westberliner info nr. 4/88


KLASSENKAMPF VON OBEN ALS STAATSTERROR (*)

Aus: Historische Altlasten, in: westberliner info, 4/88

Vorbemerkung: Daß brutale Kommunistenhatz in der Geschichte der BRD auch ganz ohne höchstrichterliche, verfassungsrechtliche Absegnung auskam, zeigt die Geschichte Westberlins der frühen 50er Jahre. Westberlin war zwar völkerrechtlich nicht Teil der BRD, wohl aber politisch und ökonomisch. Zwar galt das politische Strafrecht der BRD anfänglich nicht und das KPD-Verbot konnte überhaupt nicht zur Anwendung kommen, doch wie der folgende Text belegt, wurde hier der "Klassenkampf von oben" gegen links dennoch in aller nur denkbaren Härte geführt.

Nachdem es dem in Westberlin herrschenden Machtkartell unter der Hegemonie der rechten SPD durch den Reichsbahnkrieg(**) gelungen war, kommunistische und andere oppositionelle Strömungen zu isolieren, entstand ein politisches Klima in der Stadt, in dem jede Opposition, die Kritik an der Westintegration erhob, brutal verfolgt werden konnte, ohne daß sich ein breiteres Protestpotential gegen die damit einhergehende Außerkraftsetzung der minimalsten bürgerlichen Rechte formierte.

Die SED und die mit ihr verbundenen Kräfte, insbesondere die FDJ und der FDGB, wurden Opfer zahlloser staatsterroristischer Maßnahmen. Die Phase dieses brutalen Antikommunismus entsprach ungefähr dem Zeitraum der zweiten Etappe der Westintegration, weil in diesem Abschnitt die kommunistischen Kräften, die an der Einheit Deutschland festhielten, logischerweise aus ihrer Sicht versuchen mußten, dieser Westintegration den Weg zu versperren. Aufgrund der Kräftekonstellationen in Gesamtberlin konnte ihre westberliner Politik nur von Ostberlin aus entfaltet werden. Dieser Umstand ermöglichte wiederum dem westberliner Machtkartell, alle oppositionellen Handlungen scheinbar rechtsstaatlich als Landesverrat und Staatsgefährdung zu verfolgen. Bei diesen Verfolgungsmaßnahmen gab es eine abgestimmte Arbeitsteilung mit den Westallierten.

Schon in der zweiten Hälfte des Jahres 1949 setzten massive politische Repressionen gegen die vom "Deutschen Volksrat" - ein von SED und KPD geschaffenem Ausschuß - geführte Kampagne für die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung mit Sitz in Berlin ein. Am 1.10.1949 wurde von diesem Gremium in Ostberlin anläßlich des "Weltfriedenstages" eine Massendemo durchgeführt. Als am folgenden Tage ebenfalls versucht wurde, in verschiedenen westberliner Bezirken Demos durchzuführen, wurden diese von der Polizei brutal zerschlagen.

Im Januar und Februar 1950 führte die SPD eine Reihe von politischen Massenveranstaltungen an der Sektorengrenze in Kreuzberg, Wedding und Neukölln unter dem Titel "Freie Wahlen für Berlin" durch. Das Ziel dieser Kampagne stand unter der von Willy Brandt ausgegebenen Losung: "Sowenig wie der Sozialismus in einem allein möglich ist, sowenig ist er in einer Stadt denkbar." und sollte speziell die ostberliner Bevölkerung dazu bringen, ebenfalls für eine Westintegration - dh. für den - einzutreten. Als auf diesen Veranstaltungen SED-Mitglieder die ideologische Auseinandersetzungen suchten, wurden diese als "kommunistische Stör" behandelt, dh. gegen sie wurde mit der Polizei vorgegangen. Als am 5.2.1950 daraufhin die SED im Wedding eine eigene Veranstaltung machen will, um ihre Positionen zu erläutern, wird diese kurzer Hand auf Initiative der SPD verboten und die Teilnehmer werden durch Polizei in den angrenzenden Ostsektor verjagt.

Ab Februar 1950 begannen die Kommunisten, ihre Propaganda für das 1. Deutschlandtreffen der Jugend in Ostberlin am 27.-30.5.1950 zu entfalten. Dieses Treffen sollte sich unter der Parole für Frieden und Völkerfreundschaft gegen die beginnende Wiederaufrüstung in der BRD richten und für ein wiedervereintes friedliebendes Deutschland werben. Schon am 9.2.1950 untersagten die jegliche damit zusammenhängenden Demos in Westberlin. SPD-Oberbürgermeister Reuter ("Schaut auf diese Stadt") unterstrich eine gute Woche später die Richtigkeit der Anordnung. Währenddessen hatten sich die Bezirksbürgermeister mit der "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit"- einer Art Bürgerwehr - getroffen, um Gegenmaßnahmen für das Pfingstjugendtreffen durchzu. Dennoch versuchte am 10.3.1950 die FDJ mit einer Kundgebung auf dem Kreuzberger Mariannenplatz, das Demo-Verbot zu durchbrechen. Gegen die rund 2.000 Teilnehmer wird seitens der Polizei sogar mit der Schußwaffe vorgegangen. Immer wieder versuchen FDJ-Gruppen in der 2. Märzhälfte, Demos zu organisieren, die von der Polizei brutal zerschlagen werden. Mit Schnellgerichten werden Festgenommene zu mehrwöchigen Gefängnisstrafen verurteilt.

SPD, CDU, FDP und UGO versetzten die Westberliner in eine bürgerkriegsähnliche Progromstimmung und gaben ein gemeinsames Hetzplakat heraus, auf dem es hieß: "Duldet in eigenem Interesse keine Quartierwerbung in Euren Häusern. Nur dadurch könnt Ihr Euch vor Sachschäden, Überrumpelungen und Gewalttätigkeiten schützen, die zwangsläufig eintreten müssen, wenn es der SED gelingt, in das freiheitlich gesinnte Westberlin große Massen verhetzter Menschen auf diesem Wege einzuschleußen. Jede Quartiermachung ist verboten und wird strafrechtlich verfolgt."

Am 4.4.1950 wurde unter Leitung des amerikanischen Stadtkommandanten Taylor ein Krisenstab zur Bekämpfung "kommunistischer Putschversuche" mit der westberliner Polizei gebildet, der aus vier Ausschüssen bestand, die "politische, militärische, psychologische und Abwehrfragen" behandelten. Dennoch unternahm auch im April die FDJ zahlreiche propagandistische Aktionen in den Westsektoren, die allerdings angesichts des Progromklimas auf das Plakatekleben beschränkt blieben. Auch hier kommt es zu zahlreichen Verhaftungen und Aburteilungen.

Nach dem nun jegliches Eintreten für die Teilnahme am Deutschlandtreffen brutal unterdrückt worden war, verstärkte in den Wochen vor dem Deutschlandtreffen der "Westen" die Propaganda für Westberlin als "Schaufenster der freien Welt". Daran beteiligten sich insbesondere der RIAS und die Jugendverbände, sowie die FU. Während des Jugendtreffens in Ostberlin, an dem 700.000 Jugendliche aus allen Teilen Deutschlands und dem Ausland teilnehmen, hielten sich in Westberlin zu propagandistischen Zwecken die Mitglieder der Bonner Regierung auf, um "Verbundenheit des freien Deutschland mit Berlin" zu bekunden. Dieses Verständnis von westlicher Freiheit wurde kurze Zeit später nochmals unter Beweis gestellt, als am 31.5.1950 10.000 westdeutsche Teilnehmer bei Rückkehr in die BRD von Bundesgrenzschutz und Polizei verhaftet werden. Angeblich sollten sie auf Thyphus untersucht werden, in Wirklichkeit ging es um die Registrierung durch den Staatsapparat.

Im Sommer 1950 nahmen die FDJ und das Deutsche Komitee für den Frieden die Agitation für die Deutsche Einheit und gegen die Remilitarisierung der BRD in Westberlin wieder auf. In diesem Zusammenhang sammelten sie Unterschriften zur "Ächtung der Atombombe". Am 18.7.1950 formierte sich dafür in Westberlin ein Demonstrationszug mit mehreren tausend Teilnehmern. Die westberliner Polizei führte hier ihre erste Massenhaftung von mehr als tausend Teilnehmern durch. Unter ihnen sich auch der Physikprofessor Robert Havemann. Am 30. August 1950 verbreiteten die Tempelhofer SPD, CDU und FDP einen Aufruf, worin sie ankündigen, Namen von Unterstützern der Unterschriftensammlung öffentlich bekanntzugeben, und die Bevölkerung auffordern, Unterschriftensammler der Polizei zu übergeben. Gegen Progromstimmung organisierte die FDJ am 1.9.1950 eine mehr als 1000köpfige Demo vor dem Schöneberger Rathaus. Dabei setzte die Polizei das 1.Mal(!) in der Geschichte Wasserwerfer ein und nimmt dabei keine Rücksicht auf den gleichzeitig laufenden Wochenmarkt.

Am 10.9.1950, dem Gedenktag für die Opfer des Faschismus, formierten sich zwei große Demonstrationszüge der VVN, die von Westberlin aus zum Ostberliner Lustmarschieren wollten. Auch diese Demos werden illegalisiert und blutig von der Polizei zerschlagen. Diesen Vorfall nahmen die Westalliierten zum Vorwand und verhängten am 11.9.1950 mit ihrer berüchtigten Anordnung 501 den Ausnahmezustand in Westberlin. Gestützt auf diese Anordnung setzte die SPD-Fraktion im westberliner am 28.9.1950 einen Antrag durch, der jede Verbreitung "kommunistischer" Schriften in Westberlin verbietet. Am 19.12.1950 erweiterten die Westallierten ihre Anordnung durch eine neue (Nr. 504). Dadurch wurde festgelegt, daß Verstöße gegen Nr. 501 von Militärgerichten oder westberliner Gerichten mit Gefängnis bis zu fünf und/oder bis zu 50.000 DM Geldstrafe zu ahnden sind.

Nachdem nun jegliches öffentliches oppositionelles Auftreten illegalisiert worden war, folgte sozusagen als krönender Abschluß im Januar 1951 die höchstrichterlich getroffene Feststellung, daß der FDGB in Westberlin keine Tarifpartei sein kann, was seiner Illegalisierung in Betrieben gleichkam. Somit war zum Jahreswechsel 1950/51 in Westberlin ein politisches Klima herangewachsen, das die Kommunisten veranlaßte, es als faschistisch zu charakterisieren. In dieses Klima paßte sich der offizielle Appell des DGB vom Februar 1951 an den Senat nahtlos ein, wo dieser aufgefordert wurde, westberliner Kommunisten zwangsweise auszubürgern. Ebenfalls entsprach die nun durchgeführte Ausrüstung der westberliner Polizeieinheiten, die an den Sektorengrenzen eingesetzt waren, mit Karabinern dem herrschenden Zeitgeist und für den herbeigeredeten Bürgerkriegszustand ein stückweit Realität. So schien es in der Logik solch erfundener Verhältnisse auch ganz normal, daß zum Jahre1951 die Polizei mit automatischen Waffen und Maschinengewehren ausgerüstet und ihre Mannschaftsstärke um weitere 2.000 aufgestockt wurde. Auch der westberliner Zoll wurde so verstärkt, daß pro Kilometer Grenze diese ununterbrochen 24 Stunden am Tag von mindestens einem Beamten bewacht werden konnte.

Trotz dieser Bedingungen begannen im Frühsommer 1951 SED und FDJ ihre Agitation und Propaganda für die am 15.August 1951 in Ostberlin angesetzten III.Weltfestspiele der Jugend und Studenten für den Frieden in den westberliner Stadtteilen. Eine der ersten Reaktionen des Senats war im Mai 1951 die Illegalisierung mehrerer als kommunistisch eingestufter, westberliner Friedenskomitees. Eine der übelsten Maßnahmen antikommunistischer Hetze bildete der zwischen dem 3.und 5.6.1951 in verbreitete Aufruf des westberliner Senats, in dem er den Kampf gegen die Remilitarisierung als "Manöver nach dem Vorbild der NSDAP" bezeichnet. Trotz dieser massiven Unterdrückung und ideologischen Diversion konnte der Vorsitzende des Groß-Berliner Friedenskomitees, Professor Robert Havemann, am 9.6.1951 mitteilen, daß rund 110.000 Unterschriften in Westberlin gesammelt worden seien, wovon 86,7 Prozent sich gegen die Remilitarisierung der BRD aussprochen hatten.

Ebenfalls im Juni 1951 versuchten mehrere hundert FDJler, zweimal die Pfaueninsel zu besetzen, um dadurch gegen ihre militärische Nutzung durch die Amerikaner zu protestieren. Es kommt wieder zu zahlreichen Verhaftungen. Auch bei anderen Aktionen im Juli 1951, wie z.B. Flugblätterverteilen auf S-Bahnhöfen, griff die Polizei jedes Mal hart durch und wurde dabei von Teilen der westberliner Bevölkerung aktiv unterstützt. Am 28.7.1951 wurden schlielich rund 6.000 westdeutsche Jugendliche vom Bundesgrenzschutz gehindert, die "grüne" BRD/DDR-Grenze zu überschreiten, um an den III. Weltfestspielen teilnehmen zu können. Seitdem befindet sich die westberliner Polizei in Alarmbereitschaft.

Während der Weltjugendfestspiele kommt es am 15.8.1951 zu dem massivsten Polizeiübergriff in der westberliner Geschichte. Seit Tagen hatten der Senat, die bürgerlichen Parteien und Jugendverbände, sowie der DGB mit einem riesigen Propagandaaufwand die Teilnehmer der Festspiele ins "freie Berlin" eingeladen. Die FDJ entschloß sich daher mit drei Demozügen (im Wedding, Neukölln und Kreuzberg) mit rund 10.000 Teilnehmer der Einladung zu folgen. Kaum daß sie die Grenze überschritten hatten, wurden die Demonstranten mit Polizeikesseln festgehalten, verprügelt und hunderte, die nicht in den Ostsektor zurückfliehen konnten, wurden festgenommen und zur Aburteilung den Schnellgerichten zugeführt.

Exemplarisch für dieses staatsterroristische Klima steht die Tötung des Kommunisten Ernst Kamieth am 7.11.1951 durch den Kreuzberger Polizeibeamten Zunker. hatte mit einer Polizeigruppe den Potsdamer Güterbahnhof nach "kommunistischen Propagandamaterial" untersucht und dabei Ernst Kamieth so niedergeschlagen, daß er dadurch besinnungslos wurde und verstarb. Erst nach zwei Monaten, nachdem der "Groscurth-Ausschuß" eine massive Öffentlichkeitsarbeit entfaltet hatte, nahm man Zunker 11.1.1952 in Haft, der erst am 10.5.1954 (!!!) äftig verurteilt wurde. Obwohl im Verfahren noch fünf andere Fälle von Körperverletzung im Amt nachgewiesen wurden, erhielt Zunker für alle 6 Fälle zusammen eine Strafe von 22 Monaten Gefängnis, wobei als mildernder Umstand angesehen wurde, daß Zunker ein "Polizeirevier an der Sektorengrenze" leitete. Trotz dieser schließlich doch erfolgten Verurteilung hatte Zunker während des Verfahrens die Symphatien der Herrschenden auf seiner Seite. So stellte die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus am 7.3.52 den Dringlichkeitsantrag auf sofortige Haftentlassung. SPD-Funktionäre wie der Kreuzberger Bezirksbürgermeister Willy Kressmann solidarisierten sich öffentlich mit Zunker. Und Zunker wurde bereits am 21.3.52 wieder aus der U-Haft entlassen und blieb bis zu seiner Verurteilung auf freiem Fuß.

Im Jahre 1952 spitzte sich der Staatsterror gegen kommunistische und oppositionelle Kräfte weiter zu, indem nun die staatsterroristischen Maßnahmen direkt auf die der westberliner Kommunisten zielten. Eingeleitet wurde diese Phase im Februar 1952 mit der Bildung des Landesamtes für Verfassungsschutz verab-. Selbst Künstler wie der Komponist Eduard Künnecke oder die Schauspielerin Else Riechers wurden ihrer Ämter enthoben bzw. bekamen Berufverbot, weil sie für Zusammenarbeit aller Berliner Kulturschaffenden eingetreten waren. Durch die Änderung des Gesetzes über die Anerkennung als politisch, rassisch oder religiös Naziregime Verfolgte verschufen sich die Herrschenden im März 1952 die "Rechts"grundlage kommunistischen oder oppositionellen Kräfte den Verfolgtenstatus und damit finanzieller Unterstützungen zu berauben. Angesichts der in Westberlin herrschenden Wohnungsnot, Lauben wurden noch massenhaft als benutzt, schlug der spätere SPD-Innensenator Lipschitz im Juli 1952 vor, der Senat solle den Kommunisten die Laubengrundstücke entziehen. SPD-Bürgermeister Reuter nimmt am 10.7.52 diesen Vorschlag auf und kündigt an, daß man nun keine "kommunistischen Nester" in den Laubenkolonien mehr dulden werde. In Kreuzberg verfügte SPD-Bürgermeister Kressmann, daß sozialbedürftige westberliner SED-Mitglieder kein Geld sondern Naturalien erhalten, die sie sich im Fichtebunker abholen müssen, wo "politische Flüchtlinge" aus der DDR untergebracht sind. Gleichzeitig überprüfte der Senat die zwangsweise Unterbringung von Verfechtern der östlichen Ideologie" in "besonders einzurichtenden Anstalten". Im September 1952 schließlich überfiel die Polizei 11 Zweigstellen der "Weddinger Konsumgenossenschaft" und schloß sie mit der Begründung, dort würde kommunistische Propaganda verbreitet. Mit diesen Maßnahmen wurde ein Klima der existenziellen Angst von oben offiziell durchgesetzt, mit dem jegliche Ausschaltung von linken Kräften legitimiert werden konnte. Dies wird z.B. daran deutlich, daß die herrschenden Parteien die Zulassung einer unabhängigen sozialdemokratischen Partei (USPD) mit der Erklärung verweigern, ihr sei "weniger am Wohl der Berliner Bevölkerung als an der Erreichung totalitärer Ziele gelegen". Die Illegalisierung der USPD, einer Gruppierung von rund 100 westberliner Sozialisten, war der blanke Hohn, denn zum selben Zeitpunkt befinden sich Mitglieder dieser Gruppierung unter dem Vorwurf des Trotzkismus in der DDR in Haft.

Doch trotz dieser zuspitzten Situation ließen SED und FDJ 1952 nicht nach, in Westberlin für ein geeintes, friedliebendes und neutrales Deutschland politisch einzutreten. Zwischen März und August 1952 durchbrach allein die FDJ mit sechs Großdemos dieses staatsterroristische Klima in Westberlin. Höhepunkte bildeten die Demo am 24.4.1952 gegen den BRD-"Generalkriegsvertrag" mit mehr als 15.000 Teilnehmern in Reinickendorf und Wedding und die 1.Mai-Demo mit mehr als 10.000 Teilnehmern in der Weddinger Brunnenstraße. Bei allen Demos setzte die Polizei Wasserwerfer und Gummiknüppel ein, nahm zahllose Demonstranten in "Schutzhaft" und führte sie Schnellgerichten zu.

Ab 1953 verlagerte die SED den Schwerpunkt ihres propagandistischen und politischen Auftretens auf unmittelbar soziale Fragen. In Westberlin herrschte zu dem nun seit mehr als vier Jahren eine breite Massenarbeitslosigkeit, d.h. jede/r vierte Werktätige war 1953 arbeitslos (258.551 Arbeitslose zu 751.569 Beschäftigten - Stand Januar 1953). Bis zum DruPa-Streik am 28./29.5.1952 gegen die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes hatte es in diesem Zeitraum in Westberlin keinen gewerkschaftlichen Streik gegeben. Auf diesen Streik, der den Charakter eines Generalstreiks hatte (zwei Tage erschienen in der BRD und Westberlin keine Zeitungen) und von der BRD ausgegangen war, übte die gesamte westberliner Reaktion politischen Druck aus. Hierbei taten sich besonders hervor: der SPD-Landesvorsitzende Neumann, der SPD-Bürgermeister Reuter und der westberliner Vorsitzende des DGB Scharnowski (SPD). Entsprechend der Änderung des Hauptschwergewichts der politischen Arbeit trieb die SED die Einrichtung von Erwerbslosenkomitees voran und führte von 1953 bis Mitte 1954 mehrere zentrale westberliner Arbeitslosenkonferenzen durch. Doch wie in den Jahren zuvor, wurden sämtliche Aktivitäten von den Herrschenden illegalisiert und es kam weiterhin zu massiven polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen - insbesondere bei den Aktionen auf den Arbeitsämtern.

Diese Änderung der Hauptlinie der SED drückte allerdings auch das Scheitern der bisherigen Linie aus, denn es war in keiner Weise gelungen, ein nennenswertes Protestpotential außerhalb des eigenen Spektrums für den Erhalt der deutschen Einheit zu formieren. So legte die Gesamtberliner Bezirksdelegiertenkonferenz der SED am ./14.3.1954 fest, daß nun die zukünftige Hauptlinie der Partei der außerparlamentarische Kampf gegen Preistreiberei, wachsende Verelendung und Massenarbeitslosigkeit sein sollte. Dabei sollte besonders das Bündnis mit den en Kollegen im Gewerkschaftsrahmen gesucht werden. Wie weit die Isolierung der Kommunisten aber auch in unmittelbaren Klassenkampffragen vorwar, zeigte sich in der Tarifrunde der ÖTV im August 1954. Als FDGB-Flugblätter auftauchten, die zum Streik aufriefen, konnte sich die westberliner ÖTV-ührung gegenüber ihrer Mitgliedschaft erfolgreich gegen einen Streik aussprechen und stattdessen zu Spitzeldiensten gegenüber Kommunisten auffordern. Und dies, obwohl in Hamburg zum gleichen Zeitpunkt der öffentliche Dienst im Vollstreik stand.

Nachdem nun ab 1953 die Westintegration vollständig abgeschlossen und selbst in gewerkschaftlichen Fragen kein Protestpotential mehr vorhanden war, sondern die Bevölkerung dem brutalen Antikommunismus überzeugt folgte, begann der herrschende Block das politische Klima zu "liberalisieren". Wennn man von den 400 verhafteten Wahlhelfern absieht, so konnte die SED in den Abgeordnetenhauswahlen 1954 relativ unangefochten öffentlich auftreten. Sie bekam wieder Räume und bekannte SED-Mitglieder aus der DDR, wie z.B. Johannes R.Becher, konnten einreisen und öffentlich reden.

Trotz des herrschenden Antikommunismus, hatte die SED ihre offensive Politik bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgegeben. Im Dezember 1954 errang sie mit ihren Spitzenkandidaten Robert Havemann und Helene Weigel ihr bis heute bestes westberliner Wahlergebnis mit 2,7 Prozent und erreichte im Wedding sogar 4,3 Prozent. In der Folgezeit schränkte die SED in Westberlin eine offensive Politik immer weiter ein, so daß auch von daher drastische Verfolgungsmaßnahmen zurückgingen und die SED sich wieder öffentlich betätigen konnte. Im August 1955 konnte die SED ihre erste öffentliche Veranstaltung durchführen, die nicht illegalisiert wurde und im Dezember 1955 erschien das erste Mal in Westberlin eine legalisierte SED-Zeitung: Die WAHRHEIT. Dennoch hörte die Kommunistenverfolgung in Westberlin in der Folgezeit nicht etwa auf, sondern verlief eben im bürgerlich-zivilisierten Bahnen oder wie es so schön heißt: rechtsstaatlich.

Wie lleicht jedoch antikommunistische Progromstimmungen wieder zu entfachen waren, zeigte sich sowohl beim "Chrustschow-Ultimatum" 1958 als auch beim "Mauerbau" 1961. Als sich ab 1968/69 eine revolutionäre Linke unabhängig von der SED/SEW herausbildete, konnten die in Westberlin Herrschenden je nach Bedarf auf ihr bekanntes antikommunistisches Arsenal gegen diese zurückgreifen. Insofern bildet der Antikommunismus in Westberlin auch heute noch eine ernstzunehmende "historische Altlast".

(*) Alle Zahlen, Daten, Fakten und Zitate stammen aus: Berlin - Ringen um Einheit und Aufbau, Bd.3, Bd.4, Bd.5, Hrg. Senat v. Berlin, 1962, 1968, 1971
(**)Am 21.5.1949 traten in den Westsektoren von insgesamt 15.000 westberliner Reichsbahnbeschäftigten 11.500 in den Streik, um die 100% Entlohnung in Westmark zu erzwingen. Der Streik dauerte bis zum 28.6.1949 und vertiefte die Spaltung der Stadt.