zurück

 

KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 7 - 20.07.2001 - Onlineversion

Klaus Hermann, Klaus Braunwarth

Briefwechsel über Klaus Braunwarth's Imperialismus und Weltordnung

IV. Brief von Klaus Braunwarth vom 29.12.00



Ulm, den 29.ff. Dezember 2000


Lieber Klaus Herrmann,

besten Dank für Deinen Brief vom 23. November. Auch meine Antwort hat wieder etwas auf sich warten lassen, wenn auch nicht so lange wie meine letzte. Ich schlage vor, daß wir uns nicht mehr gegenseitig für die Dauer, die unsere jeweiligen Antworten eben einfach brauchen, entschuldigen. So wie sich unsere Korrespondenz bisher angelassen hat, sind die Briefe recht gehaltvoll ausgefallen und haben den Charakter fast schon kleiner Abhandlungen. Sowas nimmt eben nicht in Tagen, sondern erst über Wochen Gestalt an. Außerdem arbeitet jeder von uns an seinen Sachen, die Briefe gehen zusätzlich und mit solchen sind auch noch andere zu bedenken usw. Ich jedenfalls bin hochzufrieden, wenn wir die Kontinuität des Briefwechsels halten, da macht es nichts, wenn zwischen den Sendungen eine gewisse Zeit verstreicht.

Ich hoffe, daß nicht etwa mein Brief selbst, der eine oder andere vielleicht zu apodiktisch ausgefallene Satz, bei Dir die Sorge hervorgerufen hat, unser Meinungsaustausch könnte "rechthaberische Züge" annehmen. Das täte mir leid. Obwohl ich das eine oder andere gerne nachgefragt hätte, werde ich meinen Brief auf das beschränken, was Du selbst angesprochen hast und beginne mit dem, was sich auf die vorhergehenden Briefe bezieht.

Die Formulierung vom "Zyklus der ewigen Wiedergeburt" sollte ironisch auf die bürgerlich bornierte Vorstellung anspielen, die das Kapital für ein für die Ewigkeit gemachtes Produktionsverhältnis hält und damit artikuliert, worauf es das Kapital selbst auch anlegt.

Natürlich konnte sich das Kapital historisch nur aus vorbürgerlichen Verhältnissen entwickeln und war nicht irgendwann einfach fertig da. Aber alle seine Bildungselemente - Arbeit, Geld, Kooperation erheischende Produktionsmittel - sind nicht an sich Kapital, sie sind es nur, wenn sie in bestimmter Weise, Verwertungsimperativen gemäß, aufeinander bezogen werden. Und damit das geht, muß das Kapital diese Elemente einem Umwandlungsprozeß unterwerfen, sie sich gemäß machen und damit setzt es sich überhaupt erst als die ganze Gesellschaft strukturierendes Produktionsverhältnis. In diesem Sinne schafft das Kapital sich selbst. Alle Formen des Kapitals, die existieren bevor es sich als Produktionsverhältnis etabliert hat, sind nur Protoformen. Das mittelalterliche Handels- und zinstragende Kapital beruht auf Raub und Prellerei, das zu bloßen Abteilungen des gesellschaftlichen Gesamtkapitals herabgesetzte Handels- und Kreditkapital tut das nicht mehr, es zehrt von der Umverteilung von Mehrwert und Wert, mag es auch Raub und Prellerei, so sich eine günstige Gelegenheit dazu bietet, nach wie vor nicht verschmähen.

Arbeit ist nicht Wert, sondern bildet (als privat für den Austausch verausgabte) Wert, und Produktion von Wert genügt nicht für das Kapital, es muß schon Produktion von Mehrwert sein, wozu der Arbeits- dem Verwertungsprozeß zu unterwerfen ist usw.

Im Zyklus seiner Reproduktion geht das Kapital zwar von sich aus (G), aber es muß sich jedesmal neu erzeugen und das heißt, das Kapital muß sich zunächst wieder in sein Gegenteil verwandeln, in Gebrauchswert - also die Stoffe, die in sein Produkt eingehen, in Maschinerie und vor allem in Arbeit ("das wirkliche Nicht-Kapital ist die Arbeit", Marx, Grundrisse, S. 183) - und erst die bestimmte Kombination dieser Faktoren im neuen Produktionsakt läßt sie als Kapital fungieren, verwertet das ursprüngliche Kapital und reproduziert das gesellschaftliche Verhältnis. Real läuft das natürlich als permanenter Prozeß ab, nicht in abgesetzten Intervallen, aber in ihm kommen dem Kapital wechselnde ökonomische Formbestimmungen zu, deren verschiedene Qualität begrifflich auseinanderzuhalten ist und die sich bei Stockungen des Prozesses praktisch auch fixieren. Es ist kein Zufall, daß der Umschlag des Kapitals sich als Kreisbewegung darstellt, von sich (G) und nicht etwa den bestimmten sachlichen und subjektiven Produktionsbedingungen ausgeht und bei sich (G') - und nicht etwa der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse ankommt. Diese Tautologie ist die des Kapitals selbst!

Es sind also beide Aussagen richtig, je nachdem, sowohl die, daß das Kapital von sich ausgeht und in sich zurückkehrt, historisch wie logisch, als auch die, daß das Kapital es nicht nur mit sich zu tun hat, sondern mit einer Welt, die eben nicht Kapital ist und um sich zu verwerten, muß es sich in die entäußern und d.h. es muß sie sich subsumieren und weitgehend anverwandeln, ein immer gewaltsamer Prozeß. Es kommt auf die bestimmte Fassung der jeweiligen Aussagen an und darauf, sie richtig aufeinander zu beziehen: einerseits als "innerliche" (Marx, in solchen romantischen Termini charakterisiert er gelegentlich das Kapital) Tendenz des Kapitals, andererseits als Materialität der Verhältnisse, denen das Kapital Rechnung tragen muß, weil es eben den Wert und Mehrwert nicht pur, sondern nur (vor der Metamorphose der Ware in Geld) vergegenständlicht in Gebrauchswerten produzieren kann.

Ich denke, da besteht im Ernst keine Differenz zwischen uns. Wir drücken denselben Sachverhalt nur verschieden aus, bzw. heben verschiedene Seiten an ihm hervor.

Mit Deinen Bemerkungen zur Geschichte bin ich ganz einverstanden. Was da wie zustandekommt ist wirklich eine Geschichte für sich und ob man an ihr die Herrschaft blinder Notwendigkeit, oder die des launischen Zufalls - bei Hegel sind das Zwillinge - beklagt, man trifft immer etwas Richtiges.

Dein Vorhaben, Deine ökonomischen Arbeiten zu "Kapitalakkumulation und Krise" zusammenzutragen und zugänglich zu machen, begrüße ich sehr und verspreche mir davon viele Anregungen auch für mich, der ich mich bisher nur sehr vereinzelt auf das jenseits der ersten Kapitel des "Kapital" liegende Feld vorgewagt habe.

Einer dieser vor Jahren unternommenen Ausflüge war dem Thema produktive und unproduktive Arbeit gewidmet. Mir war es damals darum gegangen, meine Stellung zu der Position von R. Kurz zu klären, Dienstleistungsarbeit sei unproduktiv.

Das hat sich seinerzeit in einer kritischen Anmerkung niedergeschlagen, vor deren Niederschrift ich alles durchgearbeitet habe, was Marx im ersten Band der "Theorien über den Mehrwert" (MEW 26.1) darüber zusammengetragen hat (viertes Kapitel "Theorien über produktive und unproduktive Arbeit", S. 122 - 281 und "Produktivität des Kapitals. Produktive und unproduktive Arbeit", S. 365 - 388 im selben Band). Ich war damals überrascht, wie ausführlich Marx sich darüber geäußert hat, wie eigentlich alle Fälle, die verschiedentlich Kopfzerbrechen bereiten, von ihm schon berücksichtigt sind und wie wenig in einschlägigen Debatten davon Notiz genommen wird. Ich habe mir jetzt, nach Erhalt Deines Briefes, die Kapitel nochmal kursorisch durchgesehen und fand bestätigt, was sich mir schon seinerzeit ergeben hat. Ich versuche mal, es in aller Kürze wiederzugeben.

Obwohl alle Arbeit, die Wert produziert, zugleich einen Gebrauchswert produzieren muß, geht in die Bestimmung des Werts kein Atom Gebrauchswert ein. Der Wert ist ein rein gesellschaftliches Verhältnis und zur Ware wird das Produkt als gegenständlicher Vermittler dieses Verhältnisses. Für das Kapital ist das nicht anders. Es ist nicht nur ein Verhältnis, sondern wesentlich Prozeß, und ihm genügt nicht die Produktion von Wert, es muß schon die von Mehrwert sein, um produktive von unproduktiver Arbeit zu scheiden. Der Gebrauchswert, in dem sich wert- und mehrwertbildende Arbeit materialisiert, muß aber keineswegs ein handfestes Ding sein:

"Das Materialisieren etc. der Arbeit ist jedoch nicht so schottisch zu nehmen, wie A. Smith es faßt. Sprechen wir von der Ware als Materiatur der Arbeit - in dem Sinne ihres Tauschwerts - so ist dies selbst nur eine eingebildete, die bloß soziale Existenzweise der Ware, die mit ihrer körperlichen Realität nichts zu schaffen hat; sie wird vorgestellt als bestimmtes Quantum gesellschaftlicher Arbeit oder Geld. (...) Also in der Art wäre das Materialisieren der Arbeit in der Ware nicht zu verstehn. Hier kommt die Täuschung daher, daß sich ein gesellschaftliches Verhältnis in der Form eines Dings darstellt." (Marx, MEW 26.1, S.141f.)

Um Wert zu produzieren, genügt es nicht, daß gearbeitet wird, die Arbeit muß in einem (für den Austausch produzierten) Gebrauchswert resultieren, in diesem Sinne muß sich die Arbeit vergegenständlichen, materialisieren oder entäußern. Der Gebrauchswert ist in den meisten Fällen ein materielles Ding, muß es aber nicht, der Gebrauchswert kann auch immateriell sein. Gleich in einem der ersten Sätze des ersten Bandes des "Kapital" heißt es:

"Die Natur dieser Bedürfnisse (die die Ware befriedigt - kb), ob sie z.B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache." (MEW 23, S. 49)

Bei immaterieller Produktion unterscheidet Marx zwei Fälle: eine, die zwar eine von den Produzenten und Konsumenten verschiedne selbständige Gestalt" hervorbringt, "wie bei Büchern, Gemälden, kurz allen Kunstprodukten", die aber nur der Träger des eigentlichen Immateriellen ist und eine gewissermaßen noch immateriellere, bei der "die Produktion (...) nicht trennbar (ist) von dem Akt des Produzierens, wie bei allen exekutiven Künstlern, Rednern, Schauspielern ..." ("Erscheinungen das Kapitalismus auf dem Gebiet der immateriellen Produktion", in: MEW 26.1, S.385f.) Sie ist, wenn privat für den Austausch (der hier eben z.B. an der Kasse stattfindet und den Konsum in gemeinsamer Versammlung der Käufer erfordert) produziert, genauso wertproduktiv wie die Herstellung eines Paar Schuhe für den Verkauf.

Produktive Arbeit vom Standpunkt des Kapitals aus ist aber, wie schon erwähnt, nur solche, die nicht nur Wert, sondern Mehrwert produziert. Die Arbeit immaterieller Produzenten bezeichnet Marx dann als unproduktiv, wenn sie nur für sich und nicht für einen Kapitalisten arbeiten, was dann aber auch für die Arbeit eines selbständigen Schusters gilt, die ebenfalls unproduktiv ist. In beiden Fällen eben deshalb, weil es einfache Warenproduktion ist, die zwar einen Wert, aber keinen Mehrwert hervorbringt, das heißt der Reproduktion des Produzenten, nicht aber der Produktion von Kapital dient. Mit der Materialität oder Immaterialität des Gebrauchswerts hat das nichts zu tun. Jede Art von konkreter Arbeit kann wert- und damit auch mehrwertbildend sein, weil sie dazu nur in ihrer abstrakten Allgemeinheit zählt, die aller menschlichen Arbeit gleich ist. Marx hielt aus stofflichen Gründen (weil z.B. Bücher kaum im Lohnarbeitsverhältnis geschrieben werden können und es hier meist bei Übergangsformen zur kapitalistischen Produktion wie Werkverträgen usw. bleibt) die Anwendbarkeit kapitalistischer Produktion auf die Produktion immaterieller Gebrauchswerte für "so unbedeutend, verglichen mit dem Ganzen der Produktion, daß sie gänzlich unberücksichtigt bleiben" kann (MEW 26.1, S. 386). Das hat sich durch die Entwicklung der Technik geändert, die es ermöglicht hat, auch den Produktionsakt der "exekutiven Künstler" in einer materiell selbständigen Form festzuhalten (Schallplatte bzw. CD bei Musikern, Film bei Schauspielern usw.), womit von der technischen Seite die Grundlage der modernen Massenkultur gelegt wurde. Zwar sind die eigentlichen Künstler meist immer noch keine Lohnarbeiter, sondern in Vertragsformen als "Freie" o.a. gebunden, aber die bei der Musik und beim Film (beim Fernsehen sowieso), wenn auch seltener beim Schreiben, hinter ihnen stehenden Produktions- und nicht nur Distributionsapparate arbeiten mit Leuten, die in Lohnverhältnissen stehen. Konnte Marx also auch noch nicht absehen, was die technische Entwicklung dem Kapitalismus möglich machen wird, hat er doch genau erkannt, daß solche Tätigkeiten unter der Regie eines Kapitals betrieben auch produktiv sind. Dienstleistungskapital ist - zu Einschränkungen komme ich gleich noch - produktives Kapital.

Dienste, außer wieder für Produktionszwecke genutzte, tauschen sich gegen Revenue und manche argumentieren, sie seien deshalb unproduktiv. "Aber es ist nicht minder wahr, daß dies (Austausch der Arbeit gegen Revenue - kb) von allen Produkten gilt, soweit sie in die individuelle Konsumtion eingehen" (Marx, MEW 26.1, S. 136), also müßte, wer das behauptet, das von allen für den Privatkonsum bestimmten Produkten sagen, was aber niemand tut, weil es offenkundiger Unsinn wäre. Marx bezeichnet sich gegen Revenue tauschende Arbeit als unproduktiv da, wo nur ein Austausch von (egal ob in Form von dinglichem Produkt; von Dienst, der auch in dinglichem Produkt resultiert, wie beim Schneider z.B., oder von Dienst, der Immaterielles produziert, vorliegender) Ware gegen Revenue stattfindet. Das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß es sich um einfache Warenproduktion handelt und der einzige Austauschakt, der hier überhaupt hereinkommt, eben der Verkauf des Produkts oder m.a.W. der Tausch von Arbeit gegen Revenue ist. Weder auf Verkäufer-, noch auf Käuferseite taucht hier Kapital auf, das Ganze ist ein in die einfache Zirkulation fallender Akt. Anders, wenn der, der einen Dienst erbringt (oder, aber da versteht es sich von selbst, ein Produkt herstellt), das als Lohnarbeiter eines Kapitalisten tut; jetzt findet eben ein Austauch von Arbeitskraft gegen Kapital (und nicht bloß von Arbeit gegen Geld bzw. Revenue) statt, ein Akt nicht der einfachen, sondern der Zirkulation das Kapitals, und dieser bestimmt jetzt die Natur des ganzen ökonomischen Prozesses. Der Verkauf des Dienstes oder Produkts an einen Käufer ist natürlich nach wie vor nötig und das ist ein Verkaufs- bzw. Kaufakt wie jeder andere, also ein Tausch von Arbeit gegen Geld (wobei das Geld auch die Formbestimmung der Revenue hat, wenn zur persönlichen Komsumtion vorgesehen), aber dieser nun erst zweite Austauschakt im ganzen Prozeß realisiert jetzt den Wert des kapitalistisch produzierten Dienstes bzw. der Ware, also nicht bloß Wert, sondern Wert, der einen Mehrwert enthält. Die gleiche Form aller Zirkulationsakte verdeckt die Verschiedenheit der ökonomischen Prozesse, die sich durch sie hindurch vollziehen.

Was im Falle mancher Dienste auf den ersten Blick irritieren kann, ist die, wiederum nur stofflich bedingte, Besonderheit, daß der Dienstleistungsarbeiter sein Produkt eben nicht schon vor dem Verkauf durch den Kapitalisten fertig produzieren kann, sondern die Produktion des Dienstes als Ware für den Kapitalisten zusammenfällt mit der Konsumtion des Dienstes durch den Käufer. Der angestellte Friseur etwa kann halt die Haare nicht schon schneiden, bevor der Kunde mit seinem zu scherenden Kopf überhaupt im Sessel sitzt und der Kunde kann eben nicht die schon fertige Frisur an der Ladentheke kaufen. Man kann daher dem Mißverständis aufsitzen, der Käufer und Kunde kaufe die Arbeit des haareschneidenden Friseurs, während er tatsächlich beim Diensleitungskapitalisten, dem Besitzer des Friseurgeschäfts, kauft, daß dieser seinen angestellten Friseur den Kunden scheren läßt.

Der angestellte Friseur produziert mit seinem Haarschnitt, dem Dienst, zugleich Wert und Mehrwert, die Bezahlung durch den Käufer/Kunden realisiert den und der angestellte Friseur bekommt von seinem Kapitalisten seinen Lohn und nicht das, was der Kunde für die Frisur bezahlt hat. Wert- und Mehrwertproduktion und -aneignung verlaufen wie bei jedem anderen Lohnverhältnis auch. Daß Produktions- und Konsumtionsakt bei manchen Diensten nicht zu trennen sind, während bei einem dinglichen Produkt die Produktion für den Kapitalisten und dessen Konsumtion durch den Käufer auseinanderfallen, bringt dann weiter mit sich, daß sein Resultat nicht immer garantiert werden kann. Der Arzt ist auch dann zu bezahlen, wenn der Patient nicht gesund wird oder der Lehrer, wenn das Kind unwissend bleibt. Aber das fällt in die stoffliche Besonderheit der konkreten Arbeit und hat damit, ob diese wert- resp. kapitalproduktiv ist, nichts zu tun (Arzt oder Lehrer wären dann produktiv, wenn sie für eine kommerziell betriebene Privatklinik bzw. -schule arbeiteten). Beim fertigen Produkt taucht dieses Risiko nicht auf, nicht weil bei dessen Produktion nichts schiefgehen kann, sondern weil der Käufer es vor dem Kauf prüfen (bzw. nach ihm den Mangel geltend machen) kann, d.h. hier trägt dieses Risiko der Kapitalist.

Jetzt ist noch die Unterscheidung von produktiver Arbeit vom Standpunkt des Einzel- und von dem des gesellschaftlichen Gesamtkapitals aus in die Betrachtung mit hineinzunehmen. Während für jedes einzelne Kapital die Arbeit produktiv ist, deren Verausgabung ihm Mehrwert schafft, kommt vom Standpunkt des Gesamtkapitals aus noch hinzu, daß auch die Konsumtion der Waren, in denen diese Arbeit resultiert, wieder der Bildung von Kapital dienen muß. Das ist so bei Produktionsmitteln, die ja gerade gekauft werden, um mit ihnen kapitalistisch zu produzieren. Aber es ist auch so bei den Konsumtionsmitteln der Lohnarbeiter, deren Verzehr die Arbeitskraft reproduziert, also das variable Kapital (bzw. die Bedingung für ihr Fungieren als solches) erneuert. Die Sortierung von Diensten nach diesem Kriterium bereitet keine Schwierigkeit. Dienste, die industriell konsumiert werden, sind auch gesamtkapitalistisch produktiv und ebenso Dienste, die zur Reproduktion der Lohnarbeiter in Anspruch genommen werden, das ist immer analog zu den dinglichen Waren. Gesamtkapitalistisch unproduktiv ist dagegen der (Luxus-)Konsum von Kapitalisten, egal ob Ware oder Dienst, weil der Kapitalist eben kein produktiver Arbeiter ist, sein Verzehr also nicht in restauriertem variablen Kapital resultiert (ebenso ist es mit dem Konsum der Klassen, die aus abgeleitetem Einkommen, Steuern z.B., und nicht aus variablem Kapital bezahlt werden; der Kapitalist dagegen wird zwar aus Kapital bezahlt, dem Teil des Profits der nicht wieder kapitalisiert, sondern in Revenue verwandelt wird, aber er verzehrt eben nur Kapital, produziert es aber nicht).

Der gelegentlich zu hörende Einwand, Dienste könnten nicht als produktiv gelten, weil keine Gesellschaft nur von der Produktion und vom Verkauf von bsplsw. Software leben könnte, verkennt, daß dies für jede Art von Einzelprodukt gilt. Auch eine nur Werkzeugmaschinen produzierende Ökonomie könnte nicht existieren (außer sie exportierte sie und importierte mit den Exporterlösen, was sie braucht, aber das läßt sich mit Software theoretisch genauso konstruieren und ist im übrigen die ökonomische Situation monokultureller Rohstoffproduzenten, bloß daß deren Exporterlöse, außer beim Erdöl, nicht reichen, um alles übrige zu importieren). Die Vielfalt der menschlichen Bedürfnisse erfordert vielfältige Verausgabung von konkreter Arbeit und auch noch in bestimmten Proportionen, das verschlägt aber für die Wert- und Kapitalproduktivität der jeweiligen besonderen Arbeit nichts.

Gleichgesetzt wird das Problem der Produktivität von Dienstleistungen oft mit dem des kommerziellen Kapitals. Für kommerzielles Kapital verausgabte Arbeit ist aber nicht unproduktiv, weil sie kein materielles, sondern weil sie gar kein Produkt herstellt, vielmehr schon produzierte Ware mitsamt ihrem schon produzierten Wert und Mehrwert verteilt und verkauft. Das Handelskapital nimmt dem industriellen bloß den letzten Akt im Umschlag dessen Kapitals ab, indem es die Distribution der fertigen Ware an die Käufer und Konsumenten übernimmt. Führte das industrielle Kapital diesen Akt selbst aus, setzte auch es mit der dafür aufgewandten Arbeit dem fertigen Produkt keinen Wert mehr zu. Dafür, daß das Handelskapital dem industriellen diesen letzten Zirkulationsakt abnimmt, erhält es von dem die Ware unter ihrem Wert, das heißt das industrielle Kapital überläßt dem kommerziellen einen Teil seines Mehrwerts. Das zinstragende Kapital, um auch das der Vollständigkeit halber noch anzuführen, vermittelt Finanzoperationen, die Wert abschöpfen, der woanders produziert wird. Das Dienstleistungskapital aber produziert originär, seinen angebotenen Dienst nämlich, der kommt nicht von einem anderen Kapital, und es akkumuliert, wie anderes Kapital auch, aus dem Verkauf seiner Dienste realisiertesGeld (Akkumulation ist immer die von Geld, nicht von Ware, das in Kapital rückverwandelt wird), das wieder rekapitalisiert werden kann. Es ist produktiv, ist produktives Kapital.

Produktive Arbeit ist Arbeit, deren Verausgabung Kapital produziert und deren Resultat wenn konsumiert, wiederum Kapital ergibt. Auch in einer solchen vergleichsweise konkreten Kategorie wie der der produktiven Arbeit reflektiert sich die abstraktere Bestimmung, daß das Kapital von sich ausgeht und in sich zurückkehrt, daß es ihm nur um sich und nicht um die Reproduktion der Gesellschaft zu tun ist (die ist nur Mittel zum Zweck und Zweck ist das Kapital sich selbst). Und ebenso reflektiert sich darin, daß die wert- und mehrwertsetzende Arbeit solche von spezifischer Gesellschaftlichkeit ist, eine, die ein bestimmtes gesellschaftliches Verhältnis, eben das Kapital, produziert; Arbeit, deren Qualität über die Warendinge nur vermittelt, aber nicht von diesen her bestimmt wird. Alle Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie sind so miteinander verknüpft, daß zwischen ihren jeweiligen Abstraktionsebenen widerspruchsfrei auf- und abgestiegen werden kann.

Jetzt ist mir das viel länger geraten als beabsichtigt, und anstatt gezielt auf das einzugehen, was Du in Deinem Brief angesprochen hast, habe ich meine Gedanken über das, was ich bei Marx über produktive und unproduktive Arbeit überhaupt glaube gefunden zu haben, geordnet und Dir dabei Ausführungen zugemutet, die Dir größtenteils gewiß nichts Neues sagen und mehr implizit Deine Überlegungen behandeln. Ich hoffe, Du siehst mir das nach.

Daß ich mich in der Frage eher an der Seite von Michael Heinrich als an der von Robert Kurz befinde, stört mich nicht. So sehr ich die allgemeine Kurzsche Intention - Zuspitzung der Wert- und Kapitalkategorien zur Fundamentalkritik der kapitalistischen Gesellschaft, wie er sich einmal ausgedrückt hat - teile, so wenig kann ich ihm in dem fehlerhaften Gebrauch, den er von diesen Kategorien macht (von der Arbeit allgemein und produktiver und unproduktiver im besonderen, über den Wert, die Wertform, den Mehrwert, den Profit, den Zins und das Kapital, das abstrakte Individuum, die Klasse, die Konkurrenz, den Kredit, die Krise und den Staat, um mal nur die aufzuzählen, die mir auf Anhieb einfallen) folgen und finde daher oft, daß seine Kritiker, auch dann, wenn sie einen mir weniger sympathischen Ausgangspunkt haben wie im Falle des Michael Heinrich, Recht haben, wo es um die präzise Auffassung eines bestimmten politökonomischen Sachverhalts geht.

...

Ich wünsche Dir und Deiner Frau ein gutes und erfreuliches neues Jahr und uns eines intensiver und produktiver Diskussion. Ich hoffe sehr, Dich im Februar, vielleicht wird es auch März werden, wiederzusehen.

Herzliche Grüße

es folgt: V. Brief von Klaus Herrmann vom 07.03.01


 

nach oben