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1997

Rubrik
1.Mai

Abs.: M.KOEPSELL@TRILOS.han.de

Massive Polizeiprovokationen auf 1. Mai-Demo des DGB in Hannover

Wie alljährlich sammelten sich in verschiedenen Stadtteilen Hannovers am Morgen des 1. Mai die Demonstrationszüge zum Sternmarsch auf den Klagesmarkt, dem traditionellen Kundgebungssort der Maifeier des DGB in Hannover, so auch der größte der Demonstrationszüge am Freizeitheim Hannover-Linden.

Es war etwa 10 Minuten nach dem Start, die Blaskapelle an der Spitze der in der Verantwortung der IG Metall gestarteten internationalen Marschsäule intonierte gerade das Kampflied "Dem Morgenrot entgegen", als von allen Seiten die als der "schwarz-grüne Block" schon wegen ihrer Brutalität aus Gorleben und anderswo bekannten Braunschweiger Einheiten der Bereitschaftspolizei auf den Zug einstürmten. Die Polizeistrategie war sofort erkennbar, etwa 70 Prozent der DemonstrantInnen sollten von der Spitze des Zuges abgetrennt und vorläufig eingekesselt werden. Gleichzeitig sollte durch Herausgreifen einzelner türkischer und kurdischer KollegInnen, sowie junger TeilnehmerInnen aus dem Block der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die dadurch entstandene Rangelei der Vorwand für eine Eskalation der Polizeimaßnahmen geliefert werden. In einer Seitenstrasse warteten bereits eine Kolonne polizeilicher Spezialfahrzeuge zur erkennungsdienstlichen Behandlung und für den Gefangenenabtransport.

Die Disziplin der DemonstrantInnen, sowie das beherzte Eingreifen von KollegInnen der hannoverschen IG-Metall-Leitung und ihrer Ordner, die sich gemeinsam mit u.a. Anwälten und Pfarrern aus Hannover-Linden vor die bedrohten KollegInnen und gegen die Polizei stellten, ließ die Taktik der Polizeiführung nicht aufgehen, nach kurzer, aber zäher Verhandlung konnte der Mai-Demonstrationszug, jedoch weiter begleitet von einem engen Spalier der Bereitschaftspolizei, seine Route fortsetzen. Als die Polizei wiederum provokatorisch fast auf Tuchfühlung mit dem Demonstrationszug ging, genügte erst der Hinweis darauf, dass sich unter den DemonstrantInnen Mitglieder des Bundestages, des niedersächsischen Landtags und des Rates der Landeshauptstadt befanden, die BeamtInnen einige Meter zurueckzuziehen.

Weitere Polizeiprovokationen unterblieben daraufhin, auch am zentralen Kundgebungsort. Hannover sah eine der größten Maimanifestationen der Nachkriegsgeschichte (und dieses Jahr die größte in Deutschland), geprägt durch Transparente und Sprechchöre gegen den Sozialraub der Bonner Regierungskoalition und Großkonzerne, sowie für die Unterstützung der gerade startenden Euromärsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung.

Die hannoversche DGB-Vorsitzende Helga Christensen kam am Klagesmarkt auf die türkischen und kurdischen KollegInnen zu und entschuldigte sich für das Verhalten der Polizei, welches sie als Gewerkschafterin und Deutsche zutiefst beschäme. Sie sähe die Sicherheitspartnerschaft zwischen Polizei und DGB- Führung einseitig aufgekündigt, gab Christensen zu erkennen. Die IG Metall Hannovor kündigte geharnischte Proteste gegen die erlebte Polizeiwillkür an und forderte disziplinarische Massnahmen gegen die Einsatzleitung. Rolf Koehne, PDS-MdB aus Hannover und Dr. Ulrich Wolf, Ratsherr der PDS in der niedersaechsischen Landeshauptstadt, die sich beide mit Parlaments- und RatskollegInnen der SPD und der Bündnisgrünen selbst im betroffenen Demonstrationszug befanden, machten gegenüber der Presse den hannoverschen Polizeipräsidenten und dessen Dienstherrn, den niedersächsischen SPD-Innenminister Glogowski für das Geschehene persönlich verantwortlich. "Glogowski trägt dafür die politische Verantwortung." Es sei, so Koehne, die Fortsetzung der im Hause Glogowski entwickelten Taktik, die schon im vergangenen Jahr bei verschiedenen politischen Großereignissen erkennbar wurde. Polizei habe in dieser Form und militanten Aufmachung bei einer friedlichen Maidemonstration nichts zu suchen, meinte Wolf. Beide PDS-Politiker forderten SPD, Bündnis90 / Die Grünen und die DGB-Gewerkschaften auf, sich mit ihnen gemeinsam für einen Rücktritt Glogowskis und der hannoverschen Polizeiführung und für eine gemeinsam am runden Tisch zu entwickelnde konsequente polizeiliche Deeskalationsstrategie bei politischen und gewerkschaftlichen Veranstaltungen in der Landeshauptstadt einzusetzen. An die gewerkschaftlich organisierten PolizistInnen appelliert Koehne, derartige ungesetzliche Provokationen ihrer Vorgesetzten künftig mit zivilem Ungehorsam zu beantworten.