ihm dagegen die "nicht abgelegte Avantgardeposition" vor. Mahler habe vergessen, daß es 68 um Selbstbefreiung, um die Politik in der ersten Person, auch um Hedonismus gegangen wäre.

Schubert traf mit seinen Einwänden den wunden Punkt der ganzen Veranstaltung. Der kulturrevolutionäre Aspekt fehlte völlig. Die neue Musik, der Einzug der Drogen, neue Theaterformen, Filme etc. fanden keine Erwähnung. Weder ein Mitglied der legendären Kommune I (Rainer Langhans) noch ein Haschrebell (Bommi Baumann) kamen zu Wort. Helke Sander, die Anführerin der Frauenrevolte innerhalb des SDS, kam erst gar nicht. Die amerikanische Filmemacherin Elsa Rassbach mußte die VeranstalterInnen an den internationalen Charakter der Bewegung erinnern. Ohne die weltweiten Proteste hätte der Vietnamkrieg noch länger gedauert.

Immerhin kann konstatiert werden, die RednerInnen blieben sich selbst treu. Als sie damals erkannten, daß sie mit ihrer Politik an unüberwindbare Grenzen stießen, lösten sie den SDS auf. Sie trauern noch heute, 30 Jahre später, ihren gescheiterten Konzepten nach. Sie erscheinen nach wie vor als unangepaßt und kritisch. Der Ökonom Peter Strotmann fand viel Beifall, als er am Ende ausrief, der Kampf ginge weiter. Zunächst zog es die GenossInnen jedoch in das Dahlemer Waldcafé, wo in kleinerer Runde das Wiedersehen gefeiert wurde. Hier zeigten diese 68iger ihre andere Seite: Sie sind eine freundliche, liebevolle und interessante Familie.