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1997

Rubrik
1.Mai
1.Mai Debatte

"Erst Klarheit, dann Einheit!"

Karl Liebknecht in "Die Lebensfrage des Sozialismus"

Ein innerlinkes Papier zum 1. Mai 1997



1. Mai 1989 auf dem Lausitzer Platz

ein Tag später!


Die Vorbereitungen für die beiden revolutionären l.Mai-Demos laufen wieder an. Sowohl das Bündnis für die Demonstration ab Oranienplatz als auch das Bündnis für die Demonstration, die wieder am Rosa-Luxemburg-Platz beginnen wird debattieren über die politische Vorgehensweise.

Auf der einen Seite die Revolutionären Kommunisten (BRO), MigrantInnengruppen, Marxistisch-Leninistische Gruppen (z. B. die RAI - Rote Antifaschistische Initiative) und andere Gruppen - im Rosa-Luxemburg-Bündnis die Antifaschistrische Aktion Berlin (AAB), Jugendantifa-Gruppen, Leute vom Anti-Atom-Plenum, Rote Söckchen, AG Autonome Gruppen in und bei der PDS, eventuell das Anti-Olympia-Komitee (AOK), andere Zusammenhänge und wir von der ÖkoLi. Es kommt. uns so vor, als hätte sich seit dem letzten Jahr nicht viel geändert. Der Standpunkt, in diesem Vorbereitungskreis trotz unterschiedlicher Demos keine Inhalte und Unterschiede zu diskutieren sondern Gemeinsamkeiten hervorheben zu wollen wird von vielen Leuten vertreten.

Das AOK war anfangs beim R.-L.-Bündnis dabei, hat sich aber gegen die geplanten angeblich herauszustellenden Gemeinsamkeiten der beiden Demos ausgesprochen, also gegen ein gemeinsames Motto und gegen eine gemeinsame Pressekonferenz beider Vorbereitungskreise.

Die AAB bewertet dieses als kontraproduktiv. ohne aber zu begründen, warum es dann überhaupt zwei getrennte Demos geben soll. Aus dem O-Platz-Bündnis wird verlangt, daß das AOK nicht mehr am R.-L.-Bündnis teilnehmen solle, da dieses nicht nur "Counter"-Positionen vertreten würde sondern auch mit dem "revolutionären Ostblock" zusammenarbeite. Das sei ihre Bedingung für eine Zusammenarbeit beider Demobündnisse.Wir wollen in diesem Papier unsere Positionen und Einschätzungen kurz darstellen.

Wir wünschen uns eine revolutionäre 1. Mai-Demo, die von (relativ) undogmatischen und linksradikalen Gruppen getragen wird.

Dieses würden wir als Chance und eventuellen Neuanfang verstehen, auch ohne die ML-Combos viele Menschen zu mobilisieren. Letztes Jahr waren es immerhin 15.000! Mit anderen libertären und linksradikalen Gruppen haben wir dort zusammen den "antiautoritären-sozialrevolutionären Block" unter dem Motto "Laßt uns unregierbar sein - Soziale Revolution weltweit!" vorbereitet. Uns ging es darum, Vorstellungen und Inhalte zu vermitteln. die eine Revolution nicht als einen von einer zentralistischen Kaderpartei herbeigeführten Putsch verstehen. Unsere Kritik an ML-Politik war und ist, daß sie nicht zu einer befreiten Gesellschaft führt sondern neue Unterdrückungsverhältnisse herbeiführt. Daher unsere Betonung der Vorstellung einer Sozialen Revolution, erkämpft durch den selbstorganisierten Kampt gegen HERRschaftsverhältnisse - und zwar in basisdemokratischen Strukturen, die emanzipatorisch sind und wirken.

Antiautoritäre Politik heißt für uns aber nicht Unverbindlichkeit sondern im Gegenteil der Versuch, in kontinuierlich arbeilenden Zusammenhängen zu agieren. Dabei haben wir durchaus Kritik an Erscheinungsformen autonomer Politik und wollen auch nicht nur von einer Kampagne zur nächsten springen.

Aus der Blockvorbereitung vom letzten Jahr entstand das "antiautoritär-sozialrevolutionäre Plenum". Die Existenz dieses eigentlich nicht schlechten Versuchs, undogmatische linksradikale Gruppen sowohl in der Theorie als auch in der gemeinsamen Praxis mehr zu vernetzen, hielt aber nur ca. sechs Monate an. Geblieben ist aber auf jeden Fall Zusammenarbeit mit einigen Leuten und Zusammenhängen, wie z.B. bei derVorbereitung für die linksradikale Anti-AKW-Demo am 8.2 diesen Jahres.

Uns wir vorgeworfen, antikommunistisch zu sein und zu spalten.

Da wir uns unsere BündnispartnerInnen selbst aussuchen, sehen wir uns nicht als SpalterInnen. Für uns gibt es nicht eine angeblich "mechanische Einheit der Linken". Wir haben, nichts dagegen, wenn ML-Gruppen sich ihre BündnispartnerInnen suchen und mehrheitlich im O-Platz-Bündnis sind. Wir wollen auch nicht einer Kriminalisierung dieser Demo Vorschub leisten, haben überhaupt kein Interesse daran, wenn diese Demo angegriffen wird und werden auch keine Plakate überkleben. Nur wollen wir nicht mit diesen Gruppen in einem revolutionären Demobündnis sein. Warum sollen wir das nicht sagen? Deswegen sind wir auch gegen eine gemeinsame Pressekonferenz, weil eine solche unserer Meinung nach grundlegende inhaltliche Differenzen ausblenden würde.

Und diese sind da.

Daß dieses natürlich als Antikommunismus bezeichnet wird, ist klar (genau wie im letzten Jahr). Eine Info am Rande: es wird ein Diskussionstreffen zwischen der ÖkoLi-Berlin und den RKs geben, wo wir unsere Positionen darstellen wollen. Und zwar tiefergehender (sofern möglich...) als die bekannte "Interim-Debatte".

Gerade die sich marxistisch-leninistisch nennenden Gruppen glauben für sich, den Begriff Kommunismus gepachtet zu haben. Einige glorifizieren Stalins Politik, sie träumen immer noch von der zentralistischen Kaderpartei als politischer Strategie. Eine Kritik, die aussagt, daß das nicht zu einer klassenlosen und HERRschaftstreien Gesellschaft führe, wird als antikommunistisch bezeichnet und mit der bürgerlichen Totalitarismusthese auf eine Stufe gestellt. Ein billiger Schachzug...

Keine Basis für gemeinsames Handeln und Kämpfen.

Wir beziehen uns sowohl positiv auf den Marxismus als auch auf einge anarchistische Theorien - wollen aber einen neuen politischen und linksradikalen Ansatz. Dazu gehört eine radikalökologische Position, die erörtert, warum die ökologische und die soziale Frage nur zusammenhängend gelöst werden kann, eine feministische Position, da die patriarchale Struktur dieser Gesellschaft und der Kapitalismus zusammenhängen, eine antirassistische Position, die eine antinationale/antistaatliche Position miteinbezieht, weil es weltweit um die Überwindung von Nationalstaaten gehen muß.

Es gibt viel zu tun. Wir würden gerne wieder einen sozialrevolutionären Block mit anderen organisieren!!

P.S.: Auf Kiezpatriotismus wie er z. B. vom revolutionären Ostblock vertreten wird haben wir übrigens keine Lust.

Am Ende noch ein Auszug aus unserem Papier zur Rosa und Karl-Demonstration 1997

"Rosa Luxemburg lehnte eine Partei der BerufsrevolutionärInnen wie sie die Bolschewiki in Rußland aufgebaut hatten, ab. Nur Selbsthandeln und Selbsttätigkeit der Menschen könne zum Sozialismus führen, deswegen müßten sich die ArbeilerInnen von der Bevormundung durch ihre FührerInnen bflreien. Sie vertrat die "Diktatur des Proletariats" (würden wir heute übrigens nicht mehr verwenden) gegen die HERRschende Klasse und gegen die Konterrevolution als Weg zum Kommunismus, allerdings als etwas Grundverschiedenes zu Lenin, nämlich als die breite Selbstorganisierung der revolutionär gesinnten Massen, nicht als Diktatur über sie. Der Sozialismus könne nur das Werk der ArbeiterInnen selbst sein, nicht einer Minderheit im Namen der ArbeiterInnen, da die Idee des Sozialismus die HERRschaft einer Minderheit ausschließe ( siehe Rosa Luxemburg "Blanquismus und Sozialdemokratie", 1906).

In der Kritik an Lenin, seinem "Ultrazentralismus" der "sterilem Nachtwächtergeist" entspringe, war Rosa der Meinung, daß die Eigeninitiative durch "eine Handvoll akademischer Leiter" erstickt werde. Dank der ertieherischen Wirkung der Fabrik würden sich die ArbeiterInnen Lenins Vorstellungen von straffer Disziplin freudig unterwerfen.

Vorraussetzung für Emanzipation sei aber gerade, daß sklavische Unterordnung durchbrochen und durch eine auf Einsichtigkeit und Freiwilligkeit beruhende Selbstdisziplin ersetzt werde (siehe Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie", 1904).

Und gerade diese Gedanken, die auch Karl Liebknecht vertrat, sind unserer Meinung nach spannend und für die Zukunft eines revolutionären Widerstandes brauchbar (im Gegensatz zur Geschichtsverklärung der ML-erlnnen).

Vorraussetzung für eine revolutionäre Bewegung und für eine revolutionäre Umwälzung ist das seIbstständige, selbstbestimmte Denken und Handeln der Individuen als Teil der Bewegung.Gerade für Karl Liebknecht war die Geschichte nicht nur durch historische Gesetze festgeschrieben. Eine sozialistische Gesellschaft sei nicht "naturnotwendig" und unvermeidlich, auch die Barbarei sei möglich. Entscheidend sei der Wille zur Veränderung und die Tatsache, daß die Verhältnisse international wirken und nur international umzuwälzen sind (siehe Karl Liebknecht in "Antimilitarismus!").

Schaut mensch sich die Kritiken und Analysen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an und betrachtet diese aus heutiger Sicht, so entdeckt mensch einiges, was sie prophezeit hatten (Mechanismen des Parlamentarismus, der sich aus der russischen Revolution entwickelnde Stalinismus als neue EIitenHERRschalt mit staatsterroristischer Struktur und als Pervertierung der kommunistischen Utopie, etc.).

Für eine heutige revolutionäre Bewegung ist es unerläßlich, dieses zu beachten, wenn es um eine wirklich befreite Gesellschaft gehen soll. Anstatt des Betreibens marxistisch-leninistischer Politik, wie z.B. durch das theorielose Anklatschen von Lenin an eine Gedenkdemo für Rosa und Karl, wollen wir betonen, daß es uns gerade um die libertären Aspekte bei den beiden geht.

Die KPD, die von ihnen gegründet wurde, hatte nur wenig mit dem zu tun, was in der Weimarer Republik aus ihr geworden ist. Die GründerInnen hätten sich wahrscheinlich im Grabe umgedreht...

Statt Geschichtsverklärung ist es unserer Meinung nach wichtig. z.B. den Rätegedanken. der bei Rosa und Karl auftaucht, weiterzuentwickeln. Gerade in der Frage, wie denn eine befreite Gesellschalt aussehen könnte, reichte ihre Analyse nicht aus."

Ökologische Linke (Ökoli) Berlin c/o Nachladen Waldemarstr. 36, l0999 Berlin

aus: Interim 413