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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 7 - 20.07.2001 - Onlineversion Klaus Braunwarth Ablehnung der Neuorientierung der übergänge auf eine Debatte um den Übergang zum Kommunismus und sein revolutionäres Programm |
Hans-Jürgen Ohr hat in seinen "Anmerkungen zur Plattform der 'Übergänge zum Kommunismus" in der Nr.6 der "Kommunistischen Streitpunkte", auf den Seiten 88-93 etwas andere Fragen thematisiert, als in den bisherigen Beiträgen dazu verhandelt wurden. Nicht dieselben, aber ähnlich motivierte Einwände hatte ich seinerzeit gegen das Vorhaben einer 'Programmdebatte' überhaupt geäußert. Sie wurden bisher weder in den "Übergängen" noch in den "Streitpunkten" veröffentlicht. Ich hatte sie nicht ausdrücklich dafür eingereicht. Der Beitrag von Hans-Jürgen Ohr hat sie mir in Erinnerung gerufen und veranlaßt mich zu ihrer nachträglichen Veröffentlichung. (kb) 1. Der Vorschlag, die "Übergänge" neu auf eine "Debatte um den Übergang zum Kommunismus und sein revolutionäres Programm" zu orientieren und dieser die Form einer organisierten "gemeinsamen theoretischen Praxis" zu verleihen ist nicht schlüssig aus bisher erarbeiteten theoretischen Ansätzen hergeleitet. Die Argumente, die das Gegenteil vorgeben, sind bloße Hilfskonstruktionen. 2. Aus der vor allem von Daniel Dockerill entwickelten richtigen Kritik der Identifikation von Arbeit und Wert durch Robert Kurz und den ersten Ansätzen zur Kritik der wertreduktionistischen Verflachung der Kapitalkategorien überhaupt läßt sich keineswegs folgern, daß nunmehr die Fragen des revolutionären Übergangs zum Sozialismus, des Zusammenhangs dieses Übergangs mit der Bestimmung des Sozialismus als erster Phase des Kommunismus und die Lösung theoretischer Probleme einer kommunistischen Ökonomie der Zeit diejenigen wären, mit deren Beantwortung es gelänge, zu einer revolutionären kommunistischen Theorie auf der Höhe der Zeit durchzustoßen. 3. Das Kapital ist ein totalitäres Produktionsverhältnis, das sich die gesamte Gesellschaft, und nicht nur die Arbeit, zunächst formell, dann reell subsumiert hat und vielleicht gerade dabei ist, zu deren absoluter Subsumtion überzugehen. Es läßt keine Elemente stofflicher Gesellschaftlichkeit oder emanzipatorischer Potenz im Stande unberührter Latenz, deren eigentlicher Qualität man nur habhaft und gesellschaftliche Geltung verschaffen müsse, um es progressiv aufzuheben: nicht die Arbeit, nicht die Produktivkräfte, nicht die Wissenschaft und auch nicht die Kunst, nicht den Menschen und sein materialistisch-sinnliches oder idealistisch-sittliches Humanum, nicht das Individuum und seine Geheimprovinzen der Innerlichkeit. 4. Dem entspricht die Nichtexistenz eines an sich seienden revolutionären Subjekts, auch des proletarischen. Das revolutionäre Subjekt wird sich im Akt der Revolution erst konstituieren und sich als solches ausweisen, indem es die Revolution macht. 5. Ein revolutionäres Subjekt kann sich konstituieren, weil die Arbeit, die Produktivkräfte, die Wissenschaft und auch die Kunst, der Mensch mit seinem materialistisch-sinnlichen und idealistisch-sittlichen Humanum, das Individuum und seine Geheimprovinzen der Innerlichkeit eine Seite, Momente, Potenzen haben, die nicht in ihrer kapitalistischen Formbestimmtheit und Durchdringung aufgehen und etwas an ihnen ihrer kapitalistischen Korruption und Destruktion widerstehen kann. Auch deshalb ist die kapitalistische Reproduktion der Gesellschaft ein gewaltsamer Prozeß, der massenhaft Leiden und Friktionen produziert. Der Subsumtionsdespotismus des Kapitals hinterläßt die Spuren seiner Gewalt an den Menschen, ihren Lebensäußerungen und an den Dingen, weil sie nicht einfach das sind, zu dem sie gemacht werden. Ob sich ein Subjekt, das Revolution macht und das Subjekt überhaupt nur wäre, weil es sie macht, konstituiert, ist durch keinerlei historische Gesetzmäßigkeit garantiert. 6. Daraus folgt weder, die Existenz von Klassen zu bestreiten, noch die Irrelevanz der gesellschaftlichen Klassenspaltung für eine Strategie der Revolution zu behaupten. Der Kapitalismus ist die erste und letzte Gesellschaft zugleich, die Klassen im strikten Sinne des Begriffs hervorbringt. Die Klassen sind durch ihre Stellung innerhalb des Systems der Arbeitsteilung und ihre Beziehung zur Produktion und Distribution des Mehrwerts bestimmt. Im Unterschied zu der des Standes ist die Existenz der Klassen zugleich an die Herausbildung der Figur des persönlichen Individuums gebunden. Die Zugehörigkeit zu verschiedenen Klassen bedeutet für die Individuen keinen direkt qualitativ verschiedenen - bloß quantitativ verschieden, sagt Marx - Zugriff auf den Konsumtionsfonds des gesellschaftlichen Reichtums, bedeutet nicht ihre Fixierung auf die Kultur und Lebensformen eines besonderen Sozialmilieus und begründet keine hierarchische Stufung ihrer politischen Rechte. Es kommt ein Unterschied zwischen dem Klassen- und dem persönlichen Individuum heraus und der Zusammenhang beider ist ein sehr vermittelter. Zugleich verallgemeinert sich die Lohnform zur ausschließlichen Reproduktionsform für den ganz überwiegenden Teil der Mitglieder der Gesellschaft und mit dem Fortschritt der Kapitalisierung der Gesellschaft bleiben auch die mit der reellen Subsumtion der Arbeit unter Kapital einhergehenden Degradationen kein "Privileg" des Proletariats mehr. Was die proletarische von anderen Formen lohnabhängiger Existenz noch unterscheidet, mehrwehrtproduktiv zu sein, ist keine spezifische soziale Erfahrung konstituierende Tatsache mehr. Die gesamte Gesellschaft wird tendenziell proletarisiert und in dieser "Proletarität" findet die kapitalistische Inferiorität der Subjekte ihren konzentriertesten Ausdruck. Der unterschiedliche soziale Härtegrad, mit dem diese "Proletarität" auf das gesellschaftliche Dasein der Subjekte durchschlägt, begründet keinen distinkt proletarischen Klassendrang zu revolutionärem Handeln mehr. Die Klassenbestimmungen sind selbst in gewisser Weise abstrakt geworden und in ihnen finden die Subjekte keinen festen Halt gesellschaftlicher Objektivität mehr, aus dem ihr Handeln praktische Substanz beziehen könnte. 7. Der Rückbezug der einfachen Bestimmungen des Werts auf die entwickelteren des Kapitals rechtfertigt es also nicht, die politökonomischen Kategorien erneut klassenkämpferisch aufzuladen. Die Existenz von Klassen liegt dem Kapitalverhältnis nicht in dem Sinne zugrunde, daß das klassenbestimmte Handeln der Subjekte dieses Verhältnis hervorbringt. Es ist umgekehrt. Das Kapital umfaßt mehr als Klassenverhältnisse (Marx). 8. Zu sagen, die Ablehnung des Bezugs auf Klassen und Klassenkampf als movens der Revolution laufe auf eine rein "negatorische" Veranstaltung hinaus, heißt nichts sagen. Es gibt keine reine Negation. "Negatio est determinatio". Zu sagen, dies laufe auf die Theorie einer reinen "Kapitalimmanenz" hinaus, ist falsch, weil es auch eine reine Kapitalimmanenz nicht gibt (vgl. 5.). Das Kapital unterscheidet sich auch dadurch vom Hegelschen Weltgeist, daß das Kapital es nicht immer schon mit sich selbst und seinen Emanationen zu tun hat. Es hat nicht, wie der Hegelsche Geist die Welt geschaffen, sondern eine vorgefundene sich untergeordnet und die, die es schließlich aus sich heraus setzt, geht nicht ohne Rest in seinen Bestimmungen auf. Darum ist das letzte Wort des Kapitals nicht wie das des Geistes Versöhnung, sondern Destruktion. 9. Die sich nicht mehr klassenkämpferisch resümieren lassende Kapitalkritik bedingt kein bloß "negatorisches" Verhalten zur historischen Praxis der kommunistischen Bewegung. Nicht der Sozialismus, der Kommunismus ist die positive Negation der kapitalistischen Gesellschaft. Für die historischen, ihrem Selbstverständnis nach wirklichen kommunistischen Bewegungen waren alle mit der "Diktatur des Proletariats" verbundenen sozialistischen Übergangskonzeptionen nur Durchgangsstadien zur kommunistischen Emanzipation. Der Weg zu ihr sollte mit der Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse beginnen, Eroberung der Staatsmacht und Zerbrechen der bürgerlichen "Staatsmaschine" und Expropriation des Kapitals = Diktatur des Proletariats, um dann den Klassenkampf mit dem neuen Inhalt der Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse selbst - Aufhebung der Warenproduktion, der Arbeitsteilung, der Klassen und des Staates - fortzuführen. Diese Übergangskonzeption ist zusammen mit der im "Realsozialismus" auslaufenden Oktoberrevolution gescheitert. In den reflektierteren Vorstellungen von der "Diktatur des Proletariats" war von vornherein klar, daß diese auch ein "Kampf des Proletariats gegen sich selbst" (Lukács) sein wird und nicht bloß eine Diktatur über eine handvoll Ausbeuter und mehr oder weniger zahlreiche kleine Warenproduzenten. Die gegebenen Bedingungen der Revolution haben einen Widerspruch real herausgearbeitet, der in der Formel von der "Diktatur des Proletariats" selbst liegt: den Widerspruch zwischen der Fortexistenz der gesellschaftlichen Knechtung des Proletariats, d.h. der Fortexistenz der Arbeitsteilung und seinem durchgesetzten politischen Herrschaftsanspruch. Dieser Widerspruch hat sich in der Praxis des "sozialistischen Aufbaus" in eine im Namen des Proletariats und als seine "Avantgarde" auftretende, aber von ihm getrennte Herrschaft umgesetzt, deren wesentlicher Inhalt war, die ungebrochene Gewalt der Sachzwänge des industriellen Reiches der Notwendigkeit an eben diesem Proletariat zu vollstrecken. Herrschende und Beherrschte waren in dem Versuch der sozialistischen Revolution auf historisch bisher einzigartige Weise ineinander verstrickt und verkettet und einander entgegengesetzt zugleich. Die gängigen linken kritischen Theorien darüber sind allesamt der "Komplexität" dieser Verhältnisse nicht gerecht geworden. Geendet hat das in einer allgemeinen Demoralisation der Klassen im "Realsozialismus" und dessen schließlicher Selbstaufgabe. Wir Heutigen können daraus weder den Schluß ziehen, wieder an die Konzeption der "Diktatur des Proletariats" anzuknüpfen, die am Anfang dieser Entwicklung schon stand, bloß besser, noch den, irgendwie auf ein "easy going" der Revolution zu spekulieren. Versicherungen, zu letzterem verhülfe uns der heute entwickeltere Stand der Produktivkräfte, der Vergesellschaftung der Arbeit und des "generell intellect" sind ziemlich billig, ein wenig dumm und auch ein bißchen schäbig. Ohne Gewalt und ohne Leiden wird die kommunistische Emanzipation nicht zu haben sein. Aber es wird unser Kampf auch gegen uns selbst sein und noch im Bilde des keineswegs fehlen werdenden äußeren Feindes werden wir den Gegner an uns zu erkennen haben. Für die Lüge, das lasse sich sauber nach verschiedenen Klassen sortieren, wird da kein Platz mehr sein. 10. Natürlich kann man sich die Probleme der Ökonomie der Zeit und des Übergangs zum Kommunismus zum theoretischen Gegenstand machen. Aber in ihnen erschöpft sich weder der Inhalt einer progressiven Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse, noch sind sie der einzig wählbare Zugang zu ihm. Eine Illusion zu glauben, mit ihnen bekäme man das Glied in der Kette theoretischer Fragen in die Hand, mit denen sich die Theorie strategisch operationalisieren und organisierend praktisch eingreifend wenden ließe. Kein gutes Zeichen, daß die Hinwendung zu diesen Themen von einem Wiederaufleben von Versatzstücken der Rhetorik kommunistischer Altorthodoxie begleitet ist, das die theoretischen Lücken, die sich um dieses "Kettenglied" herum auftun, überblenden soll. Die Kritik dessen, was das Kapital angerichtet hat und noch anrichten kann ist nicht nur nicht abgeschlossen, sie entbehrt noch immer einer konsistenten Vereinheitlichung ihrer auseinanderliegenden Resultate. In die Anstrengung, dem abzuhelfen, fällt die positivere Bestimmung des Kommunismus und des möglichen Übergangs zu ihm hinein. Niemand kann sich dieser theoretischen Aufgabe alleine stellen oder muß sie ihrem ganzen Umfang nach als Pensum gegen sich geltend machen lassen, weil er sich nur einem ihrer Teile zuwenden will. Vieles, das von Vielen zu bewältigen wäre. Aber dann sparen wir uns die Konstruktion von Exklusivitäten, das Einnehmen habituell sich verfestigender Abgrenzungen, weil der Inhalt, aus dem sie natürlich kommen, sich noch gar nicht soweit geklärt hat, daß er sie erzwingt. Dann schenken wir uns die Aufgeregtheiten um strategisches und organisierendes Theoretisieren versus bloße "Diskussionserlebnisse". Als ob es irgendwelche Strategeme oder organisierende Gebilde gäbe, die der vom "Erlebnis" eines wirklichen Gedankens ausgehenden Gewalt standzuhalten vermöchten, es sei denn, sie gründeten selbst auf einer solchen. Ich weiß nicht, ob über solche Differenzen zwischen uns hinweg meine weitere Mitarbeit an dem Projekt "Übergänge" möglich ist, jedenfalls nicht an dem 'Übergang zum Programm'. Wir werden sehen. 14. - 16. Oktober '97 Klaus Braunwarth |
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