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1997

Rubrik
Internet
Alles nur bunte Reklametafeln an der Datenautobahn?

Ein Veranstaltungsbericht

An die 60 Leute kamen am Nachmittag des 18. Januar 1997 ins Kreuzberger Jugendzentrum Chip zu einer Veranstaltung „Alles nur bunte Reklametafeln an der Datenautobahn?". Die Onlinezeitung „trend", die seit einem Jahr im WWW publiziert, und ihren ersten Geburtstag öffentlich feiern wollte, hatte zusammen mit dem BerliNet e.V. dazu eingeladen, um über Internet-Nutzung und -Publizistik zu informieren und zu diskutieren.

BerliNet e.V. ist ein Berliner Verein, der es sich seit gut einem Jahr zur Aufgabe gemacht hat, Privatpersonen und kleineren journalistischen Projekten aus dem linken & radikalen Spektrum den Zugang ins Internet zu ermöglichen. Als Mitveranstalter nahmen die Antirassistische Initiative, die Berliner Berichte und die Rote-Hilfe-Berlin teil – Onlineprojekte, die neben einem guten Dutzend weiterer (siehe unten) seit einigen Monat mithilfe von BerliNet im Internet vertreten sind. Zusätzlich gab es noch Infotische, an denen die Veranstalter und andere (Infoladen Omega & ESPERO) Gedrucktes zur Selbstdarstellung bereit hielten.

Im ersten Teil der Veranstaltung stellte sich der BerliNet e.V. vor und Bernd Rockmann, der 1. Vorsitzende, stand Rede und Anwort zu mehr technischen Fragen der Internetnutzung. Visualisiert wurde das Ganze durch einen Beamer mithilfe dessen die jeweiligen Bildschirminhalte auf eine große zentrale Leinwand projiziert wurden. Aus dem Publikum wurden dann weitergehende Fragen aufgeworfen. Zum Beispiel wie sich das Publizieren im WWW-Internet von der herkömmlichen Zeitungsproduktion unterscheidet und in wieweit neue Kommunikationstrukturen (z.B. Email und Newsgruppen) die Arbeitsorganisation von Redaktionen verändern. Ein Redakteur der Berliner Berichte schilderte, daß seine Zeitung schon immer den Nachrichtenaustausch per Email organisiert habe, insofern die Onlinepräsenz hier keine Neuerungen gebracht hätte. Anders sähe dies bei der Gestaltung aus. Hier seien sie noch mitten im Lernprozeß. Ein Vertreter der Antirassistischen Initiative führte dazu aus, daß die Gestaltungsfrage in Griff zu bekommen für ihn ein halbes Jahr intensive Beschäftigung mit dem neuen Medium bedeutet hätte. Ein trend-Redakteur erzählte, daß sie sehr wohl von diesen Schwierigkeiten eine Ahnung gehabt hätten, aber, daß sie unbeschadet dessen, sofort losgelegt hätten, weil mit diesem Medium jederzeit Korrekturen am Veröffentlichten möglich sind. Er charakterisierte „trend" daher auch als „ein sich selbst fortschreibendes Projekt". Obgleich er damit empfahl, etwaige Ängste hinter sich zu lassen und einfach loszulegen, wies er anderseits darauf hin, daß die Gefahr bestünde, daß sich in einer Redaktion ein Spezialistentum herausbilden könnte und dann bewährte kollektive Arbeitsformen auf der Strecke blieben.

Im zweiten Teil ging es um die politische Dimension des Publizierens im WWW-Internet. Zunächst referierten hier die Berliner Berichte. Die Redaktion stellte fest, daß die Berliner Berichte als Printausgabe nach wie vor die Hauptsache bleiben und die Veröffentlichung im WWW ein Experiment darstellen, um zu erkunden, ob die Entwicklung der Zeitung sich dadaurch fördern ließe. Beim Kurdistan-Rundbrief als themenbezogene Zeitschrift haben sich immerhin über das WWW internationale Kontakte herstellen lassen. Im Anschluß daran stellte die trend-Redaktion ihre Zwischenbilanz über ein Jahr Online-Publizistik vor. Besonders hob sie hervor, daß es ihr gelungen sei, sich im WWW als Veröffentlichungsplattform für Projekte zu etablieren, die ihrerseits nicht im WWW vertreten sind. So gibt es nun beim „trend" regelmäßig Beilagen, die in inhaltlich eigener Verantwortung von den Gruppen gestaltet werden. Als seine redaktionellen Schwerpunkt benannte „trend" den Aufbau eines „virtuellen Textarchivs" (Linkskurve) und Serien, wie die gerade laufende „40 Jahre KPD- Verbot", mithilfe derer ausgegrenztes oder totgeschwiegenes Wissen wieder zugänglich gemacht würden. In diesem Zusammenhang betonte die trend-Redaktion noch mal den Unterschied zu den anderen Onlinemagazinen, die sich als Printmedim ins WWW hineinverlängerten, während der „trend" ausschließlich virtuell produziert wird, sodaß schon von daher beim „trend" andere politische und strategische Ansprüche an das Internet eine Rolle spielten.

Der Vertreter der Roten-Hilfe-Berlin kennzeichnete den Stand ihres Projektes eher als Experiment, das sich erst noch ein eigenes Selbstverständnis erarbeiten müßte, da es einerseits eine zentrale RH-Homepage gäbe (http://www.nadir.org/NA/Text/Magazine/rhz/) und zum anderen die praktische Arbeit in politischen Zusammenhängen nach wie vor die Hauptseite bilde. In seinem Kurzreferat machte der Vertreter der Antirassistischen Initiative deutlich, daß ihre Onlinepräsenz dazu diene, Hintergrundwissen und aktuelle Infos für die politische Alltagspraxis aufzubereiten und bereitzustellen. Inwieweit dies zu einer Verbesserung der politischen Praxis führe, könne er derzeit nicht beurteilen. Er sei hier auch eher skeptisch.

In der anschließenden Diskussion war eine der zentralen Fragen, warum nicht die Newsgruppen als ausreichend für eine virtuelle Publizistik angesehen würden. Ein trend-Redakteur gab zu bedenken, daß die Newsgruppen nur eine „zerstückelte" Informationsvermittlung ermöglichten und daß damit bestimmte inhaltliche Ansprüche, die die trend-Redaktion habe, nicht umsetzbar seien. Desweiteren sollte man den kommerziellen Anbietern das WWW nicht einfach überlassen, sondern darin für die linken & radikalen Kräfte eigene Kommunikationsstrukturen ausprobieren, die aber nur etwas brächten, wenn es jenseits des Internets zu politisch-praktischen Zusammenschlüssen käme.

Dies leitete zu der Frage über, wem denn eigentlich die „Netze" gehören und daß Staat und Kapital demnächst verschärft regulierend ins WWW-Internet eingreifen würden, was man ja an aktuellen Zensur- und Kriminalisierungsversuchen (Radikal, Angela Marquardt, AIZ) bereits ablesen könne. Dies verband sich mit der Befürchtung, daß WWW-Internet-SurferInnen generell nicht anonym bleiben könnten, sondern stattdessen Bewegungsprofile erstellbar sind, die zur Informationsbasis von Repressionen werden könnten. Angesichts der vorgerückten Zeit, die Veranstaltung hatte um 15.00 Uhr begonnen und es ging auf 20.00 Uhr, wurde beschlossen, zu dieser Thematik in nächster Zeit zwei weitere Veranstaltungen durchzuführen.
KaMü (trend-redaktion)