DIE PERIODE DES WIDERSTANDSKRIEGS GEGEN DIE JAPANISCHE AGGRESSION (II)
(März und April 1941)
Diese Version aus: Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke Band III, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1969, S.7-13
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VORWORT
(17. März 1941)
Die gegenwärtige Politik der Partei im
Dorf ist nicht, wie während der Periode des zehnjährigen Bürgerkriegs, eine
Politik der Agrarrevolution, sondern sie ist eine Politik der antijapanischen
nationalen Einheitsfront. Die ganze Partei muß die Direktiven des
Zentralkomitees vom 7. Juli und 25. Dezember 19401) sowie die Weisungen des bevorstehenden VII.
Parteitags befolgen. Die vorliegenden Materialien wurden veröffentlicht, um den
Genossen zu helfen, eine Methode für das Studium von Problemen zu finden. Vielen
unserer Genossen haftet heute noch immer ein plumper und nachlässiger
Arbeitsstil an, sie gehen den Dingen nicht auf den Grund, haben sogar nicht
einmal die leiseste Ahnung von dem, was unten vorgeht, sind aber
nichtsdestoweniger mit der Anleitung der Arbeit beauftragt; das ist ein äußerst
gefährlicher Zustand. Ohne eine wirklich konkrete Kenntnis der tatsächlichen
Lage der Klassen in der chinesischen Gesellschaft kann es keine wirklich gute
Führung geben.
Die einzige Methode, die Lage
kennenzulernen, ist die Sozialforschung, die Untersuchung der Lage der einzelnen
Gesellschaftsklassen im realen Leben. Für jene, die mit der Anleitung der Arbeit
betraut sind, besteht die fundamentalste Methode zur Erkenntnis der Verhältnisse
darin, sich planmäßig einige Städte und Dörfer vorzunehmen und vom grundlegenden
Gesichtspunkt des Marxismus aus, d. h. mit der Methode der Klassenanalyse, eine
Reihe gründlicher Untersuchungen anzu-
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stellen. Nur auf diese Weise können wir uns
die elementarsten Kenntnisse über die Probleme der chinesischen Gesellschaft
erwerben.
Dazu muß man erstens den Blick nach
unten richten, darf man nicht den Kopf in die Luft heben und die Wolken
anstarren. Wer nicht das Interesse hat und fest entschlossen ist, seine Blicke
nach unten zu richten, der wird die Dinge in China bis ans Ende seiner Tage
nicht wirklich verstehen.
Zweitens muß man Ermittlungsaussprachen
abhalten. Durch bloßes Umsehen und vom Hörensagen gewinnt man überhaupt keine
vollständigen Kenntnisse. Von den Materialien, die ich mit der Methode der
Ermittlungsgespräche gesammelt habe, sind die Hunan und Djinggangschan
betreffenden verlorengegangen. Die hier vorliegenden Materialien bestehen in der
Hauptsache aus der "Untersuchung in Hsingguo", der "Untersuchung in der Gemeinde
Tschanggang" und der "Untersuchung in der Gemeinde Tsaihsi". Die Abhaltung von
Ermittlungsaussprachen ist die einfachste und am leichtesten durchzuführende,
die sicherste und zuverlässigste Methode; sie hat mir viel Nutzen gebracht, und
das ist eine bessere Schule als jede Universität. Die Leute, die man zu solchen
Aussprachen heranzieht, sollen wirklich erfahrene Funktionäre der mittleren und
unteren Stufe sowie einfache Bürger sein. Bei den Ermittlungen, die ich in fünf
Kreisen Hunans und in zwei Kreisen des Djinggangschan-Gebiets vornahm, lud ich
zu den Aussprachen verantwortliche Funktionäre der mittleren Ebene ein; bei der
Untersuchung der Verhältnisse im Kreis Hsünwu zog ich Funktionäre der mittleren
und der unteren Ebene heran sowie einen armen Hsiutsai[1], einen Expräsidenten der Handelskammer, der
Bankrott gemacht hatte, und einen einfachen arbeitslosen Steuerbeamten der
Kreisverwaltung. Sie alle teilten mir vieles mit, wovon ich bis dahin nie gehört
hatte. So erhielt ich zum erstenmal ein vollständiges Bild von den verrotteten
Zuständen in den chinesischen Gefängnissen, als ich während meiner Ermittlungen
im Kreis Hengschan, Provinz Hunan, einen gewöhnlichen Gefängniswärter befragte.
Bei den Untersuchungen, die ich im Kreis Hsingguo sowie in den Gemeinden
Tschanggang und Tsaihsi anstellte, nahmen an den Aussprachen Genossen, die auf
Gemeindeebene tätig sind, oder einfache Bauern teil. Diese Funktionäre und
Bauern, der Hsiutsai, der Gefängnisaufseher, der Kaufmann und der Steuerbeamte -
sie alle waren meine geschätzten Lehrer, und ich, als ihr Schüler, hatte mich
ihnen gegenüber ehrerbietig, lerneifrig und kameradschaftlich zu verhalten;
andernfalls hätten sie mit mir nichts zu tun haben wollen, mir nichts gesagt,
obwohl sie etwas wissen, oder
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wissen. Für eine Ermittlungsaussprache braucht man nicht viel Teilnehmer: Es
genügt, wenn man dazu drei bis fünf oder sieben bis acht Personen einlädt. Man
muß sich zu einer solchen Aussprache genügend Zeit nehmen und ein
Untersuchungsprogramm vorbereiten; man muß ferner selbst mündlich die Fragen
stellen und eigenhändig die Antworten notieren, sodann darüber mit den
Anwesenden diskutieren. Folglich kann man ohne eifrige Hingabe an die Sache,
ohne feste Entschlossenheit, seinen Blick nach unten zu richten, ohne Wißbegier,
ohne den heißen Wunsch, sich von dem Übel der Hochnäsigkeit zu befreien und ein
lernwilliger Schüler zu werden, diese Arbeit entweder überhaupt nicht oder nur
schlecht verrichten. Man muß begreifen: Die wahren Helden sind die Massen, wir
selbst aber sind oft naiv bis zur Lächerlichkeit; wer das nicht begriffen hat,
wird nicht einmal die minimalen Kenntnisse erwerben können.
Ich möchte hier wiederholen: Der
Hauptzweck der Veröffentlichung dieses Informationsmaterials besteht darin, die
Methode zu zeigen, wie man sich mit den Verhältnissen auf der unteren Ebene
vertraut macht; er besteht nicht darin, daß die Genossen sich dieses konkrete
Material und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen einprägen. Allgemein gesagt,
war die unreife chinesische Bourgeoisie bisher nicht imstande und wird auch nie
imstande sein, für uns ein relativ umfassendes oder auch nur
Mindestanforderungen genügendes Material über die gesellschaftlichen
Verhältnisse bereitzustellen, wie dies die Bourgeoisie Europas, Amerikas und
Japans getan hat; es bleibt uns daher nichts anderes übrig, als selbst dieses
Material zu beschaffen. Speziell gesagt, müssen jene, die praktische Arbeit
leisten, stets über die sich ändernde Lage im Bilde sein, und in keinem einzigen
Land kann die kommunistische Partei damit rechnen, daß andere ihr diesbezüglich
fertige Erkenntnisse liefern werden. Deshalb müssen alle, die praktische Arbeit
leisten, Untersuchungen auf der unteren Ebene vornehmen. Solche Untersuchungen
sind besonders für jene notwendig, die nur theoretisch beschlagen sind, aber
über die realen Verhältnisse nicht Bescheid wissen; andernfalls werden sie die
Theorie nicht mit der Praxis verbinden können. Meine Feststellung "Wer eine
Sache nicht untersucht hat, der hat kein Recht mitzureden" wurde zwar als "enger
Empirismus" verlacht; ich bedauere aber auch jetzt nicht, diese Feststellung
gemacht zu haben. Mehr noch: Ich bestehe weiterhin darauf, daß jemand, der keine
Untersuchungen anstellt, auch kein Mitspracherecht haben kann. Es gibt viele
Leute, die, "kaum daß sie
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aus dem Wagen gestiegen sind", einen Riesenwirbel zu
machen beginnen, überall ihre Meinung zum besten geben, das eine kritisieren,
das andere tadeln; solche Leute werden aber in der Praxis ausnahmslos
Schiffbruch erleiden. Denn diese Meinungen und kritischen Äußerungen, die nicht
auf gründlichen Untersuchungen beruhen, sind nichts als ein Geschwätz von
Ignoranten. Unsere Partei hat durch solche "Allerhöchstbevollmächtigten"
unzählige Male Schaden davongetragen. Es wimmelt nur so von diesen Leuten, fast
überall schwirren sie herum. Wie Stalin treffend sagte, "wird die Theorie
gegenstandslos, wenn sie nicht mit der revolutionären Praxis verknüpft wird".
Und natürlich ist es ebenso richtig, daß, wie er hinzufügte, "die Praxis blind
wird, wenn sie ihren Weg nicht durch die revolutionäre Theorie beleuchtet"2) Als "enge Empiriker" darf man lediglich jene
Praktiker bezeichnen, die blind umhertappen, keine Perspektiven haben, nicht
weit vorausschauen können.
Ich fühle heute noch sehr stark, daß
ich ein gründliches Studium der chinesischen und internationalen Angelegenheiten
nötig habe; das hängt mit der Tatsache zusammen, daß meine Kenntnisse über diese
Angelegenheiten noch höchst unzureichend sind, und ich kann durchaus nicht
behaupten, daß ich schon alles wüßte und nur die anderen unwissend wären. Mein
Wunsch ist es, gemeinsam mit allen Genossen unserer Partei von den Massen zu
lernen, auch weiterhin ein Schüler zu sein.
NACHWORT
(19. April 1941)
Die Erfahrungen aus der Periode des
zehnjährigen Bürgerkriegs geben uns die besten und nächstliegenden Hinweise für
die gegenwärtige Periode des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression.
Das gilt jedoch nur dort, wo es sich darum handelt, wie wir uns mit den Massen
verbinden, wie wir sie gegen den Feind mobilisieren, nicht aber dort, wo es um
die taktische Linie geht. Die taktische Linie der Partei ist jetzt eine
prinzipiell andere, als sie in der Vergangenheit war. Damals war sie gegen die
Grundherren und die konterrevolutionäre Bourgeoisie gerichtet; heute richtet sie
sich auf ein Bündnis mit jenen Grundherren und jenen Angehörigen der
Bourgeoisie, die nicht gegen den Widerstandskrieg eingestellt sind. Sogar in der
Endphase des
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reaktionären Regierung und der reaktionären Partei, die uns bewaffnet
angegriffen hatten, einerseits und gegenüber allen jenen Gesellschaftsschichten
mit kapitalistischem Charakter in den von uns regierten Gebieten andererseits
keine differenzierte Politik betrieben wurde; ebenso war es unrichtig, daß man
keine differenzierte Politik gegenüber den einzelnen Gruppen innerhalb der
reaktionären Regierung und der reaktionären Partei betrieb. Die damals gegenüber
allen Schichten der Gesellschaft mit Ausnahme der Bauernschaft und der unteren
Schicht des städtischen Kleinbürgertums betriebene Politik "Kampf gilt alles"
war zweifellos falsch. Auch hinsichtlich der Agrarpolitik war es falsch, die in
der frühen und mittleren Phase des zehnjährigen Bürgerkriegs3) durchgeführte richtige Politik zu verwerfen, die
darin bestand, daß man den Grundherren ebensoviel Boden zuteilte wie den Bauern,
damit sie ihn bearbeiten konnten und nicht obdachlos und ohne Mittel für den
Lebensunterhalt umherstrolchten oder in die Berge zogen, um als Banditen die
öffentliche Ordnung zu gefährden. Die Politik der Partei muß jetzt eine andere
sein; sie besteht weder in "Kampf gilt alles, Vereinigung nichts" noch in
"Vereinigung gilt alles, Kampf nichts" (wie dies beim Tschenduhsiuismus[2] im Jahre 1927 der Fall war), sondern
zielt auf ein Bündnis mit allen Gesellschaftsschichten ab, die dem japanischen
Imperialismus entgegentreten, zielt darauf ab, mit ihnen eine Einheitsfront zu
bilden, aber auch einen Kampf gegen ihre unbeständige und reaktionäre Seite zu
führen, die sich in Kapitulationsneigung und im Kampf gegen die Kommunistische
Partei und gegen das Volk äußert, wobei die Formen dieses Kampfes je nach dem
verschiedenen Grad, in welchem sich diese Seite manifestiert, verschieden sind.
Die gegenwärtige Politik ist eine Doppelpolitik, bei der "Vereinigung" und
"Kampf" kombiniert werden. In der Politik der Arbeit wird eine Doppelpolitik
verfolgt, die darauf gerichtet ist, auf angemessene Art die Lebenshaltung der
Arbeiter zu verbessern und eine ordnungsgemäße Entwicklung der kapitalistischen
Wirtschaft nicht zu behindern. In der Bodenpolitik wird eine Doppelpolitik
verfolgt, die darauf gerichtet ist, einerseits von den Grundherren die Senkung
der Pacht- und Darlehenszinsen zu verlangen, andererseits die Bauern zu
verpflichten, die reduzierten Zahlungen zu entrichten. Auf dem Gebiet der
politischen Rechte wird eine Doppelpolitik verfolgt, die darauf gerichtet ist,
allen Grundherren und Kapitalisten, die für den Widerstandskrieg sind, die
gleichen persönlichen, politischen und Vermögensrechte wie den Arbeitern und
Bauern zu gewähren sowie aber auch
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eventuelle konterrevolutionäre Umtriebe zu
verhüten. Die staatliche und genossenschaftliche Wirtschaft soll entwickelt
werden, doch bilden heute in den ländlichen Stützpunktgebieten nicht die
Staatsunternehmen, sondern die Privatunternehmen den Hauptwirtschaftssektor,
weshalb man dem nichtmonopolistischen Kapitalismus in unserer Wirtschaft
Entwicklungsmöglichkeit geben und ihn gegen den japanischen Imperialismus und
das halbfeudale System ausnutzen muß. Das ist gegenwärtig für China die
revolutionärste Politik, und es wäre ohne jeden Zweifel ein Fehler, sich der
Durchführung dieser Politik zu widersetzen oder sie zu behindern. Die strenge
und konsequente Reinhaltung des kommunistischen Bewußtseins unserer
Parteimitglieder und der Schutz des nutzbringenden Teils des kapitalistischen
Sektors in der Wirtschaft unserer Gesellschaft, damit er sich in geeigneter
Weise entwickeln kann, sind die beiden unerläßlichen Aufgaben, denen wir uns in
der Periode des Widerstandskriegs gegen Japan und des Aufbaus einer
demokratischen Republik gegenübersehen. In dieser Periode ist es möglich, daß
manche Mitglieder unserer Partei von der Bourgeoisie korrumpiert werden und daß
unter ihnen kapitalistische Ideen auftauchen, und wir müssen einen Kampf gegen
solche demoralisierenden Ideen in der Partei führen; wir dürfen aber nicht in
den Fehler verfallen, diesen Kampf gegen die kapitalistischen Ideen in der
Partei auf das sozial-ökonomische Gebiet zu übertragen und aus diesem Anlaß den
kapitalistischen Wirtschaftssektor zu bekämpfen. Wir müssen eine klare
Trennungslinie zwischen diesen beiden Gebieten ziehen. Die Kommunistische Partei
Chinas arbeitet unter komplizierten Verhältnissen, und jedes Parteimitglied,
insbesondere jeder Funktionär, muß sich stählen, um ein mit der Kenntnis der
marxistischen Taktik ausgerüsteter Kämpfer zu werden. Bei einer einseitigen und
primitiven Betrachtung der Probleme kann man die Revolution nicht zum Siege
führen.
ANMERKUNGEN
1) Bei der Direktive des Zentralkomitees vom 7. Juli 1940 handelt es sich um den "Beschluß des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas über die gegenwärtige Lage und die Politik der Partei". Die Direktive des Zentralkomitees vom 25. Dezember 1940 ist in den Ausgewählten Werken Mao Tse-tungs, Band II, als Artikel enthalten, der "Über unsere Politik" betitelt ist.
2) Zitiert aus Stalins "Über die Grundlagen des Leninismus", Teil III.
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3) Die
frühe Phase des zehnjährigen Bürgerkriegs dauerte von Ende 1927 bis Ende 1928
und ist allgemein als die Djinggangschan-Periode bekannt; die mittlere Phase
reichte von Anfang 1929 bis Herbst 1931, das heißt von der Errichtung des
zentralen roten Stützpunktgebiets bis zum siegreichen Abschluß der
Gegenoperation gegen den dritten "Einkreisungs- und Ausrottungsfeldzug"; die
Endphase ist der Zeitabschnitt von Ende 1931 bis Ende 1934, das heißt vom
siegreichen Abschluß dieser dritten Gegenoperation bis zur erweiterten Tagung
des Politbüros, die vom Zentralkomitee der Partei in Dsunyi, Provinz Kueitschou,
einberufen worden war. Die Dsunyi-Tagung, die im Januar 1935 stattfand, setzte
der "links"opportunistischen Linie, die von 1931 bis 1934 in der Partei
dominiert hatte, ein Ende und brachte die Partei auf die richtige Linie
zurück.
ANMERKUNGEN DES ÜBERSETZERS
[1] Inhaber des niedrigsten Gelehrtengrads bei den kaiserlichen Examen.
[2] Siehe Anmerkung 4 zur Schrift "Strategische Probleme des revolutionären Krieges in China", Ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Bd. I, S. 292 f.