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1997

Rubrik
Internet

Kritische Bemerkungen.

Ein überarbeiteter Diskussionsbeitrag zu der oben vorgetragenen Position

Die positive Konnotation des Wörtchens Revolution fordert Anmerkungen heraus,die sich aus der Betrachtung der autoritär strukturierten Öffentlichkeit in der modernen bürgerlichen Gesellschaft ergeben: Hoffnungen auf die Geburt nach dem Schwangergehen der alten Gesellschaft mit dem Neuen infolge etwa technischer Entwicklungen können hinterfragt werden darauf, wie weit sich hier nicht eher klientelgeprägte temporäre Ausbruchversuche abbilden, die in nur neuen Arten von Karriere münden. So findet sich in der kritischen jungen Intelligenz, denen sich Öko/Biotechnologie schon als vorbesetzt darstellt, die Vorstellung von der Befreiung (in der individualisierten Gesellschaft, eine andere gibt es ja nicht) mit neuen, "sauberen" und "intelligenten" Mitteln. Sozusagen vom Infoladen zum Internet-Cafe. Übel wäre die neuerliche vereinnahmende Verquickung mit tatsächlichen oder angeblichen Herausforderungen, die sich für den Widerstand von unten stelln, also meistenteils für eine ganz andere soziale KIasse und ihre Organisationen, die verräterischerweise schon jetzt und später vielleicht auch nicht mehr in den beschworenen "Kommunikationen" auftauchen , - was vermeintliche Sprecher anlockt. Es soll nicht gegen den Versuch geschossen werden, mittels Spaß und Erfahrung mit neuer Technik linke Politik auch umzugestalten, aber es ist ein Gefahrenbereieh auszuleuchten: Herrschende Eliten konnten immer wieder technische Umwälzungen ganz im Sinne einer inneren Kolonisierung der Gesellschaft so sozial wirksam werden lassen, daß Ausgebeutete und ihre Gegenäußerungen hernach noch ausgeschlossener vom bunten Treiben der "Öffentlichkeit" waren. Aber auch beglückende Entwürfe von kreativitätsstrotzenden Zukunftsarbeitsplätzen trüben schnell nach in unserer Erfahrungswelt, auf wessen Rücken und zu wessen Nutzen technische Neuerungen noch stets betrieblich durchgesetzt wurden, wenn nicht organisierte Interessenvertretung dagegenstritt.

Dagegen sind aber, auch das ist ja Erfahrung, Schritte möglich - bedenkenswerte können sich ergeben aus der offenen und polarisierenden Diskussion mit guten Freunden der neuen Technik.

Reize ....

Das Wort Polydirektionalität (frei: Fluß in mehrere Richtungen) verschafft Hoffnung, wenn man das Funktionieren von Informationsströmen in der bürgerlichen Öffentlichkeit verfolgt oder sich auch einfach nur über die Untauglichkeit eingekaufter Waren ärgert. Die Einseitigkeit der Austeilung der Information/Werbung hat sich zunächst im historisch entstandenen Internet nicht so auf die technische Tatsache,daß die Leitung in zwei Richtungen arbeitet, heraufzwingen lassen. Es ist da möglich, auf demselben Kanal Produktkritik oder Schelte behaupteter Tatsachen zu üben. Auf diese Möglichkeiten, in sog. Newsgroups Eigenes reinzuschreiben, zu antworten und von anderen zu lesen, bezieht sich das Verheißungsvolle der Freunde des Internets in der Linken.

Das "neue" Internet (http-protokol-lierte grafikgestaltete Seiten) funktioniert da schon ganz anders, hier haben wir wieder das "Angebot", so konnten sich ungefährlich also auch Tagesschau und mittlerweile fast alles, was einem verkauft werden soll, einfinden.

Freie Kommunikation...

Die ständig im Fernsehen laufende IBM-Werbung suggeriert, daß nun alle alle, schwarz, weiß, alt, jung ... jederzeit miteinander ... kommunizieren können. Was offen bleibt: Wer spricht zu welchem Zweck und unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen? Im Betrieb gehorsam, ín der Schule untergeben, in der Ehe lmifflig, im von den Managern gelesenen Bereich gestochen karriereförderlich. Die versprochene bürgerliche Grundfreiheit kommt aus der formalen nun nicht etwa in die materielle Existenz, weil "Kommunikationen" leidlich schneller, allgemeiner etc. verlaufen.

Das Internet, das im akademischen Betrieb entstand, übt den Reiz aus, an das Geforschte zunächst nicht gebunden zu sein. So stellen sich auch alle Meinungsäußerungen darin dem Leser dar - als (an sich, ohne Bindung an tragende Gruppen und Strukturen von Benutzern) vorgefundene Brocken, verdaulicher oder unverdaulicher. Mangels verbindendem Geltungsanspruch und Recht auf Gehör kanb sich das "Ins-Netz-Stellen" nicht als demokratische Kommunikation konstituieren. Die totale Freiheit ist mithin eher absehbar nur Bedingung der späteren Verwertbarmachung mittels Vermeidungs- und Bewertungsroutinen bezüglich unerwünschter Koinmunikationen. Technische Wege sind noch nicht ganz geklärt, gesetzliche Grundlagen hingegen etwa mit dem neuen Telekommunikationsgesetz schon geschaffen. Dies sieht die Pflicht aller Mailboxbetreiber u.ä. vor, staatlichen Kontrollbehörden jederzeit Zugang zu allen Informationen zu verschaffen, und zwar dergestalt, daß der Betreiber selbst vom Zugriff nichts . merkt. So stellt sich ganz altbacken die Problematik der Bekämpfung staatlicher Datensammelwut. Die bisherige Hilflosigkeit etwa der Bundesanwaltschaft bezüglich der Sperrung des Zugriffs auf die Zeitschrift "radikal" im Internet drückt hier nur aus, daß die Vorstellung der Ordnung einer gefächerteren Kommunikation mittels Gewalt zunehmend absurd ist.

... und Zensur

Daher macht das Wort von der technischen Unmöglichkeit von Zensur im Internet die Runde und die Sache beliebt. Tatsächlich funktioniert aber die Zensur ja auch unter dem Regime des Art. 5 Grundgesetz, der sie verbietet, sozial vermittelt (siehe oben): Das stellt sich natürlich nicht jedem gleich dar, weil auch die krìtische Außerung Beginn eines Erfolgs in der alten Gesellschaft sein kann statt Kenntlichmachung des Neuen im Alten.

Für andere hat sich Nehm, Generalbundesanwalt und damit eigentlich aus öffentlichem Geld bezahlt für das Abarbeiten von Akten, im "Spiegel" in ganz offener Formulierung geübt: "Ich glaube, daß das Netz immer mehr wirtschaftliche Bedeutung bekommen wird. Dann haben Provider und Anwender ein gesteigertes Interesse, den vielen Schrott aus dem Netz herauszuhalten. Ich setze da ein bißchen auf die Interessen des Marktes. Sollte das jedoch nicht klappen, könnte es sein; daß wir besondere Gesetze brauchen, die die Verantwortung der Beteiligten klarstellen."

Andersherum nun die These: Es bräuchte gesonderte Gesetze, um das freie Wirken von Markt und Bundesanwälten im Netz einzuschränken. Das Bundesverfassungsgericht hat in der sogenannten Volkszählungs-Entscheidung (BVerfGE 65,1) ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung proklamiert. Es gibt vereinzelt Gedanken, wie hier eine Weiterentwicklung in Richtung eines Rechts auf ungestörte Kommunikation faßbar wäre. Das wird insbesondere noch aktueller, je mehr Bedeutung - wie absehbar - betriebliche "Intranets" bekommen, in denen die technisch dureh Chefüberwachung mögliche Bewertung "persönlicher" Kommunikation diese endgültig an das Geld bindet. An der Einschränkung des sicheren Zugangs zu Kryptographieverfahren, die Auswüchse durch Abschottung persönlicher Mitteilung durch Verschlüsselung in den Griff bringen könnten,wird in ínteressierten Behörden und Institutiongn gerade gearbeitet. Damit würde im übertragenen Sinne das Recht, den Briefumschlag zuzukleben, genommen werden.

Die Befassung aus dieser Warte, der Kampf um den Erhalt bürgerlicher Grundfreiheiten, die Zurückdrängung maßloser staatlicher Interventionsrechte bedingt nur scheinbar (und führt z.B.in autonomen Kreisen zu erstaunlichen Sinneswandeln) ein Abkippen in die mutlos gewordene Toleranz von hetzerischen; faschistischen Außerungen im Netz. Die Kundtuenden können nur wirksam auftreten als Sprecher realer Organisationen und mithin als Aussprecher realer Beleidigungen und Drohungen. Ein Recht auf ungestörte Kommunikation würde, wie übrigens fast alle Grundfreiheiten es unstrittig tun, das negative Recht, nicht dureh derlei belästigt zu werden, beinhalten müssen. Das Problem, ein entsprechend auslösbares Recht auf Beistand wiederum nur dem Ermessen der staatlichen Institution anheimstellen zu können, wirkt zwar behinderlich, aber Selbstorganisation von Strukturen/Boxen kann da ganz gute Felder finden, erprobte Regeln des Diskurses verbindlich einzuhalten. Die Verbindlichkeit von Kommunikation ist erst das Kettenglied, das sie sozial wirksam werden läßt. Und diese erfordert zwischen den Kommunizierenden gute Voraussetzungen von Gleichberechtigung, Achtung. Nüchtern, fast freudlos stellt man fest: Die soziale Revolution hat doch nicht stattgefunden durch dieTechnik.

(uga)