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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 1 - 16.09.1998 - Onlineversion

Daniel Dockerill

Im Westen nichts Neues?*

150 Jahre Kommunistische Partei –
Überlegungen zu einer Bilanz

Eine höchst zweifelhafte Verbeugung vor dem vor 150 Jahren von Marx und Engels verfaßten Manifest der Kommunistischen Partei stellt die von verschiedenen Seiten derzeit gerne abgegebene Versicherung dar, es sei (ganz oder teilweise) nach wie vor höchst aktuell. Läßt sich doch kaum ein boshafteres Kompliment ausdenken, als einer gewissermaßen in grauer Vorzeit verkündeten Prognose vom heraufziehenden Sturz des Kapitalismus durch das revolutionäre Proletariat eine Ewigkeit später ihre "ungebrochene Gültigkeit" zu bescheinigen. Wenn wir, wie die fragliche Prognose es bekanntlich auch tat, davon ausgehen, daß alle Wahrheit historischen Charakters ist, dann stellt sich heute an sich nur die Frage, wie nach 150 Jahren historischer Prüfung jene Ankündigung sich erledigt hat: inwiefern sie sich – ganz oder jedenfalls zu großen Teilen – erfüllt oder als Irrtum erwiesen hat.

I.
Den Kommunismus als Idee von einer besseren Gesellschaft, vom selbstbewußt freiwilligen Zusammenleben und -arbeiten aller Menschen, ohne Gewalt über- und ohne Klassenschranken untereinander, haben die Autoren des kommunistischen Manifests nicht erfunden. Ebenso wenig trägt die an ihrem Manifest so bewunderte, scharfsinnige Kritik aller Gebrechen der ihre eigenen Ideale ständig desavouierenden bürgerlichen Ordnung, die durch den Kommunismus überwunden werden sollen, ihr Copyright. Weder die Kritik des Kapitalismus noch daraus ableitbare Bestimmungen einer vernünftigeren Ordnung der Verhältnisse machen das Besondere und seinerzeit wesentlich Neue des im kommunistischen Manifest formulierten Gedankens aus. Große Kritiker des Kapitalismus hat es lange vor Marx und Engels gegeben. Die utopischen Sozialisten z.B. Und selbst unter den klassischen bürgerlichen Ökonomen (etwa Sismondi) war z.T. sehr treffende Kapitalismuskritik keine Seltenheit. Im Gefolge des Vollenders dieser Disziplin, David Ricardo, hat sich eine ganze Schule (die sog. Linksricardianer) gebildet, die aus ihren Einblicken in das innere Getriebe der herrschenden Ordnung höchst umstürzlerische, dem bürgerlichen Eigentum feindliche Schlüsse zu ziehen geneigt waren. Zwar hat seither die offizielle Wissenschaft in Gesellschaftsdingen jeden wissenschaftlichen Anspruch so gründlich preisgegeben, daß selbst diese theoretische Kritik der herrschenden Zustände zur Aufgabe vorwiegend derjenigen geworden ist, die an deren Umwälzung arbeiten. Aber diese praktische Umwälzung – das ist nämlich der Kerngedanke des kommunistischen Manifests – ist doch noch eine ganz andere Sache.

Nicht gerade mit Kritik beginnt denn auch der Text des Manifests, sondern eher mit einem Lobgesang auf die revolutionäre Rolle der Bourgeoisie – und zwar durchaus nicht nur im historischen Rückblick:

"Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus." 1

Das revolutionärste Produkt der Bourgeoisie in der Perspektive des Manifests war aber deren eigener gesellschaftlicher Widerpart, das Proletariat:

"Die wesentlichste Bedingung für die Existenz und für die Herrschaft der Bourgeoisklasse ist die Anhäufung des Reichtums in den Händen von Privaten, die Bildung und Vermehrung des Kapitals; die Bedingung des Kapitals ist die Lohnarbeit. Die Lohnarbeit beruht ausschließlich auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich. Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet."

(Vorsichtshalber sei in Parenthese hier angemerkt, daß die "Vereinigung" der Arbeiter "durch die Assoziation", von der da die Rede ist, auf einen dem ökonomischen Grundgesetz des Kapitals, der Produktion des Mehrwerts, selbst innewohnenden, rein ökonomisch nicht auflösbaren Widerspruch zurückgeht, wie Marx knapp zwanzig Jahre später, im ersten Band des "Kapital", nachgewiesen hat. Die Bedingungen, zu denen die Arbeiter ihre Ware, nämlich ihr Arbeitsvermögen, an die Kapitalisten verkaufen, d.h. die Bedingungen, unter denen sie überhaupt nur Lohnarbeiter sind, enthalten einen höchst wesentlichen Aspekt – die Länge des Arbeitstages –, der nur im Kampf Klasse gegen Klasse definiert werden kann, daher seinerseits jene Vereinigung der Arbeiter zur Klasse voraussetzt.2 Es zeigt sich hier der Irrtum diverser postmoderner und wertkritischer Entsorger des Klassenkampfs, die glauben, die Teilung der bürgerlichen Gesellschaft in bestimmte Klassen und deren Kampf miteinander aus einem ominösen Dasein des Kapitals, des sich selbst verwertenden Werts als eines bösen "automatischen Subjekts", einfach ableiten und so als dem Kapitalismus "bloß immanent" abtun zu können. Der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat erweist sich hier vielmehr als die durchaus unabhängige Variable, der die wirkliche Bewegung jenes "Subjekts" – allerdings nicht durch irgendeine ihm willkürlich angetane, äußere Gewalt, sondern auf Grund eines ihm eigenen, inneren Zwangs – unterworfen ist.) <Zurück von Fn 12>
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Der erste Anschein der politischen Lage 150 Jahre später – und zwar im globalen Maßstab – spricht nun freilich dafür, daß die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus gerade in diesem essentiellsten Punkt ihrer revolutionären Theorie gründlich daneben gelegen haben. Die riesige Mehrheit der Menschen in den Metropolen des Weltkapitalismus lebt vom Verkauf ihrer Arbeitskraft, gehört also der nach Marx und Engels als einzige zur Revolution noch berufenen Klasse an und zeigt doch nicht die geringste Neigung, auch nur zu nennenswerten Teilen ihrer Berufung nachzukommen. Im Gegenteil. In einer Zeit, da alle häßlichen Seiten des Kapitalismus in dessen Zentren zurückkehren; da wieder massenhaft Gelegenheit ist, persönlich zu erfahren, was es bedeutet, vom kapitalistischen Lohn abhängig zu sein; da die großen Bürger und ihre Politiker mit Nachdruck auf der schnörkellosen Einhaltung dessen bestehen, was im kommunistischen Manifest steht: daß nämlich "die ... modernen Arbeiter, ... nur so lange leben, als sie Arbeit finden, und ... nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt" – in einer solchen Zeit eröffnet sich in Deutschland eine Partei, die immer noch in dem Ruf steht, Arbeiterinteressen zu vertreten, gerade dadurch die Chance auf einen Wahlsieg, daß sie einen Spitzenkandidaten aufstellt, der sich selbst damit lobt, für das marktwirtschaftlichste Programm einzustehen, auf das sich seine Partei jemals festgelegt habe. Kein Zweifel: Auch die Proleten von heute können sich eine bessere Welt als die des Kapitals schlicht nicht vorstellen.

Es wäre sicher ein, zumal unter Sozialisten, etwas seltsamer Leichtsinn, darauf zu setzen, daß dies das letzte Wort unserer Geschichte sein werde. Noch weniger aber können Sozialisten, die sich in die Tradition des kommunistischen Manifests stellen, über diesen Umstand einfach zur Tagesordnung übergehen, so als ob es das Natürlichste der Welt wäre, daß der Kommunismus 150 Jahre nach seiner wissenschaftlichen Begründung als revolutionäres Projekt noch einmal bei Null anfange, also weit selbst hinter das zurückgefallen sei, wovon sein berühmtes erstes Manifest einst ausgehen konnte.

Denn auch das revolutionäre Proletariat war nicht dessen Erfindung, noch auch nur Entdeckung. Vielmehr brachten Marx und Engels, wie sie dortselbst schreiben, bloß eine "unter unsern Augen vor sich gehende geschichtliche Bewegung" auf den Begriff, die ihrerzeit in reichlicher sozialistischer und kommunistischer Literatur sowie ausgiebigen Debatten zahlreicher kommunistischer Arbeiterzirkel längst auch anderweitig ihren intellektuellen wie organisatorisch-praktischen Niederschlag gefunden hatte. Bekanntlich war das Manifest eine aus solcher Debatte hervorgegangene Auftragsarbeit. Kein halbes Jahr nach seiner Veröffentlichung hat dann die Junischlacht des Revolutionsjahres 1848 in Paris den wirklichen Kriegszustand zwischen den beiden Hauptklassen der bürgerlichen Gesellschaft restlos offenbart. Wenigsten die französische Bourgeoisie hatte da augenscheinlich längst verstanden, was das kommunistische Manifest nur besonders klar aussprach: daß "Das Proletariat, die unterste Schicht der jetzigen Gesellschaft, ... sich nicht erheben, nicht aufrichten [kann], ohne daß der ganze Überbau der Schichten, die die offizielle Gesellschaft bilden, in die Luft gesprengt wird."

Wohl noch nicht so recht verstanden hatten damals die besitzenden Bürger, daß diese als ihr Feind bereits deutlich ausgemachte Klasse der besitzlosen Arbeiter für sie außerdem, wie Marx gelegentlich jenes brutal niedergeschlagenen Aufstands der Pariser Arbeiter anmerkt, "unbesiegbar" ist, weil deren "Existenz die Bedingung ihres eigenen Lebens ist"3.

Sie ist seither gewaltig gewachsen, diese Arbeiterklasse, hat sich in mächtigen Verbänden und Parteien organisiert und mit einigen größeren sowie zahlreichen kleineren Versuchen, sich aufzurichten, den weiteren Gang der Weltgeschichte ganz entscheidend geprägt; zumindest die ersten zwei Drittel der mittlerweile verstrichenen anderthalb Jahrhunderte. Mehr noch allerdings darin, daß diese Versuche namentlich dort, wo es schließlich darauf angekommen wäre, an Umsicht und Entschlossenheit weder mit dem rasanten Wachstum des eigenen gesellschaftlichen Gewichts, noch gar mit der schlauen Berechnung des um sein Überleben kämpfenden Gegners Schritt gehalten haben. Das Jahr 1923 (das 75. nach Veröffentlichung des Manifests) mit seinem kläglich-grotesken Ausklang der ersten Arbeiterrevolution in Deutschland hat auch das Ende dieser vom kommunistischen Manifest ausgerufenen ersten und bislang einzigen revolutionären Arbeiterbewegung in Europa eingeläutet. Die 1933 im Zuge des Machtantritts der Nazis ohne nennenswerte Gegenwehr erfolgte Liquidierung der deutschen Sektion der Kommunistischen Internationale (ihrer größten und wichtigsten außerhalb der Sowjetunion) hat dann dieses Ende besiegelt. Bis heute hat der revolutionäre Kommunismus von diesem Vernichtungsschlag weder sich praktisch erholt, noch ihn auch nur theoretisch wenigstens begriffen.

II.
Ihre Lektion gelernt hatte indes damals längst die Bourgeoisie. Sie hatte eingesehen, daß das Proletariat an sich für sie unbesiegbar ist und daß in einer Konstellation, die Kapitalisten und Lohnarbeiter unmittelbar gegeneinander stellte, sie den Kampf verloren hätte, noch ehe er begänne. Ihre Herrschaft und mit ihr die Aufrechterhaltung der ganzen bürgerlichen Ordnung hängt schon lange vollkommen ab von der Existenz eines funktionierenden sozialen Puffers, der den Gegensatz der beiden Hauptklassen der kapitalistischen Gesellschaft auffängt. Der klassische Aspirant auf diese Rolle ist das sogenannte Kleinbürgertum, das im Typus des auf eigene Rechnung wirtschaftenden kleinen Krauters verkörpert ist; also gerade jene soziale Schicht, deren soziale Charaktere der gesetzmäßige Gang der kapitalistischen Akkumulation zwar immer von neuem erzeugt, aber nur, um sie massenhaft zu vernichten und die, die übrigbleiben, in immer höheren Graden vom großen Kapital in seinen verschiedenen Formen auf Gedeih und Verderb abhängig zu machen; eine soziale Kategorie also, die beständig dahin tendiert, aus einer materiellen Tatsache sich in eine optische Täuschung zu verwandeln.
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Die gesellschaftliche Sphäre, in der dieser Typus des Kleinbürgers zu Hause ist, d.h. sein mehr oder weniger illusorisches Dasein feiern und genießen kann, bezeichnet Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie als die Sphäre der einfachen, für sich seienden Zirkulation der Waren. Es ist gerade diejenige äußerste, oberflächlichste Sphäre des kapitalistischen Globus’, mit der dieser sich als ein Ganzes dem ersten Blick aller ihn bevölkernden Individuen darbietet, in der also auch Kapitalisten und Lohnarbeiter sich als bloße Waren- bzw. Geldbesitzer begegnen und auszutauschen scheinen. Deren wirklicher Austausch, die Produktion des Mehrwerts aus unbezahlter Arbeit, die das kapitalistische Universum im Innern antreibt, erscheint in dieser luftigen Höhe das eine Mal als von Maschinen ausgeschwitzter bzw. aus dem Boden wachsender Profit oder gar von "arbeitendem" Geld ausgebrüteter Zins, das andere Mal als eine aus ungenannter Quelle stammende Vergütung des sogenannten "Unternehmerrisikos" oder auch schlicht als gemeiner Betrug; kurz: als einerseits reichlich widersprüchliche andererseits ziemlich mystische Angelegenheit, die sich jeder schlüssigen Erklärung entzieht. Und nicht nur das. Es erscheint überhaupt unergründlich, was jenes Ganze des gesellschaftlichen Verkehrs in sich zusammenhält. Es funktioniert irgendwie, manchmal besser, manchmal schlechter, aber niemand kann sagen, wie es denn funktioniert. Zwar gibt es eine universelle Kategorie, in die jeder einzelne Vorgang übersetzbar ist, nämlich das Geld, aber eine schlüssige Definition, was denn dieses Geld ist, welcher ansonsten anscheinend unaussprechliche gemeinsame Aspekt aller dieser Vorgänge darin einen Namen erhält, gibt es nicht. Wer nach ihr fragt, gilt in den offiziellen Wirtschaftswissenschaften schon lange als hoffnungsloser und vielleicht auch gefährlicher Spielverderber.

In allen früheren, vorkapitalistischen Formen gesellschaftlichen Lebens hatten die sie durchziehenden Klassengegensätze mehr oder weniger offen zutage gelegen und gerade dadurch ihren sachlichen Grund verborgen: daß die Arbeit für das alltäglich Notwendige wegen ihrer unzulänglichen Produktivität die allermeiste der den Gemeinwesen überhaupt zur Verfügung stehenden Zeit absorbierte und daher nicht erlaubte, mehr als nur einen bestimmten Teil der Mitglieder zur Ausübung übergreifender, den gesellschaftlichen Organismus im ganzen zusammenhaltender Funktionen von ihr freizustellen. Bestimmte Menschen schienen ihrer persönlichen, durch Abstammung und göttliche Vorsehung festgelegten Natur nach prädestiniert, die Interessen des großen Ganzen wahrzunehmen und zu verkörpern, und ebenso die meisten anderen zum Einerlei alltäglicher Plackerei und subalterner Dienste. Der Kapitalismus zeichnet sich vor solchen alten Gemeinwesen dadurch aus, daß in ihm gerade umgekehrt bloße Sachzwänge die Gesellschaft zusammenzuhalten scheinen und unter diesem rein sachlichen Anschein des gesellschaftlichen Zusammenhangs dessen höchst unsachlicher Grund sich vor allen darin agierenden Personen verbirgt.

Der zweite, nähere Blick zeigt bekanntlich, daß nach wie vor die Mehrarbeit des einen Teils der Individuen dazu dient, einen anderen Teil von solcher Arbeit freizustellen. Aber diese Freistellung bindet ihre Nutznießer nicht mehr an einen bestimmten besonderen Zweck. Sie sind nicht länger Krieger, Priester, Könige etc., in denen die allgemeinen Kompetenzen, die den Bestand des Gemeinwesens in seiner bestimmten Form sichern, sich verkörpern und von Generation zu Generation tradieren. Die modernen Bürger eignen sich die Mehrarbeit der Arbeiter als Mehrwert an, also nicht als bestimmte Arbeit, die einen bestimmten Zweck realisiert, sondern als Arbeit überhaupt, "Arbeit sans phrase", wie Marx des öfteren sagt: Arbeit ohne nähere Bestimmung ihres Zwecks. Die Inkarnation solcher Arbeit ist eben das Geld, die allgemeine Ware, die sich gegen jede beliebige besondere Ware, in der eine bestimmte nützliche Arbeit verkörpert ist, austauschen läßt.

Herrschende und Beherrschte früherer Zeiten unterschieden sich vor allem durch die, jeweils weitgehend festgelegte, bestimmt verschiedene Art ihres Tätigseins für das Gemeinwesen: dem Bauern die Produktion der Lebensmittel, dem Ritter das Kriegshandwerk, dem Priester die Massage der Seelen. Worin aber unterscheidet sich der Kapitalist vom Lohnarbeiter, wenn doch die Arbeit des Lohnarbeiters in der Form, wie der Kapitalist sie sich aneignet, gerade alle Bestimmtheit des Zweckes und der Art der Tätigkeit eingebüßt hat? Wie kann er da noch etwas Anderes als die Lohnarbeit verkörpern? – Wenn die spezifische Bestimmung des kapitalistischen Lohnarbeiters die ist, für jede beliebige, statt für irgendeine bestimmte Arbeit zur Verfügung zu stehen, dann bleibt für den Kapitalisten als sein Pendant offenbar nur noch die eine Bestimmung übrig, daß er für keinerlei Arbeit, welcher besonderen Art auch immer sie sei, zur Verfügung steht. Hat der Arbeiter an sich selbst jeden bestimmten Zweck seiner Arbeit verloren, den er mit dieser zugleich verkörperte, ist er als Lohnarbeiter nicht mehr vor allem bestimmter Arbeiter: Schuster, Bäcker, Krankenschwester; ist seine Arbeit vielmehr restlos zum Mittel geworden, das einem ganz und gar fremden, sich zu seiner je bestimmten Arbeit ganz gleichgültig verhaltenden Zweck unterworfen ist, dann steht diesem Arbeiter offenbar der Kapitalist nur noch als selbst dieser reine, seinerseits von jeder Bestimmtheit emanzipierte Zweck gegenüber.4 Daß der Kapitalist nicht arbeiten muß, ist der einzige noch allgemein bestimmbare Zweck der Arbeit des kapitalistischen Lohnarbeiters.

Demnach repräsentiert der Kapitalist nicht mehr einen von sich selber, seinem persönlichen Dasein, verschiedenen, in den objektiven Bedingungen der Arbeit an sich liegenden, sachlichen Grund der Mehrarbeit des kapitalistischen Lohnarbeiters, die er sich aneignet, sondern ist selbst deren einziger Grund. Kapitalist sein bedeutet, Motiv und Zweck der Mehrarbeit des Lohnarbeiters zu sein. Damit hat aber diese Mehrarbeit keinen anderen Zweck als sich selbst: daß sie überhaupt ein Mehr an Arbeit ist über das hinaus, was für den Erhalt der Arbeitskraft selbst nötig ist, ist ihre einzige Bestimmung. In der Form des Mehrwerts wird die Mehrarbeit zum geheimen Selbstzweck der Produktion.

Einerseits ist also der Kapitalist als nichtarbeitender (von jeder Form zweckmäßiger Tätigkeit entbundener) Eigentümer der gegenständlichen Mächte der Arbeit der persönliche Grund dafür, daß diese sich als der Arbeit entgegengesetzte, ihr fremde, ja feindliche Mächte darstellen. Man kann daher auch sagen, daß sich im Kapitalisten die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen von jeder sachlichen Notwendigkeit emanzipiert hat, gerade dadurch aber erst als solche, als Ausbeutung überhaupt, zum Gegenstand ihrer Abschaffung wird. In diesem Sinne kann das Manifest zurecht behaupten:

" … das moderne bürgerliche Privateigentum ist der letzte und vollendetste Ausdruck der Erzeugung und Aneignung der Produkte, die auf Klassengegensätzen, auf der Ausbeutung der einen durch die andern beruht."

Die kapitalistische Ausbeutung kann nicht abgeschafft werden, ohne daß damit zugleich jede Art der Ausbeutung abgeschafft wird.

Indem aber die Figur des Kapitalisten dem Auspressen von Mehrarbeit ein rein persönliches, subjektives Dasein, nämlich Dasein um seiner selbst willen, verleiht, ist andererseits der Kapitalist strenggenommen auch nur Kapitalist, insofern er Mehrarbeit auspreßt, diese also sich aneignet nicht zu seinem persönlichen Genuß, sondern um ihrer selbst willen: um weitere Mehrarbeit auszupressen. Indem die Mehrarbeit keinen Grund außer ihm selbst besitzt, besitzt auch er als Kapitalist keine Daseinsberechtigung darüber hinaus, der Grund der Mehrarbeit zu sein. Anhäufung von Mehrarbeit, nicht um sie einem außer ihr liegenden Zweck zuzuführen, sondern als Mittel zur Anhäufung weiterer Mehrarbeit, d.h. ihre beständige Verwandlung in Kapital, ist der Beruf des Kapitalisten. Es ist also gewissermaßen die pure Selbstlosigkeit, die den Kapitalisten zum Ausbeuter macht, und die Ausbeutung, sofern sie denn einigermaßen reibungslos funktioniert, erscheint als eine rein demokratische Angelegenheit zum Wohle der Allgemeinheit; als geniale Methode im Dienste fortwährender Steigerung allgemeiner sportlicher Leistung, der Kapitalist, der "Fanatiker der Verwertung des Werts", wie Marx ihn einmal nennt 5, als das Trainergenie, das sie beherrscht. Und tatsächlich ist das die "große geschichtliche Seite das Kapital", die Marx nicht ansteht zu würdigen: "überflüssige Arbeit vom Standpunkt des bloßen Gebrauchswerts, der bloßen Subsistenz aus zu schaffen."6

Einerseits also, insofern die kapitalistische Ausbeutung vollständig zusammenfällt mit dem Dasein der sie vollziehenden Kapitalisten selbst, mit deren je privatem Kommando über die längst nicht mehr private Arbeit; insofern sie keinen darüber hinaus reichenden Grund mehr hat, folglich um ihrer selbst willen geschieht, ist sie – samt der ausbeutenden Klasse – auch um ihrer selbst willen, d.h. ohne weitere Vorbedingung, abschaffbar. Andererseits erscheint aber der Kapitalist, gerade weil er keinen außer seiner eigenen fortwährenden Plusmacherei noch existierenden Grund der Ausbeutung exekutiert, als nur mehr Funktionär einer an sich völlig anonymen Bereicherung. In den Formen des Kredits und insbesondere des Aktienkapitals wird schließlich das private Eigentum individueller Kapitalisten ganz offiziell das gesellschaftliche Eigentum der in Banken und Börse institutionalisierten Klasse und das eigentliche Geschäft der Ausbeutung im Produktionsprozeß des Kapitals zur Aufgabe hochbezahlter Lohnarbeit. Als Ausbeutung von Menschen durch andere Menschen wird die Abpressung von Mehrarbeit daher gründlich undurchschaubar im Kapitalismus, obwohl gerade unter seinem Regime in früher völlig ungeahnte Höhen geschraubt, die den Skandal des Gegensatzes von gleichzeitigem Reichtum und Armut, von menschlicher Macht und Ohnmacht über alle Grenzen dessen eskalieren lassen, was menschlicher Verstand mit Anstand noch fassen könnte. <Zurück zu "Fragen...">

Daß das kapitalistische Eigentum für das Inganghalten der unter seinem Kommando sich entwickelnden Produktion an sich überflüssig ist, haben bereits die gesellschaftlichen Großversuche des utopischen Sozialisten Robert Owen in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in England recht schlagend bewiesen;7 also lange bevor in der Erhebung von Aktienkapital und Börse zu seiner hauptsächlichen Daseinsweise das Kapital selbst diese seine Überflüssigkeit kapitalistisch konzessionierte. In ganz anderer Dimension wurde dasselbe in unserem nun zu Ende gehenden Jahrhundert bewiesen durch das – wie sehr auch in vieler Hinsicht fragwürdige – historische Großprojekt, das sich selbst zuletzt zum "real existierenden Sozialismus" ernannt hatte. Immerhin gut 60 Jahre hat es sich auf mehr als einem halben Kontinent behauptet. Das Privateigentum war darin zu einer solchen Marginalie herabgedrückt, daß das dort trotz allem mehr schlecht als recht zirkulierende "Geld" ungefähr dieselbe Rolle spielte, wie sie Marx im "Kapital" dem sogenannten "Arbeitsgeld" Robert Owens zumaß: die einer "Theatermarke"8 nämlich.9 Daß beide Experimente (und noch ein paar andere) schließlich Konkurs angemeldet haben und kassiert worden sind, beweist gegen die Möglichkeit der Abschaffung des Kapitalismus soviel oder so wenig, wie die gewöhnlichen Konkurse kapitalistischer Unternehmen für dergleichen beweisen.

Die Frage, wann diese prinzipielle Überflüssigkeit der Kapitalisten hinreichend massenhaft begriffen und folglich in ihre wirkliche Abschaffung als gesellschaftliche Klasse, die Abschaffung ihres Monopols an den gegenständlichen Bedingungen der Arbeit, d.h. in ihre Verwandlung in gewöhnliche Arbeiter, umgesetzt wird, ist demnach vor allem eine praktische Frage. Daß es sich beim Kapital um keine Sache handelt, keinen zeitlos den Dingen an sich selber innewohnenden Automatismus, sondern um ein ihnen angeheftetes, historisch bestimmtes Verhältnis der ihr Leben produzierenden Menschen zueinander, diese Einsicht kann nur wachsen, wo das Verhältnis in Bewegung und so zum Vorschein kommt. Allerdings wäre es kein historisch bestimmtes, wenn es eine solche bestimmte Bewegung in der einen oder anderen Weise nicht zu vollziehen gezwungen wäre, wenn nicht die Klassen, deren Beziehungen aufeinander dieses Verhältnis ausmachen, in der einen oder anderen Weise als Klassen notwendig in Aktion treten müßten.10

Die Frage, wann die Bourgeoisie reif für ihren Sturz, das Proletariat reif für seine Selbstbefreiung ist, löst sich also auf in die Geschichte ihres wirklichen Kampfes miteinander, dessen "Gang und … allgemeinen Resultate" das kommunistische Manifest nur erst ganz grob, in vieler Hinsicht unbestimmt bleibend und natürlich auch spekulativ, vorzeichnen konnte. Auf Seiten des Proletariats war sie zunächst die Frage nach dem gesellschaftlichen Gewicht, dann aber vor allem nach der Handlungsfähigkeit dieser von der Bourgeoisie erzeugten Negation ihrer selbst, die das Manifest als ihren "Totengräber" bezeichnet.

Was das Gewicht betrifft, die zahlenmäßige Stärke des Proletariats und seinen Organisationsgrad, hatte zweifellos spätestens mit dem Ende des ersten Weltkriegs der Bourgeoisie das letzte Stündlein geschlagen.

III.
"Dies war wohl doch ein ‚sozialdemokratisches Jahrhundert‘", hieß es kürzlich im Spiegel zum Jubiläum.11 Man kann auch sagen, denn Demokratie – was bekanntlich "Volksherrschaft" heißt – und Nation gehören zusammen wie eineiige Zwillinge: ein nationalsozialistisches Jahrhundert. Jedenfalls hat sich wirklich alles um den Arbeiter gedreht, mit dem die Bourgeoisie in der Konfrontation Klasse gegen Klasse nie und nimmer mehr fertig geworden wäre, dem sie daher bei Strafe ihres Untergangs irgendwie beizubiegen hatte, daß die ganze bürgerliche Veranstaltung zu nichts als seinem Besten geschehe; daß also, wie es im Manifest zum darin noch etwas marginal abgehandelten konservativen "Sozialismus der Bourgeoisie" abschließend heißt, "die Bourgeois Bourgeois sind – im Interesse der arbeitenden Klasse." Die postmoderne Fassung dieser alten Idee lautet bekanntlich, "Investitionen" seien dazu da, "Arbeitsplätze" zu schaffen.

Daß indes die "proletarische Revolution" der Sozialdemokratie, wie im Spiegel behauptet, "trotz martialischer Sprüche" ihrer vermeintlichen Propheten "auf Filzpantoffeln – unblutig, parlamentarisch" dahergekommen sei, bezeichnet nur eine allzu bekannte, in diesem Fall freilich besonders dummdreist vorgeführte, ausgesuchte Gedächtnislücke dieser bürgerlichen Arbeiterfreunde. Die von der sozialdemokratischen Internationale allseits unterstützte erste mörderische Schlacht um die Weltherrschaft und ein von deutschen Sozialdemokraten gedeckter politischer Mord hat ihr Jahrhundert eingeleitet, und Pogrom und millionenfacher Massenmord markieren seinen Höhepunkt. Die demokratische Arbeiterpartei hatte der revolutionären Avantgarde des Proletariats den Kopf abgeschlagen und der Bourgeoisie jenen Gewaltapparat gerettet, den dann die nationale Arbeiterpartei in Bewegung setzen und ins Monströse ausdehnen konnte, um die Avantgarde auszurotten und über ihrem Grab mit den Heerscharen proletarisierter oder von Proletarisierung bedrohter Kleinbürger das grausig reale Schauspiel ihrer "echten", der nationalen Revolution aufzuführen, bei dem es dann auch manchem Bürger angst und bange wurde.

Die nationale Revolution endete im Fiasko. Die infame Rechnung der westlichen und insbesondere der deutschen Bourgeoisie war dahin gegangen, mit ihr nicht nur einen erträglichen Preis dafür zu zahlen, daß die wirkliche Revolution des internationalen Proletariats an der Ostgrenze ihres geschrumpften Imperiums haltmachte, sondern obendrein die Revolution im Osten selbst wieder rückgängig zu machen. Der zweite Teil der Rechnung war nicht aufgegangen, und das machte auch die für die Bourgeoisie ausgesprochen positive Bilanz ihres ersten Teils auf die Dauer zweifelhaft. Der Preis bedurfte der – modifizierten – Erneuerung. Es kam der zweite Frühling der Sozialdemokratie, die Zeit der Sozialbindung des Eigentums, der Sozialpartnerschaft, der Mitbestimmung, des Kündigungsschutzes, der Vermögensbildung. Die Volksgemeinschaft der Nazis erhielt ein stärkeres materielles Unterfutter.

Daß der Preis zahlbar war, ohne die Bourgeoisie in ihrem Bestand ernsthaft anzutasten, lag sicherlich nicht zuletzt an der gründlichen Bereinigung der Profitraten und dem dadurch eingeleiteten neuen, lang anhaltenden Akkumulationszyklus, die das von Deutschland angezettelte zweite, historisch unvergleichliche Weltgemetzel mit sich gebracht hatte. Die Geschäfte gingen jedenfalls gut wie schon lange nicht mehr, gerade weil ein Großteil des alten Produktionsapparats demoliert worden war; womit nebenbei auch praktisch bewiesen wurde, daß keineswegs aus einer sogenannten "Verfügung über die Produktionsmittel" Macht und Reichtum der Bourgeoisie entspringen, sondern einzig aus der Verfügung über fremde Arbeit, die vielmehr ihrerseits das bürgerliche Monopol auf die gegenständlichen Bedingungen dieser Arbeit als die ihr gemäße sachliche Verkleidung immer von neuem erzeugt. Für den Gang der Akkumulation spielt zudem (wie in Parenthese oben 12 in anderem Zusammenhang bereits angedeutet) der Klassenkampf des Proletariats um die Bedingungen des Verkaufs seiner Ware unter Umständen eine höchst belebende Rolle, denn er stellt das entscheidende Motiv der Kapitalisten dar, von der Produktion des absoluten Mehrwerts (d.h. der Verlängerung und Intensivierung der Arbeitszeit) überzugehen zur Produktion des relativen Mehrwerts (d.h. der Erhöhung der Produktivität der Arbeit durch technologische Verbesserungen etc.). Und Klassenkampf (bis hin zur Frage der Macht, der Frage, wer wen beherrscht) war hier trotz allem andersartigen Anschein immer ganz massiv im Spiel. Namentlich auf deutschem Territorium, auf dessen einem Drittel das kapitalistische Privateigentum unter dem Schutz sowjetischer Panzer immerhin abgeschafft worden war. Die dadurch induzierte Entwicklung der Produktivität der vom deutschen Kapital kommandierten Arbeit hat diesem auf dem Weltmarkt eine solch vorteilhafte Position verschafft, daß es lange Zeit leicht zu verschmerzen war, wenn man zu seinem eigenen inneren Frieden die deutschen Proleten vorsorglich daran "flott" mit "zehren" ließ.13 <Zurück zu "Fragen...">

Jedoch hat der großzügige Rahmen für den Klassenkompromiß seine unvermeidlichen, von der kapitalistischen Konjunktur diktierten zeitlichen Grenzen. Längst verlangt der einmal mehr heftig gegen seine ihm eigene kapitalistische Schranke gelaufene Prozeß der Akkumulation eine neue große Bereinigung, die nur allzu stockend in Gang kommt. Der mit tatkräftiger westlicher Hilfe herbeigeführte Bankrott des östlichen Kommunismus kam noch gerade rechtzeitig, um der Bourgeoisie den nötigen Mumm zu verpassen, endlich wenigstens wieder kapitalistische Normalität durchzusetzen. Die Reserve der industriellen Armee beispielsweise, die zum bürgerlichen Glück wieder auf eine Größe (hierzulande knapp 5 Millionen offiziell) angewachsen ist, mit der sich kapitalistisch prima operieren ließe, muß nun auch endlich wieder manövrierfähig werden: Wer nicht arbeitet, sollte entweder über Kapital, d.h. fremde Arbeit, verfügen oder halt – weniger essen.

IV.
Was ist nun also geworden aus dem Proletariat und seiner Revolution, die das Manifest der Kommunistischen Partei dereinst verkündet hat?

Daß wir sie so jungfräulich klar und siegesgewiß, wie unser altes Dokument sie zu schildern weiß, nicht mehr vor uns haben, lehrt nicht allein der blanke Augenschein, sondern viel mehr noch ein von Augenblicksinteressen und linker Torschlußpanik freigemachter Blick zurück: Zu einem beträchtlichen Teil nämlich – das war hier zunächst festzuhalten – liegt sie, von den Narben und Schandmalen ihrer Schwankungen und Halbheiten, Fehlschläge und Irrwege schwer gezeichnet, bereits hinter uns.

Nun ist allerdings – zwar wohl kaum ganz freiwillig und doch mit einem gewissen, keineswegs unbegründeten Vertrauen auf die Nachhaltigkeit ihrer befriedenden Vorsorge während der zurückliegenden, glücklicheren Zeiten – die Bourgeoisie und die von ihr ausgehaltene Politik dabei, den im jahrzehntelangen, relativ komfortablen Klassenkompromiß so gründlich verspießerten Massen reichlich Anhaltspunkte dafür zu liefern, daß sie ohne eine neue wirklich revolutionäre Initiative möglicherweise alles verlieren werden. Und viele dieser proletarischen Spießer haben das ganz gut verstanden. Gerade weil sie wissen, daß die Bourgeoisie ihre sogenannten "Reformen" nicht zum Spaß einfordert, weil sie ahnen, daß der Bestand der kapitalistischen Verhältnisse im Ganzen auf dem Spiel stünde, daß sie nach Jahrzehnten des großzügigen Kompromisses nun erneut die Frage der Macht stellen müßten, wo es scheinbar nur um die Verteidigung alterworbener Rechte ginge, setzen sie, statt auf deren militante Behauptung, auf ein "Bündnis für Arbeit", das ihnen jede Abrißmaßnahme am Gebäude des Sozialkompromisses mit dem Versprechen auf irgendwann wiederkehrende bessere Zeiten im Rahmen der hergebrachten Ordnung freundlich garniert. Und drohen – nicht immer, aber immer öfter – mit der Option einer Neuauflage ihrer: der nationalen Revolution.

Auf was denn auch sonst sollten sie setzen? Eine Stimme, die, wie einst das kommunistische Manifest, die vollständige Umwälzung der bürgerlichen Ordnung zum Programm erhöbe, ist weit und breit nicht mehr zu vernehmen. Die sogenannte Linke scheint sich zwar von den Schlägen der restaurativen Wende des Jahres 1989 allmählich zu erholen. Allerorten herrscht rege debattierende Betriebsamkeit. Alte und auch neue linke Lager sammeln sich, gruppieren sich um. Aber jegliche Idee, dem Roll-back postmoderner bürgerlicher Arbeiterpolitik etwas anderes als die bekannte Sprachlosigkeit, die ebenso hilf- wie begrifflose Litanei vom "Widerstand" entgegenzustellen, nämlich: ein erneuertes Programm zur revolutionären Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums, scheint zuverlässig an einem allseits respektierten Tabu zu scheitern. Kaum noch, daß jemand dergleichen auch nur forderte, könnte er solche Forderung jedenfalls schon gar nicht näher erläutern und vernünftig begründen. Denn die peinliche Wahrheit ist, daß die meisten Linken heute überhaupt nicht wissen, auch nicht wissen wollen, was das denn ist: Privateigentum oder gar kapitalistisches Privateigentum.

Keineswegs einfach aus theoretischem Unvermögen. Vielmehr ist alles theoretische Vermögen der Linken heute zwanghaft dem politischen Bedürfnis untergeordnet, gegenüber der hinter uns liegenden Revolution des Proletariats, ihren historisch-praktischen Versuchen, das Privateigentum abzuschaffen, deutlich auf Distanz zu gehen. Alle frühzeitigen Hinweise von Marx auf den unvermeidlich gewaltsamen, je für sich insofern immer unzulänglichen, rein provisorischen Charakter jedes derartigen Versuchs ignorierend oder bagatellisierend, jedenfalls nicht ernst nehmend, hat sich diese Linke schon seit langem wieder auf die vergebliche Suche nach irgendeinem "wahren Sozialismus" begeben, der ihr alle Häßlichkeiten des schon gewesenen und doch unvollendeten, praktischen Kommunismus als jener "wirklichen Bewegung" zur Beseitigung des kapitalistischen Privateigentums, von der Marx und Engels in der "Deutschen Ideologie" sprechen, 14 um Gottes Willen vom Leibe halten soll. Auch das hat natürlich bestimmte in die Geschichte zurückweisende Gründe. <Zurück zu "Fragen...">

V.
Dereinst hatte im Westen, bis in die schmalen Reihen des revolutionären Flügels der Arbeiterbewegung hinein wirkend, das lähmende Gift des Opportunismus den vom Osten ausgegangenen Emanzipationsversuch des internationalen Proletariats dort verhungern und die rigorose Diktatur der relativ kleinen Schar revolutionärer Proleten im Osten, berechnet darauf, um jeden Preis die Macht zu halten, bis der Sieg der Revolution im Westen Entlastung bringen würde, schließlich in die Sackgasse des "Sozialismus in einem Land" treiben lassen. Die nannte sich später "real existierender Sozialismus" oder kurz: Realsozialismus. Diesen in aufgezwungener Bescheidenheit auf den Hund gekommenen, national-bornierten Sozialismus, soviel hat die Linke inzwischen immerhin kapiert, hatten Marx und Engels selbstverständlich nicht gemeint. Was derselben Linken dagegen nicht in ihren Kopf will: Erst recht nicht hatten ihre Vordenker irgendeinen anderen im Sinn gehabt.

Gerade weil der Realsozialismus eine wirkliche Sackgasse des Kampfes des Proletariats um seine Emanzipation bezeichnet, bezeichnet er auch eine historische Wirklichkeit desselben. Wie in allem, was die vom Proletariat zu vollbringende, letzte im Namen der Menschlichkeit gegen Menschen gerichtete Revolution ausmacht, haben wir es auch hier theoretisch mit einem unhaltbaren, nur in seiner Auflösung in einen ununterbrochenen revolutionären Prozeß rational begreifbaren Widerspruch zu tun. Im Manifest heißt es lapidar:

"Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden."

Einige Seiten später lesen wir dagegen:

"Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner [des Proletariats; Anm. DD] Befreiung."

Keine Frage: Ihrem Inhalt nach war die Revolution des Oktobers 1917 in Rußland alles andere als eine nationale. Sie richtete sich gegen den imperialistischen Krieg der "eigenen Bourgeoisie" und eine ihrer Hauptlosungen war die Verbrüderung der für ihre zerstrittenen Herren in Soldatenröcke gesteckten und gegeneinander gehetzten Werktätigen aller Fronten. Daß sie sich zunächst auf das Territorium des Zarenreichs beschränkte und sogar auf Verhandlungen mit den Bourgeoisien anderer Länder (vor allem mit der deutschen Bourgeoisie) einlassen mußte, schien tatsächlich bloß eine Sache der "Form" zu sein. Lenin, der die gesamte Parteiführung mit der Drohung seiner basisdemokratischen Opposition gegen einen revolutionären Krieg zur Annahme des Brester Friedens erpreßt hatte, wurde schließlich gerechtfertigt durch die neun Monate später ausbrechende Revolution in Deutschland.

Die deutschen Revolutionäre erwiesen sich jedoch als allzu harmlos für ihren Macht gewohnten Gegner, und damit zerbrach dann bald unwiderruflich die Kette der ihrer Form nach notwendigerweise "zunächst" nationalen Revolutionen. Das Provisorium einer selbst nur erst nationalen Herrschaft der Arbeiterklasse schien allein noch vor der Wahl zu stehen, entweder sich aufzulösen, d.h. einer Konterrevolution zu weichen, von der Trotzki später sagte, sie hätte an die Stelle des Wortes "Faschismus" wahrscheinlich eines aus dem Russischen gesetzt, oder sich zur nationalen Form auch einen nationalen Inhalt zu geben. Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera, und wie meist in solchen Lagen, fiel sie am Ende auf eine Mischung aus beidem. Stalins nationaler Bolschewismus war gewissermaßen die Konterrevolution auf Raten. Deren letzte ist um das Jahr 1990 fällig geworden.

Das Schicksal der russischen Revolution, eben weil diese ihrem Inhalt nach nur noch eine international-proletarische sein konnte, hatte nicht in den Händen der russischen Kommunisten gelegen. Angesichts der sich mit "Kinderkrankheiten" (Lenin) herumschlagenden Kommunisten des Westens, die wohl eher senile Kindereien ihres unbewältigten Sozialdemokratismus’ waren, stand die Linke Opposition in Rußland gegen den Defätismus der Bucharin / Stalin von vornherein auf verlorenem Posten. Daß die westlichen Sektionen der Komintern schon bald den Tanzbären abgaben, den die Moskauer Zentrale am Gängelband der sowjetischen Außenpolitik führen und schließlich der Lächerlichkeit preisgeben konnte, hatten sie selber zu verantworten. Keine Macht der Welt, schon gar nicht die in Rußland, hätte sie zwingen können. Wie sehr es der eigene Hang zur nationalen Versöhnung gewesen war, der die Chefs der westlichen Kommunisten dazu trieb, sich Stalin zu unterwerfen, bewiesen Figuren wie Togliatti oder Thorez später dadurch, daß sie durchaus auf ihrer Unabhängigkeit von Moskau zu bestehen wußten, als es darum ging, im eigenen Land bürgerliche Kompromißfähigkeit zu demonstrieren. Die linken Kritiker des Stalinismus im Westen anderseits, die das Desaster des Kommunismus in ihrer Hemisphäre allzu gerne dem Diktat von Leuten im Osten zuschoben, die wegen mangelnder Reife der dortigen Bedingungen keine Ahnung vom wahren, großzügigen, demokratischen, vor allem aber: westlichen Kommunismus hätten, reproduzierten solche Versöhnung mit dem Feind im eigenen Land bloß auf links und radikal.

Dies bedacht, ist es wahrlich kein Wunder mehr, wenn gerade für den Teil der Linken, der heute das jämmerliche Erbe dieses traurigen westlichen Kommunismus oder Sozialismus verwaltet, jene Konterrevolution, die 1990 zum Abschluß gekommen ist, am Ende partout keine gewesen sein soll. An allem möglichen soll es – zuletzt oder von Anfang an – zum wahren Sozialismus den Verhältnissen im Osten gefehlt haben: an genügend mächtigen Produktivkräften, an (räte)demokratischer Kontrolle der Produktionspläne und der politischen Kader, am revolutionären Bewußtsein der Produzenten, an individueller und kollektiver Selbstbestimmung im Arbeitsalltag; an all diesem (und noch einigem mehr) gleichermaßen oder in spezifischen, je nach politischem Geschmack verschiedenen Mischungsverhältnissen.

Besonders Schlaue kommen mit dem Argument, daß doch die Veränderung der juristischen Titel des Eigentums gar nichts über die zugrunde liegenden Produktionsverhältnisse besage; wenn auch die Kader der Regime im Osten keinen förmlichen Anspruch auf Kommando über fremde Arbeit zu ihrem Privatvorteil besessen hätten, so hätten sie doch tatsächlich sich irgendwie (privat oder halt kollektiv – wer will das so genau wissen?) ein Mehrprodukt angeeignet. – Das auf einen Trug des "juristischen" Scheins abhebende Argument konterkarriert sich selbst, wenn dann ergänzend auf den nun wirklich ziemlich platten Augenschein verwiesen wird, daß doch auch im Osten die Arbeit für Lohn verrichtet wurde, die Arbeitskraft also Ware gewesen sei. Daß selbst in ganz gewöhnlichen bürgerlichen Verhältnissen just die Arbeit für Lohn höchst verschiedenen Produktionsverhältnissen ein identisches Aussehen verleiht, je nachdem, ob der Lohn aus Kapital oder aus bloßem Einkommen ("Revenue" in Marxens Terminologie) bezahlt wird, ist natürlich eine Spitzfindigkeit, die den linksradikalen Undogmaten schon immer so wenig interessiert hat wie seine dogmatischen Gegenspieler und daher kaum zu irritieren vermag.

Marx und Engels sahen die Sache gerade umgekehrt: "vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse" werde der Arbeiterstaat in seinen Händen "alle Produktionsinstrumente ... zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch ... vermehren", kündigen sie im Manifest an und konzedieren sogleich, daß derlei "Maßregeln ... ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen". Sie waren jedoch Revolutionäre und daher durch den Anschein der Unzulänglichkeit und Unhaltbarkeit der Mittel nicht zu schrecken, denn die waren gedacht als Mittel nicht zur Etablierung einer mit dem Kapitalismus konkurrierenden, menschlicheren Alternative, sondern "zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise" selbst, und erst als solche bis an ihr Ende getriebene Umwälzung des Kapitalismus konnten sie demnach "über sich selbst", über die Gewaltsamkeit und Unzulänglichkeit ihres eigenen Beginnens "hinaus treiben".

Das praktische Dasein des Ganzen jener umzuwälzenden "ganzen Produktionsweise" war im Grunde bereits vor 150 Jahren, spätestens jedoch seit der Jahrhundertwende nicht mehr und nicht weniger als – der Weltmarkt. Zumindest eine nennenswerte Zahl der Länder, die ihn beherrschen, mußten demnach von der Umwälzung erfaßt sein, ehe die Despotie und Unhaltbarkeit ihrer Mittel als nur der unvermeidliche Anschein des revolutionären Anfangs sich dann auch wirklich verflüchtigen konnte. Dies war es gewesen, was dem östlichen Kommunismus zuallererst gefehlt hat und durch keinerlei Beigabe westlich-demokratischer Aufgeklärtheit in seinem beschränkten Rahmen ersetzt werden konnte: ein Sieg der Revolution des Proletariats zumindest in der einen oder anderen Hauptbasis des Kapitals, der dessen Weltherrschaft ins Wanken gebracht hätte. Ohne Fortschritte der Revolution in dieser Richtung war ihr Sieg im Osten dazu verdammt, ein sich hinziehendes, höchst prekäres Provisorium zu bleiben – mit allen Abscheulichkeiten des Despotismus, die eine solche Lage unweigerlich mit sich führt. Der gefährliche Opportunismus der in dieser Konstellation sich herausbildenden und auf die Unabsehbarkeit ihres Endes sich stützenden sowjetischen Bürokratie trat denn auch zuerst just bei den Aufgaben und Problemen zutage, die mit der Fortentwicklung der Revolution im internationalen Maßstab zusammenhingen. Eine allzu vertrauensvolle internationale Zusammenarbeit mit der streikbrechenden, bürgerlichen Arbeiterpolitik in England und die Auslieferung der chinesischen Kommunisten an die Schlächter der Kuomintang waren die ersten Zeichen, die der Bucharin-Stalinsche Pragmatismus setzte.

Nicht also ein an sich bürgerlicher Charakter des russischen Kommunismus oder dessen bürgerliche Entartung hat sich des revolutionären Teils der internationalen Arbeiterbewegung bemächtigt und ihn zugrunde gerichtet, sondern die im internationalen Maßstab und vor allem im Westen nicht überwundene Vorherrschaft bürgerlicher Arbeiterpolitik hat umgekehrt dann auch dem ersten Arbeiterstaat selbst eine bürgerliche Arbeiterpolitik aufgezwungen. Wie im nationalen Maßstab unter bürgerlichem Regime die bürgerliche Arbeiterpolitik eine Bürokratie ausbildet, die die Arbeiterorganisationen überwuchert und gängelt, ohne daß diese deshalb aufhören, Arbeiterorganisationen zu sein, so bildete hier im internationalen Maßstab die einem Arbeiterstaat aufgeherrschte bürgerliche Arbeiterpolitik eine Bürokratie aus, die diesen Staat überwucherte und gängelte, ohne daß der allein deshalb unbedingt aufhörte, ein Arbeiterstaat zu sein.

VI.
Was die Regime des Realsozialismus im Osten als Arbeiterstaaten auszeichnete, war ihr Festhalten an einem Grundelement jenes Provisoriums, das die siegreiche Revolution der Arbeiter 1917 im Rußland der Sowjets auf den Weg gebracht und seine alles in allem erfolgreiche Verteidigung nach dem zweiten Weltkrieg in die Randstaaten des Sowjetreiches ausgedehnt hatte 15: das Festhalten am vollendeten Staatsmonopol auf die industrielle Produktion sowie den inneren und äußeren Handel. Bürgerlich noch heute, nach ihrer Beseitigung, ganz zurecht als "Mißwirtschaft" verschrien, waren im Innern dieser Regime gerade diejenigen Mechanismen aufgehoben, die im gewöhnlichen, bürgerlichen Staat der Arbeitskraft die Warenform aufzwingen und so ihre Reproduktion den Wechselfällen der kapitalistischen Akkumulation quasi im Selbstlauf anpassen.

Der Kapitalist kann die Reproduktion der von ihm benötigten Arbeitskraft "getrost dem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter überlassen." 16 Mit der je individuellen Arbeitskraft geht er immer nur ein zeitlich begrenztes und nach gewissen Regeln jederzeit auflösbares Verhältnis ein. Die Reproduktion der Arbeiterklasse aber, die Bedingung also dafür, daß er überhaupt Arbeitskraft als käufliche Ware vorfindet, vollzieht sich ganz unabhängig von diesem Verhältnis nach rein ökonomischen Gesetzen, ohne und sogar trotz seines eigenen Zutuns. Als Produzent, d.h. Herr über die Produktion ist der Kapitalist wirklich Privatmann, dessen Tun und Lassen seine Mitmenschen nichts angeht, und tritt mit diesen nur in Verhältnisse zwischen Privatleuten. Daß in solchem Verkehr zwischen lauter Figuren, die alle nach ihrem höchst persönlichen Gutdünken sich wechselseitig ihre Dienste anbieten, ansonsten aber einander nicht dreinreden, der Kapitalist dennoch zumeist alles in den benötigten Mengen vorfindet, was es für eine ordentliche Produktion braucht, stellt sich ihm daher als ein Wunder der Natur oder Geschenk Gottes dar.

Als Produzent von Kühlschränken muß er sich beispielsweise nicht darum kümmern, daß auch die Lebensmittel produziert werden, ohne die einerseits seine Kühlschränke für deren Käufer nutzlos wären, anderseits die Arbeitskräfte, die für den Fortgang seiner Produktion unerläßlich sind, verhungern würden, statt sich ihm als Ware anzubieten. Es genügt ihm zu wissen, daß sich schon jemand darum kümmern wird, weil im Kapitalismus nichts, womit sich ein Geschäft machen läßt, brach liegen bleibt und sich halt, wo für seinen Fortgang benötigt, mit allem und jedem ein Geschäft machen läßt. Tödlich wären für den Kapitalisten vielmehr Verhältnisse, in denen sich kein Geschäft mit der Produktion der Lebensmittel machen ließe, etwa weil diese üblicherweise von denen, die sie verzehren, selbst produziert werden. Unter solchen Umständen hielte er vergeblich nach käuflicher Arbeitskraft Ausschau, weil kein Mensch es nötig hätte, ihm die seine gegen Bares anzubieten. Der Kapitalist gedeiht nur als Bruder unter Kapitalistenbrüdern. Daß die sich nach den Gesetzen der Konkurrenz um die Beute ihrer Geschäfte ewig streiten, unterstreicht nur die Abhängigkeit jedes einzelnen Geschäfts von allen anderen. Erst in ihrer Vielzahl garantieren sie sich gegenseitig die Voraussetzung jeglichen Geschäftemachens: das Dasein einer Masse bloßer Arbeitskräfte, denen ihre sämtlichen Existenzmittel als fremdes Eigentum, nämlich: profitable Waren des einen oder anderen, größeren oder kleineren Kapitalisten gegenübertreten und die nur darum ihrerseits als Waren durch Kapitalisten käuflich zu erwerben sind.

Der monopolistische Staat dagegen, soweit seine Herrschaft reicht, ist universeller Käufer und Verkäufer, d.h. universeller Produzent; Produzent sowohl der Nahrungsmittel als auch der Kühlschränke; sowohl solcher Existenzmittel der Arbeitskräfte als auch der Produktionsmittel, mit deren Hilfe die sie sich herstellen, etc. pp.; und damit ist er insbesondere auch Produzent der Arbeitskräfte selbst.17 Einerseits garantiert er also nicht mehr als bloßer Staat nur die allgemeinen Bedingungen, in deren Rahmen der materielle Prozeß der Produktion sich als das freie Spiel einer Vielzahl privater Herren der Produktion vollzieht, sondern muß diesen Prozeß als der eine, allgemeine Herr über alle Produktion zugleich selbst organisieren. Andererseits ist er als Produzent, d.h. wirklicher Organisator des Prozesses der materiellen Produktion, anders als jene privaten Produzenten, immer zugleich mehr als bloßer Produzent, nämlich Gestalter und Garant der allgemeinen Bedingungen seiner Produktion.

Ein solcher allgemeiner, monopolistischer Produzent kann demnach nicht, wie der gewöhnliche Kapitalist, das Dasein der Elemente seiner Produktion in ihrer je konkreten Gestalt als eine Gabe behandeln, die eine graue Eminenz namens "Markt", also quasi die Natur oder der liebe Gott, allein deshalb hervorzubringen scheint, weil er sie mit entsprechender "Kohle" lockt (die dann womöglich tatsächlich bloß Kohle wäre). Er muß sich vielmehr selbst um ihre wirkliche Produktion in den nötigen Proportionen kümmern. Die Entlohnung seiner Arbeitskräfte ist z.B. ganz witzlos, wenn er nicht zugleich dafür sorgt, daß diese für ihren Lohn wirklich etwas zu beißen bekommen. Nicht auf die bloße Höhe ihres Lohns waren die Sorgen der verstaatlichten Arbeiter daher in erster Linie gerichtet, sondern auf den handgreiflichen, qualitativ und quantitativ bestimmt verschiedenen Inhalt der Regale in den Läden, in die sie ihn zu tragen hatten. Obwohl dem offiziellen Anspruch nach Geld wie der Lohn im Kapitalismus, brachte der realsozialistische Lohn seine Empfänger keineswegs in den Besitz einer allgemeinen Ware, die ihnen eine qualitativ unbeschränkte Welt besonderer Waren aufschließt. Vielmehr war der Warencharakter der Produkte des individuellen Konsums, das Ritual des Austauschs von Ware gegen Geld, weitgehend bloße Fiktion, die obendrein nahezu täglich in langen Schlangen vor kümmerlich gefüllten Regalen einer zu reichlich Sarkasmus Anlaß gebenden Lächerlichkeit preisgegeben war.18 <Zurück von Fn.9> <Zurück zu "Fragen...">

VII.
Der Arbeiterstaat – oder gar dessen Mehrzahl – war niemals das Ziel des Kommunismus als der revolutionären Emanzipation des Proletariats und kann es niemals sein. Jeder Staat, auch ein solcher, der von "der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl" regiert wird, setzt der Emanzipation Schranken, die diese früher oder später niederreißen und überschreiten muß, will sie sich selber treu bleiben. Der Staat der revolutionären Arbeiter kann nicht mehr sein als bloß ein zuzeiten höchst effektives Instrument der Revolution, das folglich sich mit deren Abschluß erledigt haben und "zum alten Eisen gehören" wird.

Der Arbeiterstaat oder die "revolutionäre Diktatur des Proletariats", wie Marx später meist formuliert hat, bezeichnet die politische Herrschaft der Ausgebeuteten über diejenigen, von denen sie, während sie über sie herrschen, zugleich nach wie vor ausgebeutet werden. Das ist der eigenartige, höchst widersprüchliche Inhalt dieser viel zitierten, selten jedoch auch nur versuchsweise verstandenen, knappen Formel, die Marx als die Essenz seiner revolutionären Theorie ansah.19 Sie bezeichnet eine Herrschaft, die vom ersten Tag ihrer Existenz an auf ihre eigene Abschaffung zielt. Ihr Staat ist daher nicht mehr "Staat im eigentlichen Sinne" (Engels), nicht Instrument zur Befestigung sondern zur Umwälzung der Verhältnisse, aus denen er hervorgeht. Wo er dennoch – aus welchen Gründen auch immer – dahin tendiert, sich als Staat zu verewigen, mutiert er aus jenem Umwälzungsmittel zum seinerseits völlig sinnlosen Zweck, wird also nichtig: despotisches Geschwür, das alle gesellschaftlichen Quellen seiner Macht verstopft und so seinen Verfall und seine schließliche Vernichtung nur gewaltsam hinauszögern aber nicht positiv wenden kann.

Einen Sinn ergibt jene eigenartige, auf ihre Selbstabschaffung zielende Herrschaft nur, insofern der Zweck, den sie verfolgt, kein von ihr selbst kreierter, bloß gesetzter, sondern ein an sich bereits vorgefundener ist, dem sie lediglich auf die Sprünge hilft.

Tatsächlich ist der Zweck der revolutionären Herrschaft des Proletariats, die berühmte Expropriation der "Expropriateurs", an sich nichts weiter als das den Prozeß der kapitalistischen Akkumulation selbst übergreifende und so allgemein charakterisierende Moment: dessen "geschichtliche Tendenz", wie Marx sagt.20 Wenn das als herrschende Klasse organisierte Proletariat diese Expropriation in die eigene Regie nimmt, vollzieht es daher zunächst nur auf seine revolutionäre Weise denselben Prozeß, den so oder so das Kapital im Fortgang seiner Akkumulation blind durchmacht. Das herrschende Proletariat treibt nur gewaltsam, mit Regierungsmitteln diesen Prozeß an sein immanentes Ende: das Staatsmonopol.

Die Inbesitznahme der kapitalistischen Industrie durch das als herrschende Klasse und insofern als Staat organisierte Proletariat bedeutet dem Begriff der Sache nach zunächst nur, daß dieses sein eigener (monopolistischer) Kapitalist wird. Denn Staat und Klasse ist das seine eigene Arbeit selbst organisierende Proletariat nur, insofern es noch in einer kapitalistischen Umgebung agieren muß; sei es, weil nennenswerte Zweige der inländischen Produktion (z.B. die Landwirtschaft) noch privat betrieben werden, daher die von dort an die verstaatlichte Industrie sowie von dieser dorthin gelieferten Produkte noch die Warenform annehmen; sei es, weil es nicht autark wirtschaften kann, also in irgendeiner Weise seine Produkte austauschend am kapitalistischen Weltmarkt teilnimmt. An diesem mißlichen Zwitterstatus des revolutionären Arbeiterstaates ändern auch die allerbesten basis- bzw. rätedemokratischen Sicherungen gegen etwaige bürokratische Funktionärsherrlichkeit oder andere gute Vorsätze nicht das geringste. Es hilft nur eines: die kapitalistische Umgebung muß zum Verschwinden gebracht oder wenigstens auf eine Marginalie herabgedrückt werden. Das heißt aber zunächst praktisch: das Staatsmonopol, das einerseits der revolutionäre Arbeiterstaat nur erst als besondere und in dieser Besonderheit selbst immer noch kapitalistische Form des Eigentums etabliert hat, dem anderseits jene Umgebung weiterhin völlig blind, mit allen in solcher Blindheit eingeschlossenen Katastrophen entgegentreibt, muß als erklärtes und einsehbares Programm mit revolutionären Mitteln, nämlich gewaltsam eingreifend in jenes blinde Geschehen, verallgemeinert werden. In seiner revolutionären Verallgemeinerung erst wird das Staatsmonopol seinen Kapital-, das Monopol seinen Staats-, die revolutionäre Assoziation der Arbeiter ihren Monopol-, d.h. Klassencharakter wirklich und endgültig los.

VIII.
Der Realsozialismus hatte, wie insbesondere an seiner ideellen Geburtsurkunde, der sogenannten "Theorie" vom "Sozialismus in einem Land" noch deutlich zu erkennen, das revolutionäre Programm dahin revidiert, die emanzipatorischen Ansprüche des Proletariats zurückzuschrauben, nicht nur als vorübergehender praktischer Notbehelf, sondern prinzipiell theoretisch zurückzugehen hinter das durch das Kapital schon gesetzte Maß der Vergesellschaftung aller Momente der Arbeit, das ja bereits um 1900 längst jeden bloß nationalen Rahmen gesprengt hatte. Die heutigen kommunistischen oder sozialistischen Kritiker des Realsozialismus ebenso wie seine selbstzerknirschten Apologeten wissen in ihrer großen Mehrzahl daraus keine bessere Lehre zu ziehen, als auch noch das vom Realsozialismus erreichte Niveau der Vergesellschaftung zu unterschreiten. Streng orientiert am bornierten Rahmen des Stalinschen nationalen Sozialismus, wird der Sozialismus weiter wie ein Projekt zur Ummodelung einzelner Länder behandelt, für die es dann Kriterien auszuhecken gilt, anhand deren abgecheckt werden kann, wie sozialistisch oder auch nicht sie denn seien. Unter Abstraktion vom Weltmarkt als dem fortdauernden realen Dasein von Wert, Ware, Geld, Kapital etc. wälzt man die Frage nach dem Gelten oder Nichtgelten des Wertgesetzes, seiner Anwendung oder Einschränkung pipapo in den diversen sogenannten sozialistischen Ländern hin und her. Und weil allenthalben zutage liegt, daß in diesem Rahmen dem Kapital in allen seinen Gestalten nicht wirklich Herr zu werden ist und jede darin siegreich geschlagene Schlacht, sich früher oder später in einen Pyrrhussieg verwandelt, ist es Mode geworden, hier vor allem zu Bescheidenheit und Zurückhaltung zu mahnen oder dort noch radikaler: das Schlagen weiterer Schlachten zugunsten einer sogenannten "negativen Kritik des Bestehenden" gleich ganz abzublasen.

In der realsozialistischen Planwirtschaft ist die Emanzipation der gesellschaftlichen Arbeit über den Rahmen eines sehr begrenzten Experiments nicht hinausgelangt und dann darin an pragmatischer Selbstbescheidung und unter einer wuchernden Bürokratie, die vom Notbehelf einer in die Defensive geratenen Revolution zu deren Stellvertreter aufgestiegen war, verkümmert, erdrückt und schließlich eingegangen. In diesem bornierten Rahmen ist der die Produktion vorausbestimmende Plan als bestimmter Ausdruck und Instrument der gemeinsamen Aneignung der Arbeit durch die Produzenten verkommen zum schäbigen Vehikel verselbständigter Apparate, die "Koexistenz" und "Wettbewerb" mit jener Übermacht des Weltkapitals zum Prinzip erhoben, die gerade hätte zerbrochen werden müssen, damit der Erfolg des Experiments auf dem einzig ihm angemessenen Terrain gesichert worden wäre. Nachdem also gerade eine solche planmäßige Selbstorganisation der Arbeit, die die Reichweite ihrer jetzigen Organisation durch das Kapital unterschreitet, sich als unzulänglich und letztlich unmöglich erwiesen hat, hält man es in der Linken (dogmatisch oder undogmatisch) für angesagt, unter Absehung von den restriktiven Umständen in ihr lieber überhaupt eine sachliche Unmöglichkeit oder gleich den schieren Horror zu erblicken.

Dies ist das Milieu in dem nun schon seit einiger Zeit die sozialistische Marktwirtschaft und der demokratische Sozialismus blühen und gedeihen. Oder neuerdings, als deren häretischer Ableger, auch eine "Kritik der Arbeit", die genauso wenig weiß, wovon sie spricht; die gedankenlos den besonderen Zwang zur Mehrarbeit, dem nur die besitzlose Arbeitskraft unterworfen ist, in "den Arbeitszwang der bürgerlichen Gesellschaft"21 umdichtet und so in allerschönster Harmonie mit der sozialdemokratischen Bettelei um "Arbeit für alle!" die komfortable Arbeitslosigkeit der besitzenden Bürger, d.h. den Klassencharakter des in der bürgerlichen Gesellschaft herrschenden Arbeitszwangs aus der Welt faselt. – Traurig aber wahr: Diese Linke, in allen ihren widerstreitenden Tendenzen, hat die bürgerliche Propaganda vom bis auf weiteres endgültigen Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus im Kern akzeptiert und damit eine Interpretation der jüngsten welthistorischen Entwicklung übernommen, die deren wirklichen Kontext, den geschichtlichen Prozeß, der sich darin resümiert, auf den Kopf stellt.

Denn was unter den üblichen, bürgerlichen Prämissen "natürlich" so ausgesehen hat wie der Triumph des Kapitalismus über seine geschichtliche Alternative (und dann links vor allem als Beweis genommen wird entweder für deren prinzipielle Untauglichkeit oder für die Bösartigkeit und Gemeinheit des Kapitalismus), war vielmehr Folge und Ausdruck des Umstands, daß die Entwicklung des Kapitalismus selbst die ihm immanenten Voraussetzungen seiner vollständigen Abschaffung, seiner Umwälzung zur freien Assoziation der Produzenten, weit über jene Höhe hinausgetrieben hat, die dem vor 80 Jahren begonnenen ersten praktischen Versuch, diese Umwälzung zu beginnen, zugrunde gelegen hatte. In Gestalt des Realsozialismus fristeten jene durch ihre eigene Fortentwicklung geschichtlich überholten früheren Voraussetzungen des Kommunismus indes weiterhin ein zwar nur noch fossiles, nicht mehr entwicklungsfähiges Dasein, versperrten aber gerade deshalb der mittlerweile fälligen Inangriffnahme eines zweiten größeren Versuchs auf der Höhe der Jetztzeit den Weg. Als solche Versteinerungen ihrer selbst, Denkmäler einer kühn begonnenen Revolution, von der Bürokratie zunehmend lustloser verwaltet und schließlich dem Verfall preisgegeben, waren die Verhältnisse im Osten ganz offensichtlich nicht mehr revolutionär in Bewegung zu bringen, sondern nur noch im Ganzen zu zertrümmern, ohne etwas anderes als Trümmer zu hinterlassen. Darin besaß der 1989/90 eingeleitete Schlußakt der gegen die Ergebnisse der Oktoberrevolution gerichteten Konterrevolution ein Stück historischer Vernunft. Dem Fossil, das da zertrümmert wurde, auch nur eine Träne nachzuweinen, hätte eine revolutionäre Linke, so es sie denn gäbe, selbstverständlich keinen Grund. Schlußstück einer Konterrevolution (die freilich nicht erst gestern im Osten begonnen hat, sondern drei Viertel eines Jahrhunderts früher hier im Westen) bleibt die Geschichte gleichwohl, und eine westliche Linke, die sich – aus wie auch immer naheliegenden Gründen – darüber etwas vormacht, wird niemals mehr irgendeine emanzipatorische Rolle spielen.

IX.
Die derzeit real existierende Linke bringt wie gesagt das nicht ganz einfache Kunststück fertig, sich die Dinge genau andersherum zurechtzulegen. Einerseits erscheinen ihr die Zeitläufte seit dem November ’89 als ein einziges Jammertal, worin schon das bloße Überwintern im "Widerstand" zu einer Heldentat wird und es vor allem zu retten gilt, was noch zu retten ist. Was eine zwar in nebulöse Ferne entrückte, aber doch nicht ganz auszuschließende erneute Wendung der Dinge zurück zum Guten angeht, fügt sie sich andererseits recht bereitwillig der bürgerlich angeordneten Ächtung jeglicher Idee, jenen mit der Oktoberrevolution erkämpften größten und radikalsten Schritt über das kapitalistischen Privateigentum hinaus, den die Geschichte bislang gesehen hat, wieder aufzunehmen und womöglich über das Stadium hinauszutreiben, in dem er seinerzeit im Osten eingefroren worden war. Man ist sich auch links ziemlich einig, daß die Ersetzung des kapitalistischen Privateigentums durch das Staatsmonopol eher zu weit gegangen oder überhaupt ein Fehler bzw. radikal kritisch: eine böse Illusion oder gar reale Verschlimmerung des Kapitalismus gewesen sei; daß es jedenfalls jetzt und künftig auf ganz andere und viel schönere Dinge ankomme als das, was man früher einmal unter dem Titel der "Eigentumsfrage" sich so vorgestellt (und sowieso nie wirklich verstanden) hat: auf Demokratie (möglichst radikale), humanere sogenannte "Werte" und "Inhalte", die das Arbeiten zur Lust machen, sowie ausgiebige Kommunikation darüber, dezentrale Vernetzung freier Bastelgruppen oder besser noch: Anarchie, das "Recht auf Faulheit" und Belustigungen – durch wen auch immer.

Soweit diese Linke überhaupt wieder mehr thematisiert als bloß die jeweilige Summe der Ad-Hoc-Anliegen, die von den diversen irgendwie links akkreditierten Spezialbewegungen gerade diktiert werden; soweit sie also wieder konkreter jenes Ganze des Kaleidoskops linker Widersetzlichkeiten gegen die herrschende Norm ins Auge faßt, das erst deren revolutionäre Beseitigung bedeuten könnte; kurz: soweit sie sich wieder als sozialistische oder kommunistische Linke verstehen möchte und nicht bloß als Linke, die irgendwie besseren Menschen, sind derzeit drei – jede in ihrer besonderen Weise einer altehrwürdigen Tradition folgende – Hauptrichtungen davon auszumachen.

  1. Der demokratische Sozialismus steht für sozialistische Marktwirtschaft, d.h. einen demokratisch gebändigten Kapitalismus, eine sogenannte "gesellschaftliche Kontrolle" der Privaten: die Quadratur des Kreises; der Kompromiß als solcher, keines bestimmten, vielmehr eines mit der Konjunktur ständig wechselnden Inhalts, wird diesem Sozialismus zum esoterischen Fetisch, aus dem wundersam Erlösung von allen Übeln fließen möge. Dessen ganz und gar nicht esoterische Gestalt ist der demokratische Staat, dem der sozialistische Demokrat das Zuckerbrot backen möchte, das neben der Peitschte doch immer auch benötigt wird für den nationalen Konsens darüber, daß – im Namen übergeordneter Interessen, versteht sich! – die Verwertung des einheimischen Kapitals irgendwie weitergehen muß.
  2. Der platonisierte Stalinismus steht für ein auch künftig in nationaler Beschränkung sich verewigendes und damit als Waffe gegen das Kapital entschärftes Staatsmonopol, mit der Maßgabe, ein (allerdings niemals begriffenes) "Wertgesetz" und noch ein paar andere Errungenschaften sozialistischer Wissenschaft darin stärker zu berücksichtigen; für (im Falle des Falles) neuerliche Koexistenz also mit dem Kapitalismus und Wettbewerb, diesmal aber nicht so sehr um die größere Portion Gulasch, sondern hauptsächlich um die bessere Moral oder "Weltanschauung". Gegenüber dem einstweilen (und das kann nach der hier allgemein geteilten Einschätzung der Lage sehr lange dauern) unumschränkt herrschenden Kapitalismus hält man’s mit den Rezepten des demokratischen Sozialismus und gibt sich vorderhand (es kostet ja nichts!) allenfalls etwas weniger kompromißbereit. Demokratischer Sozialismus mit einem Schuß stalinistischer Nostalgie, von dem man hofft, daß er eines Tages vielleicht zu mehr nütze sein werde als nur dem bißchen geistig-seelischer Erbauung seines dahinsiechenden Anhangs.
  3. Der hedonistische Kommunismus der reinen Vernunft steht für die sofortige Abschaffung "der Arbeit", damit des Staates; alle Menschen werden ihrer puren Lust frönende Brüder oder Schwestern – darunter geht gar nichts mehr. Für den Kapitalismus, "das Bestehende" als das schlechthin Negative, lasse man sich am besten auf keinerlei bestimmte Negation ein, beschränke sich vielmehr auf die Negation schlechthin ("negative Kritik" geheißen), d.h. man nehme den Kapitalismus, wie er sich einem unmittelbar zeigt, und kehre ihn in dieser Unmittelbarkeit seines Erscheinens einfach um: In seiner Arbeit ist der Mensch unter den herrschenden Umständen, die doch die Freiheit versprechen, offensichtlich unfrei; man ändere darum – nicht diese Umstände, sondern schaffe die Arbeit ab. Die bürgerliche Welt hat allen Menschen die Gleichheit im Sinne gleicher Rechte versprochen und verspricht sie noch, und doch sortiert sie die Menschen nach Staaten und Nationen; man beseitige darum – nicht den bürgerlichen Charakter dieser Welt, sondern dessen häßliche Fassade, die Staaten und Nationen. Von der Brüderlichkeit aller Menschen, sangen einst die Revolution der Franzosen und der deutsche Dichter, aber der Klassencharakter dieser Menschheitsverbrüderung hat im schnöden Alltag, dessen Ideal da besungen wird, "kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ‚bare Zahlung‘"; man zerstöre darum – nicht jene schöne Lüge, die hinausläuft auf die Entzweiung der Arbeiter und ihre Verbrüderung mit ihren jeweiligen Herren, sondern "das Geld", d.h. jenes Medium, worin die Lüge aller Schönheiten entkleidet ans Licht kommt. Heraus springt aus alledem der seiner proletarisch schmutzigen Abkunft glücklich entledigte, blitzsaubere Kommunismus als das schlechthin Gute oder Gebot der reinen Vernunft des reinen, seine längst vernichteten Ideale nun erst recht verehrenden, zu seiner historisch verschlissenen Vernunft vergeblich sich rettenden – Bürgers.

Wie wir sehen, verringert sich von der ersten zur letzten der drei Richtungen die jeweilige praktische Nutzanwendung ihrer programmatischen Aussagen im selben Maße, in dem der dafür zu treibende theoretische Aufwand steigt. Ein wirkliches Programm besitzt offenbar nur der demokratische Sozialismus, dem jedes theoretisch aussehende Argument recht ist, weil er an sich gar keines braucht. Die beiden anderen reduzieren sich nach ihrer praktischen Seite dahin, sich an ihn anzuhängen bzw. ihm – mit nicht nur "ethisch", sondern auch intellektuell "erstklassiger Begründung" (Gremliza) – das Feld zu überlassen und sich von den Enttäuschungen, die er produziert, leidlich zu nähren.

Hält der demokratische Sozialismus die leere Gegenwart des Kommunismus fest, so die beiden anderen dagegen seine Vergangenheit bzw. seine Zukunft. Alle Momente eines Kommunismus, als der Bewegung, worin die Aufhebung des Kapitals sich vollzieht, sind hier demnach versammelt, aber eben nicht als solche zusammenhängende, ineinander übergehende bzw. aufgehobene Momente, sondern bloß gegeneinander fixiert, so daß in ihnen die Bewegung vielmehr, in je spezifischer Weise, ausgelöscht erscheint.

X.
Die Perspektive, daß der praktische, proletarische Kommunismus sich noch einmal aufrafft, seine unfertig liegengelassene Arbeit zu vollenden, scheint durch schier unüberwindliche Hürden verstellt zu sein. An der Schwierigkeit, sie zu beseitigen, arbeitet eine marginalisierte und zersplitterte revolutionäre Linke sich ab, und kommt im Schweiße ihres Angesichts nicht auf den Gedanken, daß sie sich vielleicht die falsche Aufgabe gestellt hat; daß es sowieso ganz anderer, als ihrer nicht einmal mehr bescheiden zu nennenden Kräfte bedarf, Hindernisse solch wahrhaft historischer Dimension aus dem Weg zu räumen. Was aber, wenn die in Aktion getreten sind? Was, wenn die zur Zeit verrammelte Aussicht sich plötzlich öffnet und die Frage steht, wie und in welcher Richtung es denn weiter ginge?

Die revolutionäre Linke im Westen, namentlich in Deutschland, hätte an sich Erfahrung mit einer solchen Situation und dem, was ins Haus steht, wenn sie selber sich dann, weil unvorbereitet, als uneins, ratlos und unentschlossen erweist und darum die Initiative anderen überlassen muß, die eine allenthalben nach Umsturz verlangende Stimmung, in der immer auch die Angst des Spießbürgers vor dem wirklichen Umsturz umgeht, in die entsprechenden Untaten zu wenden verstehen. Wir werden es erleben. So sicher, wie der Kapitalismus, der nach allgemeiner, auch links im wesentlichen durchgesetzter Annahme zunächst einmal auf ganzer Linie triumphiert haben soll, wirklich ist und nicht etwa nur noch ein völlig sinnentleerter Name, der für keinerlei Begriff einer damit bezeichneten Sache mehr stünde. Wer allerdings annimmt, dieser Kapitalismus könnte anders "siegen" als im Vollzug seiner eigenen Aufhebung, hat allen Begriff von dem, was uns im Augenblick so siegreich daherkommt, bereits preisgegeben.

Revolutionäre sind revolutionär nicht, weil sie sich die Revolution wünschen, sondern weil sie wissen, daß sie unvermeidlich ist, und sich darauf einstellen. Unser Problem ist weder die Herbeiführung der revolutionären Situation, noch das Aufspüren und Ausgraben eines sogenannten "revolutionären Subjekts", das dabei doch bloß zum Objekt verkäme. Unser Problem und unsere Aufgabe ist es vielmehr, jederzeit in der Weise, wie die Situation, unsere Situation, es verlangt, dieses Subjekt der Revolution zu sein. Dafür in allererster Linie hätten heute linke, emanzipatorische Kräfte sich zu präparieren, die noch irgend den Anspruch haben, eine revolutionäre Linke zu werden. Sie hätte alle Anstrengungen darauf zu konzentrieren, unter sich das Programm dieser Revolution zu klären; einer kommunistischen Revolution, die jenen Faden wieder aufhebt, den sie zur Hälfte der seit ihrer ersten programmatischen Begründung durchmessenen Strecke verlor; die den Übergang zu kommunistischer Produktion und Verteilung erneut in Angriff nimmt, gestützt auf dessen mittlerweile viel entwickelteren Bedingungen, im dementsprechend größeren Maßstab und mit weit nachhaltigerer Wirkung.

Der Übergang zum Kommunismus hat weniger denn je irgend etwas Utopisches noch an sich. Er ist das Minimum dessen, was die der Bourgeoisie restlos abhanden gekommene Vernunft heute alltäglich gebietet. Diese Vernunft ist immer historisch konkret und läßt sich darum sehr wohl "in positiven Sätzen" formulieren.22

Es wird Zeit, daß die Kommunisten vor allem ihre ohnmächtige Selbstbescheidung ablegen, als ob der herrschende Kompromiß noch irgendeine historische Perspektive böte, in der es für sie gälte, ihren Platz zu behaupten oder gar erst wieder zu finden. Die Bourgeoisie hat die alten Bedingungen des Kompromisses mit dem Proletariat, von dem sie sich nährt, nicht ohne Not aufgekündigt; nicht weil sie etwa auf jeden Kompromiß verzichten will oder es auch nur könnte. Zu den alten Bedingungen ist vielmehr beim besten Willen keinerlei Kompromiß länger zu haben, und wer auf ihre Verteidigung orientiert, muß sich von der bürgerlichen Propaganda völlig zurecht sagen lassen, daß er schlicht die Zeit verschlafen und von den ökonomischen Zwängen, die den Prozeß der Kapitalverwertung regieren, nichts verstanden hat.

Zur Wahl steht nur, sich auf die bürgerlich längst beschlossenen neuen Bedingungen prinzipiell einzulassen (und um Verbesserungen im Detail zu feilschen) oder mit der Logik des Kompromisses überhaupt zu brechen, d.h. auf den Sturz der Bourgeoisie, die kommunistische Umwälzung der Verhältnisse zu orientieren. Die Logik des Kompromisses ist aber die Logik der Katastrophe, denn wirklich neue Bedingungen hat auch die Bourgeoisie nicht zu bieten. Ihr Angebot besteht vielmehr hauptsächlich darin, unter Verzicht auf die materiellen Bestandteile des Kompromisses dessen überkommenes Ritual beizubehalten und vielleicht ein wenig zu modernisieren. Mit dem materiellen Gehalt wird jedoch das sozialstaatliche Ritual auch seine integrative Kraft nach und nach unweigerlich einbüßen. Es wird in wachsendem Maße ganz anderer, kompromißlos gewaltsamer Mittel bedürfen, um den bürgerlichen Frieden, d.h. den Frieden des bürgerlichen Eigentums im Lande aufrechtzuerhalten. Das Instrumentarium dazu steht längst bereit, und die Beibehaltung der alten Zeremonien des sozialen Ausgleichs dient in erster Linie dazu, seinem wirklichen Einsatz eine möglichst weitreichende Akzeptanz zu sichern.

Wer sich also weiterhin auf das Spiel einläßt, mit der Bourgeoisie vor allem um die Bedingungen zu schachern, unter denen ihr die Arbeitskraft als Ware zur Verfügung steht, bastelt, unabhängig von seinen vermutlich allerbesten Absichten, heute mit an einer künftigen, erst wahrhaft verheerenden Niederlage der arbeitenden Klasse und – weil dazu mittlerweile wahrscheinlich die überwältigende Mehrzahl der Menschheit in der einen oder anderen Weise gehört – einer wahrhaft menschlichen Katastrophe. Die Lage ist so, und die bürgerliche Standort- und Globalisierungspropaganda selbst hämmert es uns täglich ein, daß ohne die vollständige Umkehrung der allgemeinen Logik, nach der diese Gesellschaft sich reproduziert, selbst in der hiesigen, vor Reichtum strotzenden Weltgegend nicht einmal das noch bestehende kümmerliche Maß an staatlichen und gewerkschaftlichen Absicherungen unserer individuellen Reproduktion zu halten sein wird.

XI.
Es ist zwar wahr: Auch der Kampf um die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft ist Klassenkampf. Das ist aber nicht so zu verstehen, als wenn jede Tarifauseinandersetzung, jeder Kampf einer Belegschaft gegen Entlassungen etc., unabhängig von allen sonstigen Umständen, bereits "Ausdruck" oder "Moment" der kämpfenden Klasse wäre. Umgekehrt. Wenn solche Kämpfe dies nicht sind bzw. sich nicht dahin entwickeln, bleiben sie zur Ohnmacht verdammt, die dann heute fast automatisch nach reaktionärer Kompensation verlangt: gegen "die Ausländer", die dem deutschen Arbeiter Arbeit und Lohn kaputt machen.

Als eine bestimmte gesellschaftliche Klasse stehen die auf die reine Subjektivität der Arbeit, auf ihre Arbeitskraft reduzierten Individuen im Gegensatz nicht allein zu diesem oder jenem Funktionär des Kapitals, dieser oder jener Fraktion der Bourgeoisie, dieser oder jener Aktion der staatlichen Apparate, sondern zur Klasse der Bourgeoisie insgesamt, d.h. aber zu ihrem eigenen Dasein als bloße Arbeitskraft, also zu deren Warenform, also zur kapitalistischen Lohnarbeit: zu jenem bürgerlichen Monopol auf alle objektiven Bedingungen ihrer Arbeit, das sie davon enteignet und so ihrer eigenen Arbeit entfremdet. Dieser Gegensatz ist natürlich an sich einfach eine objektive Tatsache, unabhängig davon, wieweit die Individuen, die sich in ihm bewegen, sich darüber im Klaren sind: Es ist der Gegensatz auf dem der Prozeß der Kapitalverwertung beruht.

Sogar die Entwicklung und Formung eines entsprechenden Bewußtseins der lohnarbeitenden Klasse ist daher an sich eine objektive, diesem Prozeß immanente Notwendigkeit. Die Klasse muß sich reproduzieren, damit das Kapital sich aus ihr verwerten kann, aber diese Reproduktion, das macht gerade ihren gegensätzlichen, kapitalistischen Charakter aus, ist ganz und gar dem "Selbsterhaltungstrieb" der individuellen Träger der Arbeitskraft anheimgestellt, die wiederum ohne ihre Vereinigung zur Klasse unter die Bedingungen ihrer eigenen Reproduktion absinken. Es hatten darum immer, d.h. seit es den Kapitalismus gibt, die Kämpfe um die Bedingungen der Lohnarbeit in mehr oder weniger ausgeprägter Form die Tendenz, über den Kampf bloß einzelner Abteilungen und Segmente der Klasse hinauszugehen, die ganze Klasse um bestimmte Forderungen zusammenzuschließen, sie zur Partei zu formieren, die zur Sicherung ihrer existentiellen Interessen auf alle gesellschaftlichen Machtmittel Anspruch erhebt. Auch die revolutionären Aufstände des Proletariats stellen zunächst nur Kulminationen dieser Geschichte seines aus seiner Daseinsweise selbst hervorgehenden Klassenkampfes dar.

Nicht darum jedoch handelt es sich hier, wie überhaupt, im allgemeinen und großen Ganzen der berühmte "Kampf ums Teewasser" zusammenhängt mit der Entwicklung des Bewußtseins der Klasse und ihrer revolutionären Vereinigung. Nicht darum, daß in der Tat die Wirklichkeit des Kapitals mit Notwendigkeit in den von ihm Ausgebeuteten und Unterdrückten auch das Bewußtsein von der Unausweichlichkeit der Aufhebung dieser Wirklichkeit erzeugt: in der einen oder anderen Weise, früher oder später. Es handelt sich vielmehr darum, welchen bestimmten Entwicklungsgrad dieses Bewußtsein jetzt aufweist, und welches die jetzt gegebenen, geschichtlich konkreten Bedingungen und Möglichkeiten seiner Entwicklung sind; auch ein aus der Not geborenes Bewußtsein ist schließlich immer ein bewußtes, ein reflektiertes Sein. Es handelt sich darum, daß dieses existierende Bewußtsein selbst seine eigene gegenwärtige Gestalt: sich selbst als bestimmtes Moment der jetzt konkret gegebenen gesellschaftlichen Konstellation kritisch reflektiert.

Die konkrete Wahrheit ist, daß der Prozeß der Konstitution des Proletariats zur Klasse gleichsam auf seinen Anfang zurückgeworfen ist, dabei aber das Proletariat eben nicht mehr als jenen jungfräulichen Boden vorfindet, von dem er vor 150 Jahren erstmals seinen Ausgang nahm. Nicht die rohe, "über das Land zerstreute und durch die Konkurrenz zersplitterte Masse", von der das Manifest spricht, nicht eine geschichtslose, unförmige "Klasse an sich" muß sich da zu einem seine Geschichte allererst beginnenden Subjekt konstituieren, sondern dieses längst konstituierte Subjekt muß sich der wirklichen Quelle seiner geschichtlichen Macht, aber auch seiner versäumten geschichtlichen Möglichkeiten entsinnen.

Wahr ist des weiteren, daß diese geschichtlich konkreten Proletarier hier im Westen jene berühmten "Ketten", außer denen auch sie, nach dem furiosen Schlußabsatz des Manifests in ihrer Revolution "nichts … zu verlieren" haben, längst sich haben vergolden lassen – als Preis nicht zuletzt dafür, daß sie ihre Brüder und Schwestern im Osten im Regen stehen ließen. Die jetzige Demontage des auch links so genannten "Sozialstaats" kam nicht zufällig hierzulande erst mit der erfolgreichen Demontage der Arbeiterstaaten richtig in Schwung, denn namentlich die Existenz der DDR war immer besondere Bedingung und solidester Bestandteil des hiesigen Kampfes ums Teewasser, wenn auch aus gutem Grund so nicht unmittelbar präsent in den Köpfen der Proleten, die davon profitierten (in denen der Bourgeoisie, die es geschehen ließ, hingegen, wie ihr noch nachträglich nicht enden wollendes Gegeifer gegen Diktatur und Mißwirtschaft beweist, ganz sicher). Daß es heute an sozialstaatlichen Rechten und Einrichtungen einiges abzubauen und gegen solchen Abbau zu verteidigen gibt, hat etwas mit dieser, wie immer auch deformierten, auf deutschem Territorium in besonderer Weise wirksamen Klassenmacht des Proletariats zu tun. Bürgerlicher Sozialstaat und der in Koexistenz sich selbst bürokratisch verstümmelnde Arbeiterstaat waren zwei Seiten derselben Medaille.

Um die Verteidigung oder Wiederherstellung des "sozialen Netzes" zu kämpfen, d.h. um verminderte Risiken für die individuellen Glieder einer weiterhin im Ganzen dem Prozeß der Kapitalverwertung unterworfenen Klasse eigentumsloser, bloßer Arbeitskräfte; zu kämpfen also um Erhalt oder Erneuerung eines entschärften, spendablen Kapitalismus, des goldigen Glanzes unserer Ketten, heißt demnach einem Gespenst aus unwiederbringlicher Vergangenheit hinterherjagen. Wer Sozialstaat sagt, sagt auch Realsozialismus. Dieser ist nun verdientermaßen in die Grube gefahren und hat damit auch jenem alle Lebenskraft geraubt. Revolutionäre sollten immerhin soviel Pietät aufbringen, den einen in Frieden ruhen, den anderen in Würde sterben zu lassen. Die Konstellation, der beide gemeinsam ihr Dasein verdankten, das sollten wir jedenfalls im Gedächtnis behalten, war das Resultat einer auf halbem Wege abgewürgten und so dann einbetonierten – Revolution. <Zurück von Fn.10>

XII.
Das heißt nun aber ganz und gar nicht, daß uns die konkreten Umstände des kapitalistisch produzierten Elends etwa nicht im einzelnen, sondern nur noch im großen Ganzen interessieren sollen; daß nicht gegen die je bestimmte, besondere Abscheulichkeit und Gemeinheit zu kämpfen sei, sondern gegen "den Kapitalismus" an sich und überhaupt. Es verhält sich vielmehr genau andersherum. Dieser immer konkrete Kampf gegen konkretes Unheil wird zum bloßen Symbol, zur leeren Geste, zu einer Lüge, wenn wir verschweigen, daß das einzelne Unheil keine abstrakte Einzelheit, sondern Moment eines bestimmten Zusammenhangs und ihm daher nur in diesem Zusammenhang ernsthaft beizukommen ist.

Eine Revolution wird nicht versäumt, noch läßt sie sich später nachholen, ohne daß jenes Versäumnis seinen Tribut einzieht. Die einmal erreichte Schärfe der Konfrontation dauert fort, sei es auch unter der befriedeten Oberfläche des unmittelbar ersichtlichen Geschehens. Hinter das Versäumnis führt kein Weg zurück – es sei denn der in die Katastrophe. Die Frage: revolutionäre oder katastrophische Vollendung des Kapitalismus? "Sozialismus oder Barbarei?" einmal praktisch gestellt, als Frage der unmittelbaren Aktion hochorganisierter sozialer Kräfte, verschwindet nicht mehr von der Tagesordnung, solange sie nicht ein für allemal entschieden ist. Ist sie aber auf der Tagesordnung, dann beherrscht sie alle übrigen Fragen, auch wenn die barbarische Konservierung der unzulänglichen ersten revolutionären Antwort auf sie es lange Zeit anders hat aussehen lassen.

Verfall und schließliche Abräumung des in seiner Deformation erstarrten ersten Arbeiterstaates (samt seiner Ableger) haben nicht nur den nötigen Platz geschaffen, die Diktatur des Proletariats als die revolutionäre, unbescheidene, alle deformierende Erstarrung durchbrechende Macht der ausgebeuteten Klasse auf erweiterter Grundlage zu erneuern. Sie haben vor allem in das scheinbar so festgefügte, behäbige Kartell arbeiterbürokratischer Macht ein irreparables Loch gerissen. Das stellt die bürokratisch-reformistische Verwaltung der Lohnarbeiterinteressen insgesamt in Frage und hat damit auf der einen Seite der neoliberalen Offensive ihren Anschein der Unwiderstehlichkeit verliehen, erzeugt nun aber auf der anderen Seite einen nicht weniger unausweichlichen Zwang, wieder in jener vor der Zeit verworfenen anderen, revolutionären Richtung die Kraft zu suchen, die den zahlreicher und gründlicher denn je proletarisierten Individuen die Verteidigung selbst ihrer elementarsten Lebensinteressen allein noch erlaubt.

Dahingehend Klarheit zu schaffen, wäre die derzeit wichtigste Aufgabe revolutionärer Propaganda. Nicht eine sogenannte "Verbindung" des berüchtigten "Kampfes um Reformen" mit formelhaft abstrakter Reklame für eine darüber hinausgehende "Revolution" sowie darin "dann" angesagte "weitergehende" Zwecksetzungen und Maßnahmen ist heute revolutionär, sondern die Zerlegung und Entsorgung dieses klapperigen Konstrukts, das seinen Dienst leidlich getan haben mag zu der Zeit, als wir alle noch auch ohne jede handfest revolutionäre Perspektive ganz gut zurechtkamen. Revolutionäre Propaganda hätte jenem Kampf selbst, der sich da als einer um "Reformen" inzwischen bloß noch mißversteht, aus der Hilflosigkeit zu befreien, die seiner unangemessenen, reformistisch unklaren Form entspringt und ihn regelmäßig ruiniert; hätte zu zeigen, daß die darin als "Reformen" unbestimmt halbherzig formulierten Ziele, so bescheiden sie ihrem einzelnen Anliegen nach sein mögen, selbst in dieser bescheidenen Einzelheit nur noch revolutionär zu verwirklichen sind: nur durch despotische Eingriffe in die heilige Ordnung des Irrsinns privater Disposition über die gesellschaftliche Arbeit, also nur durch den Sturz der Bourgeoisie und die Wiederherstellung der revolutionären Diktatur des Proletariats auf neuer, erweiterter Grundlage.

Revolutionärer Übergang zum Kommunismus ist also die Losung – nicht einer ferneren oder näheren Zukunft, sondern: des Tages.

Nicht "Arbeit für alle", kein Gefeilsche um Arbeitsplätze und auch keine "Revolution gegen die Arbeit", d.h. die Forderung nach Brot und Spielen.

Sondern: Aufhebung jeglichen privaten Eigentums an den sachlichen Bedingungen der Arbeit, unter dem sich die arbeitslose Aneignung fremder Arbeit verbirgt. "Gleicher Arbeitszwang für alle", also eine solche Verallgemeinerung des kapitalistisch immer nur besonderen, daher unsichtbaren Zwangs zur Mehrarbeit, die dessen Klassencharakter beseitigt, also den Zwang zur Arbeit überhaupt gesellschaftlich erst transparent, daher für alle auf sein vernünftiges Maß reduzierbar macht, so daß uns Zeit zur freien Entfaltung unserer individuellen "produktiven Triebe und Anlagen"23 zuwächst, und damit den Weg eröffnet zur Überwindung des Zwangscharakters aller Arbeit, ihrer Verwandlung in unser "erstes Lebensbedürfnis"24.

Nicht demokratische Kontrolle des fortbestehenden Kommandos der Privaten über die in gesellschaftlicher Kooperation verrichtete Arbeit und schon gar nicht irgendeine in Koexistenz mit kapitalistischer Lohnarbeit betriebene sogenannte "Bürger-" oder "Gemeinwohlarbeit" etc. pp., keine dezentralen Subssistenzwirtschaften auf dem vom anarchischen Prozeß der Kapitalverwertung immer wieder produzierten sozialen Brachland. Derartige Projekte stehen sämtlich vor der schönen Alternative, entweder (wenn man Glück hat) der unscheinbare Beginn einer wunderbaren weiteren kapitalistischen Erfolgsstory zu sein oder aber (in aller Regel) eine Brücke zur volksgemeinschaftlichen Dienstverpflichtung, zum zwangsweisen Trainingslager der vom Kapital in seine Reserve herabgestuften Arbeitskraft, zur allgemeinen Verbilligung dieser Ware.

Sondern: die Abschaffung der kapitalistischen Lohnarbeit selbst, die Befreiung der gesellschaftlichen Arbeit von dem Zwang, sich als ihr Gegenteil, als die fortwährend wachsende Macht über die Arbeit in der Hand privater, gegen deren gesellschaftlichen Charakter daher ganz gleichgülter Nichtarbeiter zu verwerten. Also die Aufhebung dieser Macht in der vollendeten Selbstorganisation der Arbeit auf der Höhe ihres jetzigen Vergesellschaftungsgrades. Niemand braucht da mehr irgend etwas auszutüfteln, denn alle nötigen sachlichen Mittel, alle technischen und organisatorischen Kenntnisse und Fähigkeiten, alle entsprechende Erfahrung liegen längst massenhaft vor und werden von den unter dem Diktat der Kapitalverwertung kooperierenden Individuen alltäglich neu gewonnen und vermehrt; diese müssen daher "nur" jenes Diktat abschütteln, müssen das private Korsett aufsprengen das ihre gesellschaftliche Kooperation einschnürt und verunstaltet, damit ihre Selbstorganisation Wirklichkeit werde.

Nicht "Geld ist genug da", die links radikalisierte Phrase des Demokraten, der nicht begreift, daß in Verhältnissen, wo jedes Ding und alles Tun in Geld gewogen wird, niemals "genug" davon "da" sein kann; daß, wo dieses universalen Zaubermittels bedarf, wer sein Leben fristen will, sämtliche lebenswichtigen und nützlichen Dinge nach einer bestimmten Regel sich in den Händen derjenigen im Überfluß konzentrieren, die sie nicht brauchen, und die, die sie brauchen, ihrer ebenso regelmäßig vollständig entbehren; daß anderseits dasselbe zauberhafte Mittel alle Zauberkraft verliert und überflüssig wird, sobald die Gesellschaft als ein "Verein freier Menschen"25 den schönen Vorsatz in die Tat umsetzt, jedem vernünftigen Bedürfnis wirklich genüge zu tun.

Sondern: Auflösung aller Ökonomie samt ihrer zauberhaften Fetische in ihre rationelle Grundlage, die "Ökonomie der Zeit"26, d.h. "gesellschaftlich planmäßige Verteilung" der Arbeitszeit, die "die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen"27 regelt.

Nicht Verteidigung der Demokratie um ihrer selbst willen, denn alle Demokratie beruht auf jener Gleichheit und Freiheit des Geldes, die sich weder um die wirkliche Ungleichheit der Bedürfnisse, der sie befriedigenden Mittel und der dafür nötigen Arbeiten scheren muß, noch um all deren wirkliche sachliche Abhängigkeit voneinander, weil in ihr immer schon die Einen alles im Überfluß besitzen, während die Anderen froh sein müssen, wenn man sie für die Mehrung des fremden Überflusses arbeiten läßt und sie das für ihren bloßen Erhalt im Zustand der Arbeitsfähigkeit Nötigste ergattern.

Sondern: Ausnutzung der Demokratie zur Errichtung der revolutionären Diktatur einer Assoziation aller vom Produkt ihrer gemeinsamen Arbeit enteigneten, von ihrer Arbeit entfremdeten Individuen zum Zwecke despotischer Eingriffe in jene Ordnung des Eigentums, die diese Enteignung und Entfremdung ebenso zur Voraussetzung hat, wie sie dieselbe stets von neuem spontan erzeugt; einer Diktatur die übergeht zur Auflösung jeglicher Politik, auch der allerdemokratischsten, die doch immer eine Regierung über Menschen bleibt, in eine solche gemeinsame Verwaltung der Sachen, "worin die freie Entwicklung einer jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller ist."

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Es wird Zeit, daß alle kommunistischen und sozialistischen Revolutionäre zusammenkommen, ein solches Programm gemeinsam zu beraten, auszuarbeiten und zu beschließen; daß sie, unbeschadet ihrer bereits bestehenden verschiedenen Organisationen und laufenden Aktionen, gemeinsame Aktions- und Organisationsformen ins Leben rufen und entwickeln, um dieses Programm öffentlich zu vertreten und zu erläutern; um es in einer gemeinsamen Praxis revolutionärer Propaganda und Debatte zu überprüfen und zu verbessern. Es wird Zeit, daß das Gespenst des Kommunismus in Europa wieder ein klares Gesicht erhält; daß der Kommunismus wieder hervortritt aus dem Schatten seiner schmerzvoll unvollendeten Geschichte, für die er die Verantwortung von niemand sich abnehmen läßt. Es wird Zeit daß wir unsere "Ansichten und Absichten" gemeinsam wieder offen erklären: "den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung", der nicht endet, bevor die klassen-, daher staatenlose Weltgesellschaft erreicht ist. <Zurück zu "Fragen...">


* Anlaß zur ersten Ausarbeitung der folgenden Überlegungen, deren Extrakt die voranstehenden Thesen darstellen, war eine Einladung gewesen, auf einer Diskussionsveranstaltung im April dieses Jahres zum Thema "Proletarier aller Länder vereinigt Euch? 150 Jahre Kommunistisches Manifest" zu referieren - ergänzend bzw. kontrovers zu drei weiteren Referenten: Thomas Ebermann, Wolfgang Gehrke (PDS) und Andreas Schmitt (Kritik & Diskussion; eine der Münchner Vierteljahresschrift GEGENSTANDPUNKT nahestehende Hamburger Gruppe). Mit der Diskussion wurde die vom AStA der HWP (Hochschule für Wirtschaft und Politik) und der MASCH (Marxistische Abendschule) in Hamburg getragene Veranstaltungsreihe "Aktuelle Kapitalismus- und Sozialismuskritik in Deutschland" eröffnet. Der vorliegende Text geht indes über den notgedrungen sehr beschränkten Rahmen meines damals vorgetragenen Referats erheblich hinaus.

1 Alle fett gesetzten Zitate aus: Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei. In: MEW 4, S. 459 ff

2 Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. In: MEW 23, S. 249

3 Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850. In: MEW 7, S. 33

4 Eine Tatsache, die allem vorübergehend anderslautenden Anschein zum Trotz spätestens immer dann offen zutage liegt, wenn Schuster, Bäcker und Krankenschwester zwangsweise sich gemeinsam als Arbeitslose beim Arbeitsamt einfinden, während im selben Moment gerade deshalb die Aktienkurse hoffnungsvoll in die Höhe schnellen.

5 Karl Marx: Das Kapital, a.a.O. S.618

6 Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. In MEW 42, S. 244. " ... und seine historische Bestimmung ist erfüllt", fährt Marx dort fort, "sobald einerseits die Bedürfnisse soweit entwickelt sind, daß die Surplusarbeit über das Notwendige hinaus selbst allgemeines Bedürfnis ist, aus den individuellen Bedürfnissen selbst hervorgeht - andererseits die allgemeine Arbeitsamkeit durch die strenge Disziplin des Kapitals, wodurch die sich folgenden Geschlechter durchgegangen sind, entwickelt ist als allgemeiner Besitz des neuen Geschlechts - endlich durch die Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit, die das Kapital in seiner unbeschränkten Bereicherungssucht und den Bedingungen, worin es sie allein realisieren kann, beständig voranpeitscht, soweit gediehen ist, daß der Besitz und die Erhaltung des allgemeinen Reichtums einerseits nur eine geringe Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft erfordert und die arbeitende Gesellschaft sich wissenschaftlich zu dem Prozeß ihrer fortschreitenden Reproduktion, ihrer Reproduktion in stets größerer Fülle verhält; also die Arbeit, wo der Mensch in ihr tut, was er Sachen für sich tun lassen kann, aufgehört hat."

7 Vgl. Friedrich Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaften. In: MEW 20, S. 243-247

8 Lies: Theaterkarte. Die gegen Proudhons „seichten Utopismus eines ‚Arbeitsgelds‘ auf Grundlage der Warenproduktion" gerichtete Stelle bei Marx lautet wörtlich: „Hier sei noch bemerkt, daß z.B. das Owensche ‚Arbeitsgeld‘ ebensowenig ‚Geld‘ ist wie etwa eine Theatermarke. Owen setzt unmittelbar vergesellschaftete Arbeit voraus, eine der Warenproduktion diametral entgegengesetzte Produktionsform. Das Arbeitszertifikat konstatiert nur den individuellen Anteil des Produzenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch auf den zur Konsumtion bestimmten Teil des Gemeinprodukts. Aber es fällt Owen nicht ein, die Warenproduktion vorauszusetzen und dennoch ihre notwendigen Bedingungen durch Geldpfuschereien umgehn zu wollen." (Karl Marx: Das Kapital, a.a.O. S. 109, Fn.)

9 Mehr dazu weiter unten in Abschnitt VI (s. insbes. S.21f)

10 Siehe dazu auch u. S.28f

11 Fritjof Meyer: Marx, ganz modern. In: Der Spiegel Nr. 19/98

12 S. 11

13 „Sie fragen mich, was die englischen Arbeiter von der Kolonialpolitik denken? Nun, genau dasselbe, was sie von der Politik überhaupt denken ... Es gibt hier ja keine Arbeiterpartei, es gibt nur Konservative und Liberal-Radikale, und die Arbeiter zehren flott mit von dem Weltmarkts- und Kolonialmonopol Englands." So zitiert Lenin, der gerne für den Erfinder der Behauptung von der Bestechung der Arbeiter in den imperialistischen Länder durch ihre Bourgeoisie gehalten wird, in seinem 1916 veröffentlichen Artikel „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus" Engels aus einem Brief an Kautsky vom 12. September 1882 (in: Lenin Werke, Bd. 23, S. 109). <Zurück zu "Fragen...">

14 „Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt." (MEW 3, S. 35)

15 Dies zwar hauptsächlich unter dem Schutz der Panzer der Roten Armee, nicht aber unbedingt mit dem Segen ihres obersten Befehlshabers, der z.B. der realsozialistischen DDR (siehe seine Noten 1952 an die Westmächte) ein neutralisiertes kapitalistisches Gesamtdeutschland glatt vorgezogen hätte.

16 Karl Marx: Das Kapital, a.a.O. S. 598.

17 Siehe hierzu auch Daniel Dockerill: Realsozialismus, Stalinismus und Wertkritik. In: Übergänge Nr. 3, S. 72ff.

18 „Kommunismus mit Kohle" war in konkret 11/97 ein Aufsatz betitelt, in dem Jürgen Elsässer zeigen wollte, wie „das Geld das kapitalistische System untergräbt". Das ist ihm nicht gelungen, weil er wie üblich die notwendige Differenz zwischen der Bestimmung des Werts durch Arbeitszeit und der Geldform des so bestimmten Werts, daher überhaupt das Geld nicht begreift – von Kapital, Mehrwert, Lohn etc. gar nicht zu reden. Dafür findet sich aber einiges Erhellendes über das realsozialistische „Nichtgeld" darin: Gleich zu Beginn z.B. zitiert E. aus einer Kurzgeschichte des DDR-Autoren Volker Braun, in der „Das unverdiente Glück" eines Lottogewinners geschildert wird, der mit seinem Gewinn „nicht richtig glücklich wurde. Was er mit dem Haufen Geld auch anstellen will – ein Auto kaufen, eine luxuriöse Wohnung, ein Seegrundstück, eine Fernreise – es wird nichts. ‚Wer sind Sie? Was sind Sie überhaupt?‘ fragt man den Begehrlichen auf dem Amt, und er antwortet: ‚Sie verstehn nicht, ich hab Geld.‘ Damit hätte er im Westen Erfolg gehabt, im Osten war es anders, dort hatten Auszeichnungen und Titel solideren Tauschwert als Geld."

19 Am prägnantesten hat Marx selbst sich dazu in einem Brief an Joseph Weydemeyer vom 5.März 1852 geäußert: „Was mich betrifft, so gebührt mir nicht das Verdienst, weder die Existenz der Klassen in der modernen Gesellschaft noch ihren Kampf unter sich entdeckt zu haben. Bürgerliche Geschichtsschreiber hatten längst vor mir die historische Entwicklung des Kampfes der Klassen und bürgerliche Ökonomen die ökonomische Anatomie derselben dargestellt. Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, daß die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet." (zitiert nach: Karl Marx, Friedrich Engels: Ausgewählte Briefe. Berlin 1953, S. 86)

20 Karl Marx: Das Kapital. Siehe dort das vorletzte (24.) Kapitel, a.a.O. S. 789ff.

21 Joachim Bruhn, Manfred Dahlmann, Gabi Walterspiel u.a.: Revolution gegen die Arbeit. In: Jungle World Nr. 17, 22.4.98.

22 „Sprechen wir darüber, warum der Kommunismus kein Ideal und kein politisches Programm ist, kein Prinzip, keine Utopie. Sondern: das Gebot der Vernunft, ihr Diktat, das sich nicht in positiven Sätzen, sondern in der negativen Kritik des Bestehenden nur aussprechen kann." (Joachim Bruhn u.a., a.a.O.)

23 Karl Marx: Das Kapital, a.a.O. S. 381.

24 Karl Marx: Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei. In: MEW 19, S. 21.

25 Karl Marx: Das Kapital, a.a.O. S. 93.

26 Karl Marx: Grundrisse …, a.a.O. S. 105.

27 Karl Marx: Das Kapital, a.a.O.

 

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