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1998

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Dies & das


ralf@anarch.free.de

Der Auftritt des Ex-Anarchisten D.Kostenko in Berlin

Erlebnisprotokoll der Veranstaltung "Die wahren Revolutionaere im
heutigen Russland" mit Dimitrij Kostenko (Ex-Anarchist) im Rahmen
der Sklavenmarkt-Veranstaltung "Osteuropa heute", 23. Maerz 1998
(in erster Linie fuer die Moskauer Genossen geschrieben, die ein
eindeutiges Votum gegen Kostenko ausgesprochen haben. Siehe auch
Stellungnahme Moskauer Anarchisten wegen des Auftritts Kostenkos in
Berlin im Anschluss an diesen Text.)

Zunaechst ist leider zu sagen, dass die Veranstalter, d.h. die
Sklaven-Redaktion, Kostenko und seinen Thesen absolut unkritisch,
z.T. aber auch wohlwollend gegenueberstanden. Dies, obwohl ich der
Bekannten Kostenkos und Moderatorin der Veranstaltung ausfuehrlich
Informationen und "Beweismittel" fuer Kostenkos national-
patriotische Aktivitaeten ausgehaendigt hatte. Sie hat dies alles
ganz offensichtlich nicht ernstnehmen wollen. Auf meine in diesem
Vorabgespraech gestellte Frage, ob sie denn Rechtsradikale in
Deutschland ernstnehme, hat sie auch dies verneint!!! (Ich stellte
diese Frage nachdem ich ihr etwa ein dutzend russische
rechtsradikale Zeitungen unter anderem mit Kostenkos Artikeln ohne
jegliche Wirkung gezeigt hatte.)

Auf der Veranstaltung wurde dann interessanterweise als einziger
Grund fuer eine Einladung Kostenkos ein Flugblatt angefuehrt, mit dem
die Osteuropa AG der FAU und das Pjotr Siuda Komitee fuer eine
Ausladung K.'s vom Chiapastreffen plaediert hatten. Auf der
"Sklavenmarkt"veranstaltung wurde der Eindruck erweckt, als seien
die Vorwuerfe des Flugblatts falsch und als ob wir Kostenko
tatsaechlich ausgeladen haetten, was wir als nur zwei der vielen
teilnehmenden Gruppen dieses Treffens gar nicht konnten.
Obwohl Kostenko in der Veranstaltung eher defensiv aufgetreten ist,
hat er sich die Argumentation der Veranstalter zu eigen gemacht. So
behauptete auch er, nur eingeladen worden zu sein, weil wir ihn
damals ausgeladen haetten. Genauso sei ich Schuld an der Popularitaet
von Grazdanskaja Oborona in rechtsradikalen Kreisen in Deutschland.
Diese Schwachsinnsargumentation wurde nur noch von einem
"Sklaven"-"Intellektuellen" ueberboten, der mir und meiner
Berichterstattung ueber den russischen Faschismus vorwarf, sie waere
daran schuld, wenn die deutschen Neonazis demnaechst in "den" Russen
wieder den "Untermenschen" als Feind erblickten.

Nach dieser unvollstaendigen streiflichtartigen Einleitung
grundsaetzliches zum Ablauf der Veranstaltung: Nach einer kurzen
Vorstellung durch die Moderatorin sprach Kostenko zunaechst ueber
sich und seine Aktivitaeten. Dadurch, dass er wusste, dass ich nach ihm
auftreten werde, war er von Anfang an in eine gewisse
Rechtfertigungshaltung gezwungen. Ganz zu Anfang forderte er seine
politischen Opponenten, von denen er annahm, sie seien zahlreich
vertreten, auf, nicht den Veranstaltungsort zu Bruch zu hauen,
sondern mit ihm, wie es unter Revolutionaeren ueblich sei, vor die
Tuer fuer einen Faustkampf zu gehen. Da ausser mir jedoch niemand da
war, den man tatsaechlich als seinen politischen Opponenten haette
bezeichnen koennen, wurde Kostenko nicht der Gefallen getan, sich
hinterher als unverstandener Maertyrer fuehlen zu koennen.
Kostenkos Hauptstrategie bestand darin, sich selbst als einen
politischen Aktivisten und "Frontkaempfer" darzustellen, der sich
nicht vom westlichen "political correctness" irritieren laesst und
dorthin geht, wo der Volkszorn tobt. Als Volksaufstand bezeichnete
er die Kaempfe im Oktober 1993, in denen er Schulter an Schulter mit
Stalinisten und bewaffneten Fachisten der RNE Barkachovs kaempfte.
Dass letztere als Spezialtruppe des Innenministeriums fuer die
Bekaempfung der politischen Gegner im Falle der Machtuebernahme
vorgesehen waren und dann sicherlich mit allen nicht rot-
angebraeunten Anarchisten kurzen Prozess gemacht haetten, konnte
Kostenko nicht von seiner Version des Volksaufstandes abbringen.

Meine etwa zehnminuetige Kritik an Kostenkos Involviertheit in die
national-patriotische Bewegung wurde zunaechst mit wesentlich
staerkerem Beifall bedacht als Kostenkos "revolutionaere"
Selbstinszenierung. Doch schon waehrend meines Beitrags gab es vor
allem aus der vorderen Reihe Zwischenrufe, die sich nachher in der
Diskussion, wenn ich etwas erwiderte, noch verstaerkten. Diese
Zwischenrufe waren hauptsaechlich provokativ und darauf gerichtet,
meine eindeutig klareren Argumente zu uebertoenen. Unter den
Zwischenrufen waren solche, die bei einem Dugin-Zitat, das zur
Ausrottung des Judentums aufforderte, dazwischenriefen: "Das ist
doch nur Religionskritik". Andere warfen ein, dass sie
Antisemitismus nicht schlimm faenden usw. Fuer mich war es in dieser
Situation schwer einzuschaetzen, ob diese Zwischenrufe die
Mehrheitsmeinung des Publikums widerspiegelten, oder, wie ich im
Nachhinein annehme, doch nur die politische Abgefucktheit der
Sklavenredaktion zum Ausdruck brachten. Da es aber keinen
entschiedenen Protest gegen diese Einwuerfe gab und sich die
Aggressionen zunehmend gegen meine Kritik und nicht gegen Kostenkos
Politik richteten, war ich mehrfach drauf und dran, die immer
unsachlicher werdende Diskussion abzubrechen.

Wichtig zu erwaehnen ist Kostenkos Beschreibung der National-
Boschewistischen Partei und ihrer Fuehrer Dugin und Limonov. Dugin
bezeichnete er als einen der groessten russischen Mystiker und
Philosophen und auch Limonov wurde von ihm als positive Figur
beschrieben. Natuerlich musste Kostenko nach meinem Einwand zugeben,
dass Dugin "etwas" mit dem russischen Faschismus zu tun hat (in
Wirklichkeit ist er sein Hauptideologe). Aber um die ganze Sache
dann doch noch umzudrehen und zu entschaerfen, zitierte er die
neueste Publikation des soziologischen Forschungszentrums Panorama,
in der Dugins hoechst fragwuerdiges Plaedoyer fuer einen
"Antifaschismus" als Beweis des wachsenden Einflusses des
Linksradikalismus in Russland beschrieben wird. (Ohne auf diesen
Text jetzt an dieser Stelle ausfuehrlich eingehen zu koennen, sei
angemerkt, dass die us-amerikanische linksintellektuelle Zeitschrift
Telos in einer Ausgabe von 1996 ueber Alain de Benoist schreibend
die Frage gestellt hat, ob die Neue Rechte nicht eigentlich die
Neue Linke sei. Es muesst also untersucht werden, ob es eine noch
staerkere Tendenz der Neuen Rechten gibt, sich erfolgreich in der
Huelle der Linken zu praesentieren.) Ausgehend von der
Panoramapublikation wurde Dugin und die National-Bolschewistische
Partei dann als eine Erscheinung verharmlost, die angeblich immer
genau das Gegenteil macht von dem, was in der Gesellschaft gerade
angesagt ist - nur um irgendwie zu provozieren. Dass Dugin und die
NBP Mitglied in der faschistischen Internationale der Europaeischen
Befreiungsfront sind und mit der franzoesischen Neuen Rechten sogar
gemeinsam eine aufwendig produzierte Zeitschrift in Russland
herausgeben, ging in dem offensichtlich wohlgefaelligeren Glauben an
harmlose politische Provokation unter.
Nach dieser absolut relativierenden Argumentation, bei der Kostenko
Schuetzenhilfe von der Moderatorin wie auch von seiner Uebersetzerin
erhielt, kam dann die eigentlich Motivation der Sklavenredaktion
fuer eine Veranstaltung mit Kostenko zum Vorschein - als naemlich
eines der Redaktionsmitglieder mit aller Gewissheit verkuendete, es
handele sich hier um ein kulturelles Missverstaendnis: Dafuer, dass
russische Anarchisten sich nicht in ihre "inneren Angelegenheiten"
reinreden liessen, wuerde ihnen genauso zu Unrecht National-
Bolschewismus vorgeworfen, wie den Leuten von der Prenzlauerberg-
Sklavenredaktion, die sich gegen die "Bevormundung" durch West-
Linke in ihrem Kiez wehrten. Als ich daraufhin entgegnete, dass
dieser Vergleich absolut schwachsinnig sei, weil ein Kiez, den man
zu Fuss durchqueren und sehr gut kennen kann, nicht mit einem durch
ein Unzahl von militaerischen Eroberungen entstandenen Imperium
verglichen werden kann, antwortete der Redakteur, dass alles, was in
Russland passiere, Sache der Russen sei, so auch der
Tschetschenienkrieg (auf meine explizite Nachfrage hin).
Die "Kontinentalbruecke" die hier also zwischen dem Prenzlauer Berg
und der "russisch eurasischen Scholle" hergestellt wurde, beruht
auf dem hoechst zweifelhaften Gefuehl und Anspruch der
Bodenstaendigkeit, mit der jegliche "von aussen" kommende Kritik als
etwas ueberfremdendes abgewehrt werden kann. Wie konsequent dies im
Verlaufe der Diskussion und Einzelgespraeche praktiziert wurde,
mussten zwei "Neuprenzlauerberger" erleben, die von eben diesem
Redaktionsmitglied mit dem Ausspruch "Ihr seid doch Auslaender!"
abgekanzelt wurden als ihm keine anderen Argumente mehr einfielen.
Als Fazit des Ganzen muss festgehalten werden, dass es richtig war,
zu der Veranstaltung zu gehen, um ueber Kostenkos Politik
aufzuklaeren, da es ihm ohne eine solche Konfrontation sicherlich
gelungen waere, sich noch bruchloser als kompromissloser Revolutionaer
zu praesentieren. Dass was sich in der Argumentation einiger
"autochtoner" Prenzlauerberger zeigte, sollte weiter beobachtet
werden, vor allem in Bezug auf eine weitere z.T. bereits
angekuendigte Protegierung "interessanter" Persoenlichkeiten aus der
russischen national-patriotischen Gegenkultur. Der Idee ein Konzert
mit der Gruppe "Grazdanskaja Oborona" in Berlin veranstalten zu
wollen, die in Interviews die Meinung vertritt: Anarchismus,
Kommunismus und Faschismus seien dasselbe, sollte auf jeden Fall
entschieden entgegengetreten werden.

MM


Offener Brief Moskauer Anarchisten wegen des Auftritts Dmitri
Kostenkos in Berlin.

Wir, die unterzeichnenden Anarchisten, finden es sehr
problematisch, dass die Gruppe SKLAVEN am 23.03.98 in Berlin eine
Veranstaltung mit Dmitri Kostenko ueber "Die wirklichen
Revolutionaere im heutigen Russland" durchfuehrt.

Kostenkos Umtriebe sind uns gut bekannt. Seitdem er die
anarchistische Bewegung verlassen hat, fungiert Kostenko ganz
offenkundig als Bindeglied zwischen den linkradikalen und sog.
national-patriotischen Gruppen. Auf seinen vielen Auslandsreisen
hat Kostenko die Geschichte der linksradikalen Bewegungen der
westlichen Laender gut studiert, nahm Elemente der Spassguerilla, der
revolutionaeren Symbolsprache und des cool-harten Revoluzzergehabes
auf, ist von Beispielen des Strassenkampfes und der Stadtguerilla
entzueckt. Die Fruechte dieser Auslandsreisen und -studien stellt
Kostenko den nationalbolschewistischen und nationalstalinistischen
Gruppen zur Verfuegung. Diese haben die Machtuebernahme als Ziel,
sind bereit, nicht nur mit den "Buergerlichen" fertig zu werden,
sondern auch mit "potentiellen Verraetern". In diese Kategorie
gehoeren offensichtlich auch linksradikale Andersdenkende, denn fuer
Kostenko sind sowohl Pol-Pot als auch die Saeuberungen der Tscheka
positive Kapitel der Geschichte. Wir haben nicht vor, Kostenkos
Auftritt zu verhindern, aber wir rufen dazu auf, im Umgang mit
Kostenko vorsichtig zu sein. Es waere schade, wenn eine
oberflaechliche Veranstaltung mit vielen wohlklingenden Phrasen
(ueber Provokation als Lebensstil, ueber die Erhoehung des
Aktivitaetspegels der linksradikalen Bewegung mit Mitteln der
Spassguerilla usw.), bei einem linksradikalen Publikum in Berlin gut
ankaeme.
Der "professionelle Revolutionaer" Kostenko weiss sehr wohl, wie der
erwuenschte Effekt zu erzielen ist. Mit Hilfe der Luege ist er in der
Lage, sich unangreifbar zu machen: fragt man ihn z.B. nach seinen
Lobtexten ueber den "grossen" Fuehrer Nordkoreas Kim Ir Sen, antwortet
er, dass das nur ein Spass sei, eine Provokation, ein Mittel, um
kleinbuergerliche Linke und bezahlte Humanisten zu erschrecken. Aber
das ist Betrug. Es ist wichtig, hinter die Kulissen zu schauen. So
erkennt man Kostenkos prostalinistische Tendenzen. Kostenko hat
nichts gegen die Einrichtung einer blutruenstigen Parteidiktatur in
einem Land. Mehr noch: er arbeitet daran.

Unterschrieben von Vertretern zweier anarchistischer Gruppen in
Moskau und Einzelpersonen.