Mao Ausgewählte Werke Band III

Mao Tse-tung


Mao Tse-tung:

UNSER STUDIUM UMGESTALTEN*

 (Mai 1941)


Diese Version aus: Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke Band III, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1969, S.15-24


Ich schlage vor, die Methode und das System des Studiums in unserer ganzen Partei umzugestalten. Die Gründe hierfür sind folgende:

I

Die zwanzig Jahre des Bestehens der Kommunistischen Partei Chinas sind zwanzig Jahre einer immer engeren Verbindung der allgemeingültigen Wahrheit des Marxismus-Leninismus mit der konkreten Praxis der chinesischen Revolution. Wenn wir uns daran erinnern, wie oberflächlich, wie arm unsere Kenntnisse vom Marxismus-Leninismus und über die chinesische Revolution in den Kindheitsjahren unserer Partei waren, dann können wir sehen, um wieviel tiefer, um wieviel reicher sie jetzt sind. Im Laufe der letzten hundert Jahre führten die besten Söhne und Töchter der leidgeprüften chinesischen Nation einen opferreichen Kampf, in dem immer neue Helden an die Stelle der gefallenen traten, auf der tastenden Suche nach jener Wahrheit, die das Land und das Volk zu retten vermöchte. Dies begeistert uns zu Liedern und rührt uns zu Tränen. Aber erst nach dem ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution in Rußland fanden wir den Marxismus Leninismus, diese höchste Wahrheit, die zur besten Waffe für die Befreiung unserer Nation gemacht wurde, wobei der Initiator, Propagandist und Organisator der Anwendung dieser Waffe die Kommunistische Partei Chinas war. Die allgemeingültige Wahrheit des Marxismus-Leninismus hat, sobald sie mit der konkreten Praxis der chinesischen Revolution integriert war, der chinesischen Revolution ein völlig neues Aussehen verliehen. Nach Ausbruch des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression hat unsere Partei, gestützt auf die allgemeingültige Wahrheit des Marxismus-Leninismus, beim Studium der konkreten Praxis dieses Krieges sowie beim Studium des heutigen China und der Welt von heute einen Schritt vorwärts gemacht und hat dabei gewissermaßen zugleich mit dem Studium der Geschichte Chinas begonnen. Das alles sind sehr positive Erscheinungen.

II

Dessenungeachtet gibt es bei uns noch Mängel, und zwar sehr große Mängel. Ich bin der Meinung, daß wir, wenn diese Mängel nicht beseitigt werden, in unserer Arbeit, bei unserem großen Werk der Integrierung der allgemeingültigen Wahrheit des Marxismus-Leninismus mit der konkreten Praxis der chinesischen Revolution keinen weiteren Schritt vorwärts machen können.
Nehmen wir zunächst das Studium der gegenwärtigen Lage. Wenn wir auch gewisse Erfolge beim Studium der gegenwärtigen inneren und internationalen Lage aufzuweisen haben, ist das von uns darüber gesammelte Material in jeder Hinsicht – sei es auf politischem, militärischem, wirtschaftlichem, sei es auf kulturellem Gebiet – für eine so große politische Partei wie die unsrige noch Stückwerk, und unsere Forschungsarbeit wird noch nicht systematisch durchgeführt. Im allgemeinen leisten wir seit zwanzig Jahren auf den erwähnten Gebieten keine systematische, lückenlose Arbeit zur Sammlung von Materialien und zu deren Studium; uns fehlt das Klima zur Untersuchung und Erforschung der objektiven Wirklichkeit. Viele Genossen in unserer Partei haben immer noch einen äußerst schlechten Arbeitsstil, der dem grundlegenden Geist des Marxismus-Leninismus völlig widerspricht: „mit verbundenen Augen Spatzen jagen“ oder „blind tastend Fische fangen“, nachlässig und schlampig sein, große Worte im Munde führen, sich mit Halbwissen begnügen. Marx, Engels, Lenin und Stalin lehren uns, die Umstände gewissenhaft zu studieren, von der objektiven Wirklichkeit auszugehen, nicht aber von subjektiven Wünschen; viele unserer Genossen handeln jedoch dieser Wahrheit direkt zuwider.
Nehmen wir nun das Studium der Geschichte. Wenn sich auch einige wenige Parteimitglieder und Sympathisierende mit dieser Arbeit befaßten, wurde sie dennoch nicht organisiert durchgeführt. Die Geschichte Chinas in den letzten hundert Jahren ist ebenso wie seine ältere Geschichte für viele Mitglieder der Partei immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Selbst viele marxistisch-leninistische Gelehrte brauchen nur den Mund aufzumachen, und schon reden sie vom antiken Griechenland, was aber unsere eigenen Vorfahren anbelangt, so haben sie diese eben – mit Verlaub! – vergessen. Es fehlt also das Klima zum ernsthaften Studium der Gegenwart und auch zum ernsthaften Studium der Geschichte.
Nehmen wir schließlich das Studium der internationalen revolutionären Erfahrungen, das Studium der allgemeingültigen Wahrheit des Marxismus-Leninismus. Viele Genossen studieren den MarxismusLeninismus so, als wäre ihr Studium gar nicht für die revolutionäre Praxis erforderlich, sondern sollte bloß um seiner selbst willen betrieben werden. So kommt es, daß sie zwar lesen, das Gelesene aber nicht verdauen können. Sie können lediglich einzelne Sätze aus den Schriften Marx', Engels', Lenins und Stalins einseitig zitieren, verstehen es aber nicht, von deren Standpunkt aus, nach deren Auffassung und Methode die gegenwärtige Lage und die historische Vergangenheit Chinas konkret zu studieren, die Probleme der chinesischen Revolution konkret zu analysieren und zu lösen. Eine solche Einstellung zum MarxismusLeninismus ist überaus schädlich, sie schadet ganz besonders den mittleren und höheren Funktionären.
Ich habe also eben drei Seiten erwähnt – die Mißachtung des Studiums der gegenwärtigen Lage, des Studiums der Geschichte und der Anwendung des Marxismus-Leninismus; das alles ist ein äußerst schlechter Arbeitsstil. Seine Verbreitung wirkte sich bei vielen unserer Genossen nachteilig aus.
In der Tat gibt es in unseren Reihen viele Genossen, die dieser Arbeitsstil vom richtigen Weg abgebracht hat. Gibt es denn nicht noch bei vielen Genossen, die nicht den Wunsch haben, die konkreten Verhältnisse innerhalb und außerhalb des Landes, der Provinz, des Kreises, des Distrikts systematisch und lückenlos zu untersuchen und zu erforschen, sondern ausschließlich auf oberflächliche Kenntnisse und eigene Vermutungen gestützt, Anordnungen treffen, einen solchen subjektivistischen Arbeitsstil?
Leute, welche die Geschichte des eigenen Landes überhaupt nicht oder nur sehr schlecht kennen, halten das nicht für eine Schande, sondern, umgekehrt, für eine Ehre. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß nur sehr wenige Menschen die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas sowie die Geschichte Chinas in den letzten hundert Jahren seit dem Opiumkrieg wirklich kennen. Es gibt kaum jemand, der das Studium der ökonomischen, politischen und militärischen Geschichte sowie der Geschichte der Kultur Chinas in den letzten hundert Jahren ernsthaft in Angriff genommen hätte. Manchen Leuten bleibt, da sie ja keine Kenntnis vom eigenen Land haben, nichts anderes übrig, als auf die Sagen Griechenlands und anderer fremder Länder zurückzugreifen, und auch diese Kenntnisse sind sehr armselig, denn sie wurden bloß aus einem Wust alter ausländischer Bücher bruchstückweise herausgeklaubt.
An dieser Krankheit leiden seit Jahrzehnten viele Leute, die im Ausland studiert haben. Aus Europa, Amerika oder Japan in die Heimat zurückgekehrt, wußten sie nur alles Ausländische nachzuplappern. Sie wurden eine Art Grammophon und vergaßen ihre Pflicht, Neues zu erkennen und Neues zu schaffen. Mit dieser Krankheit wurde auch die Kommunistische Partei angesteckt.
Wir studieren den Marxismus, aber viele von uns bedienen sich bei diesem Studium einer Methode, die dem Marxismus direkt zuwiderläuft. Sie verstoßen nämlich gegen das Grundprinzip, das uns Marx, Engels, Lenin und Stalin immer wieder nachdrücklich ans Herz gelegt haben: die Einheit von Theorie und Praxis. Nun, da sie dieses Prinzip über Bord geworfen hatten, brachten sie ihr eigenes, entgegengesetztes Prinzip hervor: die Loslösung der Theorie von der Praxis. Sowohl in den Lehranstalten als auch bei der Schulung der Kader an der Arbeitsstätte geben die Philosophielehrer den Studierenden keine Anleitung zum Studium der Logik der chinesischen Revolution, die Lehrer der ökonomischen Wissenschaften keine Anleitung zum Studium der Besonderheiten der Wirtschaft Chinas, die Lehrer der politischen Fächer keine Anleitung zum Studium der Taktik der chinesischen Revolution, die Lehrer der Militärwissenschaft keine Anleitung zum Studium einer den Besonderheiten Chinas entsprechenden Strategie und Taktik usw. usf. Infolgedessen werden Fehler ausgestreut, die den Menschen großen Schaden zufügen. Was man in Yenan gelernt hat, versteht man in Fuhsiän
1 nicht anzuwenden. Ist der Professor für Ökonomie nicht imstande, die Relationen zwischen der „Grenzgebiet-Währung“ und der „Kuomintang-Währung“2 zu erklären, wird der Hörer sie selbstverständlich auch nicht erklären können. Das eben hat dazu geführt, daß bei vielen Studenten eine anomale Mentalität entstanden ist: Statt sich für die Probleme Chinas zu interessieren und den Weisungen der Partei Beachtung zu schenken, hängen sie mit Leib und Seele an den von ihren Lehrern übernommenen, angeblich ewigen und unveränderlichen Dogmen.
Natürlich kennzeichnet das, was ich oben anführte, nur den schlimmsten Typ in unserer Partei; man kann nicht sagen, daß es sich hierbei um eine allgemeine Erscheinung handelt. Jedoch existieren Menschen dieses Typs, und zwar in nicht geringer Zahl, und sie üben einen ziemlich schädlichen Einfluß aus; dem dürfen wir nicht gleichgültig zusehen.

III

Um diesen Gedanken nochmals zu erläutern, möchte ich zwei entgegengesetzte Haltungen miteinander vergleichen.
Die erste ist die subjektivistische Haltung.
Bei einer solchen Haltung studiert man nicht systematisch und lückenlos die Umwelt, verläßt sich in der Arbeit allein auf den subjektiven Enthusiasmus und hat vom heutigen Aussehen Chinas nur verschwommene Vorstellungen. Bei einer solchen Haltung schneidet man den Faden der Geschichte durch, kennt nur Griechenland, nicht aber China; das China von gestern und vorgestern bleibt für solche Leute ein Buch mit sieben Siegeln. Bei einer solchen Haltung studiert man die marxistisch-leninistische Theorie abstrakt, ohne Ziel. Man wendet sich Marx, Engels, Lenin und Stalin zu, nicht um deren Standpunkt, Auffassungen und Methoden zu erforschen, damit man die theoretischen und taktischen Probleme der chinesischen Revolution lösen könne, sondern studiert die Theorie ausschließlich um ihrer selbst willen. Statt auf ein Ziel zu schießen, verschießt man blindlings seine Pfeile. Marx, Engels, Lenin und Stalin lehren uns, daß man von den objektiv existierenden realen Dingen ausgehen und aus ihnen Gesetze ableiten muß, die uns als Anleitung zum Handeln dienen sollen. Dazu ist es, wie Marx sagt, notwendig, sich das Material im einzelnen anzueignen und es dann einer wissenschaftlichen Analyse und Synthese zu unterziehen
3. Viele unserer Leute handeln aber gerade umgekehrt. Eine ganze Anzahl von ihnen befaßt sich zwar mit Forschungsarbeiten, zeigt aber für das Studium des heutigen wie des gestrigen China keinerlei Interesse; diese Leute interessieren sich lediglich für inhaltlose „theoretische“ Untersuchungen, die von der Wirklichkeit losgelöst sind. Zahlreiche andere, die sich mit praktischer Arbeit befassen, schenken ebenfalls dem Studium der objektiven Umstände keine Beachtung, verlassen sich zumeist allein auf den Enthusiasmus und halten ihre Einbildung für Politik. Beide Kategorien von Menschen stützen sich auf das Subjektive und nehmen die Existenz objektiver Realitäten nicht zur Kenntnis. Halten sie einen Vortrag, so besteht er aus einer langen Reihe von Punkten: A, B, C, D und 1., 2., 3., 4. usw.; und wenn sie einen Artikel schreiben, so wird es eine bombastische Tirade. Nicht nach Wahrheitssuche in den Tatsachen steht ihnen der Sinn, sondern nach Eindruckschinden durch Schaumschlägerei gelüstet es sie. Solche Leute sind taube Blüten, brüchig, ohne Konsistenz. Sie sind rechthaberisch, „die erste Autorität in der Welt“, „Allerhöchstbevollmächtigte“, die überall herumrauschen. So ist der Arbeitsstil einiger Genossen in unseren Reihen. Richtet man sich selbst danach, so schadet man sich selbst; lehrt man ihn andere, so schadet man den anderen; wendet man ihn bei der Leitung der Revolution an, so schadet man der Revolution. Kurz, diese der Wissenschaft, dem MarxismusLeninismus zuwiderlaufende subjektivistische Methode ist ein gefährlicher Feind der Kommunistischen Partei, ein gefährlicher Feind der Arbeiterklasse, ein gefährlicher Feind des Volkes, ein gefährlicher Feind der Nation; sie ist Ausdruck eines unsauberen Parteigeistes. Einen gefährlichen Feind haben wir vor uns, und wir müssen ihn schlagen. Nur wenn der Subjektivismus vernichtend geschlagen ist, kann die Wahrheit des Marxismus-Leninismus die Oberhand gewinnen, kann der Parteigeist erstarken, kann die Revolution siegen. Wir müssen feststellen: Wenn die wissenschaftliche Einstellung, das heißt das marxistisch-leninistische Prinzip der Einheit von Theorie und Praxis, fehlt, dann bedeutet das, daß der Parteigeist fehlt oder mangelhaft ist.
Es gibt einen Spruch, der ein Porträt solcher Menschen zeichnet. Er lautet:

Ried auf der Mauer:
    Schwerer Kopf, die Beine schmächtig, untief die Wurzeln;
Bambussprossen in den Bergen:
    Spitz der Schnabel, dick die Haut, und leer ist's im Bauche.

Trifft das nicht auf jene zu, denen eine wissenschaftliche Einstellung fehlt, die nur einzelne Sätze aus den Werken von Marx, Engels, Lenin und Stalin auswendig herzusagen verstehen, auf jene Leute, die unverdient einen Namen haben und in Wirklichkeit unwissend sind? Wenn jemand wirklich den Wunsch hat, sich von dieser Krankheit zu heilen, würde ich ihm raten, sich die genannten Zeilen zu notieren oder, was etwas mehr Mut erfordert, sie in seinem Zimmer an die Wand zu heften. Der Marxismus-Leninismus ist eine Wissenschaft, und Wissenschaft ist redliches, gediegenes Wissen; Winkelzüge gibt es da nicht. Seien wir also ehrlich!
Die zweite Haltung ist die des Marxismus-Leninismus.
Bei einer solchen Haltung bedient man sich der Theorie und Methode des Marxismus-Leninismus, um systematisch und lückenlos die Umwelt zu untersuchen und zu erforschen. Bei der Arbeit verläßt man sich nicht allein auf den Enthusiasmus, sondern vereinigt, wie Stalin sagt, revolutionären Schwung mit Sachlichkeit
4 Bei einer solchen Haltung schneidet man nicht den Faden der Geschichte ab. Man begnügt sich nicht mit Kenntnissen über Griechenland, sondern will auch China kennenlernen ; nicht nur über die Geschichte der Revolution im Ausland, sondern auch über die Geschichte der chinesischen Revolution, nicht nur über das heutige China, sondern auch über das China von gestern und vorgestern will man Wissen erwerben. Bei einer solchen Haltung muß man die marxistisch-leninistische Theorie mit einem Ziel vor Augen studieren, muß man diese Theorie mit der praktischen Bewegung der chinesischen Revolution verbinden und in der marxistisch-leninistischen Theorie den Standpunkt, die Auffassungen und die Methoden für die Lösung der theoretischen und taktischen Probleme der chinesischen Revolution suchen. Eine solche Haltung heißt, den Pfeil gezielt abschießen. Das „Ziel“ ist die chinesische Revolution, und der „Pfeil“ ist der Marxismus-Leninismus. Wir chinesischen Kommunisten haben einen solchen „Pfeil“ gesucht, um ihn auf das „Ziel“ – die Revolution in China und im Osten – abzuschießen. Eine solche Einstellung bedeutet das Suchen nach der Wahrheit in den Tatsachen. Die „Tatsachen“ sind alle objektiv existierenden Dinge, die „Wahrheit“ ist ihr innerer Zusammenhang, d, h. ihre Gesetzmäßigkeit, und „Suchen“ heißt studieren. Wir müssen von den konkreten Umständen innerhalb und außerhalb des Landes, der Provinz, des Kreises, des Distrikts ausgehen, daraus die ihnen innewohnenden nicht ausgeklügelten – Gesetzmäßigkeiten ableiten, das heißt in den ringsum vor sich gehenden Ereignissen den inneren Zusammenhang finden, und das soll für uns die Anleitung zum Handeln sein. Dabei dürfen wir uns nicht auf eine subjektive Einbildung, nicht auf einen zeitweiligen Enthusiasmus und nicht auf die toten Buchstaben eines Buches verlassen, sondern müssen uns auf die objektiv existierenden Tatsachen stützen, uns das Material im einzelnen aneignen und, geleitet von den allgemeinen Prinzipien des Marxismus-Leninismus, aus diesem Material die richtigen Schlußfolgerungen ziehen. Diese Schlußfolgerungen werden kein Aneinanderreihen nach Punkten – A, B, C, D geordneter Erscheinungen sein, keine schwülstigen und seichten Schreibereien, sondern wissenschaftliche Schlußfolgerungen. Eine solche Einstellung bedeutet, die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen, statt durch Schaumschlägerei Eindruck schinden zu wollen. Sie ist Ausdruck des Parteigeistes, ist der durch die Einheit von Theorie und Praxis gekennzeichnete marxistisch-leninistische Arbeitsstil. Das ist die Einstellung, die von einem Kommunisten als Minimum verlangt wird. Von einem, der eine solche Einstellung hat, wird niemand behaupten, daß sein „schwerer Kopf“ von „schmächtigen Beinen“ getragen werde und „untief seine Wurzeln“ seien, daß er einen „spitzen Schnabel“ habe, unter der „dicken Haut“ aber eine „Leere“ gähne.

IV

Gemäß dem eben Gesagten schlage ich folgendes vor:

1. Der gesamten Partei ist die Aufgabe zu stellen, systematisch und lückenlos die Umwelt zu studieren. Gestützt auf die marxistischleninistische Theorie und Methode muß man die Entwicklung der Dinge bei den Feinden, bei den Freunden und bei uns selbst auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Finanzen, der Politik, des Militärwesens, der Kultur und der Parteiangelegenheiten detailliert untersuchen und erforschen, um sodann daraus die richtigen und notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Zu diesem Zweck müssen wir das Augenmerk der Genossen auf die Untersuchung und Erforschung solcher praktischen Dinge lenken. Ferner müssen wir den Genossen begreiflich machen, daß die grundlegende Aufgabe der leitenden Organe der Kommunistischen Partei in zweierlei besteht: die Situation zu verstehen und die Politik zu meistern; ersteres heißt die Welt erkennen, letzteres – sie verändern. Wir müssen den Genossen auch begreiflich machen, daß man, ohne eine Untersuchung angestellt zu haben, kein Recht hat, mitzureden, und daß mit prahlerischem Geschwätz und Punkteweiser Aufzählung der diversen Erscheinungen nichts getan ist. Nehmen wir die Propagandaarbeit als Beispiel. Wenn wir nicht wissen, wie es bei den Feinden, bei den Freunden sowie bei uns selbst um die Propaganda bestellt ist, sind wir nicht in der Lage, unsere Propagandapolitik richtig zu bestimmen. Jede Arbeit, auf welchem Gebiet auch immer, kann erst dann gut verrichtet werden, wenn man zunächst die Situation kennengelernt hat. In der ganzen Partei Pläne für Untersuchungen und Forschungen durchführen – das ist das Hauptkettenglied, um einen Umschwung im Arbeitsstil der Partei zu verwirklichen.
2. Für das Studium der Geschichte Chinas in den letzten hundert Jahren sind qualifizierte Leute heranzuziehen, die ihre Arbeit untereinander aufteilen und zugleich miteinander zusammenarbeiten sollen, damit die bestehende Unorganisiertheit überwunden wird. Zuerst muß ein analytisches Studium der ökonomischen, politischen, militärischen Geschichte sowie der Kulturgeschichte betrieben werden, dann erst können wir eine synthetische Forschungsarbeit vornehmen.
3. Bei der Ausbildung der Funktionäre sowohl an der Arbeitsstätte wie in Kaderschulen ist darauf Kurs zu nehmen, daß das Studium der praktischen Probleme der chinesischen Revolution im Mittelpunkt steht und die Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus als Richtschnur dienen; dabei muß mit der Methode, den Marxismus-Leninismus statisch und isoliert zu studieren, Schluß gemacht werden. Als wichtigstes Material für das Studium des Marxismus-Leninismus muß die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki), Kurzer Lehrgang dienen. Das ist die beste Synthese und Verallgemeinerung der Erfahrungen der internationalen kommunistischen Bewegung in den letzten hundert Jahren, ein Musterbeispiel an Verbindung von Theorie und Praxis, das in dieser Vollkommenheit bisher einzig in der Welt dasteht. Wenn wir sehen, wie Lenin und Stalin die allgemeingültige Wahrheit des Marxismus mit der konkreten Praxis der sowjetischen Revolution integriert und auf dieser Grundlage den Marxismus weiterentwickelt haben, dann wissen wir wohl, wie wir bei uns in China zu arbeiten haben.
Wir sind viele Irrwege gegangen. Nicht selten aber ist das Falsche der Vorläufer des Richtigen. Ich bin davon überzeugt, daß unter den Umständen, wo die Revolution in China und in der Welt voller Leben und Mannigfaltigkeit ist, diese Umgestaltung unseres Studiums gute Ergebnisse zeitigen wird.

ANMERKUNGEN

* Die vorliegende Arbeit ist ein Referat, das Genosse Mao Tse-tung auf einer Funktionärkonferenz in Yenan gehalten hat. Dieses Referat und die Schriften „Den Arbeitsstil der Partei verbessern“ und „Gegen den Parteischematismus“ sind die sich auf die Ausrichtungsbewegung beziehenden Hauptwerke von Genossen Mao Tse-tung. In den erwähnten Schriften ging Genosse Mao Tse-tung einen Schritt weiter, als er von der ideologischen Seite her die Differenzen der früher existierenden Linien innerhalb der Partei zusammenfaßte und die kleinbürgerliche Denkweise analysierte, die in der Partei weit verbreitet war und sich als marxistisch-leninistisch tarnte – vor allem die subjektivistische und die sektiererische Tendenz sowie den Parteischematismus als Ausdrucksform dieser beiden Tendenzen. Genosse Mao Tse-tung rief dazu auf, in der gesamten Partei eine Bewegung für marxistisch-leninistische Erziehung, das heißt für die Verbesserung des Arbeitsstils im Lichte der ideologischen Prinzipien des Marxismus-Leninismus zu entfalten. Dieser Aufruf des Genossen Mao Tse-tung führte sehr bald innerhalb und außerhalb der Partei zu einer ausgedehnten Polemik zwischen der proletarischen und der kleinbürgerlichen Ideologie. Das festigte die Positionen der proletarischen Ideologie sowohl in der Partei wie außerhalb ihrer Reihen, wodurch sich das ideologische Niveau der großen Masse der Funktionäre bedeutend hob und in der Partei eine bis dahin nie dagewesene Geschlossenheit erreicht wurde.

1) Fuhsiän liegt etwa 70 Kilometer südlich von Yenan.

2) Unter „Grenzgebiet-Währung“ verstand man jene Geldscheine, die von der Bank der Regierung des Grenzgebiets Schensi-Kansu-Ningsia herausgegeben wurden. Die „Kuomintang-Währung“ war ein Papiergeld, das seit 1935 von den vier bürokratischkapitalistischen Großbanken der Kuomintang mit Unterstützung der englischen und amerikanischen Imperialisten herausgegeben wurde. Im Referat des Genossen Mao Tse-tung werden diese zwei Währungen im Zusammenhang mit der damals aufgetauchten Frage der Schwankungen im Wechselkurs zwischen ihnen erwähnt.

3) Siehe Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, „Nachwort zur zweiten Auflage“. Marx schreibt hier: „Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden.“

4) Siehe Stalin, Über die Grundlagen des Leninismus, Teil IX, „Der Arbeitsstil“.

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